Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. vorläufiger Rechtsschutz gegen die Vollstreckung bestandskräftiger, offensichtlich rechtswidriger Beitragsbescheide. Erlass von Beitragsschulden
Leitsatz (amtlich)
Einstweiliger Rechtsschutz ist auch gegen die Vollstreckung bestandskräftiger Verwaltungsakte durch einstweilige Anordnung unter der Voraussetzung möglich, dass die Prüfung des Anordnungsanspruchs einen materiell unzweifelhaften Anspruch ergibt.
Orientierungssatz
Die Regelung des § 256a SGB 5 steht in ihren Absätzen 1 und 2 allein im Zusammenhang mit § 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5 und ist auf den Erlass bzw die Ermäßigung von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen im Zusammenhang mit der daraus resultierenden Versicherungspflicht beschränkt. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig und nicht auslegungsfähig.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 28. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Vollziehung von Beitragsbescheiden.
Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Bis März 2014 war er als freiwilliges Mitglied bei ihr versichert und ist es derzeit aufgrund einer Versicherungspflicht als Beschäftigter. Seine freiwilligen Beiträge bis März 2014 zahlte der Antragsteller nicht bzw. unvollständig. Die Beitragsrückstände stellte die Antragsgegnerin mit Beitragsbescheiden, wie im bisherigen Verfahren genannt, fest. Zum Teil setzte sie dabei Höchstbeiträge fest, da der Antragsteller nicht oder verspätet ihrer Bitte auf Vorlage von Einkommensbescheiden nachkam. Mit Bescheid vom 9. Februar 2015 unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller über derzeit offene Beiträge von 11.295,39 EUR einschließlich Säumniszuschlägen und Nebenkosten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch mit der Begründung, dass das am 1. August 2013 in Kraft getretene Gesetz mit § 256a SGB V gerade Mitglieder wie ihn vor sozialer Überforderung durch hohe Beitragsschulden schützen solle. Darauf sei er von der Antragsgegnerin nicht hingewiesen worden. Den Antrag auf Erlass stelle er jetzt. Er habe zwei Kinder und seine Ehefrau sei nur geringfügig beschäftigt. Vor diesem Hintergrund stellten die geltend gemachten Beiträge eine wirtschaftliche Überforderung dar. Außerdem beantrage er die Aussetzung der Vollziehung, bis über seinen Erlassantrag entschieden worden sei. Einen Erlass lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21. April 2015 ab. Auch eine Aussetzung der Vollziehung sei nicht möglich. Ein Erlass nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV komme ebenfalls nicht in Betracht. Dazu übersandte die Antragsgegnerin Kontoauszüge einschließlich Säumniszuschlägen über 11.544,39 EUR (Stand 8. Mai 2015). Mit Bescheid vom 5. Juni 2015 lehnte die Antragsgegnerin eine Reduzierung der Beiträge gemäß § 44 SGB X ab. Dazu erläuterte sie im Einzelnen, wie es zu den entstandenen festgesetzten Beiträgen insgesamt gekommen war. Auch hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch und beantragte erneut die Aussetzung der Vollstreckung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag. Die Antragsgegnerin wies auf ihren Bescheid vom 21. April 2015 hin, wonach eine Aussetzung der Vollziehung nicht möglich sei. Der Antragsteller beanstandete daraufhin, dass ihm keine Versicherungskarte ausgestellt werde, obwohl er derzeit laufend Beiträge entrichte. Die Antragsgegnerin wies auf § 16 Abs. 3a SGB V hin, wonach der Leistungsanspruch bei angemahnten Beiträgen von mehr als einem Monatsbeitrag eingeschränkt sei.
Der Antragsteller hat am 13. August 2015 die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag beantragt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Es sei der Antragsgegnerin vorzuwerfen, jetzt erst nach Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit die Vollstreckung betrieben zu haben. Eine Entscheidung über seinen Überprüfungsantrag der Beitragsbescheide sei bis jetzt nicht erfolgt. Die Vollstreckung stelle eine unbillige Härte aufgrund seiner familiären Situation und lediglich Bruttoeinnahmen von 2.300,00 EUR monatlich dar. Zudem habe er noch weitere Kredite zu bedienen Dazu hat der Antragsteller Unterlagen vorgelegt. Die unbillige Härte folge auch daraus, dass sich die Beitragsbescheide noch im Überprüfungsverfahren befänden. § 256a SGB V gelte uneingeschränkt für freiwillige Mitglieder.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, § 256a SGB V komme nicht in Betracht, da der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versichert gewesen sei. § 256a SGB V finde lediglich in seinem Absatz 3 auf freiwillig Versicherte Anwendung, und zwar dort auf Erlass von Säumniszuschlägen. Diese Vorschrift habe sie, die Antragsgegnerin, berücksichtigt und in Höhe von 1.557,56 EUR dem Antragsteller Säumniszusc...