EuGH, C-619/16 u. C-684/16: Schlussanträge des Generalanwalts vom 29.5.2018
Wenn ein Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat, führt dies – so der Schlussantrag des Generalanwalts – nicht automatisch zum Verlust eines Urlaubsabgeltungsanspruchs. Anders sieht es jedoch aus, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass er mit der notwendigen Sorgfalt gehandelt hat, um dem Arbeitnehmer die Ausübung des Jahresurlaubsanspruchs zu ermöglichen und sich der Arbeitnehmer trotzdem freiwillig dazu entschließt, keinen Urlaub zu beantragen. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Mitarbeiter zu zwingen, Urlaub zu nehmen, besteht nach Auffassung des Generalanwalts nicht.
Sachverhalt
Der Kläger des 1. Falles beantragte nach Abschluss seines Rechtsreferendariats beim Land Berlin Urlaubsabgeltung für den nicht genommenen Jahresurlaub, der dadurch entstanden war, dass er sich in den letzten 5 Monaten seines Referendariats dazu entschieden hatte, keinen Jahresurlaub zu nehmen. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die geltende deutsche Regelung der Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamten und Richter vom 26.4.1988 einen solchen Abgeltungsanspruch nicht vorsehe, sondern der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums erlischt, wenn der Arbeitnehmer innerhalb dieses Zeitraums keinen Urlaub beantragt hatte. Aufgrund des Erlöschens des Jahresurlaubs sei auch der Abgeltungsanspruch untergegangen. Hiergegen wandte sich der Kläger. Das mit der Sache betraute OVG setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob das Unionsrecht solchen nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe.
In einem 2. Fall war der Kläger über 10 Jahre aufgrund mehrerer befristeter Verträge bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften beschäftigt. Er erfuhr Ende Oktober 2013, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werde und wurde gleichzeitig von seinem Arbeitgeber aufgefordert, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Dezember 2013 seinen Urlaub zu nehmen. Der Kläger nahm Urlaub – jedoch nur 2 Tage. Für die restlichen 51 Tage verlangte er vom Arbeitgeber die Zahlung einer Urlaubsabgeltung. Da sein Begehren erfolglos war, klagte er vor den Arbeitsgerichten. Das BAG legte dem EuGH die Frage vor, ob das Unionsrecht nationalen Regelungen entgegenstehe, wonach Urlaub hätte beantragt werden müssen, damit der Urlaubsanspruch nicht am Ende des Bezugszeitraums ersatzlos untergehe.
Die Schlussanträge des Generalanwalts
Zunächst wies der Generalanwalt darauf hin, dass nach der Arbeitszeitrichtlinie jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von 4 Wochen habe, um sich zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Die Zahlung einer finanziellen Vergütung, die den bezahlten Mindestjahresurlaub ersetzen solle, sei nur möglich, wenn das Arbeitsverhältnis beendet sei. In diesem Zusammenhang verwies der Generalanwalt auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen sei. Einmal erworben, könne dieser Anspruch nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage gewesen sei, seinen Urlaub zu nehmen und habe demnach bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf eine finanzielle Vergütung. Des Weiteren steht nach Ansicht des Generalanwalts die Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, wonach ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verliere, wenn er während des bestehenden Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs gestellt habe und nicht nachweise, dass es ihm unmöglich gewesen sei, den Urlaub aus von seinem Willen unabhängigen Gründen zu nehmen, ohne dass zuvor geprüft werde, ob der betreffende Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber auch tatsächlich in die Lage versetzt worden sei, seinen Anspruch auszuüben. Nationale Gerichte müssten in diesem Zusammenhang prüfen, ob der Arbeitgeber nachweislich geeignete Maßnahmen ergriffen habe, um zu gewährleisten, dass der betreffende Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub habe ausüben können. Weise der Arbeitgeber nach, dass er mit der notwendigen Sorgfalt gehandelt habe und dass trotzdem der Arbeitnehmer aus freien Stücken und bewusst darauf verzichtet habe, seinen Jahresurlaub zu nehmen, obwohl er dies hätte tun können, so habe der Arbeitnehmer keinen Anspruch aus der Richtlinie auf Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub. Weiter führte der Generalanwalt aus, dass der Arbeitgeber hierbei eine besondere Verantwortung dafür trage, dass die Arbeitnehmer ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch tatsächlich wahrnähmen. Daher müsse er konkrete organisatorische Maßnahmen ergreifen, die geeignet seien, den Arbei...