Rz. 128
Besteht eine Betriebsänderung allein in der Entlassung von Arbeitnehmern, ist der Sozialplan durch Anrufen der Einigungsstelle nur erzwingbar, wenn die in § 112a Abs. 1 BetrVG genannten Grenzwerte überschritten werden. Die Grenzwerte liegen teilweise höher als die für das Vorliegen einer Betriebsänderung. Das hat zur Folge, dass es Konstellationen gibt, in denen der Arbeitgeber wegen § 113 BetrVG einen Interessenausgleich versuchen muss, zum Abschluss eines Sozialplans aber nicht gezwungen werden kann. Während die absolute Untergrenze für das Einsetzen der Mitbestimmung bei Betriebsänderungen durch § 111 BetrVG auf mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer im Unternehmen abstellt, bleibt die Bezugseinheit für § 112a BetrVG der Betrieb. Auch in Betrieben mit 10 Arbeitnehmern kann allein die Entlassung von 6 Arbeitnehmern also die Sozialplanpflicht auslösen.
Gerade in der Situation, dass zwar eine interessensausgleichspflichtige Betriebsänderung vorliegt, aber wegen § 112a Abs. 1 BetrVG ein Sozialplan nicht erzwungen werden kann, muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass der Betriebsrat ggf. versucht, durch eine Verzögerung der Verhandlungen über einen Interessenausgleich den Arbeitgeber zum Abschluss eines freiwilligen Sozialplans als "Gegenleistung" für einen zügigen Interessenausgleich zu bewegen.
Rz. 129
Die Ausnahmevorschrift des § 112a Abs. 1 BetrVG ist nicht nur anwendbar, wenn die Betriebsänderung ausschließlich in der Entlassung von Arbeitnehmern liegt. Weitere Maßnahmen des Arbeitgebers sind unschädlich für die Anwendung, wenn diese anderen Maßnahmen nicht alleine für sich oder in Verbindung mit dem Personalabbau bereits eine Betriebsänderung darstellen (BAG, Beschluss v. 28.3.2006, 1 ABR 5/05). Die Unterscheidung des BAG dürfte für die Praxis nicht schon auf den ersten Blick verständlich sein. Offensichtlich will das BAG diese Frage in folgenden Schritten prüfen:
- Zunächst untersucht es die weitere Maßnahme daraufhin, ob darin eine Betriebsänderung liegt (insbesondere: erstreckt sie sich auf einen wesentlichen Betriebsteil?).
- Sodann geht es der Frage nach, ob die Maßnahme unter Einbeziehung aller Entlassungen in jenem Bereich eine Betriebsänderung darstellt – insbesondere muss das nicht der Fall sein, wenn betriebsweit Arbeitnehmer entlassen werden, während die weiteren Maßnahmen nur einen Teil des Betriebs betreffen.
In einem Unternehmen mit 200 Arbeitnehmern werden in allen Abteilungen insgesamt 30 Arbeitnehmer entlassen. Die Maßnahme ist isoliert betrachtet nicht sozialplanpflichtig, weil die Voraussetzungen des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht erfüllt sind. Hinzu kommt aber zugleich eine völlige Neuorganisation des Betriebs von der über 100 Arbeitnehmer betroffen sind. Die Betriebsänderung besteht jetzt nicht mehr nur aus einem Personalabbau, sondern auch aus einer grundlegenden Organisationsänderung, die für sich genommen auch schon eine Betriebsänderung ist (§ 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG). Damit wird die ganze Maßnahme sozialplanpflichtig; § 112 a Abs. 1 BetrVG ist nicht mehr anwendbar.
Rz. 130
Erfasst ein einheitlicher Arbeitgeberplan eine Personalherabsetzung in mehreren Schritten, so sind die schrittweise entlassenen Arbeitnehmer zusammenzurechnen, wenn die Entlassungen auf einen einheitlichen Plan des Unternehmens beruhen und nur gestaffelt ausgeführt werden (BAG, Urteil v. 22.1.2004, 2 AZR 111/02). Hat der Arbeitgeber entsprechend seiner Planung die Entlassungen ausgeführt und fasst er dann davon unabhängig einen neuen Plan zur Entlassung weiterer Arbeitnehmer, so werden die bereits ausgeführten Entlassungen nicht zu den späteren Entlassungen addiert (BAG, Beschluss v. 28.3.2006, 1 ABR 5/05).
Der Arbeitgeber entschließt sich, aufgrund eines prognostizierten Umsatzrückgangs von 25 % 20 von 200 Arbeitnehmern zu entlassen und führt dies auch aus. Danach bricht der Umsatz weiter um 20 % ein und er entschließt sich, weitere 18 Arbeitnehmer zu entlassen. Der Betriebsrat kann keinen Sozialplan erzwingen, da die beiden Entlassungswellen nicht zusammenzurechnen sind, sodass die notwendige Zahl von 37 Entlassungen nicht erreicht ist.
Abwandlung: Der Umsatzeinbruch ist so groß, dass der Arbeitgeber nach personalwirtschaftlichen Vorgaben 40 Mitarbeiter entlassen müsste; er entlässt zunächst aber nur 25, weil er auf Besserung hofft und die Facharbeiter zunächst nicht freisetzen will. Die Lage bessert sich nicht und er entlässt nun auch noch die weiteren 15 Mitarbeiter. In diesem Fall sind die beiden Entlassungswellen zu addieren, da sie letztlich auf der einheitlichen Entscheidung des Arbeitgebers beruhen, den Personalbestand in dem erforderlichen Maß an den Umsatzrückgang anzupassen. Dadurch besteht Sozialplanpflicht auch nach § 112 a Abs. 1 BetrVG.
Rz. 131
Die Staffelung in § 112a Abs. 1 BetrVG ergibt folgende Grenzwerte: