BAG, Urteil v. 19.12.2019, 6 AZR 23/19
Leitsatz (amtlich)
Nach § 3 Abs. 4 Satz 2 TV-L kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen eine entgeltliche Nebentätigkeit untersagen oder diese mit Auflagen versehen. Diese Bestimmung ist verfassungskonform. Die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ist bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs. 4 Satz 2 TV-L und bei der Rechtsanwendung im Einzelfall zu berücksichtigen.
Sachverhalt
Die Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie soll als kassenärztliche Vereinigung die ambulante medizinische und psychotherapeutische Versorgung der Einwohner im Gebiet Nordrhein sicherstellen, wozu es gehörte, die Qualität der ärztlichen Leistungen zu sichern, das Honorar mit den Vertragsärzten abzurechnen, deren Interessen gegenüber den Krankenkassen zu vertreten sowie den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu organisieren. Auch bietet sie den Vertragsärzten betriebswirtschaftliche Beratung von der Gründung einer Praxis bis zu deren Verkauf an. Dies umfasste z. B. Praxiswertermittlung, Liquiditäts-, Investitions- und Kostenanalysen sowie Beratung beim Praxismarketing. Der Kläger ist bei der Beklagten als Niederlassungsberater in der Bezirksstelle D beschäftigt. Der TV-L findet auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
Bei der Beklagten gab es eine Compliance-Richtlinie, welche u. a. den Umgang mit möglichen Interessenkonflikten regelte. Zudem war die Ausübung einer Nebentätigkeit anzeigepflichtig, um das Bestehen eines Interessenkonfliktes zu prüfen.
Am 16.3.2018 informierte der Kläger die Beklagte, dass er ab Juni eine Nebentätigkeit aufnehmen wolle. Im Umfang von 6 Stunden wöchentlich wolle er entgeltlich für seine Lebensgefährtin, welche eine ärztliche Praxis in E betreibt und auch Kassenpatienten betreut, allgemeine Büroaufgaben verrichten. Zu diesem Zeitpunkt gehörte – anders als im Zeitpunkt der Revision – die Stadt E noch nicht zum Zuständigkeitsbereich des Klägers in seiner Funktion als Niederlassungsberater.
Die Beklagte untersagte diese Nebentätigkeit mit der Begründung, dass aus objektiver Sicht eines Dritten ein Interessenkonflikt mit der Tätigkeit als Niederlassungsberater nicht ausgeschlossen werden könne, sodass andere Vertragsärzte eine Bevorzugung der Praxis der Lebensgefährtin des Klägers vermuten könnten.
Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die Untersagung der Nebentätigkeit gewandt.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das BAG entschied, dass die Beklagte zu Recht dem Kläger die Ausübung von Bürotätigkeiten für die Arztpraxis seiner Lebensgefährtin nach § 3 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 TV-L untersagt hatte; denn diese Nebentätigkeit sei geeignet, berechtigte Interessen der Beklagten zu beeinträchtigen.
Das BAG führte zu der tariflichen Regelung aus, dass nach § 3 Abs. 4 TV-L ein Regel-Ausnahme-Verhältnis bestehe. Grundsätzlich genüge die Anzeige einer entgeltlichen Nebentätigkeit und nur im Ausnahmefall sei der öffentliche Arbeitgeber gem. § 3 Abs. 4 Satz 2 TV-L berechtigt, die Nebentätigkeit zu untersagen oder mit Auflagen zu versehen, wenn die Nebentätigkeit geeignet sei, die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten der Beschäftigten oder berechtigte Interessen des Arbeitgebers zu beeinträchtigen. Somit stelle § 3 Abs. 4 TV-L die Untersagung einer Nebentätigkeit nicht in das freie Ermessen des Arbeitgebers. Die Vorschrift ermögliche in Streitfällen den Gerichten den verfassungsrechtlich geforderten Ausgleich der Interessen beider Vertragsparteien im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Das Interesse des Arbeitnehmers an der Ausübung der Nebentätigkeit und das Interesse des Arbeitgebers an der Unterlassung der Nebentätigkeit seien gegeneinander abzuwägen und soweit wie möglich zum Ausgleich zu bringen. Die rechtfertigungslose Untersagung einer Nebentätigkeit wäre demgegenüber ebenso wie ein generelles Verbot mit der nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit der Beschäftigten nicht zu vereinbaren. Insoweit erfülle § 3 Abs. 4 TV-L diese Voraussetzungen und sei demgemäß verfassungskonform.
Übertragen auf den vorliegenden Fall entschied das BAG, dass die hier angezeigte Nebentätigkeit zwar nicht geeignet sei, die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers i. S. v. § 3 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 TV-L zu beeinträchtigen. Sie sei jedoch geeignet, berechtigte Interessen zu beeinträchtigen, nämlich das öffentliche Ansehen der Beklagten zu beschädigen, da sie geeignet sei, das Ansehen der Beklagten bei ihren Kunden und das Vertrauen der Vertragsärzte in die Unabhängigkeit der von ihr angebotenen Beratung zu beeinträchtigen.
Zu den berechtigten Interessen des Arbeitgebers führte das BAG aus, dass dies einer Prüfung im Einzelfall bedürfe. Berechtigte Interessen des Arbeitgebers seien jedoch im Regelfall beeinträchtigt, wenn sich Nebentätigkeiten der Beschäftigten negativ auf die Wahrnehmung des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit auswirkten. Durch die Übernahme einer Nebentätigkeit dürfe die ...