Entscheidungsstichwort (Thema)
Karenzentschädigung bei Gewinnbeteiligung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die einem Arbeitnehmer geschuldete Gewinnbeteiligung gehört zu den vertragsmäßigen Leistungen im Sinne von § 74 Abs 2 HGB.
2. Bei der Berechnung der Karenzentschädigung ist die Gewinnbeteiligung für die Zeiten zu berücksichtigen, für die sie gezahlt wird. Es kommt nicht darauf an, wann der An- spruch auf Gewinnbeteiligung fällig geworden ist oder tat- sächlich ausgezahlt wird (Aufgabe von BAG Urteil vom 20. April 1967 - 3 AZR 314/66 - AP Nr 20 zu § 74 HGB).
3. Die für die Berechnung der Karenzentschädigung maßgeblichen vertragsmäßigen Leistungen im Sinne von § 74 Abs 2 HGB und die anrechenbaren Leistungen im Sinne von § 74 c Abs 1 HGB müssen in derselben Weise berechnet werden. Maß- gebend ist in beiden Fällen, für welche Zeiten die Vergütung gezahlt wird (im Anschluß an BAG Urteil vom 16.11.1973, 3 AZR 61/73 = BAGE 25, 385 = AP Nr 34 zu § 74 HGB).
Orientierungssatz
Nach bisheriger Rechtsprechung des Senats kann ein Arbeitnehmer, dem eine Entschädigung von weniger als der Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen zugesagt worden war und dessen Wettbewerbsverbot deshalb unverbindlich ist, nur die vertraglich vereinbarte Entschädigung verlangen, nicht die gesetzlichen Mindestentschädigung (BAG Urteil vom 5. August 1966, 3 AZR 154/65 = AP Nr 19 zu § 74 HGB). Es bleibt offen, ob der Senat an dieser Rechtsprechung festhält.
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 01.07.1987; Aktenzeichen 2 Sa 1691/86) |
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 14.08.1986; Aktenzeichen 2 Ca 502/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechnung einer Karenzentschädigung. Der Kläger will eine Tantieme bei der Berechnung der von ihm zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen berücksichtigt wissen.
Der Kläger war vom 1. Oktober 1982 bis 31. Dezember 1983 bei der Beklagten als leitender technischer Angestellter beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag haben die Parteien ein Wettbewerbsverbot vereinbart:
"Herr S verpflichtet sich, während eines Zeitraumes
von 2 Jahren nach seinem Ausscheiden aus der Firma nicht
für ein Konkurrenzunternehmen im Umkreis von 100 km
vom Sitz des Unternehmens tätig zu werden, noch unmittel-
bar oder mittelbar an der Gründung oder im Betrieb eines
solchen Unternehmens mitzuwirken. Für die Dauer des Wett-
bewerbsverbotes erhält Herr S als Entschädigung die
Hälfte der zuletzt erhaltenen Monatsbezüge. Im übrigen
gelten die Vorschriften der §§ 74 ff. HGB."
Als Vergütung hatten die Parteien vereinbart:
"Herr S erhält ab 01. Januar 1983 für
seine Tätigkeit
a) ein monatliches Bruttogehalt von DM 5.500,--,
zahlbar am Monatsende,
b) ein 13. Monatsgehalt,
c) 52,-- DM Vermögensbildung,
d) eine Tantieme von 28 % des Steuerbilanzgewinns
nach Berücksichtigung der Tantieme und nach Ab-
zug von Vorabvergütungen für Gesellschafterge-
schäftsführer."
Im übrigen enthielt der Arbeitsvertrag folgende geltungserhaltende Abrede:
"Sollten eine oder mehrere Bestimmungen dieses
Vertrages unwirksam oder nichtig sein oder wer-
den, gelten die übrigen Bestimmungen gleichwohl.
An die Stelle der unwirksamen oder nichtigen
Bestimmungen tritt diejenige wirksame, welche
die beiden Parteien unter Würdigung der beider-
seitigen Interessen zum Zeitpunkt des Vertrags-
abschlusses vereinbart hätten."
Der Kläger hielt sich 1984 an das vereinbarte Wettbewerbsverbot. Die Beklagte zahlte ihm eine Karenzentschädigung. Dabei berücksichtigte sie das monatliche Bruttogehalt des Klägers einschließlich des 13. Monatsgehaltes und der vermögenswirksamen Leistungen. Sie lehnte es aber ab, die für das Jahr 1983 gezahlte Tantieme von 34.395,-- DM zu berücksichtigen, da diese erst 1984 nach Erstellung einer Steuerbilanz an den Kläger ausgezahlt wurde. Andererseits rechnete sie das Einkommen, das der Kläger beim neuen Arbeitgeber im Jahre 1984 erzielte, an. Sie berücksichtigte eine Erfolgsbeteiligung in Höhe von 5.470,08 DM, die der Kläger für 1984 von seinem neuen Arbeitgeber erhielt, die aber erst 1985 an ihn ausgezahlt wurde.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die für das Jahr 1983 gezahlte Tantieme müsse bei der Berechnung der Karenzentschädigung berücksichtigt werden. Auf dieser Grundlage hat er seine Karenzentschädigung berechnet. Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine
weitere Karenzentschädigung für das Jahr
1984 von 24.106,98 DM nebst 4 % Zinsen
seit dem 29. August 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf die Tantieme für 1983 sei erst im Laufe des Jahres 1984 fällig geworden. Noch nicht fällige Bezüge gehörten nicht zu den zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen im Sinne von § 74 Abs. 2 HGB und des Vertrages.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil abgeändert. Es hat der Klage stattgegeben. Mit der nachträglich vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte erreichen, daß das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine Karenzentschädigung. Die für das Jahr 1983 bezogene Tantieme gehört zu den zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen im Sinne der Wettbewerbsvereinbarung.
1. Die Beklagte hat sich verpflichtet, an den Kläger für die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Entschädigung in Höhe der Hälfte der vom Kläger zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen zu zahlen.
Zwar hat die Beklagte dem Kläger im Arbeitsvertrag als Entschädigung nur "die Hälfte der zuletzt erhaltenen Monatsbezüge" zugesagt. Das wäre keine ausreichende Entschädigung; das Wettbewerbsverbot wäre unverbindlich. Es wäre nur verbindlich, wenn die Beklagte mindestens die in § 74 Abs. 2 HGB vorgesehene Entschädigung zugesagt hätte. § 74 Abs. 2 HGB ist nicht nur auf Handlungsgehilfen anzuwenden. Diese Bestimmung gilt auch für das Arbeitsverhältnis technischer Angestellter (vgl. BAGE 22, 125 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel). Nach dem Wortlaut der Vereinbarung erreicht die zugesagte Entschädigung nicht die in § 74 Abs. 2 HGB vorgesehene Mindestentschädigung. Die im Vertrag erwähnten Monatsbezüge erfassen nicht alle Vergütungsbestandteile. Vertragsmäßige Leistungen im Sinne von § 74 Abs. 2 HGB sind, wie der vorliegende Fall zeigt, mehr als Monatsbezüge.
Es ist aber aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Abrede so versteht, daß der Kläger eine Entschädigung in Höhe der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erhalten sollte. Das Berufungsgericht durfte zur Auslegung des § 10 die weitere Bestimmung in § 11 des Arbeitsvertrages heranziehen. In dieser Bestimmung kommt der Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck, das Wettbewerbsverbot an den gesetzlichen Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer auszurichten. Die Beklagte wollte ein verbindliches Wettbewerbsverbot. Das konnte sie nur erreichen, wenn sie die in § 74 Abs. 2 HGB vorgesehene Entschädigung zusagte. Im übrigen sind dem Berufungsgericht bei der Auslegung des Vertrages keine Rechtsfehler unterlaufen. Die Beklagte greift mit der Revision das Ergebnis dieser Auslegung auch nicht mehr an.
Der Senat hat deshalb keine Veranlassung, auf die Rechtsfolgen einzugehen, die sich ergeben, wenn die zugesagte Entschädigung nicht die in § 74 Abs. 2 HGB vorgesehene Höhe erreicht. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats kann ein Arbeitnehmer, dem eine Entschädigung von weniger als der Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen zugesagt worden war und dessen Wettbewerbsverbot deshalb unverbindlich ist, nur die vertraglich vereinbarte Entschädigung verlangen, nicht die gesetzliche Mindestentschädigung (BAG Urteil vom 5. August 1966 - 3 AZR 154/65 - AP Nr. 19 zu § 74 HGB). Es bleibt offen, ob der Senat an dieser Rechtsprechung festhält.
2. Zu den vom Kläger zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen gehört die Tantieme, die der Kläger für das Jahr 1983 erhalten hat.
a) Die Tantieme ist Teil der Vergütung. Sie ist Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung.
b) Die Tantieme gehört auch zu den "zuletzt" bezogenen vertragsmäßigen Leistungen. Das folgt aus Sinn und Zweck der Regelung sowie aus dem sachlichen Zusammenhang zwischen den Berechnungsvorschriften in § 74 Abs. 2 BGB einerseits und den Regelungen über anrechenbare Leistungen im Sinne von § 74 c Abs. 1 HGB andererseits.
aa) Die Karenzentschädigung soll dem Arbeitnehmer den Lebensstandard sichern, den er sich aufgrund seiner vorausgegangenen Tätigkeit erarbeitet hatte. Sie soll den Nachteil ausgleichen, den der Arbeitnehmer durch die Beschränkung in der Verwendung seiner Arbeitskraft erleidet. Es kommt deshalb darauf an, was der Arbeitnehmer als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung in den maßgeblichen Zeiträumen zu beanspruchen hat. Wenn ein Arbeitnehmer seine fachlichen Möglichkeiten nicht mehr voll wahrnehmen kann und seine Erwerbsmöglichkeiten beschränkt sind, soll ihm das erhalten bleiben, was er bisher unter Verwertung seiner fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen verdient hat (BAG Urteil vom 20. April 1967 - 3 AZR 314/66 - AP Nr. 20 zu § 74 HGB, zu II 4 a der Gründe; BAGE 25, 385, 389 = AP Nr. 34 zu § 74 HGB, zu I 3 a der Gründe). Danach kommt es nur auf die für das Jahr 1983 geschuldete Gegenleistung an. Zu dieser vertraglich geschuldeten Gegenleistung gehört die Tantieme. Sie bildete einen wesentlichen Bestandteil der Vergütung.
bb) Die für die Berechnung der Karenzentschädigung maßgeblichen "vertragsmäßigen Leistungen" im Sinne von § 74 Abs. 2 HGB und die anrechenbaren Leistungen im Sinne von § 74 c Abs. 1 HGB müssen in derselben Weise abgegrenzt werden (vgl. BAGE 25, 385, 389 = AP Nr. 34 zu § 74 HGB, zu I 1 der Gründe).
Nach § 74 c HGB ist auf die Karenzentschädigung das anzurechnen, was der Arbeitnehmer beim neuen Arbeitgeber während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, erwirbt. Zu dem, was der Kläger für das Jahr 1984 erworben hat, gehört die Gewinnbeteiligung, die er beim neuen Arbeitgeber erhielt. Maßgebend ist der Zeitraum, für den Leistungen erbracht werden. Darauf, wann diese Leistungen fällig werden, kommt es nicht an (vgl. für Jahresgratifikationen schon BAG Urteil vom 20. April 1967 - 3 AZR 314/66 - AP Nr. 20 zu § 74 HGB, zu II 4 d der Gründe; BAGE 25, 385, 392 = AP Nr. 34 zu § 74 HGB, zu II 2 a und b der Gründe). Deshalb hat die Beklagte auch die Gewinnbeteiligung, die der Kläger für das Jahr 1984 vom neuen Arbeitgeber erhielt, zu Recht auf die Karenzentschädigung angerechnet.
Nach den Maßstäben, nach denen Leistungen des späteren Arbeitgebers im Rahmen des § 74 c HGB auf die Karenzentschädigung anzurechnen sind, muß auch die Karenzentschädigung selbst berechnet werden. Die für den jeweiligen Zeitraum als Gegenleistung gedachte Vergütung muß in dem einen wie dem anderen Falle berücksichtigt werden. Darauf hat der Senat bereits im Urteil vom 16. November 1973 hingewiesen (vgl. BAGE 25, 385, 389 = AP Nr. 34 zu § 74 HGB, zu I 1 der Gründe). Er hat allerdings die Entscheidung vom 20. April 1967 (- 3 AZR 314/66 - AP Nr. 20 zu § 74 HGB) nicht ausdrücklich aufgegeben. Deshalb konnte die Beklagte noch eine Divergenz zu dieser älteren Entscheidung darlegen.
c) Auf Fragen der Entstehung und der Fälligkeit der vertragsmäßigen Leistungen im Sinne von § 74 Abs. 2 HGB kommt es deshalb nicht an. Die Fälligkeit ist kein brauchbares Kriterium. Blieben die nicht fälligen Forderungen unberücksichtigt, käme es zu einem verzerrten und in sich widersprüchlichen Ergebnis (vgl. auch die Regelungen in § 141 b Abs. 1 und 2 AFG sowie in § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO, dazu BSGE 43, 49, 50 und BAGE 33, 113 = AP Nr. 9 zu § 59 KO).
d) Praktische Schwierigkeiten bei der Berechnung und Abwicklung der Ansprüche auf Karenzentschädigung stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Der Arbeitgeber kann die Karenzentschädigung zunächst vorläufig berechnen. Er kann bei einer endgültigen Abrechnung auch die Einkünfte berücksichtigen, die der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit im Karenzzeitraum aber erst nach Ablauf dieses Zeitraumes erhalten hat. So ist auch die Beklagte im September 1985 verfahren, als sie erfuhr, daß der Kläger von seinem neuen Arbeitgeber eine Erfolgsbeteiligung für das Jahr 1984 im Juli 1985 erhalten hatte.
3. Der Kläger hat auf der rechtlich richtigen Grundlage seine Karenzentschädigung berechnet. Die Beklagte hat diese Berechnung nicht beanstandet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Kunze Dr. Schwarze
Fundstellen
BAGE 64, 1-6 (LT1-3) |
BB 1990, 927 |
BB 1990, 927-928 (T) |
DB 1990, 991 (LT1-3) |
NJW 1990, 1870 |
NJW 1990, 1870-1871 (LT1-3) |
SteuerBriefe 1990, 241-242 (T) |
EBE/BAG 1990, 74-75 (LT1-3) |
NJW-RR 1990, 1181 (L) |
ARST 1990, 135-136 (LT1-3) |
EWiR 1990, 703 (L) |
JR 1990, 528 |
NZA 1990, 519-520 (LT1-3) |
RdA 1990, 189 |
ZAP, EN-Nr 705/90 (S) |
AP § 74 HGB (LT1-3), Nr 59 |
AR-Blattei, ES 1830 Nr 165 (LT1-3) |
EzA § 74 HGB, Nr 52 (LT1-3) |
MDR 1990, 853 (LT1-3) |
VersR 1990, 763-764 (LT1-3) |