Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 527
Da die personenbedingte Kündigung die Frage nach der Eignung oder Fähigkeit des Arbeitnehmers betrifft, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, kann sie nur dann gerechtfertigt sein, wenn diese Eignung oder Fähigkeit fehlt bzw. erheblich beeinträchtigt ist und mit ihrer baldigen (Wieder-)Herstellung nicht gerechnet werden kann (negative Prognose, 1. Stufe).
Beurteilungszeitpunkt ist zunächst der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Die Leistungsstörung muss dabei jedoch nicht zwingend zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs vorliegen. Die Prognose fehlender Eignung/Fähigkeit muss sich – jedenfalls bei der ordentlichen Kündigung – maßgeblich auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist beziehen. Es kommt somit nicht entscheidend darauf an, ob der personenbedingte Kündigungsgrund am Ende der Kündigungsfrist tatsächlich noch besteht oder erst dann entstanden ist.
Da die negative Prognose im Kündigungsschutzprozess zugunsten des Arbeitnehmers widerlegt werden kann, kann der Arbeitgeber zur Minderung seines Annahmeverzugsrisikos (§ 615 BGB, § 11 KSchG) in Erwägung ziehen, dem Arbeitnehmer für die Verfahrensdauer eine Prozessbeschäftigung anzubieten. Dabei sollte jedoch bedacht werden, ob der Kündigungsgrund trotz der tatsächlichen Beschäftigung aufrechterhalten werden kann.
Darüber hinaus ist auch bei einer Prozessbeschäftigung an das Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG zu denken, weil die Prozessbeschäftigung ein befristetes Arbeitsverhältnis darstellt und bei mangelnder Schriftform (ungewollt) ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht.
Rz. 528
Nachträgliche Veränderungen hinsichtlich Eignung oder Fähigkeit sind allein bei der Frage nach einem Wiedereinstellungsanspruch zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn der zunächst prognostizierte Mangel während des Laufs der Kündigungsfrist entfällt.
Für eine Prognose ist nicht zwingend erforderlich, dass bereits vor Kündigungszugang Störungen des Austauschverhältnisses aufgetreten sind. Zwar werden in der Praxis Vertragsstörungen in der Vergangenheit oft Anlass für den zukunftsorientierten Kündigungsausspruch sein. Möglich ist aber auch, dass Tatsachen feststellbar sind, die ohne vorherige Beeinträchtigung eine zukünftige, dauerhafte Leistungsstörung erwarten lassen. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn eine berufsrechtliche Erlaubnis ohne Aussicht auf Wiedererlangung erlischt oder der Arbeitnehmer die Erwerbsfähigkeit dauerhaft verliert. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber nicht erst einen gewissen Zeitraum abwarten, in welchem sich die Leistungsstörung tatsächlich auswirkt.