BAG, Urteil vom 31.1.2023, 9 AZR 456/20
Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist, welche i. d. R. mit dem Ende des Jahres beginnt, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Falls das Arbeitsverhältnis jedoch vor der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (C-684/16) geendet hatte, und war es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben, beginnt die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende des Jahres 2018.
Sachverhalt
Die beklagte Flugschule beschäftigte den Kläger seit dem 9.6.2010 als Ausbildungsleiter. Ihm wurde hierbei sein jährlicher Urlaub von 30 Arbeitstagen nicht gewährt. Mitte Oktober vereinbarten die Parteien, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Im August 2019 erhob der Kläger Klage mit welcher er u. a. die Abgeltung des Urlaubs aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung verlangte. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.
Die Entscheidung
Die Klage hatte vor dem BAG hinsichtlich des Abgeltungsanspruchs aus den Jahren 2010 bis 2014 Erfolg. Bezogen auf das Jahr 2015 blieb sie dagegen erfolglos.
Das Gericht führte aus, dass gemäß seiner Senatsentscheidung (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20) Urlaubsansprüche verjähren können, die 3-jährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginne, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Falls der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten jedoch nicht entsprochen hat, dann könne der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
Das BAG urteilte nun, dass auch der Urlaubsabgeltungsanspruch der Verjährung unterliegt. Hierbei beginne die 3-jährige Verjährungsfrist i. d. R. am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankomme; denn die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bilde eine Zäsur. Insbesondere sei der Urlaubsabgeltungsanspruch anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, ende mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Allerdings könne, so das Gericht weiter, bei einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Anwendung der Verjährungsregelungen die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar sei. Im vorliegenden Fall konnte deshalb vom Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19.10.2015 nicht erwartet werden, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen; denn der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 6.11.2018 (C-684/16) neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, sei der Kläger gehalten gewesen, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 2015 war dagegen verjährt; denn schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abzugelten hatte. Die 3-jährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018.