Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuweisung unterwertiger Tätigkeit. Auslegung § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 Deutsche Post. vorübergehende Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeit
Orientierungssatz
§ 13 Abs. 3 TV Nr. 444 Deutsche Post ist dahingehend auszulegen, dass diese Norm den Arbeitgeber nur für die Dauer von längstens neun Monaten berechtigt, Arbeitnehmern eine unterwertige Beschäftigung zuzuweisen. Danach hat der Arbeitgeber eine endgültige Entscheidung über die Beschäftigung des Arbeitnehmers zu treffen und ihm entweder einen gleichwertigen und zumutbaren Arbeitsplatz zuzuweisen oder – falls der Arbeitnehmer ein Angebot des Arbeitgebers nach § 6 Abs. 1 TV Nr. 444 Deutsche Post nicht annimmt – eine (Änderungs-) Kündigung auszusprechen.
Normenkette
Tarifverträge Deutsche Post Nr. 444 §§ 3-5, 6 Abs. 1, § 13 Abs. 3; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zuweisung einer unterwertigen Tätigkeit anlässlich einer Rationalisierungsmaßnahme.
Der Kläger ist seit 1972 als Elektriker bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den für die Beklagte geltenden Tarifverträgen. Der Kläger wird nach Entgeltgruppe 4 vergütet. Er wurde bis zum 31. Dezember 2001 in der Serviceniederlassung Immobilien S…, Außenstelle B…, beschäftigt, die zum 1. Januar 2002 aufgelöst wurde. Die Beklagte ordnete ihn ab 1. Januar 2002 der Niederlassung Produktion Briefzentrum zu und beschäftigte ihn zunächst mit unterschiedlichen Aufgaben, seit 18. September 2002 mit einer Tätigkeit als Sortierer. Diese entspricht den Entgeltgruppen 1, 2. Der Kläger erhält jedoch weiterhin Vergütung nach Entgeltgruppe 4.
Der Tarifvertrag Nr. 444 enthält für den rationalisierungsbedingten Wegfall eines Arbeitsplatzes (§§ 1 und 2 TV Nr. 444) folgende Regelung:
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Gleichwertige und zumutbare Weiterbeschäftigung
Die Deutsche Post AG ist verpflichtet, dem unter § 1 und § 2 fallenden Arbeiter einen anderen gleichwertigen und zumutbaren Arbeitsplatz anzubieten.
§ 4
Gleichwertigkeit des Arbeitsplatzes
Eine Gleichwertigkeit des Arbeitsplatzes ist immer dann gegeben, wenn der Arbeiter in der bisherigen Entgeltgruppe mit der bisherigen arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit (WAZ) eingesetzt werden kann.
§ 5
Zumutbarkeit des Arbeitsplatzes
(1) Die Deutsche Post AG wird dem unter § 1 und § 2 fallenden Arbeiter nur Arbeitsplätze anbieten, die in funktionaler, zeitlicher, räumlicher, gesundheitlicher und sozialer Hinsicht zumutbar sind.
(2) Die funktionelle Zumutbarkeit ist gegeben, wenn die Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes der Qualifikation (Ausbildung, Erfahrung, bisherige Tätigkeit) des Arbeiters entsprechen oder die erforderliche Qualifikation durch eine sachgerechte und zumutbare Fortbildung/Umschulung erworben werden kann.
…
§ 6
Unterwertige zumutbare Weiterbeschäftigung
(1) Soweit unter Ausnutzung der vorstehenden Regelungen ausnahmsweise und im Einzelfall das Angebot eines gleichwertigen und zumutbaren Arbeitsplatzes nicht sogleich möglich ist, ist die Deutsche Post AG verpflichtet, dem betroffenen Arbeiter einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz mit geringerem Entgelt anzubieten. Davon betroffene Arbeiter haben einen vorrangigen Anspruch auf unverzügliche Wiederverwendung auf einem Arbeitsplatz mit gleichwertigen Bedingungen. Ein Arbeitsplatz mit geringerem Entgelt ist ein Arbeitsplatz, der gemäß § 4 nicht gleichwertig ist.
(2) Für die Zumutbarkeit gelten die Regelungen gem. § 5.
…
§ 13
Bestandsschutz
…
(3) Bis zum Zustandekommen eines gültigen Sozialplans, längstens jedoch für die Dauer von 9 Monaten nach Eintritt der Rationalisierungsmaßnahme, werden von der Deutschen Post AG aufgrund von Maßnahmen i.S.v. § 1 lediglich vorläufige personalrechtliche Maßnahmen vorgenommen. Hierbei handelt es sich um befristete Umsetzungen und Abordnungen. Während dieses Zeitraumes bleibt bei einer solchen Maßnahme, die eine Minderung des bisherigen monatlichen Einkommens bewirkt, dessen Höhe gesichert.”
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, über die Dauer von neun Monaten hinaus dürfe die Beklagte ihm keine unterwertige Tätigkeit zuweisen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass er gemäß § 13 TV Nr. 444 nicht verpflichtet ist, länger als neun Monate, also über den 30. September 2002 hinaus, Arbeiten unterhalb seiner tariflichen Eingruppierung Entgeltgruppe 4 auszuüben.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.
I. Die Klage ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO besondere Feststellungsinteresse ist Sachurteilsvoraussetzung und deshalb in jeder Lage des Verfahrens – auch in der Revisionsinstanz – von Amts wegen zu prüfen (BAG 26. September 2002 – 6 AZR 523/00 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 73 = EzA ZPO § 256 Nr. 67, zu I 2 der Gründe; 6. Mai 2003 – 1 AZR 340/02 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 80, zu 1 der Gründe, jeweils mwN). Wird ein zunächst gegenwärtiges Rechtsverhältnis durch Zeitablauf oder durch den Eintritt eines sonstigen Ereignisses (zB Beendigung des Arbeitsverhältnisses) während des Rechtsstreits zu einem vergangenen, bleibt eine Feststellungsklage nur zulässig, wenn sich aus der begehrten Feststellung noch Rechtswirkungen für die Zukunft ergeben können (BAG 21. September 1993 – 9 AZR 580/90 – BAGE 74, 201, 203; 23. April 1997 – 5 AZR 727/95 – BAGE 85, 347, 349 f.; 26. September 2002 – 6 AZR 523/00 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 73 = EzA ZPO § 256 Nr. 67, zu I 2 der Gründe). Das besondere Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO besteht, wenn zwischen den Parteien Streit über Art und Umfang eines Anspruchs besteht, wenn die Beklagte Rechten des Klägers zuwider handelt oder sie ernstlich bestreitet. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Partei eines Rechts gegen die andere berühmt. Zwischen den Parteien muss ein konkreter Streit bestehen (GK-ArbGG/Schütz Stand Dezember 2004 § 46 Rn. 163; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 46 Rn. 55; Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 256 Rn. 7). Dies ist vorliegend gegeben. In ihrem Schreiben vom 25. August 2003 teilt die Beklagte ausdrücklich mit, dass sie an ihrer bisherigen Rechtsposition festhält. Insoweit ergibt sich auch aus ihrem Schreiben vom 17. Dezember 2003 nichts Gegenteiliges. Entscheidend ist, dass die Beklagte ihren gesamten bisherigen Prozessvortrag zur Auslegung von § 13 TV Nr. 444 aufrecht erhält. Der Kläger muss daher – auch wenn die Beklagte die mit Schreiben vom 25. August 2003 getroffene Maßnahme tatsächlich nicht durchgeführt hat – nach wie vor befürchten, wegen seines bereits zum 1. Januar 2002 in Wegfall geratenen Arbeitsplatzes für die Dauer von inzwischen deutlich mehr als neun Monaten unterhalb seiner tariflichen Eingruppierung beschäftigt zu werden.
II. Die Klage ist begründet. Der Kläger ist gemäß § 13 TV Nr. 444 nicht verpflichtet, länger als neun Monate, über den 30. September 2002 hinaus, Arbeiten unterhalb seiner tariflichen Eingruppierung in Entgeltgruppe 4 auszuüben.
1. Das Landesarbeitsgericht hat es dahin stehen lassen, ob § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 im Sinne des Klägers oder im Sinne der Beklagten auszulegen ist. Im erstgenannten Fall sei die Klage begründet, weil der Kläger über den Zeitraum von neun Monaten hinaus unterwertig beschäftigt werde. Bei Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten sei die Klage begründet, weil § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 dann gegen höherrangiges Recht verstoße. Das geltende Arbeitsvertragsrecht gewährleiste nicht nur einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, sondern auch ein Recht auf vertragsgemäße Beschäftigung. Die Beklagte beschäftige den Kläger jedoch auf einem unterwertigen Arbeitsplatz. Diese Ausführungen halten im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
2. Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 22. Oktober 2002 – 3 AZR 664/01 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185, zu II 1a der Gründe). Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (st. Rspr. des BAG, vgl. 28. Mai 1998 – 6 AZR 349/96 – AP BGB § 611 Bühnenengagementvertrag Nr. 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5, zu II 2a der Gründe; 26. April 2001 – 6 AZR 2/00 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 37, zu 1a der Gründe; 29. August 2001 – 4 AZR 337/00 – BAGE 99, 24, 28; 22. Oktober 2002 – 3 AZR 664/01 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 185, zu II 1a der Gründe). Lässt eine Tarifnorm mehrere Auslegungen zu, von denen die eine zu einem gesetzeswidrigen, die andere zu einem gesetzesgemäßen Ergebnis führt, ist die Tarifnorm so anzuwenden, dass sie zu einem gesetzesgemäßen Ergebnis führt. Dies gilt nicht nur für eine Kollision der Tarifnorm mit Verfassungsrecht (dazu: BAG 21. Januar 1987 – 4 AZR 547/86 – BAGE 54, 113), sondern auch für eine solche mit einfachem Gesetzesrecht (ErfK/Schaub 5. Aufl. § 1 TVG Rn. 20; Wank in Wiedemann TVG 6. Aufl. § 1 Rn. 802). Die Tarifvertragsparteien wollen im Zweifel Regelungen treffen, die mit zwingendem höherrangigen Recht in Einklang stehen und damit auch Bestand haben (BAG 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – BAGE 73, 364, 369).
a) Die am Wortlaut orientierte Auslegung führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Der Wortlaut von § 13 TV Nr. 444 enthält keine ausdrückliche Regelung dazu, welche Rechtsfolge eintreten soll, wenn der Arbeitnehmer nach dem rationalisierungsbedingten Wegfall seines Arbeitsplatzes bereits neun Monate auf Grund einer vorläufigen personalrechtlichen Maßnahme beschäftigt wurde. Geregelt ist, dass für die Dauer von längstens neun Monaten lediglich vorläufige Maßnahmen getroffen werden sollen, endgültige Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt daher ausgeschlossen sind. Mit dem Wortlaut der Norm ist sowohl die Auffassung der Beklagten vereinbar, dass sie nach Ablauf von neun Monaten berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, eine endgültige Maßnahme vorzunehmen, als auch die Auffassung des Klägers, dass die vorläufige Maßnahme längstens für Monate angeordnet werden darf mit der Folge, dass danach eine endgültige Entscheidung zu treffen ist.
b) Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 dahin zu verstehen ist, dass diese Norm die Beklagte nur für die Dauer von längstens neun Monaten berechtigt, Arbeitnehmern eine unterwertige Beschäftigung zuzuweisen. Danach hat die Beklagte eine endgültige Entscheidung über die Beschäftigung des Arbeitnehmers zu treffen und ihm entweder einen gleichwertigen und zumutbaren Arbeitsplatz zuzuweisen oder – falls der Arbeitnehmer ein Angebot des Arbeitgebers nach § 6 Abs. 1 TV Nr. 444 nicht annimmt – eine (Änderungs-) Kündigung auszusprechen.
aa) Dies zeigt der systematische Zusammenhang zwischen § 6 Abs. 1 und § 13 Abs. 3 TV Nr. 444. Nach § 6 Abs. 1 TV Nr. 444 ist, soweit das Angebot eines gleichwertigen und zumutbaren Arbeitsplatzes nicht sogleich möglich ist, dem Arbeitnehmer ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz mit geringerem Entgelt anzubieten. Dieses Angebot führt nur dann zu einer entsprechenden Änderung des Arbeitsvertrages, wenn der Arbeitnehmer dieses annimmt oder der Arbeitgeber eine nach § 2 KSchG sozial gerechtfertigte Änderungskündigung ausspricht. § 6 Abs. 1 TV Nr. 444 betrifft die dauerhafte Übertragung einer unterwertigen Beschäftigung, verbunden mit einem Anspruch auf eine Vertragsänderung bei Freiwerden eines Arbeitsplatzes mit gleichwertigen Bedingungen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 TV Nr. 444.
Demgegenüber werden vom Arbeitgeber nach § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 bis zum Zustandekommen eines Sozialplans, längstens jedoch für die Dauer von neun Monaten nach Eintritt der Rationalisierungsmaßnahme nur vorläufige personalrechtliche Maßnahmen (befristete Umsetzungen und Abordnungen) vorgenommen. Wie sich aus dem unterschiedlichen Wortlaut ergibt (§ 6 TV Nr. 444 “anzubieten”; § 13 TV Nr. 444 “werden vorgenommen”), können vorläufige personalrechtliche Maßnahmen einseitig getroffen werden. Diese im TV angelegte Unterscheidung zwischen der einseitigen Vornahme vorübergehender Maßnahmen und dem Anbieten einer dauerhaften unterwertigen Beschäftigung würde nicht beachtet, wenn § 13 TV Nr. 444 auch nach Ablauf von neun Monaten die Anordnung weiterer befristeter Umsetzungen und Abordnungen zuließe. Der Arbeitgeber wäre ansonsten nicht gehindert, den Arbeitnehmer auf unabsehbare Zeit in jeweils befristeten Maßnahmen zu beschäftigen. Die dauerhafte unterwertige Beschäftigung soll jedoch nach der Tarifsystematik nur unter den Voraussetzungen des § 6 TV Nr. 444 zulässig sein.
bb) Hierfür spricht auch eine gesetzeskonforme Auslegung. § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 ist so auszulegen, dass die Vorschrift nicht in Widerspruch zur zwingenden Regelung des § 2 KSchG steht.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Erweiterung des Leistungsbestimmungsrechts durch Tarifvertrag grundsätzlich statthaft (22. Mai 1985 – 4 AZR 427/83 – BAGE 48, 351 und – 4 AZR 88/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bundesbahn Nr. 6; 26. Juni 1985 – 4 AZR 585/83 – BAGE 49, 125, 131; 10. Juli 2003 – 6 AZR 372/02 – AP TVAL II § 9 Nr. 6, zu 2b der Gründe). Zwar ist die Gewährung eines Leistungsbestimmungsrechts, das über das allgemeine Direktionsrecht des Arbeitgebers hinaus geht, grundsätzlich möglich. Das darf aber nicht zur Umgehung zwingender Kündigungsschutzbestimmungen führen, die zugleich einen Schutz vor Änderungen der Arbeitsbedingungen enthalten. Hierfür sprechen auch verfassungsrechtliche Überlegungen. Art. 12 Abs. 1 GG verleiht zwar keine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz. Für den Staat folgt aus diesem Grundrecht aber eine Schutzpflicht. Diese hat der Gesetzgeber mit den geltenden Kündigungsschutzvorschriften erfüllt. Ein gesetzlicher Mindeststandard des Kündigungsschutzes ist danach grundgesetzlich gewährleistet. In diesem Sinne müssen die Kündigungsschutzbestimmungen ausgelegt werden (BAG 18. Oktober 1994 – 1 AZR 503/93 – AP BGB § 615 Kurzarbeit Nr. 11 = EzA BGB § 615 Kurzarbeit Nr. 2, zu I 3b der Gründe). Auch die Literatur ist der Auffassung, dass die Tarifvertragsparteien an höherrangiges zwingendes Recht gebunden sind und Tarifverträge deshalb nicht in den kündigungsschutzrechtlich gesicherten Kernbereich des Arbeitsverhältnisses eingreifen dürfen (APS/Künzl 2. Aufl. § 2 KSchG Rn. 99; KR-Rost 7. Aufl. § 2 KSchG Rn. 54a ff.; HaKo/Pfeiffer 2. Aufl. § 2 KSchG Rn. 21; Rost in FS Dieterich S. 505, 511; Friedhofen/Weber NZA 1986, 145, 146; Konow NZA 1987, 117). Zu diesem Kernbereich gehören die Vergütungs- und die Arbeitspflicht. Für die Erweiterung des Direktionsrechts durch Tarifvertrag folgt hieraus, dass die tarifliche Regelung nach Anlass und Umfang Voraussetzungen enthalten muss, die die Ausübung des Direktionsrechts im Einzelfall regeln. Hiervon ist die Frage der Ausübung des Gestaltungsrechts im Einzelfall zu trennen. Diese ist gemäß § 106 GewO grundsätzlich an die Wahrung billigen Ermessens gebunden.
(2) Diesen Anforderungen entspricht § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 dann, wenn man die Vorschrift dahin auslegt, dass die befristete Übertragung von unterwertigen Tätigkeiten längstens für die Dauer von neun Monaten zulässig ist. Die tarifliche Vorschrift enthält nach Anlass und Umfang die Voraussetzungen für die Ausübung des Direktionsrechts im Einzelfall. Nach § 1 Abs. 1 TV Nr. 444 findet dieser Tarifvertrag nur Anwendung, soweit bei der Ein- und Durchführung bestimmter, im Tarifvertrag aufgeführter Maßnahmen der Arbeitsplatz eines Arbeiters verlegt wird oder wegfällt oder sich die Tätigkeit des Arbeiters ihrem Umfang oder ihrem Aufgabeninhalt nach ändert. Ist dies der Fall, ist die Beklagte nach § 3 TV Nr. 444 verpflichtet, dem Arbeitnehmer einen anderen gleichwertigen und zumutbaren Arbeitsplatz anzubieten. Gleichwertig ist ein Arbeitsplatz, wenn der Arbeiter in der bisherigen Entgeltgruppe mit der bisherigen arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit eingesetzt werden kann (§ 4 TV Nr. 444). Nur wenn dies nicht möglich ist, sieht § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 vorläufige personalrechtliche Maßnahmen vor. Es muss jedoch sicher gestellt sein, dass der Inhalt des bestehenden Arbeitsvertrages auf Dauer unverändert bleibt. Allenfalls für einen vorübergehenden Zeitraum darf daher dem Arbeitnehmer eine unterwertige Tätigkeit zugewiesen werden. Dies gilt auch dann, wenn die Höhe der Vergütung unverändert bleibt, weil sich der Inhaltsschutz des § 2 KSchG nicht nur auf die Höhe der Vergütung, sondern auch auf die ausgeübte Tätigkeit erstreckt (BAG 30. August 1995 – 1 AZR 47/95 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 44 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 14, zu II 2b der Gründe; 24. April 1996 – 4 AZR 976/94 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 49 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 17, zu II 2 2.2 der Gründe). Eine lediglich vorübergehende, den Inhalt des Arbeitsverhältnisses auf Dauer nicht berührende Maßnahme kann dann noch angenommen werden, wenn diese nicht länger als neun Monate andauert, sofern dem Arbeitnehmer anschließend wieder ein seiner bisherigen Entgeltgruppe entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen wird.
c) Auch der Zweck der Tarifnorm spricht dafür, dass vorläufige personalrechtliche Maßnahmen nach § 13 Abs. 3 TV Nr. 444 längstens für die Dauer von neun Monaten getroffen werden dürfen. Dieser besteht darin, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu eröffnen, den vom Wegfall seines Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmer vorübergehend auch unterwertig beschäftigen und so dessen Arbeitskraft in sinnvoller Weise verwerten zu können. Zugleich soll der Arbeitnehmer davor geschützt werden, dass vor dem Zustandekommen eines Sozialplans durch endgültige Maßnahmen des Arbeitgebers, wie zB den Ausspruch einer Änderungskündigung, Fakten geschaffen werden. Dabei sind die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen, dass dieser Übergangszeitraum längstens für die Dauer von neun Monaten gilt. Sie haben diese Zeit als ausreichend angesehen, um einen Sozialplan zu vereinbaren. Hieraus folgt auch, dass der Arbeitgeber sich innerhalb dieses Zeitraums Klarheit verschaffen muss, ob und gegebenenfalls wie er die von der Rationalisierungsmaßnahme betroffenen Arbeitnehmer endgültig weiterbeschäftigt. Auch dies kann Bestandteil eines Sozialplans sein. Vorläufige Maßnahmen dürfen deshalb auch nur bis zu diesem Termin vorgenommen werden. Steht bis dahin ein gleichwertiger Arbeitsplatz immer noch nicht zur Verfügung, hat der Arbeitgeber nach § 6 TV Nr. 444 dem Arbeitnehmer einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz mit geringerem Entgelt anzubieten.
Unterschriften
Dr. Armbrüster, Friedrich, Brühler, Gebert, Schilling
Fundstellen
Haufe-Index 1348855 |
NZA 2005, 840 |
ZTR 2005, 424 |
NJOZ 2005, 2690 |