Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Treueprämie. Verrechnung mit einer tariflichen Jahressonderzahlung
Leitsatz (amtlich)
- Bestimmt ein Tarifvertrag, daß auf die Jahressonderzahlung alle betrieblichen Leistungen wie Weihnachtsgratifikationen, Jahresabschlußvergütungen, Jahresprämien, Ergebnisbeteiligungen, Tantiemen, dreizehnte Monatsentgelte und dergleichen angerechnet werden können, so stellt eine aufgrund betrieblicher Übung einmal jährlich zu zahlende “Treueprämie”, deren Höhe sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine solche anrechenbare Leistung dar.
- Das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) steht der Anrechnung nicht entgegen.
Normenkette
BGB § 611; TVG § 4 Günstigkeitsprinzip; Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet vom 23. August 1990
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 12.11.1991; Aktenzeichen 7 Sa 719/91) |
ArbG Hanau (Urteil vom 24.04.1991; Aktenzeichen 2 Ca 565/90) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 12. November 1991 – 7 Sa 719/91 – aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau am Main vom 24. April 1991 – 2 Sa 565/90 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer betrieblichen Treueprämie für das Jahr 1990.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. September 1971 als Näherin mit einem Stundenlohn von 16,05 DM brutto beschäftigt. Sie war die Betriebsratsvorsitzende im Betrieb der Beklagten.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet und der Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet anzuwenden.
Die Beklagte zahlte aufgrund einer betrieblichen Übung seit Jahren an ihre Mitarbeiter eine “Treueprämie”, deren Höhe sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtete. Die Treueprämie betrug ab einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren 50,-- DM brutto jährlich. Sie erhöhte sich bei einer Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren auf 75,-- DM brutto und bei einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren auf 100,-- DM brutto. Die Zahlung erfolgte jeweils neben der tariflichen Jahressonderzahlung. Eine Verrechnung der beiden Leistungen erfolgte in der Vergangenheit auch aus Anlaß von Tariferhöhungen nicht.
Die Klägerin erhielt seit 1981 eine Treueprämie von jährlich 50,-- DM brutto und ab 1986 von 75,-- DM brutto.
Für das Jahr 1990 hat die Beklagte ihren Mitarbeitern keine Treueprämie mehr gezahlt, nachdem durch den Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet vom 23. August 1990 (im folgenden TV) die tarifliche Jahressonderzahlung von 50 % eines Monatsverdienstes auf 75 % erhöht worden war. Der TV enthält in § 3 Nr. 1 folgende Regelung:
“Auf die Jahressonderzahlung können alle betrieblichen Leistungen wie Weihnachtsgratifikationen, Jahresabschlußvergütungen, Jahresprämien, Ergebnisbeteiligungen, Tantiemen, dreizehnte Monatsentgelte und dergleichen angerechnet werden.”
In der Lohnabrechnung der Klägerin für den Monat Oktober 1990, die sie Mitte November 1990 erhalten hat, war bei der Position betriebliche Treueprämie kein Betrag ausgewiesen; als tarifliche Jahressonderzahlung waren 75 % eines Monatsverdienstes aufgeführt. Außerdem war zum Ausdruck gebracht, daß die betriebliche Treueprämie mit der tariflichen Jahressonderzahlung verrechnet worden sei.
Mit ihrer Klage vom 7. Dezember 1990 verlangt die Klägerin – wie weitere 60 Arbeitnehmer – die Zahlung der Treueprämie für das Jahr 1990.
Sie ist der Auffassung, ihr stehe auch für 1990 die volle betriebliche Treueprämie neben der tariflichen Jahressonderzahlung zu. Die Beklagte sei nicht zur Anrechnung der betrieblichen Treueprämie auf die tarifliche Jahressonderzahlung berechtigt, da die Treueprämie mit den in der Anrechnungsklausel in § 3 Nr. 1 des TV aufgeführten betrieblichen Leistungen nicht vergleichbar sei. Die Anrechnung sei auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht beteiligt hatte.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 75,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit der Zustellung der Klage am 14. Dezember 1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, sie habe nach § 3 Nr. 1 des TV aus Anlaß der Tariferhöhung durch den TV vom 23. August 1990 die betriebliche Treueprämie mit der tariflichen Jahressonderzahlung verrechnen dürfen. Die betriebliche Treueprämie sei mit den in § 3 Nr. 1 des TV aufgeführten Leistungen vergleichbar. Außerdem sei die Treueprämie nicht weggefallen, sondern – entsprechend dem § 3 Nr. 1 TV – die tarifliche Leistung um die Treueprämie gekürzt worden. Da die Treueprämie als freiwillige Leistung bei allen Arbeitnehmern durch Verrechnung beseitigt worden sei, habe kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestanden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die zugelassene Berufung hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Ersturteils. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des Ersturteils. Die Klägerin kann die Zahlung der Treueprämie für das Jahr 1990 nicht verlangen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung der betrieblichen Treueprämie in Höhe von 75,-- DM brutto für das Jahr 1990 zu. Diesen arbeitsvertraglichen Anspruch habe die Beklagte nicht durch Verrechnung der betrieblichen Treueprämie mit der tariflichen Jahressonderzahlung 1990 nach § 3 Nr. 1 TV beseitigen können. Die Treueprämie der Beklagten sei zwar wie ein Weihnachtsgeld eine jährliche Sonderzahlung am Jahresschluß zur Belohnung erwiesener Betriebstreue und als Anreiz für zukünftige Betriebstreue; sie falle damit unter die in § 3 Nr. 1 TV aufgeführten Leistungen. § 3 Nr. 1 TV sei jedoch wegen Gesetzesverstoßes nichtig. Bereits bestehende einzelvertraglich begründete Arbeitsbedingungen könnten nicht nachträglich durch ungünstigere Tarifverträge verdrängt oder verschlechtert werden; dies verstoße gegen das Günstigkeitsprinzip. Auf die Frage, ob die Beklagte den Betriebsrat hätte beteiligen müssen, komme es somit nicht an.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
II.1. Grundsätzlich steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der betrieblichen Treueprämie aufgrund der von der Beklagten gesetzten betrieblichen Übung zu.
2. Die Beklagte war aber nach § 3 Nr. 1 TV berechtigt, die Treueprämie mit der – erhöhten – tariflichen Jahressonderzahlung zu verrechnen, so daß der Anspruch der Klägerin nicht mehr besteht.
Die von der Beklagten auf § 3 Nr. 1 TV gestützte Verrechnung der betrieblichen Treueprämie mit der tariflichen Jahressonderzahlung verstößt nicht gegen gesetzliche Vorschriften (§ 134 BGB). Insbesondere liegt ein Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 TVG nicht vor. Danach sind von Tarifverträgen abweichende Abmachungen zulässig, wenn sie Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer enthalten. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 11. Oktober 1967 – 4 AZR 451/66 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk) zwar ausgeführt, daß neue tarifliche Regelungen günstigere Abmachungen im Einzelvertrag nicht beseitigten, wobei es unerheblich sei, ob solche günstigeren Abmachungen vor oder nach Inkrafttreten des Tarifvertrags getroffen worden seien. Tarifvertragsbedingungen seien Mindestbedingungen, die zuungunsten des Arbeitnehmers nicht abbedungen werden können, jedoch günstigere einzelvertragliche Abmachungen, auch wenn sie vor dem Inkrafttreten des Tarifvertrags vereinbart worden waren, nicht berührten (BAG Urteil vom 27. November 1958 – 4 AZR 445/56 – AP Nr. 26 zu Art. 44 Truppenvertrag). Das Bundesarbeitsgericht hat demgemäß eine Tarifbestimmung insoweit für unwirksam erklärt (BAGE 51, 178 = AP Nr. 12 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip), als sie bestimmte, daß alle übertariflichen Lohnbestandteile auf den erhöhten Tariflohn angerechnet werden sollten, weil den Tarifvertragsparteien der Eingriff in einzelvertragliche Vergütungsansprüche im Hinblick auf das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG verwehrt sei (BAGE 23, 399 = AP Nr. 8 zu § 4 TVG Effektivklausel).
Alle Entscheidungen beziehen sich jedoch auf Vergütungsbestandteile, die nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung “neben” dem jeweiligen Tariflohn zu zahlen, also “tariffest”, waren. Fehlt eine solche Vereinbarung, so können übertarifliche Lohnbestandteile, insbesondere Lohnzulagen, auch ohne einen ausdrücklichen Vorbehalt auf eine Tariflohnerhöhung angerechnet werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. BAG GS Beschluß vom 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die bei der Beklagten bestehende Regelung hinsichtlich der Zahlung einer Treueprämie war nicht tarifvertragsfest ausgestaltet; die Grundsätze des Urteils vom 18. August 1971 (BAGE 23, 399 = AP, aaO) können daher nicht übertragen werden (BAGE 43, 188 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen).
Die kraft betrieblicher Übung zum Inhalt des Einzelarbeitsvertrags gewordene Treueprämienzusage wird durch die Erhöhung der tariflichen Sonderzahlung auch nicht berührt. Der Tarifvertrag greift nicht in diesen Anspruch ein; er regelt nur dessen Anrechnung auf die – erhöhte – tarifliche Jahressonderzahlung, soweit die Treueprämie eine Leistung im Sinne des § 3 Nr. 1 TV darstellt. Damit wird nicht ein einzelvertraglicher Anspruch beseitigt, sondern ein tarifvertraglicher Anspruch von vornherein nur bedingt durch die Kürzung um bestimmte einzelvertragliche Zahlungen eingeräumt, wobei die Anrechnung als Kann-Vorschrift ausgestaltet ist. Eine solche Regelung ist zulässig (BAGE 43, 188 = AP, aaO); die Tarifvertragsparteien haben damit ihren Regelungsspielraum nicht überschritten. Sie haben nicht die Beseitigung übertariflicher Lohnbestandteile vorgesehen, sondern die Erhöhung einer tariflichen Zahlung unter Anrechnung von vergleichbaren betrieblichen Sonderzahlungen geregelt. Daß die Beklagte die tatsächlich erfolgte Zahlung im Jahre 1990 in der Lohnabrechnung insgesamt als tarifliche Sonderzahlung bezeichnet hat, ist ohne Bedeutung.
3. Mit den Vorinstanzen ist davon auszugehen, daß die Treueprämie eine Leistung im Sinne von § 3 Nr. 1 TV ist. Das ergibt sich einmal daraus, daß die betriebliche Treueprämie wie die in § 3 Nr. 1 TV angeführten Leistungen eine einmalige, aber jährliche Zahlung ist. Sie ist daher trotz ihrer Bezeichnung und trotz ihrer Abhängigkeit von der Dauer der Betriebszugehörigkeit kein “Jubiläumsgeld”, das einmalig anläßlich der Erfüllung einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit gezahlt wird und daher nach § 3 Nr. 1 TV nicht angerechnet werden dürfte (vgl. Urteil vom 10. Februar 1993 – 10 AZR 207/91 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Zum anderen ist § 3 Nr. 1 TV insbesondere durch das Merkmal “… und dergleichen” sehr weit gefaßt, so daß anzunehmen ist, daß die Tarifvertragsparteien auch Leistungen wie die betriebliche “Treueprämie” erfassen wollten.
4. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht daraus, daß die Beklagte in der Vergangenheit bei Tariflohnerhöhungen eine Anrechnung der Treueprämie nicht vorgenommen hat. Daraus allein folgt noch nicht, daß die Treueprämie “tariffest” werden sollte. Über- oder außertarifliche Lohnbestandteile können auch dann auf spätere Erhöhungen tariflicher Leistungen angerechnet werden, wenn sie jahrelang vorbehaltlos zusätzlich zur tariflichen Leistung gewährt wurden (BAG Urteil vom 8. Dezember 1982 – 5 AZR 481/80 – AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung).
5. Die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verstieße. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats in seinen Entscheidungen vom 3. Dezember 1991 (– GS 1/90 – ArbuR 1993, 28, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen und – GS 2/90 –) zur Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf über-/außertarifliche Zulagen bzw. den Widerruf von über-/außertariflichen Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung ist die von der Beklagten vorgenommene vollständige Anrechnung der bisher gezahlten Treueprämie auf die tarifliche Jahressonderzahlung mitbestimmungsfrei, weil die Treueprämien vollständig und gleichmäßig auf die erhöhte tarifliche Jahressonderzahlung angerechnet wurden und insoweit ein Regelungsspielraum nicht gegeben war.
6. Für eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Hinblick auf die Zahlung einer Jahresabschlußvergütung an die Angestellten sind Anhaltspunkte nicht dargetan.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Dr. Meyer, Großmann
Fundstellen
BB 1993, 1734 |
NJW 1993, 2767 |
NZA 1993, 805 |