LAG Niedersachsen, Urteil vom 11.5.2023, 5 Sa 27/23
Leitsatz (amtlich)
Weiß ein Arbeitgeber, dass ein befristet eingestellter Arbeitnehmer während der gesamten Vertragsdauer arbeitsunfähig sein wird, kann er die Befristung nicht mit dem Sachgrund der Vertretung rechtfertigen.
Sachverhalt
Der Kläger war befristet als Paketzusteller bei der Beklagten beschäftigt. Am 23.4.2022 kontaktierte er seinen Niederlassungsleiter per WhatsApp und teilte ihm mit, dass er mit einem Paket gestürzt sei, sein Bauch immer dicker geworden sei, er ins Krankenhaus gebracht und ihm schwindlig gewesen sei. Zudem teilte er mit, dass es sich hierbei um einen Nabelbruch handele und er die Auskunft erhalten hatte, dass er vielleicht noch heute operiert werde.In der folgenden Zeit erhielt der Kläger mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die Erstbescheinigung vom 25.4.2022 wies den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 23.4.2022 bis zum 8.5.2022 aus, unter dem üblichen Hinweis "voraussichtlich arbeitsunfähig".
Während seiner Arbeitsunfähigkeit, am 27.4.2022, schlossen die Parteien einen neuen befristeten Arbeitsvertrag. Dieser sah die Tätigkeit des Klägers als Paketzusteller vom 1.5.2022 bis 28.5.2022 (befristet) vor. Als Sachgrund wurde die "Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit der Mitarbeiter S., L., M. und H." angegeben. Der Kläger sollte diese Mitarbeiter während deren Urlaub vertreten.
Mit seiner auf Entfristung seines Arbeitsverhältnisses gerichteten Klage hat der Kläger nun geltend gemacht, es habe aufgrund seiner Erkrankung von vornerein festgestanden, dass er die genannten Mitarbeiter nicht habe vertreten können.
Die Entscheidung
Die Klage hatte vor dem LAG Erfolg. Das Gericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
Das LAG entschied, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristung des streitgegenständlichen Vertrages vom 27.4.2022 zum 28.5.2022 geendet hatte; denn der Beklagten stand kein Sachgrund für diese Befristung zur Seite und eine sachgrundlose Befristung gem. § 14 Abs. 2 TzBfG sei aufgrund der bereits zum fünften Mal erfolgten Befristung nicht mehr in Betracht gekommen.
Insbesondere war die vorliegende Befristung nicht durch den Sachgrund der Vertretung gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt gewesen; denn ein Arbeitgeber, der sicher weiß, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer aufgrund Erkrankung oder sonstiger Umstände keinen einzigen Tag die vertraglich vorgesehene Vertretungsaufgabe wahrnehmen kann, könne sich auf diesen Sachgrund nicht berufen.
Das Gericht führte aus, dass es hierfür sichergestellt sein müsse, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs einstellt worden sei (vgl. BAG vom 6.11.2013, 7 AZR 96/12). Diese Kausalität bestehe jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber bei Vertragsabschluss weiß, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht arbeiten kann; denn in diesem Fall sei der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages völlig sinnlos, weil der Zweck, den der Sachgrund der Vertretung verfolge, nämlich die Aufgabenwahrnehmung des vertretenen Arbeitnehmers durch den befristetet eingestellten Vertreter, nicht einmal ansatzweise erfüllt werden könne.