Entscheidungsstichwort (Thema)
Unkenntnis einer tariflichen Ausschlußfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Frage, ob ein Unternehmen in den fachlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für Angestellte im Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 1977 fällt, ist danach zu unterscheiden, ob der Handel mit Produktions- oder Konsumgütern betrieben wird. Wer Fertigwaren oder Maschinen für die Produktion an Endabnehmer liefert, betreibt einen Großhandel im Sinne des § 1 des Manteltarifvertrages.
2. Nach § 11 des Manteltarifvertrages verfällt ein Anspruch mit Ablauf der Ausschlußfrist auch dann, wenn der Gläubiger die tarifliche Verfallklausel nicht kannte und er hierüber auch von seinen Prozeßbevollmächtigten nicht aufgeklärt worden ist (im Anschluß an BAG Urteil vom 16. November 1965 Ausschlußfristen sowie BAG Urteil vom 8. März 1976 5 AZR 361/75 = AP Nr 4 zu § 496 ZPO).
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.03.1982; Aktenzeichen 10 Sa 614/81) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.03.1981; Aktenzeichen 7 Ca 5496/80) |
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 1. März 1974 bei der Beklagten als Baumaschinenverkäufer und seit dem 1. Januar 1979 als Verkaufsleiter beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 3.500,-- DM. Außerdem erhielt er Spesen und Provisionen. Diese sind Gegenstand der Auseinandersetzungen in dem vorliegenden Rechtsstreit.
Die Beklagte, die etwa 50 Arbeitnehmer beschäftigt, vertreibt Baumaschinen. Bei ihren Kunden handelt es sich vornehmlich um Endabnehmer, gelegentlich auch um Wiederverkäufer und ausländische Unternehmen. Sie wird bei der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf als Großhandelsunternehmen geführt und gehört der Berufsgenossenschaft des Großhandels und der Lagerei an. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden verlangt von ihr statistische Angaben nach der Sparte Großhandel.
In § 5 des ursprünglichen Einstellungsvertrags war unter anderem bestimmt, daß der Kläger Urlaub und Urlaubsgeld sowie Beiträge zur Vermögensbildung "laut Tarif" erhalte.
Zwischen den Parteien kam es zu Meinungsverschiedenheiten über die Provisionen, Spesen und Auslagen des Klägers. Der Kläger beabsichtigte, bei der Beklagten auszuscheiden, schloß aber am 8. August 1978 mit einem Gesellschafter der Beklagten an dessen Urlaubsort einen sogenannten Vorvertrag. Eingangs der Vertragsurkunde heißt es:
"Zwischen Herrn A und der Firma K wird
folgender Vorvertrag geschlossen, der sofort
in Düsseldorf in Vertragsform gebracht wird."
Mit Schreiben vom 25. August 1978 legte die Beklagte dem Kläger den in Aussicht genommenen Vertragsentwurf vor. Der Kläger lehnte die Unterzeichnung mit der Begründung ab, der Entwurf weiche in wesentlichen Punkten von dem Vorvertrag ab.
In der Folgezeit kam es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis und warf dem Kläger vor, er habe versucht, Mitarbeiter zur Gründung eines Konkurrenzunternehmens abzuwerben, er habe den Arbeitsfrieden nachhaltig gestört und außerdem nicht angefallene Spesen abgerechnet. Darauf erhob der Kläger am 13. August 1979 Kündigungsschutzklage. Der Rechtsstreit endete mit einem am 19. Mai 1980 vor dem Landesarbeitsgericht geschlossenen Vergleich, der folgenden Wortlaut hat:
"I. Die Parteien sind sich darüber einig, daß das
zwischen ihnen bestandene Arbeitsverhältnis am
31.07.1979 endet.
II. Die Beklagte zahlt an den Kläger eine Abfindung
im Sinne der §§ 9, 10 KSchG von 10.000,-- DM
brutto = netto.
III. Durch diesen Vergleich werden Provisionsansprüche
des Klägers nicht erfaßt, wobei Einigkeit herrscht,
daß über die Rechtsgrundlage dieser Ansprüche Streit
besteht."
Die Zahlungsansprüche, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind, hatte der Kläger mit Schreiben vom 4. September 1979 geltend gemacht. Die Beklagte lehnte die Forderungen mit Schreiben vom 24. September 1979 ab. Mit Anwaltsschreiben vom 14. Oktober 1980 spezifizierte der Kläger seine Ansprüche und bezifferte seine Forderungen auf insgesamt 161.573,76 DM. Nach erneuter Ablehnung der Beklagten erhob der Kläger mit Eingang vom 17. Dezember 1980 die Klage des vorliegenden Rechtsstreits. Er stützt seine Ansprüche auf den sogenannten Vorvertrag, der in Wahrheit die gegenseitigen Rechte und Pflichten bereits endgültig regele und nur wegen der seinerzeit fehlenden Firmenbögen als Vorvertrag bezeichnet worden sei. Die Beklagte beruft sich in erster Linie auf § 11 des Manteltarifvertrages für Angestellte im Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 1977. Sie hält den Anspruch für verfallen, aber auch für sachlich unberechtigt.
Der Kläger hat vorgetragen: Der Manteltarifvertrag sei nicht anwendbar. Seine Geltung sei nicht vereinbart. Die Beklagte betreibe auch keinen Großhandel. Zudem sei er leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG und daher ausdrücklich von dem Geltungsbereich des Tarifvertrages ausgenommen. Schließlich verstoße die Berufung der Beklagten auf die Ausschlußfrist des Manteltarifvertrages gegen Treu und Glauben; er habe während seiner sechsjährigen Tätigkeit für die Beklagte nicht einmal von der Existenz eines solchen Tarifvertrages gehört. Im übrigen gelte der "Vorvertrag" vom 8. August 1978. Danach stünden ihm die im einzelnen angeführten Positionen für Provisionen, Telefongebühren und Spesen zu.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 161.573,76 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 29. Dezember 1980 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und geltend gemacht, der Manteltarifvertrag erfasse, weil er allgemeinverbindlich sei, auch das Arbeitsverhältnis des Klägers. Sie sei ein Unternehmen des Groß- und Außenhandels. Der Kläger sei nicht leitender Angestellter gewesen, sondern angestellter Vertreter. Dem Kläger stehe aber auch keine Forderung mehr zu. Seine Ansprüche seien ausschließlich nach dem ursprünglichen Anstellungsvertrag zu beurteilen, da der endgültige Vertrag im Anschluß an den Vorvertrag vom 8. August 1978 nicht zustande gekommen sei. Sämtliche rückständigen Forderungen des Klägers, die sich rechnerisch richtig auf 19.995,46 DM beliefen, seien durch Zahlungen in Höhe von 5.000,-- DM und weiteren 25.000,-- DM getilgt. Zudem stehe der gerichtliche Vergleich vom 19. Mai 1980 der Geltendmachung jeden weiteren Anspruchs entgegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr durch das angefochtene Teil-Urteil in Höhe eines Betrages von 19.995,46 DM abzüglich gezahlter 5.000,-- DM stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage in dem vom Landesarbeitsgericht entschiedenen Umfang.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zahlung des vom Berufungsgericht zuerkannten Teilbetrages verlangen.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Ansprüche des Klägers seien nicht verfallen. Zwar sei der Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Die nach diesem Tarifvertrag geltende Ausschlußfrist habe jedoch nicht zu laufen begonnen, da der Kläger ohne jedes Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist zu wahren. Seine Unkenntnis könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Beide Parteien seien nicht Mitglieder der Tarifvertragsparteien gewesen und die Geltung des Tarifvertrags sei auch nicht vereinbart worden. Die Allgemeinverbindlicherklärung sei den Parteien ursprünglich nicht bekannt gewesen. Erst im Laufe des Rechtsstreits habe die Beklagte dargelegt, daß der Großhandelstarif fachlich für sie gelte. Deswegen habe der Kläger keine Möglichkeit gehabt, sich zu informieren. Auch seine Rechtsanwälte hätten ihn nicht unterrichtet. Schließlich sei der Kläger zwar kein leitender, aber außertariflicher Angestellter gewesen und auf Arbeitnehmer in solchen Positionen seien Tarifverträge im allgemeinen nicht zugeschnitten. Diese Begründung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
2. Soweit dem Kläger noch Ansprüche auf Provisionen, Spesen und Auslagen zustehen, sind diese nach § 11 des genannten Manteltarifvertrages verfallen.
a) Der Manteltarifvertrag für die Angestellten im Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 1977 findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Er gilt gemäß § 1 Nr. 2 a
"für alle Groß- und Außenhandelsunternehmen
einschließlich der Hilfs- und Nebenbetriebe
und für die von ihnen beschäftigten Ange-
stellten, auch bei einer Tätigkeit außerhalb
des örtlichen Geltungsbereichs."
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Beklagte ein Unternehmen des Großhandels im Tarifsinne betreibt und nicht, wie der Kläger vorträgt, ein Unternehmen des Einzelhandels. Welche Unternehmen dem "Groß- und Außenhandel" zuzurechnen sind, wird im Tarifvertrag selbst nicht geregelt. Es ist daher davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff nicht in einem Sinne gebraucht haben, der vom allgemeinen Sprachgebrauch und dem der beteiligten Kreise abweicht. Ob die Beklagte als Außenhandelsunternehmen gelten kann, erscheint zweifelhaft, da sich die Beklagte nur in seltenen Fällen mit dem Export von Baumaschinen befaßt hat. Die Beklagte ist jedoch ein Großhandelsunternehmen. Nach allgemeiner Anschauung unterscheidet man im Binnengroßhandel "Produktionswaren-Großhandlungen" und "Konsumwaren-Großhandlungen". Der Produktionswaren-Großhandel versorgt Produktionsbetriebe aller Wirtschaftszweige mit technischen Grund- und Hilfsstoffen, mit Halb- und Teilfabrikaten, aber auch mit Maschinen und sonstigen Fertigwaren für die Produktion. In diese Kategorie gehört die Beklagte. Sie beliefert ausschließlich gewerbliche Abnehmer mit Maschinen für die Herstellung von Bauwerken im Hoch- und Tiefbau. Die vom Kläger für erforderlich gehaltene Belieferung von Wiederverkäufern ist dagegen nur für die zweite Gruppe von Großhandelsunternehmen im Binnenhandel kennzeichnend, nämlich für den Konsumwaren-Großhandel (vgl. zum ganzen näher Gablers Wirtschaftslexikon, 9. Aufl., Stichwort "Binnengroßhandel"). Hiernach kommt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, ob die Beklagte eine Handelsvertretung für die Produkte bestimmter Hersteller betreibt und ob sie im wesentlichen nur Endabnehmer beliefert. Im übrigen hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß die Beklagte sich nicht nur selbst als Großhandelsunternehmen betrachtet, sondern auch von den beteiligten Wirtschaftskreisen sowie von der zuständigen Industrie- und Handelskammer, der für sie maßgeblichen Berufsgenossenschaft und dem Statistischen Bundesamt als solches angesehen wird.
Der Kläger unterfiel als Angestellter der Beklagten dem persönlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages. Er war nicht gemäß § 1 Nr. 2 Buchst. c MTV von der Geltung ausgenommen. Denn er war weder durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Beklagten berufen noch war er leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 BetrVG. Leitende und unternehmerische Funktionen standen ihm nicht zu.
b) Der Manteltarifvertrag ist durch Bekanntmachung des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales von Nordrhein-Westfalen vom 7. Juli 1977 mit Wirkung vom 1. Januar 1977 für allgemeinverbindlich erklärt worden (BAnz Nr. 144 vom 5. August 1977 S. 8). Es ist daher für die Geltung des Tarifvertrages ohne Bedeutung, daß die Parteien die Anwendung nicht vertraglich vereinbart haben (§ 5 Abs. 4 TVG).
c) Die Ansprüche des Klägers sind nach § 11 MTV verfallen. Die Vorschrift lautet auszugsweise wie folgt:
"1. Das Gehalt ist am Schluß des Kalender-
monats, Provisionen, Vergütungen und
Abgeltungen für Mehr-, Nacht-, Schicht-,
Sonn- und Feiertagsarbeit sind spätestens
am Schluß des folgenden Monats fällig.
Für Provisionen kann ein anderer Fällig-
keitszeitpunkt vereinbart werden.
2. Der Anspruch auf vorgenannte Vergütungen
sowie alle sonstigen Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis sind binnen drei Monaten
nach Fälligkeit dem anderen Vertragspartner
gegenüber schriftlich geltend zu machen.
Spätestens innerhalb eines weiteren Monats
nach Ablauf dieser Frist ist Klage zu er-
heben...
3. ...
4. Eine Geltendmachung von Ansprüchen nach
Ablauf der in Nr. 2 bis Nr. 3 genannten
Fristen ist ausgeschlossen; das gleiche
gilt bei Nichterfüllung der dort genannten
Voraussetzungen.
5. ..."
Gemäß § 11 Nr. 2 MTV beginnt die Ausschlußfrist mit der Fälligkeit des Anspruchs. Wann die einzelnen in dem Aufforderungsschreiben des Klägers vom 14. Oktober 1980 aufgeführten Forderungen fällig geworden sind, hat das Berufungsgericht nicht geprüft. Die Parteien sind aber übereinstimmend davon ausgegangen, daß sämtliche Ansprüche spätestens bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Juli 1979 fällig waren. Die Beklagte hat diese Ansprüche zwar abgelehnt, aber nie die Fälligkeit bestritten. Gleichwohl könnte zweifelhaft sein, ob die Ausschlußfrist bereits am 1. August 1979 zu laufen begonnen hat. Die Parteien haben anschließend noch weiter über die Provisionen, Spesen und Auslagen verhandelt. Die Beklagte hat einen Teil der Forderungen des Klägers als rechnerisch richtig bezeichnet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts läßt sich daher nicht eindeutig ausschließen, daß der Kläger zunächst noch davon ausgehen durfte, die Beklagte werde seine Forderungen nicht wegen des Zeitablaufs ablehnen, sondern erfüllen, soweit sie sie als berechtigt anerkenne. Zu einer solchen Annahme hatte der Kläger jedoch keinen Anlaß mehr, nachdem die Parteien am 19. Mai 1980 im Kündigungsschutzprozeß einen Vergleich geschlossen hatten, in dem ausdrücklich klargestellt wurde, daß eine Einigung über die Provisionen nicht erzielt worden sei. Nunmehr konnte es für den Kläger keinem vernünftigen Zweifel mehr unterliegen, daß die Beklagte diese Forderungen nebst Nebenforderungen wie Spesen und Auslagenerstattung nicht freiwillig erfüllen werde. Der Kläger war daher - spätestens - jetzt gehalten, seine Rechte in der Form und Frist des § 11 Nr. 2 MTV geltend zu machen. Seine am 17. Dezember 1980 eingegangene Klage genügt diesen Anforderungen nicht mehr; denn bei Eingang der Klage war die zweistufige Ausschlußfrist von insgesamt 4 Monaten bereits abgelaufen.
3. Die Ansicht des Klägers, schon mit der im August 1979 erhobenen Kündigungsschutzklage seien die Zahlungsansprüche im Sinne des § 11 MTV geltend gemacht, trifft nicht zu. Diese Klage richtete sich als reine Feststellungsklage ausschließlich gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses; mit ihr wurden keinerlei Zahlungsansprüche verfolgt, nicht einmal die laufenden Gehaltsansprüche. Die damalige Kündigungsschutzklage ist auch nicht mit einer Feststellungsklage zu vergleichen, die - mit dem Ziel einer teilweisen Vorabklärung - eine Vorfrage der später geltend gemachten Zahlungsansprüche zum Gegenstand hat (vgl. dazu Urteil des Senats vom 1. März 1979 - 3 AZR 472/77 - AP Nr. 66 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Die Frage,ob bereits die Kündigungsschutzklage die tarifliche Ausschlußfrist wahrt, könnte anders zu beantworten sein, wenn es um Ansprüche ginge, die vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhingen und deren Verfall nach der maßgeblichen Tarifvorschrift bereits durch bloße schriftliche oder formlose Geltendmachung vermieden werden kann (vgl. BAG Urteil vom 26. März 1977 - 5 AZR 51/76 - AP Nr. 59 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Im vorliegenden Rechtsstreit genügte nach § 11 Nr. 2 MTV zur Wahrung der Ausschlußfrist weder die bloße schriftliche Geltendmachung, noch handelte es sich um Ansprüche, die vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängig waren. Die Ansprüche des Klägers auf Spesen und Auslagenerstattung sowie auf Zahlung der Provisionen waren, einmal entstanden, von dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses unabhängig. Bestimmt aber eine tarifliche Ausschlußklausel, daß Ansprüche nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden müssen, so genügt dem grundsätzlich nur die fristgerechte Zahlungsklage; die Kündigungsschutzklage wahrt die Ausschlußfrist auch dann nicht, wenn die Ansprüche vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängen (BAG 30, 135 = AP Nr. 63 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
4. Unzutreffend ist ferner die vom Berufungsgericht gebilligte Auffassung des Klägers, die Ausschlußklausel greife nicht ein, weil er ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist zu wahren. Dabei mag dem Berufungsgericht im rechtlichen Ausgangspunkt zu folgen sein, daß ein Anspruch nicht verfällt, wenn der Gläubiger ohne jedes Verschulden nicht in der Lage war, eine tarifliche Ausschlußfrist zu wahren (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II, 7. Aufl., § 32 III 5 d, S. 637). Das Berufungsgericht hat aber keine Gründe festgestellt, die den Kläger daran gehindert hätten, rechtzeitig Klage zu erheben. Daß beide Parteien keine Kenntnis von der Verfallklausel hatten, ist unerheblich. Tarifliche Ausschlußfristen laufen ohne Rücksicht auf die Kenntnis der Arbeitsvertragsparteien (st. Rechtspr. des BAG, vgl. Urteil vom 16. November 1965 - 1 AZR 160/65 - AP Nr. 30 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Es wäre daher Sache des Klägers gewesen, sich rechtzeitig und zutreffend über seine Rechte und Pflichten aus seinem Arbeitsverhältnis zu informieren. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe hierzu keine Möglichkeit gehabt, geht fehl. Ebensowenig ist einsichtig, daß der Kläger wegen seiner Stellung als gutverdienender Vertreter im Außendienst davon ausgehen durfte, tarifliche Vorschriften kämen für ihn nicht in Betracht. Im Gegenteil enthielt sein ursprünglicher Arbeitsvertrag in § 5 Hinweise darauf, daß auch für ihn tarifliche Ansprüche in Frage kamen. Schließlich wird der Kläger nicht dadurch entlastet, daß er möglicherweise durch seinen früheren Prozeßbevollmächtigten nicht vollständig aufgeklärt worden ist. Ein eventuelles Versäumnis eines Rechtsberaters müßte sich der Kläger zurechnen lassen. Es liegt insbesondere kein Fall höherer Gewalt vor, wenn der Gläubiger die Ausschlußfristen nicht eingehalten hat, weil sein Rechtsanwalt übersehen hat, daß für das Arbeitsverhältnis ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag galt, oder weil er die Ausschlußklausel nicht kannte (BAG, Urteil vom 8. März 1976 - 5 AZR 361/75 - AP Nr. 4 zu § 496 ZPO, zu 4 c der Gründe; BAG, Urteil vom 6. Juli 1972 - 5 AZR 100/72 - AP Nr. 1 zu § 8 TVG 1969, zu 3 der Gründe).
5. Soweit das Berufungsgericht hilfsweise ausgeführt hat, die Anwendung der tariflichen Verfallklausel widerspreche Treu und Glauben, kann ihm der Senat ebenfalls nicht folgen. Zwar kann die Berufung einer Partei auf eine Ausschlußfrist ausnahmsweise rechtsmißbräuchlich sein. Es muß sich jedoch um krasse Fälle handeln, sei es, daß der Anspruchsberechtigte aufgrund bestimmter Tatsachen darauf vertrauen konnte, der Schuldner werde ohne Rücksicht auf den Fristablauf zahlen, oder daß der Schuldner den Gläubiger sonst von der fristgerechten Geltendmachung abgehalten hat (vgl. BAG 14, 140, 145 ff. = AP Nr. 9 zu § 59 BetrVG, zu II der Gründe; 24, 84, 89 f. = AP Nr. 2 zu § 6 LohnFG, zu 2 der Gründe; BAG, Urteil vom 3. Dezember 1970 - 5 AZR 208/70 - AP Nr. 46 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Für eine solche Annahme bietet der festgestellte Sachverhalt keinen Anhaltspunkt.
Dr. Gehring Schaub Griebeling
Zieglwalner Zilius
Fundstellen
Haufe-Index 438417 |
DB 1984, 55-55 (LT1-2) |
AP § 1 TVG Auslegung (LT1-2), Nr 131 |
AR-Blattei, Ausschlußfristen Entsch 106 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 350 Nr 106 (LT1-2) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 56 (LT1-2) |