LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 17.11.2017, 2 Sa 965/17
Eine Weisung des Arbeitgebers, die nach Rücknahme einer Kündigung erfolgt und wonach der Arbeitnehmer am nächsten Tag um 7 Uhr früh an einem 170 km entfernten Ort zur Arbeit erscheinen muss, ist unwirksam.
Sachverhalt
Der Kläger ist seit August 2016 bei der Beklagten, einem Logistikunternehmen, an deren Firmensitz beschäftigt. Arbeitsvertraglich war vereinbart, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entsprechend seiner Leistungen und Fähigkeiten mit einer anderen gleichwertigen Aufgabe betrauen und ihn an einem anderen Ort sowie vorübergehend auch bei einem anderen Konzernunternehmen einsetzen könne. Während eines zwischen den Parteien geführten Kündigungsstreits nahm die Beklagte die Kündigung zurück. Allerdings forderte sie den Kläger auf, sich am nächsten Tag um 7 Uhr früh in der Niederlassung in Dresden zu melden. Dresden befindet sich ca. 165 km von dem Wohnort des Klägers – ca. 6 km vom eigentlichen Firmensitz – entfernt. Mit dem Auto dauert die Fahrt nach Dresden ca. 1 Stunde 45 Minuten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln ca. 4 Stunden. Der Kläger, der der Ansicht war, dass er nicht verpflichtet sei, in Dresden zu arbeiten, erschien am nächsten Tag nicht dort, sondern am Firmensitz. Aufgrund dessen erhielt er sofort eine Abmahnung sowie die erneute Anweisung in Dresden zu erscheinen. Dies wiederholte sich 3-mal. Danach erhielt der Kläger die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung. Hiergegen klagte er.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg.
Das Gericht entschied, dass sowohl die außerordentliche wie auch die ordentliche Kündigung unwirksam waren, da der Kläger die Arbeit nicht verweigert habe; denn die Weisung der Beklagten, sofort in Dresden zu arbeiten, entsprach nicht billigem Ermessen. Deshalb musste ihr nicht Folge geleistet werden.
Hintergrund ist die neueste BAG-Rechtsprechung (Urteil v. 18.10.2017, 10 AZR 330/16), wonach ein Arbeitnehmer nicht – auch nicht vorläufig – an eine unbillige Weisung gebunden ist.
Das Gericht führte hierzu aus, dass eine Leistungsbestimmung billigem Ermessen entsprechen muss; dies verlange eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den allgemeinen Wertungsgrundsätzen, der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Im vorliegenden Fall waren insbesondere das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers an kurzen Pendelzeiten und dem geringem finanziellen Aufwand zu berücksichtigen.
Aus diesen Erwägungen ergab sich jedoch, dass sowohl die Weisungen der Beklagten sowie die daraus abgeleiteten Abmahnungen bzw. die Kündigung unwirksam waren; denn schon der Zeitpunkt der Weisung – direkt nach der Rücknahme der Kündigung – indiziert einen Rechtsmissbrauch. Hieraus könne man ableiten, dass es um eine Disziplinierung des Klägers und nicht um eine betriebliche Notwendigkeit – welche die Beklagte zudem nicht glaubhaft vorgetragen hatte – ging. Die lange Pendelzeit des Klägers nach Dresden war daher unzumutbar.