Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung. Redakteurin “Stasi-Kontakte”. Redakteurin an Tageszeitung. Vorwurf, nicht näher spezifizierte “Stasi-Kontakte” verschwiegen zu haben. Fragerecht. Tendenzverstoß durch Artikel. Abmahnung. Auflösungsantrag. Polemische Äußerung der Arbeitnehmerin. Meinungsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
- Die Falschbeantwortung einer Frage des Arbeitgebers nach früheren “Stasi-Kontakten” kann eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.
- Das Fragerecht ist allerdings beschränkt durch das betriebliche Interesse und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Damit der Arbeitnehmer die Zulässigkeit der Frage beurteilen kann, muß sie so konkret formuliert sein, daß der Arbeitnehmer zweifelsfrei erkennen kann, wonach gefragt wird.
Orientierungssatz
- Auch die Falschbeantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage nach früherer MfS-Tätigkeit kann eine ordentliche Kündigung verhaltensbedingt rechtfertigen.
- Das Fragerecht ist nicht unbegrenzt. Seine Reichweite ist beschränkt durch das betriebliche Interesse des Arbeitgebers und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.
- Die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Antwort auf eine zulässige Frage schließt die Pflicht ein, “überhaupt” zu antworten.
- Solange der Arbeitgeber keine konkrete Frage stellt, muß sich der Arbeitnehmer nicht über “Stasi-Kontakte” unbestimmter Art “offenbaren”.
- Ein einmaliger, nicht schwerwiegender Verstoß gegen die Tendenzwahrungspflicht kann eine verhaltensbedingte Kündigung gegenüber einer Redakteurin an einer Tageszeitung nicht rechtfertigen.
- Meinungsäußerungen des Arbeitnehmers, auf die sich der Arbeitgeber als Auflösungsgrund nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG beruft, dürfen nicht isoliert bewertet werden. Es kommt auf die näheren Umstände an, unter denen die Äußerung gefallen ist.
Normenkette
GG Art. 5; KSchG §§ 1, 9 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 16. November 2000 – 3 Sa 398/00 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine verhaltensbedingte Kündigung und über einen Auflösungsantrag der Beklagten.
Die 1953 geborene Klägerin trat im Jahre 1973 als Redakteurin in die Dienste der Tageszeitung “D…”, die von der damaligen SED-Bezirksleitung herausgegeben wurde. Seit 1978 arbeitete die Klägerin in der S… Lokalredaktion, deren verantwortliche Redakteurin sie 1985 wurde. Von 1981 bis November 1989 nutzte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Räume der Lokalredaktion für konspirative Zwecke.
Nachdem “D…” im März 1990 von der Beklagten übernommen und in “M O-Z” (MOZ) umbenannt worden war, wurde die Klägerin seit Mitte 1992 nicht mehr als verantwortliche Redakteurin, sondern als Lokalredakteurin mit Zuständigkeit für den Bereich R… beschäftigt. Die Jahresbruttovergütung der Klägerin betrug zuletzt 116.790,00 DM. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien ist die Klägerin “zur Einhaltung der vom Herausgeber vorgegebenen Richtlinien für die grundsätzliche Haltung der Zeitung verpflichtet”. Die “publizistischen Grundsätze” der Beklagten sehen die Befürwortung der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung und der sozialen Marktwirtschaft vor.
An einem 1993 begonnenen Forschungsprojekt mit dem Titel “Staatssicherheitsdienst und Bezirksparteizeitungen” waren die Beklagte als Projektpartnerin und ihr jetziger Prozeßbevollmächtigter, Herr Dr. W…, als Projektkoordinator, beteiligt. Das Ergebnis des Forschungsprojekts wurde 1997 in Buchform veröffentlicht. Im Vorwort heißt es ua., “der Eindruck, daß seitens der Projektpartner, insbesondere vom Projektkoordinator, verlagsintere Personalia zu anderen als zu wissenschaftlich-strukturgeschichtlichen Zwecken benutzt werden würden”, habe sich immer deutlicher ergeben. Es sei die Gefahr vermutet worden, “daß das Forschungsprojekt zur Lösung betriebsinterner Personalprobleme benutzt werden könnte”.
Im Jahre 1996 ließ die Chefredaktion der MOZ gegenüber ihren Redakteuren verlauten, daß im Rahmen einer Forschungsarbeit eventuelle Kontakte zum ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bekannt werden könnten. Mit Ausnahme der Klägerin suchten daraufhin alle Redakteure der Lokalredaktion S… das vertrauliche Gespräch mit dem damaligen Leiter der Lokalredaktion. In den beiden folgenden Jahren wurde – ua. in einem Fernsehbeitrag des ORB – wiederholt der Vorwurf erhoben, es seien noch nicht alle konspirativen Vorgänge in der Lokalredaktion S… aufgeklärt.
Am 5. Oktober 1999 erschien in der MOZ ein von der Klägerin geschriebener Artikel mit der Überschrift “Biografien zu verbiegen verstärkt die Kluft – Urania-Frühschoppen zum Thema ostdeutsche Wirtschaftsentwicklung”. Darin sind Äußerungen von Teilnehmern des Frühschoppens wiedergegeben, die den “Ostaufbau” kritisieren, zB als “Bereicherungsprogramm für Westdeutsche”.
Am 5. November 1999 fand ein Gespräch zwischen dem Chefredakteur und der Klägerin statt, an dem auch Herr Dr. W… teilnahm. Die Beklagte machte in dem Gespräch ihren Wunsch deutlich, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Die Klägerin erbat sich Bedenkzeit bis zum 9. November. Bis zu diesem Tag wurde die Klägerin beurlaubt. Der Chefredakteur erklärte, er – und nicht die Klägerin – werde ihren Vorgesetzten Rietz über die Beurlaubung unterrichten. Ob, wie die Beklagte behauptet, außerdem Stillschweigen über den Gesprächsinhalt vereinbart wurde, ist streitig. Im Anschluß an das Gespräch rief die Klägerin den Mitarbeiter Wa… an. Ob sie ihm lediglich mitteilte, sie sei bis zum 9. November freigestellt (so die Klägerin) oder ob sie darüber hinausgehende Angaben über den Inhalt des Gesprächs machte (so die Beklagte), ist ebenfalls streitig.
Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte durch Schreiben vom 15. Dezember 1999 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 30. September 2000 und berief sich darauf, die Klägerin habe die Beklagte nicht über ihre Stasi-Kontakte informiert. Eine Recherche habe ergeben, daß die Redaktionsräume als konspirative Wohnung genutzt worden seien. Ferner habe die Klägerin die über das Gespräch vom 5. November vereinbarte Vertraulichkeit gebrochen und mit ihrem Artikel vom 5. Oktober die publizistischen Grundsätze der Beklagten verletzt.
Mit der am 21. Dezember 1999 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und mangels ausreichender Unterrichtung des Betriebsrats unwirksam. Die Beklagte habe von der konspirativen Nutzung der Redaktionsräume schon Mitte 1996 erfahren. Unter den Redakteuren des “…” seien die konspirativen Aktivitäten ein offenes Geheimnis gewesen (“Wenn nachts in der Redaktion Licht brennt … dann tagt dort Horch und Guck”). Konkrete Vorwürfe bezüglich einer Stasi-Mitarbeit habe die Beklagte nie erhoben. Deshalb habe sie, die Klägerin, hierzu auch nicht Stellung genommen. Über das Gespräch vom 5. November 1999 sei Vertraulichkeit nicht vereinbart, sondern von der Beklagten einseitig angeordnet worden. Dieser Anordnung habe die Klägerin nicht zuwidergehandelt. Sie habe Herrn Wa… lediglich aus arbeitstechnischen Gründen und allein über die Tatsache und die Dauer ihrer Beurlaubung unterrichtet. In dem von der Beklagten beanstandeten Artikel habe sie Meinungsäußerungen zitiert, und dies korrekt. Außerdem könne eine Kündigung auf einen Tendenzverstoß nur nach erfolgloser Abmahnung gestützt werden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 15. Dezember 1999 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten und im Berufungsverfahren hilfsweise beantragt,
das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gem. § 9 Abs. 1 KSchG aufzulösen und sie zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört. Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Es sei für die publizistische Glaubwürdigkeit der MOZ von großer Bedeutung, nicht mit ihrer Rechtsvorgängerin identifiziert zu werden. Das Vertrauen in die Tendenztreue der Klägerin sei zerstört: Die Klägerin sei der berechtigten Aufforderung, sich zu offenbaren, nicht nachgekommen. Sie habe dem Mitarbeiter Wagner am 5. November 1999 gesagt, ihr solle wegen “Stasi-Vorwürfen” gekündigt werden, was nicht nur den Bruch einer kurz zuvor getroffenen Vereinbarung und eine Verletzung der im Pressekodex niedergelegten Vertraulichkeit bedeute, sondern auch in der Sache falsch sei, da die Kündigung nicht auf “Stasi-Vorwürfe”, sondern auf das Schweigen der Klägerin gestützt werde. Deshalb könne die Wirksamkeit der Kündigung auch nicht an der angeblich fehlenden Konkretisierung der “Stasi-Kontakte” scheitern. Außerdem habe die Klägerin distanzlose, unkritische Berichte veröffentlicht wie den vom 5. Oktober 1999, der im deutlichen Gegensatz zur publizistischen Tendenz der Beklagten stehe. Zur Begründung ihres Auflösungsantrages hat die Beklagte der Klägerin “durchgängige Ignoranz” im Prozeß vorgeworfen. Schon vorgerichtlich im November 1999 habe die Klägerin öffentlich in S… behauptet, die Beklagte “wühle jetzt bei Gauck rum”.
Die Klägerin hat um Abweisung des Auflösungsantrags gebeten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, nach dem Klageantrag erkannt und den Auflösungsantrag abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und hilfsweise Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung vom 15. Dezember 1999 hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann, Röder, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 884266 |
BAGE 2003, 341 |
BB 2003, 316 |
DB 2003, 396 |
BuW 2003, 173 |
ARST 2002, 262 |
ARST 2003, 212 |
FA 2002, 253 |
NZA 2003, 265 |
SAE 2003, 179 |
AP, 0 |
DSB 2003, 15 |
EzA-SD 2002, 4 |
EzA-SD 2003, 14 |
EzA |
MDR 2003, 337 |
NJ 2003, 221 |
AUR 2002, 270 |
AUR 2003, 37 |
ArbRB 2003, 102 |
BAGReport 2003, 128 |
SPA 2002, 5 |
SPA 2003, 3 |