Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 907
Soweit die Sozialauswahl gar nicht oder methodisch fehlerhaft durchgeführt wurde, ist die Kündigung grds. rechtswidrig. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG aber dann nicht, "wenn mit der Person des Gekündigten gleichwohl – zufällig – eine objektiv vertretbare Auswahl getroffen wurde". Insofern muss der Arbeitgeber nicht die "bestmögliche" Sozialauswahl vorgenommen haben, da sich angesichts des Bewertungsspielraumes des Arbeitsgebers nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer auf einen Auswahlfehler berufen können.
Wenn der Arbeitgeber zur Objektivierung und besseren Durchschaubarkeit seiner Auswahlentscheidung die sozialen Gesichtspunkte mit einem Punktesystem bewertet (s. Rz. 864) und sodann anhand der von den einzelnen Arbeitnehmern jeweils erreichten Punktzahlen eine Rangfolge der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer erstellt und die zu kündigenden Arbeitnehmer nach dieser Rangfolge bestimmt, kann es hierbei zu Fehlern kommen, wobei eine im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern niedrige Punktzahl nicht bedeutet, dass ausschließlich der Arbeitnehmer mit der niedrigeren Punktzahl zu kündigen ist. Dies führt jedoch nicht notwendig zur Unwirksamkeit jeder Kündigung. Entfallen z. B. 50 von 500 Arbeitsplätzen, so sind bei Anwendung eines solchen Punktesystems grds. die 50 Arbeitnehmer mit den geringsten Punktzahlen zu kündigen. Unterläuft bei der Ermittlung der Punktzahlen ein Fehler mit der Folge, dass auch nur einem Arbeitnehmer, der bei richtiger Ermittlung der Punktzahlen zur Kündigung angestanden hätte, nicht gekündigt wird, so wurden nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG die Kündigungen aller gekündigten Arbeitnehmer als unwirksam angesehen. Dies galt, obwohl bei fehlerfreier Erstellung der Rangfolge nur ein Arbeitnehmer von der Kündigungsliste zu nehmen gewesen wäre (sog. Domino-Theorie).
Diese Rechtsprechung hat das BAG aufgegeben. Kann der Arbeitgeber in Fällen der vorliegenden Art im Kündigungsschutzprozess aufzeigen, dass der gekündigte Arbeitnehmer auch bei richtiger Erstellung der Rangliste anhand des Punktesystems zur Kündigung angestanden hätte, so ist die Kündigung – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. In diesen Fällen ist der Fehler für die Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers nicht ursächlich geworden und die Sozialauswahl jedenfalls im Ergebnis ausreichend. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der sich auf die fehlende Kausalität eines Auswahlfehlers berufende Arbeitgeber darlegt, dass die Kündigung des klagenden Arbeitnehmers die einzig zulässige Auswahlentscheidung gewesen ist. Es ist ausreichend, dass sie objektiv vertretbar und im Ergebnis nicht grob fehlerhaft ist. Sofern die Betriebsparteien eine abschließende Interessenabwägung vorgenommen haben, in Rahmen derer das Für und Wider der für den Arbeitnehmer sprechenden Gesichtspunkte diskutiert worden ist, so kann ein bloß schematischer Vollzug eines für die Sozialauswahl angewendeten Punktesystems jedoch entfallen.