LAG Köln, Urteil vom 11.4.2024, 7 Sa 516/23
Der gesetzliche Schutzzweck des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG würde verfehlt, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte. Etwas anders gilt auch nicht dann, wenn das bevorstehende Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem Abschluss der einschränkenden Vereinbarung verbindlich feststeht.
Sachverhalt
Der Kläger war seit 2019 bei der Beklagten als Betriebsleiter beschäftigt. Ihm standen vertraglich 30 Urlaubstage pro Jahr zu. In einem Rechtsstreit Anfang des Jahres 2023 kamen die Parteien überein, dass eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewünscht war. Da der Kläger durchgängig arbeitsunfähig erkrankt gewesen war, hatte er im Jahr 2023 noch keinen Urlaub genommen. Am 24.3.2023 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Vergleichsentwurf, in welchem u. a. aufgeführt war, dass die Urlaubsansprüche des Klägers in natura gewährt worden seien. Mit Schreiben vom 29.3.2023 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass ihr Mandant mit dem Vergleichsvorschlag einverstanden sei, wies jedoch auf "die erheblichen Bedenken" des Klägers "im Hinblick auf den Vergleichsschluss und die diesseitig, zuletzt mit Schreiben vom 28.3.2023, geäußerte Rechtsauffassung" hin.Sie reichte dann den Vergleichstext bei Gericht ein. Die Beklagte stimmte zu, woraufhin der Vergleich am 31.3.2023 gerichtlich festgestellt wurde. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses konnte der Kläger aufgrund fortbestehender Arbeitsunfähigkeit keinen Urlaub mehr nehmen.
Am 12.6.2023 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Urlaubsabgeltung i. H. v. 1.615 EUR geltend mit der Begründung, dass er auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch als unabdingbaren Anspruch im Rahmen des Vergleichs nicht verzichtet habe, so dass der Mindesturlaub im Umfang von 7 Tagen für das Jahr 2023 abzugelten sei. Die Beklagte brachte dagegen vor, dass der Kläger auf gesetzliche und übergesetzliche Urlaubs(abgeltungs)ansprüche verzichtet habe.
Die Entscheidung
Die Klage auf Urlaubsabgeltung hatte Erfolg.
Das Gericht entschied, dass der Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2023 weder durch Erfüllung noch durch den Prozessvergleich untergegangen sei; denn unstreitig hatte der Kläger im Jahr 2023 aufgrund seiner Erkrankung keinen Urlaub genommen. Der Urlaubsanspruch war auch nicht durch den Prozessvergleich vom 31.3.2023 erloschen. Zwar hatten die Parteien dort festgehalten, dass die Urlaubsansprüche des Klägers in natura gewährt worden seien. Die Vereinbarung hatte den Urlaubsanspruch des Klägers aber nicht durch einen Tatsachenvergleich i. S. v. § 779 BGB zum Erlöschen gebracht. Dieser setze, so das LAG, nach § 779 BGB voraus, dass eine bestehende Ungewissheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden soll. Zwischen den Parteien bestand jedoch zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses kein Streit über die Anzahl der wegen der anhaltenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Jahr 2023 noch nicht gewährten und damit noch offenen Urlaubstage, so dass in der Vereinbarung kein zulässiger Tatsachenvergleich lag.
Des Weiteren hatte die Vereinbarung den gesetzlichen Urlaubsanspruch des Klägers für 2023 nicht durch einen Verzicht i. S. d. § 397 Abs. 1 BGB zum Erlöschen gebracht; denn nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG könne – abgesehen von § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG – von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, so dass der Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 BUrlG gem. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unverzichtbar sei. Das Gericht führte hierzu aus, dass ansonsten der gesetzliche Schutzzweck des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG verfehlt würde, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte. Und etwas anders gelte auch dann nicht, wenn das bevorstehende Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem Abschluss der einschränkenden Vereinbarung verbindlich feststeht.
Anmerkung:
Im vorliegenden Verfahren wurde die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BAG unter dem Az.: 9 AZR 104/24 anhängig.