Rz. 3
Ein Betriebsteil ist ein räumlich und/oder organisatorisch unterscheidbarer Betriebsbereich, der innerhalb eines Betriebs seine bestimmten Aufgaben zu erfüllen hat, aber in die gesamte Organisation des Betriebes eingegliedert ist (BAG, Beschluss v. 9.12.1992, 7 ABR 15/92). Nicht erforderlich ist, dass ein anderer arbeitstechnischer Zweck als im Hauptbetrieb selbst verfolgt wird. Vielmehr kann er sogar mit diesem identisch sein. Der Betriebsteil ist in den Hauptbetrieb organisatorisch eingegliedert und gehört grundsätzlich zum Hauptbetrieb, so dass in ihm kein eigener Betriebsrat gewählt werden kann. Im Interesse funktionsfähiger Betriebsratsstrukturen macht das Gesetz hiervon jedoch dann eine Ausnahme und sieht den Betriebsteil als eigenen Betrieb an, wenn er die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllt (5 wahlberechtigte Arbeitnehmer) und räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder in Bezug auf Aufgabenbereich und Organisation selbstständig ist. Dann wird er betriebsverfassungsrechtlich als eigener Betrieb behandelt – obwohl er eigentlich nur ein Betriebsteil ist – und für ihn kann ein eigener Betriebsrat gewählt werden, dessen Größe und Zusammensetzung sich ausschließlich nach den Verhältnissen im Betriebsteil richtet. Liegen diese Voraussetzungen aber nicht vor, bleibt es dabei, dass er zum Hauptbetrieb gehört.
Rz. 4
Die Fiktion des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG greift nur dann mit der Folge, dass ein Betriebsteil als selbstständiger Betrieb i. S. des Betriebsverfassungsrechts gilt, wenn er so weit vom Hauptbetrieb entfernt ist, dass ein erfolgreiches Zusammenwirken unter den Arbeitnehmern und mit einem gemeinsamen, einheitlichen Betriebsrat in Fragen der Betriebsverfassung nicht zu erwarten steht (BAG, Beschluss v. 24.2.1976, 1 ABR 62/75).
Der Zweck der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG besteht darin, den Arbeitnehmern von Betriebsteilen eine effektive Vertretung durch einen eigenen Betriebsrat zu ermöglichen, wenn wegen der räumlichen Trennung des Betriebsteils von dem Hauptbetrieb die persönliche Kontaktaufnahme zwischen einem dortigen Betriebsrat und den Arbeitnehmern im Betriebsteil so erschwert ist, dass der Betriebsrat des Hauptbetriebs die Interessen der Arbeitnehmer nicht mit der nötigen Intensität und Sachkunde wahrnehmen kann und sich die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen an den Betriebsrat wenden können oder Betriebsratsmitglieder, die in dem Betriebsteil beschäftigt sind, nicht kurzfristig zu Sitzungen im Hauptbetrieb kommen können. Maßgeblich ist also sowohl die leichte Erreichbarkeit des Betriebsrats aus Sicht der Arbeitnehmer wie auch umgekehrt die Erreichbarkeit der Arbeitnehmer für den Betriebsrat. Eine Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs allein nach Entfernungskilometern kommt dabei nicht in Betracht, vielmehr ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen(BAG, Beschluss v. 17.5.2017, 7 ABR 21/15, Rz. 20).
Die Erreichbarkeit des im Hauptbetrieb bestehenden Betriebsrats per Post, Telefon oder moderner Kommunikationsmittel ist für die Beurteilung der Frage, ob Filialen räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, unerheblich, da § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG allein auf die räumliche Entfernung abstellt (BAG, Beschluss v. 17.5.2017, 7 ABR 21/15).
Abgrenzungskriterien wie die Zugehörigkeit zur gleichen politischen Gemeinde sind untauglich. Entscheidend sind vor allem die Verkehrsmöglichkeiten (BAG, Beschluss v. 24.2.1976, 1 ABR 62/75). Bei dieser Beurteilung orientiert sich die Rechtsprechung bislang nicht an absoluten Entfernungen, sondern stützt sich vor allem auf die Verkehrsverbindungen sowohl mit öffentlichen Verkehrsmitteln als auch mit dem Kraftfahrzeug (BAG, Beschluss v. 14.1.2004, 7 ABR 26/03). Für die jederzeitige Erreichbarkeit ist nicht auf die ungünstigste Verkehrssituation, sondern auf die regelmäßigen Verkehrsverhältnisse abzustellen. Wann von einer räumlich weiten Entfernung auszugehen ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle gingen bei schlechter Verkehrsverbindung bereits bei 28 km von einer "weiten" Entfernung aus, während bei guter Verkehrsanbindung auch bis zu 70 km noch nicht "weit" entfernt waren. Für die Praxis kann als Richtwert gelten, dass jedenfalls bei einer Entfernung von mehr als 50 km ein eigenständiger Betriebsteil ernsthaft angenommen werden kann.
Voraussetzung für die Annahme, dass ein räumlich weit entfernter Betriebsteil als selbstständiger Betrieb gilt ist aber immer, dass in diesem Betriebsteil noch ein Mindestmaß an Leitungsfunktion durch einen dort ansässigen Vorgesetzten ausgeübt wird, denn andernfalls hat der vor Ort gebildete Betriebsrat keinen Ansprechpartner (BAG, Urteil v. 15.12.2011, 8 AZR 692/10). Dazu reicht es aus, dass in der organisatorischen Einheit überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt (BAG, Beschluss v. 17.5.2017, 7 ABR 21/15...