BAG, Beschluss v. 7.7.2020, 9 AZR 245/19 (A) sowie 9 AZR 401/19 (A)
Vorlagefrage an den EuGH, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs bei voller Erwerbsminderungsrente bzw. Krankheit nach Ablauf der 15-Monats-Frist oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Zeitpunkt des Eintritts der vollen Erwerbsminderung bzw. Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.
Sachverhalt
a. 9 AZR 245/19 (A):
Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er ist seit dem Jahr 2000 als Frachtfahrer bei der Beklagten beschäftigt und bezieht seit dem 1.12.2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, welche zuletzt bis August 2019 verlängert wurde.
Er hat u. a. geltend gemacht, dass ihm gegen die Beklagte noch 34 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2014 zustünden. Da die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen ist, seien die Ansprüche auch nicht verfallen. Die Beklagte brachte hiergegen vor, dass der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub des Klägers mit Ablauf des 31.3.2016 erloschen sei; denn sei ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen langandauernd außerstande, seinen Urlaub anzutreten, trete der Verfall 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ein. Dies gelte auch für den vorliegenden Fall der vollen Erwerbsminderung.
b. 9 AZR 401/19 (A)
Die Klägerin, die seit ihrer Erkrankung im Verlauf des Jahres 2017 durchgehend arbeitsunfähig war, hatte von ihrem Urlaub für das Jahr 2017 14 Urlaubstage nicht in Anspruch genommen. Die beklagte Arbeitgeberin hatte sie auch weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann. Mit der Klage begehrt die Klägerin festzustellen, dass ihr die restlichen 14 Urlaubstage aus dem Kalenderjahr 2017 weiterhin zustehen, da dieser ihrer Auffassung nach nicht verfallen sei, weil die Beklagte es unterlassen habe, sie rechtzeitig auf den drohenden Verfall hinzuweisen. Die Beklagte hat dagegen geltend gemacht, der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 sei spätestens mit Ablauf des 31.3.2019 erloschen.
Die Entscheidung
Während die Vorinstanzen die Klagen abgewiesen hatten, hat nun das BAG in diesen Fällen ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet; denn für die Entscheidung, ob der Urlaub des Klägers in den jeweiligen Fällen verfallen sei, komme es nach Auffassung des BAG auf die Auslegung von Unionsrecht an, die dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten ist.
Das BAG führte hierzu aus, dass nach § 7 Abs. 3 BUrlG Urlaub grds. im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden müsse und eine Übertragung auf die ersten 3 Monate des folgenden Kalenderjahres nur statthaft sei, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Allerdings habe das Gericht im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 6.11.2018 (C-684/16 ) anerkannt, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann nach § 7 Abs. 3 BUrlG am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Zudem legt das BAG für den Fall, dass der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert war, § 7 Abs. 3 BUrlG nach Maßgabe der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22.11.2011 (C-214/10 – [KHS]) dahin aus, dass gesetzliche Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit erst 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres erlöschen.
Für den vorliegenden Rechtstreit bedarf es nun einer Klärung durch den EuGH, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf dieser 15-Monats-Frist oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Zeitpunkt des Eintritts der vollen Erwerbsminderung bzw. Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.