Nach früherem urlaubsrechtlichem Verständnis ist der Urlaub am Ende des Urlaubsjahres verfallen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Übertragung des Urlaubs in das nächste Kalenderjahr nicht vorlagen. Das LAG München hat diese Grundsätze des BAG neu überdacht und hat einen Schadensersatzanspruch in Form von Ersatzurlaub zugunsten des Arbeitnehmers zuerkannt, der keinen Urlaub erhalten hat. Die Pflichtverletzung hat das LAG darin gesehen, dass der Arbeitgeber nicht von sich aus Urlaub gewährt hat. Dieses Verfahren führte sodann zu einem Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof.
Damit begann eine fundamentale Änderung des deutschen Urlaubsrechts. Wie unter Gliederungsziffer 6.1 bereits ausgeführt, verfällt der Urlaub nach der Rechtsprechung des EuGH und des BAG nur noch dann automatisch, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist. Nach Auffassung des EuGH steht ein automatischer Verfall des Urlaubs im Widerspruch zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Die Vorgabe des EuGH ist, dass der Urlaub nur dann automatisch verfallen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als die im Arbeitsverhältnis schwächere Partei in die Lage versetzt hat, den Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Dies hat der Arbeitgeber zu beweisen. Damit stellt sich für die Praxis die Frage, was der EuGH genau meint, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber "in die Lage versetzt werden muss den Urlaub tatsächlich zu nehmen". Es geht sicherlich zu weit anzunehmen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zwingen muss den Urlaub zu nehmen.
Die konkrete Ausgestaltung dieser neuen Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht in einigen Entscheidungen konkretisiert. Nach Ansicht des BAG ist der Urlaubsanspruch nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genügt.
Nach Ansicht des neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer – gegebenenfalls förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit dem Ende des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht rechtzeitig beantragt. Diese Voraussetzungen für den Urlaubsverfall ergeben sich zwar nicht direkt aus dem Bundesurlaubsgesetz. Vielmehr handelt es sich um eine europarechtskonforme Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG. Dem Arbeitgeber obliegt mit Blick auf die europäische Richtlinie die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs.
Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.2.2019 ist der Arbeitgeber also gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Es obliegt dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer erforderlichenfalls förmlich dazu aufzufordern. Der Arbeitgeber hat klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.
Nur wenn der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist, verfällt der Urlaub am Ende des Jahres bzw. am Ende des Übertragungszeitraums.
Zur Frage, wie dieser Hinweis ganz konkret auszusehen hat, fehlt noch Rechtsprechung. Jedenfalls genügen aufgrund der Vorgaben, dass der Hinweis konkret und in völliger Transparenz zu erfolgen hat, allgemeine Hinweise nicht. Die Hinweispflicht ist individuell auf den Beschäftigten unter Nennung des konkreten Umfang des Urlaubsanspruchs zu beziehen. Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt, in einer allgemein gehaltenen E-Mail oder in einer Kollektivvereinbarung genügen nicht.
Erfüllt der Arbeitgeber zu Beginn des Urlaubsjahres seine Mitwirkungsobliegenheit, so ist es nicht erforderlich, dass einerseits die Information erneuert wird und andererseits beispielsweise bei einer Veränderung der Tage-Woche ein erneuter Hinweis erfolgt.
Die dargestellten Grundsätze gelten auch für den tariflichen Mehrurlaub nach § 26 TVöD. Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen zwar ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 4 Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von 4 Wochen übersteigen, frei regeln. In § 26 TVöD hat ein vom Gesetzesrecht abweichender Regelungswille der Tarifvertragsparteien keinen Niederschlag gefunden. Abweichungen ergeben sich hinsichtlich des Fristenregimes, nicht aber hinsichtlich der Obliegenheit des Arbeitgebers, dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, den tariflichen Mehrurlaub zu nehmen.
Des Weiteren erstreckt sich die Mitwirkungsobliegenheit auch auf den...