BVerfG, Beschluss v. 9.6.2020, 2 BvR 469/20
Die kategorische Versagung einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Entlassung aus dem Widerrufsbeamtenverhältnis kraft Gesetzes wegen Nichtbestehens einer Prüfung ist verfassungswidrig.
Sachverhalt
Im September 2019 teilte die Hochschule, in welcher der Beschwerdeführer als Beamter auf Widerruf den Vorbereitungsdienst zum Erwerb der Laufbahnbefähigung der Fachrichtung Polizei absolvierte, diesem mit, dass er die "Kontrollübung Pistole" endgültig nicht bestanden habe und deshalb sein Studium mit Ablauf des Tages der schriftlichen Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens ende. Der Beschwerdeführer erhob hiergegen Widerspruch und ersuchte gleichzeitig um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag, die Hochschule zu verpflichten, ihm unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten.
Die Entscheidung
Der Antrag hatte weder vor dem VG noch dem Sächsischen OVG Erfolg. Das BVerfG jedoch gab der Verfassungsbeschwerde statt und verwies die Sache zurück an das Sächsische OVG.
Das BVerfG entschied, dass der Beschluss des Sächsischen OVG den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletze; denn Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eröffne den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt. Und der Rechtsschutz auch im Eilverfahren, so das BVerfG, dürfe sich nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern müsse zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen. Aufgrund dessen seien die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn sonst dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte drohe, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könne. Eine Ausnahme könne sich nur ausnahmsweise, bei überwiegenden, besonders gewichtigen Gründen, ergeben.
Für den vorliegenden Fall sei zu beachten, dass einem Rechtsschutzbegehren auf vorläufige Fortsetzung einer polizeilichen Ausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf eine besondere verfassungsrechtliche Bedeutung zukomme, da die Beendigung einer für den Zugang zu einem staatlichen Beruf erforderlichen Ausbildung eine Beeinträchtigung des Rechts auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern bei gleicher Eignung gemäß Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2 GG darstelle. Es werde durch die Entlassung dem Beschwerdeführer verwehrt, die Ausbildung fortzusetzen, abzuschließen und den gewählten staatlichen Beruf zu ergreifen. Es sei in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass sich besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes ergeben, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führe. Zudem seien die bereits in der Ausbildung befindlichen Betroffenen gezwungen, Prüfungswissen und -fähigkeiten auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten, obwohl ihre Situation durch die Ungewissheit über den weiteren Werdegang gekennzeichnet ist.
Im vorliegenden Fall verkenne, so das BVerfG weiter, das OVG bei seiner Auslegung der Vorschriften zur Entlassung von Beamten auf Widerruf kraft Gesetzes bei endgültigem Nichtbestehen einer Prüfung die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, indem es sich einer Prüfung der entlassungsauslösenden Prüfungsentscheidung sowie der dem Beschwerdeführer entstehenden Nachteile vollständig verschließt und so dem Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz in jedweder Form kategorisch versage.