OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.12.2019, 6 A 10942/19
Leitsätze (amtlich)
1. Zum Begriff des Saison- und Kampagnebetriebes im Sinne des § 15 Abs 1 Nr. 2 des Arbeitszeitgesetzes (Arb ZG)
2. Eine Arbeitszeitverlängerung nach § 15 Abs 1 Nr. 2 ArbZG kommt dann in Betracht, wenn das erhöhte Arbeitsaufkommen aufgrund des Jahreslaufs eintritt und nicht lediglich das Ergebnis unternehmerischer Entscheidungen darstellt.
3. Bei saisonalen Dienstleistungen muss die Kundennachfrage der jeweiligen Jahresperiode geschuldet sein. Sie darf hingegen nicht allein auf unternehmerischen Entscheidungen und Angeboten bzw. deren bewusster Konzeption beruhen.
4. Ein Veranstaltungsunternehmen, dessen Betriebszweck in der Planung, Organisation und ganzjährigen Durchführung von Großveranstaltungen für elektronische Musik besteht, ist kein Saison- oder Kampagnebetrieb im Sinne des § 15 Abs 1 Nr. 2 ArbZG.
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt ein Veranstaltungsunternehmen mit 37 fest angestellten Beschäftigten. Sie plant, organisiert und führt musikalische Großveranstaltungen mit bis zu 65.000 Besucherinnen und Besuchern durch und übernimmt hierbei auch die Schankgastronomie mit eigenem Personal. Im Februar 2017 beantragte sie die Bewilligung der Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden zuzüglich mindestens 45 Minuten Pause für 3 Großveranstaltungen ("MAYDAY" vom 27.4. bis 2.5.2017, "Ruhr-in-Love" vom 28.6. bis 3.7.2017 und "NATURE ONE" vom 4.8. bis 6.8.2017). Der Beklagte lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass es sich bei der Klägerin um keinen Saisonbetrieb handele. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte zurück.
Zwar hatte sich das Begehren der Klägerin durch Zeitablauf erledigt, jedoch verfolgte sie dies im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage weiter.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das Gericht entschied, dass die Klägerin kein Saison- bzw. kein Kampagnebetrieb i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG sei.
Das OVG führte hierzu aus, dass eine Arbeitszeitverlängerung nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG nur in Betracht komme, wenn das erhöhte Arbeitsaufkommen aufgrund des Jahreslaufs eintrete, da bspw. die Kundennachfrage zwingend der jeweiligen Jahresperiode geschuldet sei, und nicht lediglich das Ergebnis unternehmerischer Entscheidungen darstelle. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, der für die Gesetzesauslegung heranzuziehen sei, sei unter Saison ein jahreszeitlicher Abschnitt zu verstehen, in dem etwas Bestimmtes gehäuft auftrete, vorzugsweise stattfinde, am meisten vorhanden sei bzw. angeboten werde, d. h. eine Periode des Hochbetriebs, Hauptbetriebs- oder der Hauptgeschäftszeit. Nach Ansicht des OVG seien "Saisonbetriebe" Unternehmen, die regelmäßig in einer bestimmten Jahreszeit verstärkt arbeiten, da sie vom Wetter abhängig seien, insbesondere im Winter Einschränkungen vornehmen oder die Arbeit ganz aussetzen müssten. Somit beruhe die Abhängigkeit eines Saisonbetriebs auf äußeren Umständen und nicht allein auf der unternehmerischen Entscheidung, eine bestimmte Dienstleistung gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt oder -raum anzubieten. Somit sei § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG nicht während einer "selbst gewählten Saison" eröffnet. Die Jahreszeit müsse – nach der Eigenart des Betriebs – für den vermehrten Arbeitsanfall ursächlich sein. Diese Auslegung werde sowohl durch die Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG sowie durch Sinn und Zweck der Vorschrift bestätigt. Insbesondere habe das ArbZG die Aufgabe, Arbeitnehmer u. a. vor gesundheitlichen Gefahren aus der Überschreitung der zeitlichen Leistungsgrenzen zu schützen. Für Saison- und Kampagnebetriebe habe der Gesetzgeber in § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG eine Ausnahmebewilligung im Hinblick auf eine von §§ 3, 6 Abs. 2 und § 11 Abs. 2 ArbZG abweichende Arbeitszeit vorgesehen, um auch den betrieblichen Interessen eines Arbeitgebers in besonderen Konstellationen Rechnung zu tragen, bspw. dem infolge einer Kundennachfrage erhöhten Arbeitsanfall nachzukommen. Das Arbeitgeberinteresse sei jedoch dann nicht schutzwürdig, wenn er die erhebliche Kundennachfrage im Wesentlichen selbst durch eine unternehmerische Entscheidung herbeigeführt habe; dies widerspräche auch dem Ausnahmecharakter des § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG.
Übertragen auf den vorliegenden Fall ergebe sich, dass es sich bei dem Veranstaltungsunternehmen der Klägerin nicht um einen Saisonbetrieb handele; zwar kämen die zu einer verstärkten Tätigkeit führenden Umstände von außen in Gestalt der Kundennachfrage auf das Unternehmen zu; die Kundennachfrage in Bezug auf die angebotenen Dienstleistungen sei jedoch nicht allein der jeweiligen Jahresperiode geschuldet. Denn die unternehmerische Entscheidung zur Erfüllung der Kundennachfrage nach lang andauernden "Raves" weise keinen saisonalen Bezug auf, sondern Ursache der beantragten Ausnahmen von den Arbeitszeitgrenzen liege wesentlich im Konzept dieser Veranstaltungen als Großveranstaltungen für elektronische Musik, nicht in der jeweiligen Jahrespe...