LAG Hamm, Urteil v. 21.7.2022, 18 Sa 21/22
Leitsatz (amtlich)
Der öffentliche Arbeitgeber erfüllt die Pflicht aus § 165 S. 3 SGB IX grundsätzlich auch dadurch, dass er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, das in Form eines Video-Interviews durchgeführt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn alle Vorstellungsgespräche in dieser Form durchgeführt werden, es im Laufe des Video-Interviews nicht zu technischen Problemen kommt, der schwerbehinderte Bewerber mit der Durchführung des Vorstellungsgesprächs in Form des Video-Interviews einverstanden ist und keine besonderen behinderungsbedingten Einschränkungen bestehen, die die Durchführung des Interviews erschweren könnten.
Sachverhalt
Der Kläger bewarb sich auf eine Stelle als Seelsorger in einer Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige, die das beklagte Erzbistum ausgeschrieben hatte, unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung. Er wurde zu einem Vorstellungsgespräch in Form eines online Video-Interviews eingeladen. Im Nachgang hierzu erhielt der Kläger eine Absage. Der Kläger, der sich aufgrund seiner Schwerbehinderung diskriminiert fühlte, erhob Klage. Er brachte hierbei vor, dass das durchgeführte Video-Interview nicht als "Vorstellungsgespräch" i. S. d. § 165 Satz 3 SGB IX zu bewerten sei und er als schwerbehinderter Bewerber bevorzugt habe eingestellt werden müssen.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Nach Ansicht des Gerichts lag vorliegend kein Kausalzusammenhang dahingehend vor, dass eine – vom Gericht zu Gunsten des Klägers unterstellte – Benachteiligung seitens des Beklagten an einen Grund i. S. d. § 1 AGG angeknüpft habe oder durch diesen motiviert gewesen sei. Zwar komme für die Darlegung und den Nachweis der Kausalität die gesetzliche Beweiserleichterung des § 22 AGG zur Anwendung, wonach es ausreiche, dass die klagende Partei Indizien beweise, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Weitergehende Beweiserleichterungen zugunsten der klagenden Partei seien jedoch gesetzlich nicht vorgesehen. Insbesondere finde keine Umkehr der Darlegungs- oder Beweislast statt, sobald überhaupt eine Benachteiligung (z. B. wie hier die Ablehnung der Bewerbung) vorliege.
Die Durchführung des Vorstellungsgespräches per Video-Interview war vorliegend nach Auffassung des Gerichts auch zulässig; denn im Rahmen des Vorstellungsgesprächs dürfe der Arbeitgeber auch moderne Kommunikationsmittel einsetzen und das Gespräch bspw. per Videochat führen. Maßgeblich sei allein, ob das Gespräch einen umfassenden Eindruck von der fachlichen und persönlichen Eignung des Bewerbers vermitteln könne. Und dies sei bei einem Video-Interview möglich, da dies ebenso wie das persönliche Gespräch die visuelle und akustische Wahrnehmung des Gesprächspartners erlaube. Dies gelte auch bei einem Vorstellungsgespräch mit schwerbehinderten Bewerber/innen. Voraussetzung sei hierbei nur, dass der schwerbehinderte Mensch keine behinderungsbedingten Einschränkungen habe, die gerade die Teilnahme an einem Video-Interview erschwerten. Ob etwas anderes gelte, wenn der Arbeitgeber mit einigen Bewerbern persönliche Gespräche, mit anderen hingegen nur Video-Interviews durchführe, könne offen bleiben, da vorliegend mit allen Bewerbern ausschließlich Gespräche per Video-Interview geführt worden seien.
Im hier zu entscheidenden Fall war zudem zu beachten, dass die Einladung des Klägers zum Video-Interview vor dem Hintergrund eines Pandemiegeschehens, somit zu seinem Schutz vor einer Ansteckung, die im Falle eines persönlichen Gesprächs hätte erfolgen können, erfolgt sei. Der Kläger habe auch keine Einwände gegen die Durchführung eines Video-Interviews anstelle eines persönlichen Gesprächs erhoben. Auch sei nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitgeber ein Video-Interview anstelle eines persönlichen Bewerbungsgesprächs durchführe, um Bewerbern einen längeren Anreiseweg zu ersparen.
Weitere Anhaltspunkte, die auf eine Diskriminierung hingedeutet hätten, wie z. B. unzulässige Fragen oder Äußerungen im Hinblick auf die Schwerbehinderung des Klägers, ließen sich nicht feststellen. Und auch dann, wenn das beklagte Bistum nicht den "objektiv besten" Bewerber ausgewählt hätte, läge noch kein Indiz vor, dass die Schwerbehinderung des Klägers für die Ablehnung seiner Bewerbung (mit-)ursächlich gewesen wäre.
Anmerkung:
Das Urteil ist zu begrüßen; denn mittlerweile hat sich das online durchgeführte Vorstellungsgespräch im Arbeitsleben etabliert. Bei schwerbehinderten Bewerbern sollte jedoch zwingend darauf geachtet werden, dass keine besonderen behinderungsbedingten Einschränkungen bestehen, es im Laufe des Video-Interviews nicht zu technischen Problemen kommt und der schwerbehinderte Bewerber mit der Durchführung des Vorstellungsgesprächs in Form des Video-Interviews einverstanden ist. Und auch wenn diese Frage nicht abschließend entschieden worden ist, sollte der öffentliche Arbeitgeber die Vorstellungsgespräche einheitlich durchführen; denn die D...