Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei rollierendem Freizeitsystem
Leitsatz (redaktionell)
Der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Ausgestaltung von rollierenden Freizeitsystemen unterliegt auch die Frage, ob Freizeittage, die auf einen Wochenfeiertag fallen würden, auf einen anderen Tag gelegt werden sollen. Zur Ausgestaltung eines rollierenden Freizeitsystems im Einzelhandel gehört auch die Festlegung der Jahres-Soll- und der Jahres- Ist-Arbeitszeit. Urlaubstage sind Teil der effektiven Jahresarbeitszeit (Jahres-Ist-Arbeitszeit).
Orientierungssatz
Auslegung des § 2 Ziffer 2a und Ziffer 4 Satz 2 des Manteltarifvertrages für den hessischen Einzelhandel in der ab dem 1.1.1986 gültigen Fassung.
Verfahrensgang
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs. Die Antragstellerin ist ein Einzelhandelsunternehmen. Der weitere Beteiligte ist der im Betrieb der Antragstellerin in Gießen gewählte Betriebsrat. Im Gießener Betrieb findet der Manteltarifvertrag für den hessischen Einzelhandel (nachfolgend MTV) Anwendung. In der ab 1. Januar 1986 gültigen Fassung lautet § 2 MTV, soweit er für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist:
"Arbeitszeit
1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit aus-
schließlich der Pausen beträgt 38,5 Stunden.
Die über 38,5 Stunden hinausgehende Arbeits-
zeit ist gemäß § 3 Ziffer 4 zu vergüten. Aus
Anlaß der Verkürzung der tariflichen Wochen-
arbeitszeit sollen Pausen weder verlängert noch
neu geschaffen werden.
2. Eine von Ziffer 1 abweichende Regelung kann
durch Betriebsvereinbarung, in Betrieben ohne
Betriebsrat durch einzelvertragliche Regelung,
getroffen werden, sofern
a) eine im voraus festgelegte zusammenhängende
regelmäßige Freizeit (z.B. rollierende Frei-
zeitsysteme) vereinbart wird. In diesem Fall
muß im Durchschnitt eines Kalenderjahres die
38,5 Stundenwoche erreicht werden;
b) die bei anderen vorbestimmten Freizeitsyste-
men entstehende Freizeit zusammengefaßt und
auf der Basis einer
6 Wochen- oder
Quartals- oder
Jahresplanung
unter Einhaltung des Durchschnitts der Wochen-
arbeitszeit von 38,5 Stunden geregelt wird."
Da gewährleistet werden soll, daß in den Betrieben des Arbeitgebers montags bis samstags gearbeitet wird, auf der anderen Seite die Arbeitnehmer nur an fünf Tagen in der Woche arbeiten sollen, sind die Beschäftigten im Verkauf/Kassen/Hausinspektion im vorwärts rollierenden Freizeitsystem tätig. Da sich die Beteiligten nicht über die Umsetzung der in § 2 MTV geregelten Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden einigen konnten, wurde zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten eine Einigungsstelle tätig. Diese fällte am 23. Januar 1987 u.a. einen Spruch zur Regelung der rollierenden Arbeits- und Freizeit, dessen vom Vorsitzenden unterzeichnete Ausfertigung der Antragstellerin am 17. Februar 1987 zugestellt wurde.
Der Einigungsstellenspruch lautet:
"1. Geltungsbereich
Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle voll-
zeitbeschäftigten Arbeitnehmer/innen der Firma
W West GmbH - Center Giessen -, die unter
den § 5 Abs. 1 BetrVG fallen und im Rolliersystem
arbeiten.
2. Rolliertage
2.1. Für die genannten Arbeitnehmer/innen werden
arbeitsfreie Tage im sog. vorwärtsrollieren-
den Freizeitsystem gewährt (1. Woche montags,
2. Woche dienstags, 3. Woche mittwochs, etc.).
In dieses Freizeitsystem werden die kurzen
und langen Samstage, auch vor Weihnachten,
mit eingeschlossen.
2.2. Die Arbeitnehmer/innen werden in 6 Rollier-
gruppen eingeteilt. Jede/r Arbeiter/in erhält
einen Rollierkalender, aus dem sich die für
ihn zutreffende Rolliergruppenzuordnung er-
gibt. Die Rollierkalender werden als Anlage 1
zu dieser Betriebsvereinbarung genommen.
2.3. Die in den Freizeitkalendern festgelegten Roll-
tage müssen von allen Beschäftigten eingehalten
werden.
2.4. Die Arbeitnehmer bleiben auch nach Unterbre-
chung ihrer Tätigkeit (z.B. wegen Urlaub,
Krankheit, sonstige Arbeitsbefreiung) in
ihrer jeweiligen Rolliergruppe.
2.5. Fiele der Rolltag nach dem Freizeitkalender
auf einen gesetzlichen Wochenfeiertag, so wird
der freie Tag auf den dem Feiertag nachfolgen-
den Arbeitstag gelegt; ist dies ein Samstag,
so wird der freie Tag auf den vorhergehenden
Arbeitstag gelegt. Hiervon kann im Einverneh-
men mit dem Betriebsrat abgewichen werden.
2.6. Für jede der 6 Rolliergruppen wird jährlich
errechnet, wie hoch die tatsächliche Jahres-
arbeitszeit ist (Gesamtwochenstunden je
Rolliergruppe und Arbeitswochen, Urlaubstage
und Wochenfeiertage werden als Arbeitszeit
mitgerechnet).
2.7. Ergibt sich bei der Berechnung der Jahres-
Ist-Arbeitszeit eine größere Stundenzahl als
die Jahres-Soll-Arbeitszeit, so wird diese
Mehrarbeit in Form von zusätzlich freien Tagen
abgegolten.
2.8. Diese zusätzlichen freien Tage werden zwischen
Betriebsrat und Arbeitgeber im Benehmen mit
den betroffenen Arbeitnehmern festgelegt. Sie
können mit den regulären Rolltagen oder dem
Erholungsurlaub kombiniert werden und sind je-
weils spätestens bis zum Ablauf von 4 Monaten
zu nehmen. Der Monat Dezember ist von dieser
Regelung ausgenommen.
2.9. Die als Anlage 2 beigefügte "Berechnung der
Jahres-Soll/Ist-Arbeitszeit 1986" dient als
Modell für die Berechnung der Jahresarbeits-
zeit.
2.10. Die Berechnungen sind jeweils bis zum 30.11.
eines jeden Jahres für das Folgejahr durch
die Geschäftsleitung vorzunehmen und mit dem
Betriebsrat abzustimmen.
3. Schlußbestimmung
3.1. Diese Betriebsvereinbarung tritt mit sofortiger
Wirkung in Kraft.
3.2. Sie ist beiderseits schriftlich kündbar mit
einer Frist von 3 Monaten zum Jahresende,
erstmals zum 31.12.1988."
Mit seinem am 2. März 1987 bei Gericht eingegangenen Antrag hat der Arbeitgeber Teile dieses Spruchs angegriffen. Er hält die Regelungen zu den Ziffern 2.5., 2.6. und 2.9. für rechtsunwirksam. Der Arbeitgeber ist der Auffassung, die Einigungsstelle habe ihre Zuständigkeit überschritten, indem sie in Ziffer 2.5. des Spruchs bestimmt habe, daß ein nach dem Freizeitkalender eigentlich auf einen Wochenfeiertag fallender Freizeittag auf einen anderen Arbeitstag der Woche gelegt werde. Diese Regelung verteile nicht die vorgegebene Arbeitszeit, sondern verkürze in unzulässiger Weise über den tariflichen Rahmen hinaus die wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Es werde zusätzliche Freizeit geschaffen. Der Arbeitgeber hält außerdem die Regelung in Ziffer 2.6. und 2.9. für unwirksam, da dort unzulässigerweise bei der Berechnung der Jahresarbeitszeit die Urlaubstage mit der tatsächlichen täglichen Arbeitszeit berücksichtigt würden, während diese nur mit der tarifvertraglich geschuldeten Arbeitszeit (38,5 Stunden durch 6 = 6,42 Stunden pro Tag) anzusetzen seien.
Der Arbeitgeber hat beantragt festzustellen, daß die durch Spruch der Einigungsstelle vom 23. Januar 1987 zustande gekommene Vereinbarung zwischen den Beteiligten zur Regelung der rollierenden Arbeits- und Freizeit rechtsunwirksam ist bezüglich der zu Ziffern 2.5, 2.6 und 2.9 getroffenen Regelungen, die folgenden Wortlaut haben:
"2.5 Fiele der Rolltag nach dem Freizeitkalender auf
einen gesetzlichen Wochenfeiertag, so wird der
freie Tag auf den dem Feiertag nachfolgenden
Arbeitstag gelegt; ist dies ein Samstag, so
wird der freie Tag auf den vorhergehenden Ar-
beitstag gelegt. Hiervon kann im Einvernehmen
mit dem Betriebsrat abgewichen werden.
2.6 Für jede der 6 Rolliergruppen wird jährlich er-
rechnet, wie hoch die tatsächliche Jahresar-
beitszeit ist (Gesamtwochenstunden je Rollier-
gruppe und Arbeitswochen, Urlaubstage und
Wochenfeiertage werden als Arbeitszeit mitge-
rechnet).
2.9 Die als Anlage 2 beigefügte "Berechnung der
Jahres-Soll/Ist-Arbeitszeit 1986" dient als
Modell für die Berechnung der Jahresarbeits-
zeit."
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er vorgetragen, die angegriffenen Regelungen des Einigungsstellenspruchs verletzten nicht den einschlägigen Manteltarifvertrag für den Einzelhandel. Die Einigungsstelle sei auch zuständig gewesen, da der Betriebsrat für diese Regelung ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG habe. Es sei nicht die Arbeitszeit verkürzt, sondern nur die im Tarifvertrag vorgegebene Arbeitszeit verteilt worden. Auch für Ermessensfehler gäbe es keinen Anhaltspunkt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seinen Antrag weiter, während der Betriebsrat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
I.1. Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht angenommen, bei der Frage der Verteilung von freien Tagen auf die Wochentage handele es sich um eine Angelegenheit, bei der der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitzubestimmen habe, so daß nach § 87 Abs. 2 BetrVG wegen fehlender Einigung die Einigungsstelle zuständig gewesen sei.
a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Festlegung des Beginns und Endes der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Dagegen hat der Betriebsrat nicht mitzubestimmen bei der Festlegung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit (BAGE 56, 18 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972).
Vorliegend geht es - wie der Senat durch Beschluß vom 31. Januar 1989 (- 1 ABR 67/87 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) für einen inhaltsgleichen Spruch und Tarifvertrag entschieden hat - allein um eine Verteilung der durch § 2 Ziffer 1 und 2 MTV vorgegebenen Arbeitszeit von durchschnittlich 38,5 Stunden pro Woche während eines Kalenderjahres.
Wie der Senat in der angeführten Entscheidung und einer weiteren Entscheidung vom 31. Januar 1989 (- 1 ABR 69/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen) ausgeführt hat, ist dann, wenn der Betrieb des Arbeitgebers an sechs Werktagen in der Woche geöffnet sein soll, die Beteiligten aber in einer Betriebsvereinbarung geregelt haben, daß die Arbeitnehmer nur an fünf Tagen in der Woche arbeiten, eine Regelung erforderlich, nach welchem System die 5-Tage-Woche verwirklicht werden soll. Der Senat hat im Beschluß vom 28. Oktober 1986 (- 1 ABR 11/85 - AP Nr. 20 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit) entschieden, dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterfalle nicht nur die Frage, ob im Betrieb überhaupt in mehreren Schichten gearbeitet werden soll und wann die einzelnen Schichten beginnen und enden sollen. Es umfasse auch den Schicht- oder Dienstplan selbst. Gleiches gilt auch für die Frage, nach welchem System die 5-Tage-Woche für Vollzeitbeschäftigte verwirklicht wird, wenn das Warenhaus an sechs Werktagen geöffnet ist (vgl. die angeführten Entscheidungen vom 31. Januar 1989). In diesem Falle unterliegt der Mitbestimmung nicht nur, ob die freien Tage jeweils auf den gleichen Wochentag fallen sollen, ein vorwärts rollierendes Freizeitsystem eingeführt oder Freizeit nach einem anderen oder abgewandelten System gewährt werden soll. Vielmehr unterliegt auch die nähere Ausgestaltung des jeweiligen Systems im Detail dem Mitbestimmungsrecht bis hin zu den Fragen, in wieviel Rolliergruppen die Belegschaft aufzuteilen ist, welche Arbeitnehmer den einzelnen Rolliergruppen zuzuordnen sind und ob für die einzelnen Rolliergruppen Freizeitkalender zu führen sind. Dementsprechend haben die Betriebsparteien auch zu entscheiden, ob für Wochen, in denen ein Feiertag auf einen Werktag fällt, eine Sonderregelung gelten soll. Auch hierbei geht es um die Frage, wie die Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage zu verteilen ist.
b) Die Einigungsstelle wäre nur dann für diese Streitfrage nicht zuständig gewesen, wenn die regelungsbedürftige Angelegenheit durch Tarifvertrag geregelt wäre. Dies hat das Landesarbeitsgericht jedoch zu Recht verneint. In § 2 Ziffer 1 MTV ist nur die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen geregelt. Sie beträgt 38,5 Stunden. Die Tarifvertragsparteien haben jedoch selbst für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit in § 2 Ziffer 2 MTV eine abweichende Regelung unter bestimmten Voraussetzungen durch Betriebsvereinbarung zugelassen. Nach § 2 Ziffer 2 a MTV ist Voraussetzung jeder abweichenden Regelung, daß die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt von 52 Wochen während eines Kalenderjahres 38,5 Stunden beträgt und eine im voraus festgelegte zusammenhängende regelmäßige Freizeit (z.B. rollierende Freizeitsysteme) vereinbart wird.
Die Betriebsvereinbarung aufgrund des Einigungsstellenspruchs mit Anlagen, die Teil der Betriebsvereinbarung sind, enthält auch eine Regelung, nach der die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt des Kalenderjahres 38,5 Stunden erreicht.
Anders als in dem der Entscheidung vom 31. Januar 1989 (- 1 ABR 67/87 -) zugrunde liegenden Falle kann vorliegend auch nicht zweifelhaft sein, daß eine im voraus festgelegte zusammenhängende Freizeit vereinbart ist. Ziffer 2.5 des Einigungsstellenspruchs enthält nämlich eine Regelung, daß dann, wenn der Rolltag nach dem Freizeitkalender auf einen gesetzlichen Wochenfeiertag fiele, der freie Tag auf den dem Feiertag nachfolgenden Arbeitstag gelegt wird. Ist dies ein Samstag, so wird der freie Tag auf den vorhergehenden Arbeitstag gelegt. Infolge dieser Regelung steht von vornherein fest, wann welcher Arbeitnehmer in dem rollierenden System einen freien Tag hat.
c) Die Aussparung der gesetzlichen Feiertage führt auch nicht zu einer Verkürzung der vorgegebenen Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden im Jahresdurchschnitt, wie der Senat bereits in der Entscheidung vom 31. Januar 1989 (- 1 ABR 69/87 -) entschieden hat. Die durch einen gesetzlichen Wochenfeiertag ausgefallene Arbeitszeit gilt vielmehr als geleistet (§ 1 FeiertagslohnzahlungsG). Allerdings hat die Herausnahme der gesetzlichen Wochenfeiertage aus dem Rolliersystem zur Folge, daß mehr Arbeitstage ohne entsprechende Arbeitsleistung zu vergüten sind, als wenn (unbezahlte) freie Tage auch auf Wochenfeiertage fallen können. Deswegen stellt ein so ausgestaltetes Rolliersystem aber noch keine Regelung über die Dauer der Arbeitszeit der Arbeitnehmer dar, für die dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zusteht (BAGE 56, 18 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972). Die der Mitbestimmung des Betriebsrats entzogene Dauer der Arbeitszeit ist unabhängig davon zu bestimmen, ob der Arbeitnehmer während dieser auch tatsächlich arbeitet oder - wie vorliegend - aus Rechtsgründen unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von der Arbeitspflicht befreit ist. Nach § 2 Ziffer 4 Satz 2 MTV vermindert sich nämlich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, wenn ein gesetzlicher Feiertag auf einen Werktag fällt, um die an diesem Tage ausfallenden Arbeitsstunden.
2. Dem Senat war es verwehrt, Ziffer 2.5 des Einigungsstellenspruchs daraufhin zu überprüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt. Nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG faßt die Einigungsstelle ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen. Die Überschreitung der Grenzen des Ermessens kann durch den Arbeitgeber oder den Betriebsrat nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Zuleitung des Beschlusses an gerechnet, beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden.
Vorliegend hat der Arbeitgeber den Spruch der Einigungsstelle innerhalb der 14-Tage-Frist mit einer Begründung angefochten, in der ausschließlich ein Verstoß gegen § 2 MTV, § 87 Abs. 1 Nr. 2 und § 77 Abs. 3 BetrVG geltend gemacht wird. Aus der Begründung des Antrags ergibt sich auch nicht andeutungsweise, daß gleichzeitig die Überschreitung der Grenzen des Ermessens gerügt werden soll. Der Senat hat aber im Beschluß vom 26. Mai 1988 (- 1 ABR 11/87 - AP Nr. 26 zu § 76 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) ausgeführt, die Frist von zwei Wochen zur Geltendmachung der Überschreitung des Ermessens nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG werde nicht gewahrt, wenn innerhalb von zwei Wochen beim Arbeitsgericht die Feststellung der Unwirksamkeit eines Sozialplans ohne jede Begründung beantragt wird. Wenn weder erkennbar ist, daß mit der Antragsschrift gerade die Überschreitung der Grenzen des Ermessens einer Einigungsstelle geltend gemacht werden soll, noch aufgrund welchen Sachverhalts der Spruch als bedenklich erscheinen könnte, hemmt der Antrag auch nicht den Ablauf der Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG (so schon für das Wahlanfechtungsverfahren BAGE 17, 165 = AP Nr. 14 zu § 18 BetrVG). Demzufolge hatte der Senat sich im vorliegenden Falle auf eine Rechtskontrolle des Einigungsstellenspruchs zu beschränken und die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen, soweit mit ihr die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hinsichtlich der Ziffer 2.5 des Einigungsstellenspruchs angegriffen wird.
II. Auch der Antrag festzustellen, daß die Ziffern 2.6 und 2.9 des Einigungsstellenspruchs unwirksam sind, ist nicht begründet.
1. Entgegen der Rechtsbeschwerde handelt es sich auch bei diesen Klauseln nicht um die Regelung der Dauer der Arbeitszeit, sondern um die Berechnung der tariflich vorgegebenen wöchentlichen Arbeitszeit im vorwärts rollierenden Freizeitsystem. Die Ziffern 2.6 und 2.9 des Einigungsstellenspruchs sind damit Teil der Regelung über die Lage und Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit, für die der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat. Ohne die Errechnung der Jahres-Soll- und Ist-Arbeitszeit wäre die Regelung des vorwärts rollierenden Freizeitsystems unvollkommen, weil § 2 Ziffer 2 a MTV verlangt, daß im Durchschnitt eines Kalenderjahres die wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden beträgt. Dies kann wiederum nur erreicht werden, wenn die Soll- und Ist-Arbeitszeit für ein Kalenderjahr errechnet wird. So entsprechen auch die Ziffern 2.6 und 2.9 des Einigungsstellenspruchs den früheren Regelungen für das vorwärts rollierende System beim Arbeitgeber. Ziffer 2.6 des Einigungsstellenspruchs stimmt mit § 4 der Gesamtbetriebsvereinbarung zwischen W GmbH und Gesamtbetriebsrat wörtlich überein. Auch Ziffer 2.9 mit Anlage entspricht sinngemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung von W GmbH.
2. Wie der Begründung der Anträge und der Rechtsbeschwerdebegründung zu entnehmen ist, wehrt sich der Arbeitgeber in Wirklichkeit auch gar nicht gegen die Formulierungen in 2.6 und 2.9, sondern wie in dem der Senatsentscheidung vom 25. April 1989 (- 1 ABR 82/87 - nicht zur Veröffentlichung vorgesehen) zugrundeliegenden Falle gegen die Berücksichtigung der Urlaubstage mit der effektiven Arbeitszeit. Während damals der Arbeitgeber noch davon ausging, daß die Urlaubstage von der effektiven (Ist-)Arbeitszeit abzuziehen und dann mit 6,25 Stunden pro Tag wieder zu berücksichtigen seien, geht vorliegend der Arbeitgeber von der Auffassung aus, bei einer 6-Tage-Woche seien 6,42 Stunden zu berücksichtigen. Auch hier geht der Arbeitgeber von der unrichtigen Prämisse aus, daß die Arbeitnehmer im vorwärts rollierenden System in der 6-Tage-Woche und nicht in der 5-Tage-Woche arbeiten. Entscheidend ist aber, daß er Berechnung des Urlaubsentgelts und die Freistellung eines Arbeitnehmers für einen Urlaubstag verwechselt. Der Arbeitgeber übersieht, daß ein Arbeitnehmer, der montags bis freitags 8,5 Stunden, am kurzen Samstag 5,5 Stunden und am langen Samstag 9 Stunden arbeitet, dann, wenn er montags bis freitags Urlaub nimmt, 8,5 Stunden von der Arbeit freizustellen ist, am kurzen Samstag für 5,5 und für den langen Samstag mit 9 Stunden. Die Arbeitnehmer nehmen ihren Urlaub nicht abstrakt, sondern während eines ganz bestimmten Zeitraums. Es fällt dann jeweils die Arbeitszeit aus, die sie während dieser Zeit ohne Urlaub hätten erbringen müssen. Dementsprechend ist es auch richtig, wenn die Einigungsstelle in 2.6 der Betriebsvereinbarung für die Berechnung der Jahres-Ist-Arbeitszeit die Zahl der zu gewährenden Urlaubstage mitberücksichtigt und nicht, wie der Arbeitgeber verlangt, diese Urlaubstage zunächst abzieht, um sie dann mit 6,42 Stunden pro Tag wieder hinzuzuaddieren.
Dementsprechend war die Rechtsbeschwerde insgesamt zurückzuweisen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Muhr Breier
Fundstellen
Haufe-Index 436915 |
DB 1990, 791-792 (LT1) |
Gewerkschafter 1989, Nr 12, 39-39 (T) |
NZA 1989, 979-981 (LT1) |
RdA 1989, 383 |
AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit (LT1), Nr 38 |
EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Nr 38 (LT1) |
VersR 1990, 110-111 (LT1) |