Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung wegen nur teilweise zutreffender Vorwürfe
Leitsatz (redaktionell)
Werden in einem Abmahnungsschreiben mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt und treffen davon nur einige (aber nicht alle) zu, so muß das Abmahnungsschreiben auf Verlangen des Arbeitnehmers vollständig aus der Akte entfernt werden und kann nicht teilweise aufrechterhalten bleiben. Es ist dem Arbeitgeber überlassen, ob er statt dessen eine auf die zutreffenden Pflichtverletzungen beschränkte Abmahnung aussprechen will.
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 08.09.1989; Aktenzeichen 15 Sa 713/89) |
ArbG Hannover (Entscheidung vom 14.02.1989; Aktenzeichen 7 Ca 333/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob eine Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen ist, wenn nur einige (aber nicht alle) damit gerügten Pflichtverletzungen zutreffen.
Der Kläger ist seit dem 1. April 1975 als Croupier in der Spielbank H der Beklagten tätig. Er ist als Tischchef eingesetzt, dessen Aufgabe es ist, den Spielverlauf und die Tischcroupiers zu überwachen.
Der Kläger wendet sich in diesem Rechtsstreit gegen folgende Abmahnung der Beklagten mit Datum vom 14. Juni 1988:
"- Sie haben am 31.12.1987 Ihren Platz als Spiel-
leiter mit dem Platz des Drehers ohne Zustim-
mung der Saalleitung getauscht, obwohl Ihnen
bekannt war, daß ein solcher Tausch der Zu-
stimmung der Saalleitung bedurfte.
Ihre Einlassung, Ihrem Kollegen B , der als
Drehcroupier tätig war, sei unwohl gewesen,
deshalb sei der Platzwechsel vorgenommen wor-
den, ist unzutreffend. Herr B war weder
krank noch war ihm unwohl. Vielmehr haben Sie
von sich aus den Platzwechsel aus eigenen
selbst gesetzten Motiven heraus durch Weisung
gegenüber Herrn B vorgenommen.
- Sie sind am 31.12.1987 nach Mitternacht mit
einer gut gefüllten Flasche Sekt in der Hand,
die von einem Gast ausgegeben war, durch den
Spielsaal in Richtung Kantine gegangen, obwohl
Ihnen bekannt ist, daß ein Croupier von Gästen
keine Geschenke annehmen darf.
Ihre Einlassung, der Sekt sei auf Anordnung
des Technischen Leiters neben Ihrem Chefstuhl
abgestellt worden, ist unzutreffend.
- Sie haben am 01.01.1988 nach Ihrer Pause Ihren
Vertreter mit dreiminütiger Verspätung abge-
löst, obwohl Ihnen bekannt ist, daß nach der
Dienstvorschrift Pünktlichkeit bei der Ablö-
sung eine der selbstverständlichsten Pflichten
eines Croupiers ist.
In allen drei Fällen haben Sie nachhaltig ge-
gen Ihnen obliegende Dienstpflichten versto-
ßen, wobei gerade von Ihnen als Tischchef ein
korrektes und diszipliniertes Verhalten erwar-
tet wird. Ich mahne Sie ausdrücklich ab und
bitte Sie, künftig die Ihnen obliegenden ar-
beitsvertraglichen Pflichten einzuhalten. Da
ich nicht gewillt bin, weitere Verstöße gegen
arbeitsvertragliche Pflichten hinzunehmen,
weise ich Sie ausdrücklich darauf hin, daß Sie
bei erneuter Verletzung Ihrer Dienstpflichten
mit einer Änderungskündigung oder einer Kündi-
gung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen müs-
sen."
Mit Schreiben vom 27. Oktober 1988 wurde der Kläger erneut abgemahnt, weil er wieder ohne Genehmigung den Platz des Spielleiters verlassen und sich als Drehcroupier betätigt habe.
Mit seiner am 12. August 1988 eingereichten Klage hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom
14. Juni 1988 aus der Personalakte des Klägers zu
entfernen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, am 14. Februar 1989, die Ablichtung eines Vermerks mit Datum vom 14. November 1988 überreicht. Dieser befindet sich unterhalb der Kopie der Abmahnung vom 14. Juni 1988 und hat folgenden Wortlaut:
"Die Abmahnung bezüglich des v.g. Vorfalls am
31.12.1987 mit der Flasche Sekt und bezüglich der
Verspätung am 1.1.1988 gelten mit Ablauf des
1.1.1989 als getilgt. Nach Ablauf des 1.1.1989
werden aus diesen beiden Vorfällen künftig kei-
nerlei Rechte zu Lasten von Herrn G durch
die H hergeleitet."
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, aus der Abmahnung vom 14. Juni 1988 die zuletzt genannten beiden Vorwürfe unter den Spiegelstrichen 2 und 3 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen und den ersten Satz des letzten Absatzes wie folgt zu fassen:
"In diesem Fall haben Sie nachhaltig gegen eine
Ihnen obliegende Dienstpflicht verstoßen, wobei
gerade von Ihnen als Tischchef ein korrektes und
diszipliniertes Verhalten erwartet wird."
Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat dementsprechend die Abmahnung mit dem vom Arbeitsgericht gebilligten Wortlaut unter dem bisherigen Datum vom 14. Juni 1988 neu gefaßt und zu den Personalakten genommen. Dafür hat sie die ursprüngliche Abmahnung entfernt und dieses dem Kläger mit Schreiben vom 15. August 1989 mitgeteilt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die Abmahnung vom 14. Juni 1988 vollständig aus der Personalakte zu entfernen, obwohl von den drei gerügten Pflichtverletzungen dem Kläger eine zu Recht vorgehalten wird.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, ein Abmahnungsschreiben, in dem der Arbeitgeber mehrere zusammenhängende Pflichtverletzungen rüge, sei zwar dann insgesamt aus der Personalakte zu entfernen, wenn davon einer der im Gesamtzusammenhang stehenden Vorwürfe ungerechtfertigt sei. Anders sei es jedoch, wenn dem Arbeitnehmer mehrere verschiedenartige Pflichtverletzungen gleichzeitig vorgeworfen werden, die nur in einem Schreiben zusammengefaßt worden seien und nicht miteinander in einem Gesamtzusammenhang stünden. Diese Vorwürfe hätten ebensogut in einzelnen Schreiben enthalten sein können. So sei es im Streitfall, denn die Beklagte sehe jeden einzelnen Pflichtverstoß als abmahnungswürdig an. Daher sei die Beklagte berechtigt, die im Schreiben vom 14. Juni 1988 abgemahnte Pflichtverletzung unter dem Spiegelstrich 1 aufrechtzuerhalten, wonach der Kläger ohne Genehmigung der Saalleitung seinen Platz als Tischchef mit dem des Kesselcroupiers getauscht habe. Das Landesarbeitsgericht ist damit der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts gefolgt, wonach das Gericht befugt sei, den Text der Abmahnung neu zu fassen, wenn lediglich einzelne Vorwürfe im Abmahnungsschreiben nichtaufrechterhalten werden können.
II. Wenn in einem Abmahnungsschreiben gleichzeitig verschiedene Pflichtverletzungen gerügt werden, von denen aber nur einzelne (und nicht alle) zutreffen, so kann das Abmahnungsschreiben nicht teilweise aufrechterhalten und insoweit vom Gericht neu gefaßt werden, sondern die Abmahnung muß in diesem Fall vollständig aus der Personalakte entfernt werden (ebenso LAG Köln Urteil vom 12. März 1986 - 5 Sa 1191/85 - LAGE Nr. 3 zu § 611 BGB Abmahnung; LAG Düsseldorf Urteil vom 18. November 1986 - 3 Sa 1387/86 - LAGE Nr. 7 zu § 611 BGB Abmahnung = NZA 1987, 354; LAG Hamm Urteil vom 3. November 1987 - 13 Sa 96/87 - LAGE Nr. 9 zu § 611 BGB Abmahnung).
Das Berufungsgericht will dieser Rechtsauffassung zwar im Grundsatz folgen, es meint jedoch, wenn in dem Abmahnungsschreiben mehrere Vorwürfe aufgezählt seien, die nicht in einem inneren Zusammenhang miteinander stünden, könnte dem Arbeitgeber unter Aufrechterhaltung der Abmahnung im übrigen verboten werden, einzelne im Abmahnungsschreiben zu Unrecht erhobene Pflichtverstöße aufrechtzuerhalten. Das führt dann aber zwangsläufig zur Neufassung des Abmahnungsschreibens durch das Gericht entsprechend der Rechtsprechung bei Arbeitszeugnissen.
Daran kann jedoch nicht angeknüpft werden, weil die Rechtslage bei einem Streit um den Inhalt eines Arbeitszeugnisses anders ist. In diesem Falle ist der Arbeitgeber gezwungen, sämtliche Tatsachen und Wertungen in einer Urkunde zusammenzufassen, so daß zwangsläufig dann, wenn einzelne Tatsachen und Wertungen unzutreffend sind, das Zeugnis mit verändertem Inhalt bestehen bleiben muß. Dagegen kann der Arbeitgeber bei der Abmahnung frei entscheiden, ob er mehrere Pflichtverletzungen in getrennten Abmahnungen rügt oder sie in einem Schreiben zusammenfaßt (so zutreffend LAG Hamm Urteil vom 3. November 1987 - 13 Sa 96/87 - LAGE, aaO).
Es kommt hinzu, daß Zeugnisse und Abmahnungen unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben unterliegen. Das Zeugnis dient einer rückblickenden Bewertung der gesamten Arbeitsleistung und muß auf Verlangen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber erteilt werden (§ 630 BGB). Dagegen ist der Arbeitgeber nicht zum Ausspruch einer Abmahnung verpflichtet und entscheidet selbst darüber, ob er im Einzelfall das Verhalten des Arbeitnehmers rügen will oder nicht (Lohmeyer, Die Abmahnung im Arbeitsverhältnis, S. 147, 148).
Es muß dem Arbeitgeber die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, ob er an der Abmahnung festhalten will, wenn einzelne in dem Abmahnungsschreiben enthaltene Vorwürfe unzutreffend sind (LAG Düsseldorf im Urteil vom 18. November 1986 - 3 Sa 1387/86 - LAGE, aaO). Wenn er gewußt hätte, daß einzelne Vorwürfe nicht zutreffen, hätte er vielleicht von der Abmahnung abgesehen.
Eine entsprechende Heranziehung der §§ 139, 140 BGB kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Abmahnung weder ein Gestaltungsrecht noch eine Willenserklärung im rechtlichen Sinne ist (BAGE 50, 362, 363, 369 = AP Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu III 2 c der Gründe).
III. Unter diesen Umständen ist die Beklagte verpflichtet, die Abmahnung vom 14. Juni 1988 vollständig aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Das hat sie bisher nicht getan, sondern sie hält sich nach wie vor zu dieser Abmahnung für berechtigt. Das ergibt sich einmal aus dem Vermerk vom 14. November 1988 unterhalb der Kopie des Abmahnungsschreibens in der Personalakte. Danach will die Beklagte mit Ablauf des 1. Januar 1989 aus den beiden zuletzt im Abmahnungsschreiben genannten Vorwürfen in Zukunft nichts mehr gegen den Kläger herleiten. Damit hat die Beklagte aber dem Verlangen des Klägers auf Entfernung des Abmahnungsschreibens nicht entsprochen, sondern hat auf der Kopie des Abmahnungsschreibens nur aktenkundig gemacht, daß die Vorwürfe nach ihrer Auffassung zwar zutreffen, aber durch Zeitablauf ab 1. Januar 1989 erledigt seien.
Ebensowenig hat sie die Klageforderung auf vollständige Entfernung des Abmahnungsschreibens dadurch erfüllt, daß sie die Abmahnung in dem vom Arbeitsgericht gebilligten Umfang aufrechterhalten hat. Damit hat die Beklagte zwar das Urteil des Arbeitsgerichts erfüllt, wie sie selbst in dem Begleitschreiben vom 15. August 1989 ausführt, aber sie hat der Klageforderung auf vollständige Entfernung der Abmahnung - die sie mit dem ursprünglichen Datum teilweise aufrechterhält - noch nicht entsprochen.
Wenn die Beklagte an dem in diesem Abmahnungsschreiben enthaltenen Vorwurf unter Spiegelstrich 1 festhalten will (der Kläger habe ohne Genehmigung der Saalleitung seinen Platz als Tischchef mit dem des Drehcroupiers getauscht), dann kann sie deswegen nur eine hierauf beschränkte Abmahnung aussprechen.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Dr. Koffka Heinz
Fundstellen
Haufe-Index 439772 |
BAGE 67, 311-315 (LT1) |
BAGE, 311 |
BB 1991, 1567 |
BB 1991, 1567 (LT1) |
DB 1991, 1527-1528 (LT1) |
DStR 1991, 1323-1323 (T) |
NJW 1991, 2510-2511 (LT1) |
SteuerBriefe 1992, 100-101 (KT) |
EBE/BAG 1991, 106-108 (LT1) |
AiB 1992, 106-107 (LT1) |
JR 1991, 484 |
JR 1991, 484 (S) |
NZA 1991, 768-769 (LT1) |
RzK, I 1 68 (LT1) |
SAE 1992, 163-165 (LT1) |
ZTR 1991, 434 (LT1) |
AP § 611 BGB Abmahnung (LT1), Nr 5 |
AR-Blattei, Abmahnung Entsch 21 (LT1) |
AR-Blattei, ES 20 Nr 21 (LT1) |
EzA § 611 BGB Abmahnung, Nr 20 (LT1) |
MDR 1991, 974-975 (LT1) |
PersR 1992, 36-37 (LT1) |