Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Bestehen begründete Zweifel, ob der Arbeitnehmer nur vorübergehend durch Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert oder auf Dauer berufs- oder erwerbsunfähig ist, so hat er sich, wenn er schuldhaft keinen Rentenantrag stellt, nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 2, § 7 Abs. 2 BBkAT (ebenso § 59, § 7 BAT) auf Verlangen des Arbeitgebers einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen.
Gefährdet der Arbeitnehmer den Erfolg dieser Untersuchung dadurch, daß trotz Abmahnung beharrlich sein Einverständnis zu der Beiziehung der Vorbefunde der behandelnden Ärzte verweigert, so kann dies je nach den Umständen einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen.
Normenkette
BGB §§ 626, 242; Angestelltentarifvertrag der Deutschen Bundesbank (BBkAT) vom 11. Juli 1961 §§ 59, 7 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 23. Oktober 1996 - 2 Sa 300/96 - aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der 1938 geborene Kläger ist seit 1975 bei der beklagten Landeszentralbank im Geldbearbeitungsdienst der Hauptstelle F tätig. Sein Gehalt betrug zuletzt 4.300,00 DM brutto monatlich. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Angestelltentarifvertrag der Deutschen Bundesbank (BBkAT) vom 11. Juli 1961 Anwendung. Danach ist der Kläger ordentlich unkündbar.
In der Zeit vom 10. Juli 1990 bis zum 2. Juni 1995 war der Kläger an insgesamt 1.149 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 7. Juni 1995 forderte ihn die Beklagte unter Hinweis auf § 59 BBkAT auf, einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente bei der Bundesanstalt für Angestellte bis zum 15. Juli 1995 zu stellen. Dieses Ansinnen wies der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 21. Juli 1995 zurück. Daraufhin forderte ihn die Beklagte auf, sich beim Gesundheitsamt für die Stadt F einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Der Kläger erschien zwar in Begleitung seines Anwalts zu dem Untersuchungstermin beim Amtsarzt, verweigerte aber seine Zustimmung zur Hinzuziehung der fachärztlichen Vorbefunde durch den Amtsarzt. Das amtsärztliche Gutachten vom 27. November 1995 wurde deshalb mit der Einschränkung versehen, die zur vollständigen Klärung des Krankheitsbildes erforderlichen fachärztlichen Vorbefunde hätten nicht vorgelegen, allein aufgrund der Untersuchung am 15. November 1995 habe sich eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht feststellen lassen. Nachdem die Beklagte am 19. Dezember 1995 Kenntnis von dem Inhalt des Gutachtens erlangt hatte, forderte sie den Kläger mit Schreiben vom 21. Dezember 1995 "ultimativ" auf, dem Gesundheitsamt die benötigten Unterlagen bis zum 15. Januar 1996 vorzulegen bzw. zukommen zu lassen und drohte dem Kläger für den Fall, daß er der Aufforderung nicht nachkäme, eine außerordentliche Kündigung zum 30. Juni 1996 an.
Zwischenzeitlich hatte der Kläger seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten gemäß § 2 SchwbG beantragt. Der Bezirksvertrauensmann der Schwerbehinderten nahm mit Schreiben vom 27. Dezember 1995 zu diesem Antrag Stellung und lehnte eine Befürwortung des Antrags ab im wesentlichen mit der Begründung, Schwerbehinderte mit einem GdB von 50 und mehr "wären im Quervergleich erheblich benachteiligt, wenn das Gleichstellungsverfahren ausschließlich als Vehikel zur Kaschierung mangelnden Pflichtbewußtseins Anwendung finde". Der Bezirkspersonalrat sprach sich mit Schreiben vom 27. Dezember 1995 dem zuständigen Arbeitsamt gegenüber ebenfalls gegen eine Gleichstellung aus u.a. mit der Begründung, der Kläger habe es stets verstanden, seine vermeintliche Benachteiligung im Dienst durch häufiges Fehlen auszugleichen und die Störung des sozialen Friedens innerhalb seines Aufgabengebietes sei durch erhöhten Einsatz seiner Kolleginnen und Kollegen aufgefangen worden. Mit Bescheid vom 8. Januar 1996 hat das Arbeitsamt F den Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt.
Nachdem die benötigten Unterlagen beim Amtsarzt innerhalb der von der Beklagten gesetzten Frist nicht eingegangen waren, kündigte die Beklagte mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle am 30. Januar 1996 dem Kläger außerordentlich zum 30. Juni 1996. Der Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid der Hauptfürsorgestelle blieb erfolglos.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er meint, er habe keine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, sondern sich der amtsärztlichen Untersuchung unterzogen, obwohl er nicht einmal hierzu verpflichtet gewesen sei. Jedenfalls habe für ihn kein Anlaß bestanden, dem Amtsarzt die fachärztlichen Vorbefunde zur Verfügung zu stellen. Außerdem habe die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Bereits am 21. Dezember 1995 sei eindeutig klar gewesen, daß er die Entbindung seiner Hausärzte von der Schweigepflicht bzw. die Zustimmung zur Einsicht in die Aufzeichnungen seiner Hausärzte verweigert habe. Schließlich sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 30. Januar 1996 nicht aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Weigerung des Klägers, dem Amtsarzt die fachärztlichen Vorbefunde zur Verfügung zu stellen, stelle eine grobe Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die sie zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund berechtige. Die krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Klägers vom 10. Juli 1990 bis zum 2. Juni 1995 hätten sich auf 64,3 % belaufen. Sie seien mit erheblichen Kosten verbunden gewesen, da der Kläger nach den tarifvertraglichen Bestimmungen lediglich einen Zeitraum von vier Wochen Arbeitsfähigkeit benötige, um immer wieder einen vollen Anspruch auf Krankenbezüge für die Dauer von 26 Wochen zu erlangen, wobei der Kläger in den letzten fünf Jahren nie länger als gut zwei Monate seinen Dienst verrichtet habe, bevor es jeweils zur nächsten Unterbrechung durch Krankheit oder Urlaub gekommen sei. Auch während der Intervalle seiner Arbeitsfähigkeit habe der Kläger nur noch solche Tätigkeiten übernommen, die nach seiner Meinung mit seinem schlechten Gesundheitszustand vereinbar gewesen seien. Die zur Tätigkeit eines Geldbearbeiters gehörenden Arbeiten, die im Stehen bzw. in gebückter Haltung verrichtet werden müßten, habe er nicht mehr ausüben können, sondern sei lediglich bereit gewesen, an Banknotenbearbeitungsautomaten tätig zu sein bzw. in eingeschränktem Maße Sonderaufgaben zu übernehmen. Nachdem auch Kur- und Rehabilitationsmaßnahmen und eine Wiedereingliederung nach § 74 SGB V offenbar keinen Erfolg gehabt hätten, habe sich bei ihr der Eindruck verfestigt, daß der Kläger wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mehr in der Lage gewesen sei. Die Bewilligung einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente habe der Kläger aber schuldhaft dadurch verhindert, daß er zunächst keinen Rentenantrag gestellt und dann die amtsärztliche Feststellung seiner Erwerbsunfähigkeit durch Verweigerung der Einsichtnahme in die ärztlichen Vorbefunde unmöglich gemacht habe. Unter diesen Umständen sei trotz des hohen sozialen Besitzstandes des Klägers eine Weiterbeschäftigung unzumutbar und eine außerordentliche Kündigung erforderlich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 565 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die außerordentliche Kündigung der Beklagten sei unwirksam, denn der Kläger habe dadurch, daß er dem Amtsarzt die hausärztlichen Vorbefunde nicht zur Verfügung gestellt habe, keine arbeitsvertragliche Pflicht gegenüber der Beklagten verletzt. Die Feststellung der Dienstfähigkeit liege allein im pflichtgemäßen Ermessen des Amtsarztes. Der Arbeitnehmer sei lediglich gehalten, sich körperlich der amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ggf. nüchtern zur Untersuchung zu erscheinen, Kontrastmittel einzunehmen und den sonstigen Anweisungen des Amtsarztes anläßlich der Untersuchung Folge zu leisten. Selbst wenn der Kläger zur Vorlage der ärztlichen Vorbefunde verpflichtet gewesen wäre, wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Der Kläger habe dadurch, daß er die ärztlichen Vorbefunde nicht vorgelegt habe, letztlich sein Interesse wahrgenommen, das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aufrecht zu erhalten.
II. Dem folgt der Senat nicht.
1. Der Kläger war, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 2, § 7 Abs. 2 BBkAT verpflichtet, sich der Untersuchung durch das Gesundheitsamt zu unterziehen. Nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 BBkAT (vergleichbare Vorschriften finden sich im Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT)) endet das Arbeitsverhältnis unter bestimmten Voraussetzungen, wenn durch Bescheid des Rentenversicherungsträgers festgestellt wird, daß der Angestellte berufs- oder erwerbsunfähig ist. Nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT tritt, falls der Angestellte schuldhaft den Rentenantrag verzögert, an die Stelle des Bescheides des Rentenversicherungsträgers das entsprechende Gutachten eines Amtsarztes. Diese Vorschrift wird ergänzt durch § 7 Abs. 2 BBkAT, wonach die Bank bei gegebener Veranlassung u.a. durch das Gesundheitsamt feststellen lassen kann, ob der Angestellte dienstfähig ist. Diese Tarifbestimmungen tragen dem Problem Rechnung, daß die Entgeltfortzahlungsbestimmungen von ihrer Zweckbestimmung her nur vorübergehende krankheitsbedingte Ausfälle des Arbeitnehmers abdecken sollen, die entsprechende Rentengewährung bei Erwerbsoder Berufsunfähigkeit aber einen Antrag des Arbeitnehmers voraussetzt und der Arbeitgeber anhand der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen regelmäßig nicht feststellen kann, ob nur eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder der Arbeitnehmer berufs- oder erwerbsunfähig ist. Eine ähnliche Regelung findet sich im Sozialrecht zur Abgrenzung von Krankengeld und Rentenleistungen. Da das Krankengeld nur eine vorübergehende Leistung darstellt, Leistungen des Rentenversicherungsträgers aber nur auf Antrag gewährt werden, gibt § 51 SGB V den Krankenkassen die rechtliche Möglichkeit, den Versicherten zur Stellung eines Leistungsantrags beim Rentenversicherungsträger zu veranlassen oder - wenn die Antragstellung unterbleibt - den Bezug des Krankengeldes zu beenden (vgl. dazu Schulin/Kummer, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, § 23 Rz 200).
a) § 7 Abs. 2 BBkAT läßt die Anordnung der ärztlichen Untersuchung durch den Arbeitgeber aus "gegebener Veranlassung" zu und bestimmt weiter nur, von der Befugnis dürfe nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden. Der sachliche Grund für die Anordnung einer Untersuchung kann nach der Rechtsprechung sowohl in der Fürsorgepflicht für den Angestellten selbst und die mit ihm arbeitenden Angestellten, als auch im sonstigen Pflichtenkreis des Betriebes oder der Verwaltung liegen (Senatsurteil vom 23. Februar 1967 - 2 AZR 124/66 - AP Nr. 1 zu § 7 BAT). Aus § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT kann sich, dies ergibt die Zusammenschau beider Vorschriften, für den Arbeitgeber ein sachlicher Grund ergeben, ein amtsärztliches Gutachten über die Dienstfähigkeit des Angestellten einzuholen. Bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß der Angestellte nicht lediglich vorübergehend arbeitsunfähig, sondern berufs- oder erwerbsunfähig ist, und hat er auf entsprechende Aufforderung hin trotzdem schuldhaft keinen Rentenantrag gestellt, so besteht für den Arbeitgeber "gegebene Veranlassung", nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT ein amtsärztliches Gutachten einzuholen, dem sich der Angestellte nach § 7 Abs. 2 BBkAT zu unterziehen hat.
b) Diese Pflicht des Angestellten, eine ärztliche Untersuchung zu dulden und an ihr mitzuwirken, verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. dazu eingehend Bezani, Die krankheitsbedingte Kündigung, S. 58 ff.). Zwar tangiert eine derartige ärztliche Untersuchung stets die Intimsphäre des Arbeitnehmers, die durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt wird. Andererseits würden aber Grundrechtspositionen des Arbeitgebers (Art. 12 und 14 GG) verletzt, würde nicht sein berechtigtes Bedürfnis auf Information darüber erfüllt, ob lediglich eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit oder eine Erwerbsunfähigkeit des Angestellten vorliegt; ohne diese Information liefe der Arbeitgeber Gefahr, jahrelang Entgeltfortzahlungsleistungen während einer Erwerbsunfähigkeit des Angestellten zu erbringen, für die normalerweise der Rentenversicherungsträger einzutreten hat. Die Interessen des Arbeitnehmers sind hinreichend durch die dem untersuchenden Arzt obliegende Schweigepflicht geschützt.
c) Danach lagen die Voraussetzungen für eine Mitwirkungspflicht des Klägers bei der amtsärztlichen Untersuchung nach §§ 7, 59 BBkAT vor. Aufgrund der außergewöhnlichen Krankheitszeiten des Klägers und der entsprechenden Tauglichkeitseinschränkungen während der kurzen Zeiten seiner Arbeitsfähigkeit hatte die Beklagte hinreichenden Anlaß für die Annahme, der Kläger sei in Wahrheit nicht arbeitsunfähig krank, sondern erwerbsunfähig. Das Bedürfnis der Beklagten nach Aufklärung, ob der Kläger schuldhaft einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente verzögert hatte oder ob sogar Verdacht bestand, daß der Kläger die Entgeltfortzahlungsbestimmungen über Gebühr ausnutzte, bot für die Beklagte einen hinreichenden Anlaß im Sinne von § 7 Abs. 2 BBkAT, den Kläger einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Daß die Beklagte von dieser Möglichkeit willkürlich Gebrauch gemacht hätte, macht der Kläger selbst nicht geltend, dafür liegt auch kein Anhaltspunkt vor.
d) Der Kläger hatte auch objektiv keinen Grund, seine Mitwirkung bei der amtsärztlichen Untersuchung im Hinblick darauf zu verweigern, daß die Amtsärztin sein Einverständnis mit der Weiterleitung der gutachterlichen Stellungnahme an die Beklagte verlangt hat. Nach dem Wortlaut der Einverständniserklärung bezog sich das geforderte Einverständnis lediglich auf die Weitergabe des amtsärztlichen Gutachtens an die Beklagte, in dem ohne Hinweis auf Diagnose, Vorbefunde etc. nur die Frage der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit beurteilt worden ist.
2. Die Pflicht des Klägers, bei der amtsärztlichen Untersuchung mitzuwirken, umfaßte entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch die Verpflichtung, der Amtsärztin die fachärztlichen Vorbefunde entweder selbst zur Verfügung zu stellen oder durch eine entsprechende Entbindung von der Schweigepflicht der Amtsärztin zu ermöglichen, diese Unterlagen beizuziehen oder in sie Einsicht zu nehmen.
a) Schon nach § 7 Abs. 2, § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT besteht nicht, wie das Berufungsgericht meint, lediglich die Pflicht des Angestellten, nüchtern beim Amtsarzt zu erscheinen und dessen Untersuchungen mehr oder weniger duldend über sich ergehen zu lassen. Nach § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Die medizinische Beurteilung, ob der Arbeitnehmer nur vorübergehend durch Krankheit an der Arbeitsleistung gehindert oder auf Dauer dienst- bzw. erwerbsunfähig ist, ist komplexer Natur und seitens des Amtsarztes regelmäßig durch eine einfache körperliche Untersuchung ohne Hinzuziehung der Vorbefunde sachgerecht gar nicht zu leisten. Könnte der erwerbsunfähige Arbeitnehmer das Verfahren nach § 59 Abs. 1 BBkAT einfach dadurch blockieren, daß er die Entbindung seiner behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht verweigert, so würde damit gerade der Zweck verfehlt, dem § 59 Abs. 1 BBkAT dient, und der Arbeitgeber müßte evtl. trotz bestehender Erwerbsunfähigkeit fortlaufend weiter Entgeltfortzahlungsleistungen erbringen. Wenn § 7 Abs. 2 BBkAT den Angestellten zur Mitwirkung bei der Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT verpflichtet, so kann dies nach Sinn und Zweck der Regelung nur bedeuten, daß der Angestellte auch verpflichtet ist, die notwendigen Mitwirkungshandlungen zu erbringen, also die Beiziehung der fachärztlichen Vorbefunde durch den Amtsarzt zu ermöglichen.
b) Eine solche Pflicht des Arbeitnehmers, bei Vorliegen eines berechtigten Interesses des Arbeitgebers seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, ist im übrigen auch ohne entsprechende tarifliche Regelung anzunehmen und resultiert aus der allgemeinen Treupflicht des Arbeitnehmers (Bezani, aaO, S. 63 ff., m.w.N.; vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 1983 - 2 AZR 15/82 - BAGE 43, 129 = AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; Arbeitsgericht Passau Urteil vom 17. September 1990 - 2 Ca 205/90 BB 1990, 2266). Gerade wenn begründete Zweifel an der Tauglichkeit des Arbeitnehmers bestehen, den Anforderungen seines Arbeitsplatzes aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer gerecht zu werden, kann regelmäßig erst das Zusammenwirken zwischen den behandelnden Ärzten und einem geschulten Arbeitsmediziner einen klaren medizinischen Befund ergeben. Der behandelnde Arzt wird vielfach nicht über hinreichende arbeitsmedizinische Kenntnisse verfügen, während für den Arbeitsmediziner ohne Hinzuziehung entsprechender Vorbefunde die Erstellung eines sachgerechten Gutachtens über Gebühr erschwert oder unmöglich gemacht wird. Der Arbeitnehmer, der die sachlich gebotene Begutachtung dadurch verhindert, daß er die Hinzuziehung der ärztlichen Vorbefunde durch den Arbeitsmediziner bzw. Amtsarzt verweigert, verstößt gegen seine Treupflicht (vgl. dazu allgemein Notz, Zulässigkeit und Grenzen ärztlicher Untersuchungen von Arbeitnehmern, S. 58 ff.).
c) Die vom Berufungsgericht gezogene Parallele zum Sozialrecht trägt nicht. Auch bei einer entsprechenden Untersuchung des Rentenversicherungsträgers, die nach § 59 Abs. 1 BBkAT lediglich durch das amtsärztliche Gutachten ersetzt werden soll, erfüllt der Leistungsberechtigte seine Mitwirkungspflichten nicht allein dadurch, daß er die erforderliche ärztliche Untersuchung duldend über sich ergehen läßt und letztlich dadurch erschwert, wenn nicht gar zunichte macht, daß er die behandelnden Ärzte nicht von ihrer Schweigepflicht entbindet. Die Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten, die im übrigen schon von jeher als "Nebenverpflichtungen" aus dem Sozialrechtsverhältnis und damit letztlich aus Treu und Glauben hergeleitet werden (Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht/Seewald, Stand: Mai 1997, Vor §§ 60 bis 67 SGB I Rz 10), sind in §§ 60 bis 67 SGB I geregelt (zu einer Auskunftspflicht des Leistungsberechtigten vgl. schon BSGE 45, 119, 121 f. zu § 1542 RVO). Nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Die Zustimmung zur Auskunftserteilung durch Dritte zielt dabei gerade auf die Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht ab, ergänzt wird diese Bestimmung durch die in § 100 I SGB X begründete Auskunftspflicht des Arztes (Bley/Kreikebohm, Sozialrecht, 7. Aufl., B II Rz 81; Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 3. Aufl., S. 173; von Maydell/Ruland, Sozialrechtshandbuch B Rz 71 f.). Ohne Mitwirkung des Sozialleistungsberechtigten ist der Sozialleistungsträger trotz des Amtsermittlungsprinzips meist außer Stande, alle mit der Sozialleistung zusammenhängenden Fragen von sich aus zu klären. Er ist deshalb, wenn der Sozialleistungsberechtigte selbst die Angaben über seinen Gesundheitszustand nicht macht oder nicht machen kann, auf die Erteilung der erforderlichen Auskunft durch dessen Hausarzt etc. angewiesen. Daß entsprechende Auskünfte durch den Dritten eingeholt werden können, hat der Leistungsberechtigte durch die Entbindung von der Schweigepflicht sicherzustellen.
d) Der Kläger war danach verpflichtet, dem Gesundheitsamt die Beiziehung der ärztlichen Vorbefunde, etwa durch Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht, zu ermöglichen. Er hat selbst nicht geltend gemacht, daß durch die Beiziehung der Vorbefunde (etwa wegen der Art seiner Erkrankungen) über Gebühr in sein Persönlichkeitsrecht eingegriffen worden wäre. Auch die Gefahr, daß die Vorbefunde der Beklagten mitgeteilt wurden, bestand objektiv nicht und gegen eine unberechtigte Weitergabe war der Kläger durch die Schweigepflicht der Mitarbeiter des Gesundheitsamts geschützt. Hätte der Kläger in diesem Punkt noch Befürchtungen gehegt, wäre es ein einfaches gewesen, in seiner Einverständniserklärung die Weitergabe der Vorbefunde an die Beklagte nochmals ausdrücklich auszuschließen.
3. Ein Verstoß gegen die aus § 7 Abs. 2, § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT resultierende Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers ist auch je nach den Umständen geeignet, eine Kündigung, auch eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers zu rechtfertigen (Senatsurteil vom 23. Februar 1967 - 2 AZR 124/66 - AP Nr. 1 zu § 7 BAT; LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 17. Januar 1995 - 8 Sa 848/94 - EzBAT § 7 Nr. 5; Lepke, NZA 1995, 1084, 1090; Bezani, aaO, S. 72 f.).
a) Der Arbeitnehmer, der berufs- oder erwerbsunfähig ist, aber schuldhaft die Stellung eines Rentenantrags verzögert, handelt grob pflichtwidrig. Das gleiche gilt, wenn er schuldhaft eine ordnungsgemäße Begutachtung durch den Amtsarzt zur Feststellung seiner Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit unmöglich macht. Kann der Amtsarzt dem Arbeitnehmer trotz bestehender Erwerbsunfähigkeit wegen fehlender Vorbefunde nur eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigen, so stellt dies eine erhebliche Gefährdung und zumeist Schädigung der Vermögensinteressen des Arbeitgebers dar, denn er läuft Gefahr, zu Unrecht Entgeltfortzahlungsleistungen erbringen zu müssen. Der Pflichtverstoß, die Beiziehung von Vorbefunden zu verhindern, ist nicht anders zu bewerten, als wenn der Arbeitnehmer zwar einen Rentenantrag stellt, aber die zu dessen Bearbeitung etwa erforderlichen Auskünfte und Unterlagen nicht einreicht oder deren Beiziehung dadurch verhindert, daß er z.B. die behandelnden Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbindet (Crisolli/Tiedtke, BAT, § 59 Rz 18 b; Böhm/Spiertz/Sponer/ Steinherr, BAT, Stand: April 1996, § 59 Rz 34). Dann kann es aber für die Bewertung des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers keinen Unterschied machen, ob dieser seinen Mitwirkungspflichten gegenüber dem Rentenversicherungsträger oder gegenüber dem nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT in zulässiger Weise beauftragten Amtsarzt nicht nachkommt. Das nach § 59 BBkAT eingeholte amtsärztliche Gutachten soll nach Sinn und Zweck der Vorschrift gerade den Bescheid des Rentenversicherungsträgers ersetzen und ist erst dadurch erforderlich geworden, daß der Angestellte den Rentenantrag schuldhaft verzögert hat. Die Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers sind, wie bereits dargelegt, nach § 60 SGB I und §§ 7 Abs. 2, 59 Abs. 1 BBkAT vergleichbar ausgestaltet. Auch der Arbeitnehmer, der, nachdem er schon schuldhaft den Rentenantrag verzögert hat, nunmehr eine sachgerechte Begutachtung durch den Amtsarzt erheblich behindert oder gar unmöglich macht, verletzt seine arbeitsvertraglichen Pflichten gravierend.
b) Ob diese Pflichtverletzung im Einzelfall nach § 626 Abs. 1 BGB einen wichtigen verhaltensbedingten Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann, hängt von einer Abwägung der Umstände und der beiderseitigen Interessen ab. Entscheidend wird es dabei darauf ankommen, ob die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers als schuldhaft anzusehen ist. Hatte der Arbeitnehmer etwa vertretbare Gründe für seine Weigerung, auf deren Richtigkeit er vertraut und die er dem Arbeitgeber vor oder bei der Weigerung mitgeteilt hat, so wird regelmäßig kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliegen (Senatsurteil vom 23. Februar 1967, aaO). Da die Pflicht des Arbeitnehmers, ggf. die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, aus § 7 Abs. 2, § 59 Abs. 1 BBkAT nur im Wege der Auslegung gewonnen werden kann, ist die Prüfung erforderlich, ob sich der Arbeitnehmer über seine Mitwirkungspflichten in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden hat. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird im Regelfall eine Kündigung, erst recht eine außerordentliche Kündigung, nur in Betracht kommen, wenn dem Arbeitnehmer zuvor die Pflichtwidrigkeit seiner Weigerung durch eine Abmahnung mit entsprechender Kündigungsandrohung klargemacht worden ist.
4. Danach läßt sich ohne Eingriff in den Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanzen noch nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 565 Abs. 1 ZPO).
a) Die Pflichtverletzung des Klägers, die an sich geeignet ist, nach § 626 Abs. 1 BGB eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, steht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts fest: Die Beklagte hat den Kläger zu Recht aufgefordert, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu stellen. Eine sachgerechte Untersuchung durch die Amtsärztin hat der Kläger dadurch verhindert, daß er die Beiziehung der ärztlichen Vorbefunde verweigert hat. Dies hatte zum Ergebnis, daß die Amtsärztin die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht abschließend beurteilen konnte. Der Kläger war auch vor Ausspruch der Kündigung ausreichend abgemahnt und die Beklagte hat ab dem Ende der zulässigerweise mit Schreiben vom 21. Dezember 1995 gesetzten Frist rechtzeitig nach § 626 Abs. 2 BGB gekündigt.
b) Die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts, eine Weiterbeschäftigung des Klägers wäre der Beklagten in jedem Fall zumutbar gewesen, trägt nicht, wie die Revision zutreffend rügt. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht insoweit zu Gunsten des Klägers bei der Interessenabwägung entscheidend mitberücksichtigt, der Kläger habe in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, um sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aufrecht zu erhalten. Die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Unterabs. 2 BBkAT würde weitgehend leerlaufen, wenn es dem Arbeitnehmer als Wahrnehmung berechtigter Interessen gestattet wäre, sich der Überprüfung seiner Erwerbsfähigkeit mit der Begründung zu entziehen, er wolle sein Arbeitsverhältnis aufrechterhalten. Das Arbeitsverhältnis mit einem Erwerbsunfähigen soll nach Sinn und Zweck des § 59 Abs. 1 BBkAT gerade nicht aufrechterhalten werden mit der Folge, daß die Entgeltfortzahlungsleistungen des Arbeitgebers den Rentenversicherungsträger entlasten. Schon die Berücksichtigung dieses Umstandes, der den Kläger nicht entlasten kann, zu seinen Gunsten macht die durch das Berufungsgericht - hilfsweise - getroffene Interessenabwägung rechtsfehlerhaft. Davon abgesehen ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht bei seiner Bewertung, der Beklagten sei trotz des Pflichtverstoßes des Klägers dessen Weiterbeschäftigung zumutbar gewesen, durch die von ihm vertretene Rechtsansicht beeinflußt worden ist, der Kläger sei, was die ärztlichen Vorbefunde anbelange, weder gegenüber der Amtsärztin noch gegenüber der Beklagten zu einer Mitwirkung verpflichtet gewesen.
c) Nach der Zurückverweisung wird das Berufungsgericht, dem als Tatsacheninstanz insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt, vor allem eine erneute Interessenabwägung unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen vorzunehmen haben. Es wird insbesondere das Maß des Verschuldens des Klägers festzustellen sein. Der Kläger hat sich in den Vorinstanzen darauf berufen, seine Weigerung beruhe darauf, daß er den Wortlaut der Einverständniserklärung dahin ausgelegt habe, der Beklagten sollten die ärztlichen Vorbefunde zugänglich gemacht werden. Würde dieses von der Beklagten bestrittene Vorbringen zutreffen, so könnte ein unverschuldeter Rechtsirrtum des Klägers dann vorgelegen haben, wenn er aus diesem Grund ohne Fahrlässigkeit ein Recht angenommen hätte, die Beiziehung der Vorbefunde zu verweigern. Das Berufungsgericht wird bei dieser Prüfung aber zu berücksichtigen haben, daß die Einverständniserklärung zwar die ärztlichen Vorbefunde in der Fußnote erwähnt, von ihrem Wortlaut her aber kaum so mißverständlich erscheint, daß ein unverschuldeter Rechtsirrtum des anwaltlich vertretenen Klägers naheliegen könnte.
5. An der Zuständigkeit des Bezirkspersonalrats (Stufenvertretung) im personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsverfahren besteht kein Zweifel, weil die Dienststelle des Klägers in F nicht zur Entscheidung über die Kündigung befugt war, sondern die Hauptverwaltung in H (§ 89 i.V.m. § 82 Abs. 1 BPersVG).
Unterschriften
Etzel Bröhl Fischermeier Engel Dr. Kirchner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.11.1997 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436373 |
BB 1998, 380 |
BB 1998, 592 |
DB 1998, 1717 |
NJW 1998, 1582 |
FA 1998, 64 |
NZA 1998, 326 |
RdA 1998, 188 |
ZAP 1998, 160 |
AP, 0 |
NJ 1998, 335 |
PersR 1998, 129 |
RDV 1998, 214 |
ZMV 1998, 142 |