Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 282
Weil ein Blick in die Zukunft stets mit Unsicherheit behaftet ist, kann es vorkommen, dass das Ereignis, das Gegenstand der kündigungsrechtlichen Negativprognose war, nicht eintritt. In solchen Fällen, in denen sich die angestellte Prognose – untechnisch gesprochen – als "falsch" erweist, wird überwiegend ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers befürwortet. Der Anspruch wird als notwendiges Korrektiv dafür angesehen, dass nur die Umstände bei Zugang der Kündigung maßgeblich für die Beurteilung ihrer Wirksamkeit sind (vgl. Rz. 173). Als Anspruchsgrundlage kommen vor allem in Betracht:
- der Grundsatz des Vertrauensschutzes nach § 242 BGB oder
- eine vertragliche Nebenpflicht aus dem bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch bestehenden Arbeitsverhältnis.
Ein Wiedereinstellungsanspruch kann grundsätzlich nur Arbeitnehmern zustehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Kündigungsschutz nach dem KSchG genießen. Ob sich in Kleinbetrieben im Einzelfall ausnahmsweise aus § 242 BGB ein Wiedereinstellungsanspruch ergeben kann, ist offen.
Rz. 283
Der Arbeitnehmer darf i. d. R. darauf vertrauen, dass sein Arbeitsverhältnis nur dann wirklich endet, wenn die vom Arbeitgeber vorgebrachten Gründe auch bei Ablauf der Kündigungsfrist noch bestehen. Allerdings darf der Arbeitgeber seinerseits grds. darauf vertrauen, dass die Kündigung wirksam ist, und entsprechende Dispositionen im Hinblick darauf vornehmen, etwa eine Ersatzkraft einstellen. In einer Interessenabwägung ist zu ermitteln, welches Vertrauen schutzwürdiger ist.
Rz. 284
Nach h. M. ist der Anspruch insoweit befristet, als dass nur die tatsächlichen Entwicklungen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von Bedeutung sind (Ausnahmen: Verdachtskündigung, vgl. Rz. 300; Betriebsübergang, vgl. Rz. 301). Ist das Arbeitsverhältnis einmal beendet, überwiegt das Interesse an Rechtssicherheit den Vertrauensschutz des Arbeitnehmers. Nachwirkende Nebenpflichten des Arbeitgebers beziehen sich nur auf die Abwicklung des beendeten Arbeitsverhältnisses. Gegen die Befristung des Anspruchs wird vorgetragen, dass bei Massenentlassungen Arbeitnehmer mit einer kürzeren Kündigungsfrist im Nachteil sind. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Arbeitnehmer mit einer längeren Kündigungsfrist eine längere Betriebszugehörigkeit vorweisen können und damit zu Recht größeren Vertrauensschutz genießen.
Rz. 285
Teilweise wird angenommen, der Wiedereinstellungsanspruch sei ausgeschlossen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach der Kündigung einen Vergleich oder einen Aufhebungsvertrag geschlossen haben, um den Streit über die Wirksamkeit der Kündigung endgültig beizulegen. Dagegen kommt nach Ansicht der Rechtsprechung grundsätzlich auch eine Anpassung des Vertrags an die veränderten Verhältnisse nach § 313 BGB in Betracht. Auch insoweit ist jedoch jedenfalls erforderlich, dass sich die Verhältnisse gerade zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und dem vereinbarten Vertragsende geändert haben.
Rz. 286
Gerichtlich durchsetzen kann der Arbeitnehmer den Anspruch auf Wiedereinstellung, indem er den Arbeitgeber auf Annahme (Abgabe einer Willenserklärung) seines Angebots verklagt, den Vertrag fortzusetzen bzw. einen neuen Vertrag abzuschließen. In der Klageschrift ist der Inhalt des Vertrages hinreichend deutlich zu machen. Anzugeben sind zumindest Art und Beginn der Arbeitsleistung. Das Urteil wird nach § 894 ZPO vollstreckt. Der rückwirkende Abschluss eines Vertrags ist nicht mehr nichtig. Damit ist auch eine dahingehende Verurteilung möglich. Der Arbeitnehmer kann daher geltend machen, dass der Arbeitsvertrag rückwirkend zu dem Zeitpunkt beginnen soll, in dem der Arbeitnehmer die Wiedereinstellung verlangt hat. Eine Rückwirkung über das Verlangen bzw. das Angebot des Arbeitnehmers hinaus hat das BAG abgelehnt.