Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung und Erfüllbarkeit; Tarifauslegung
Leitsatz (redaktionell)
1. Tarifvertragsparteien sind nicht gehindert, Urlaubsabgeltungsregelungen zu vereinbaren, nach denen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einem Arbeitnehmer bisher nicht gewährter Urlaub unabhängig vom Vorliegen der Arbeitsfähigkeit abzugelten ist (Anschluß an ständige Rechtsprechung des BAG Urteil vom 8.3.1984, 6 AZR 560/83 = BAGE 45, 203 = AP Nr 16 zu § 7 BUrlG Abgeltung)
2. Dazu bedarf es einer eindeutigen Regelung im Tarifvertrag.
Orientierungssatz
Auslegung der Nr 86 des Manteltarifvertrages für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland vom 10. Januar 1989
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 22.01.1991; Aktenzeichen 11 Sa 1372/90) |
ArbG Detmold (Entscheidung vom 13.09.1990; Aktenzeichen (3) 1 Ca 1033/89) |
Tatbestand
Der Kläger war vom 27. August 1968 bis zum 30. September 1989 bei der Gemeinschuldnerin als Maschinenarbeiter beschäftigt. Vom 19. September 1988 an war er ununterbrochen arbeitsunfähig krank und bezieht seit seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Auf das Arbeitsverhältnis war der Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland vom 10. Januar 1989 (MTN 89) anzuwenden. Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin ist am 1. Februar 1990 das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte als Konkursverwalter eingesetzt worden.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Urlaubsabgeltung und zusätzliches Urlaubsgeld für 22 1/2 Urlaubstage aus dem Jahre 1989 in rechnerisch unstreitiger Höhe. Hierzu bestimmt Nr. 86 MTN 89 in der seit 1. Januar 1989 geltenden Fassung:
".....
86. Ein beim Ausscheiden aus dem Betrieb
fälliger Urlaubsanspruch ist möglichst wäh-
rend der Kündigungsfrist zu erfüllen. Las-
sen die betrieblichen Verhältnisse oder
persönliche, vom Arbeitnehmer nicht zu ver-
tretende Gründe dies nicht zu, so erfolgt
eine Abgeltung des Urlaubs."
Der Kläger hat mit seiner am 23. November 1989 erhobenen Klage zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.237,62 DM
brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus er-
gebenden Nettobetrag seit dem 23. November 1989
zu zahlen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger stehen weder Ansprüche auf Urlaubsabgeltung noch auf zusätzliches Urlaubsgeld nach dem MTN 89 zu. Beide Ansprüche scheitern an der auch tariflich vorausgesetzten Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Der Kläger war vor Ablauf der Befristung des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht arbeitsfähig.
1. Der Senat folgt der zutreffenden Tarifauslegung des Landesarbeitsgerichts zu Nr. 86 Satz 2 MTN 89. Der Tarifbestimmung läßt sich nicht entnehmen, daß dem aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer auch bei Arbeitsunfähigkeit die Urlaubsabgeltung erhalten bleiben soll.
a) Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1989 ist zwar ein Abgeltungsanspruch des Klägers entstanden. Der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist oder nicht (ständige Rechtsprechung seit BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Mit dem Landesarbeitsgericht ist jedoch davon auszugehen, daß nach § 7 Abs. 4 BUrlG ein Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers nur verwirklicht werden kann, wenn er bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses jedenfalls für die Dauer seines Urlaubs seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Die Erfüllbarkeit des gesetzlichen Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs hängt somit von der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ab. Wer arbeitsunfähig krank ist, kann durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht mehr befreit werden. Dies gilt gleichermaßen für den Urlaub durch Freistellung wie für die ihn ersetzende Urlaubsabgeltung.
Der Kläger war hier unstreitig vor und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig bzw. erwerbsunfähig. Er trägt nicht vor, ungeachtet seiner Erwerbsunfähigkeit ab 1. Oktober 1989 bis zum Ende des Übertragungszeitraumes (31. März 1990) in der Lage gewesen zu sein, vertragsgemäße Arbeitsleistungen für die Gemeinschuldnerin zu erbringen (vgl. BAGE 64, 88, 90; BAG Urteil vom 24. November 1987 - 8 AZR 140/87 - AP Nr. 41 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Ein Abgeltungsanspruch ist deshalb nach § 7 Abs. 4 BUrlG nicht gegeben.
b) Das Landesarbeitsgericht hat ebenfalls richtig erkannt, daß die Tarifvertragsparteien nach § 13 Abs. 1 BUrlG eine günstigere Regelung treffen können, dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Rücksicht auf die Erfüllbarkeit Urlaubsabgeltung zu gewähren (vgl. BAGE 45, 203 = AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG Urteil vom 18. Juli 1989 - 8 AZR 44/88 - AP Nr. 49 zu § 7 BUrlG Abgeltung).
Eine solche Regelung haben die Tarifvertragsparteien nicht getroffen. Weder dem zum 1. Januar 1989 geänderten Wortlaut der Nr. 86 Satz 2 MTN 89 noch der tariflichen Systematik ist zu entnehmen, daß abweichend von der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 4 BUrlG die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs nicht mehr Voraussetzung für die Erfüllung des Anspruchs ist. Dem Landesarbeitsgericht ist beizutreten, wenn es ausführt, nach Nr. 86 Satz 1 MTN 89 werde die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs vorausgesetzt, weil danach die Erfüllung des Resturlaubs möglichst vor dem Ausscheiden aus dem Betrieb stattfinden solle. Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht auch darin, daß eine abweichende Regelung über die Erfüllbarkeit bei Abgeltung des in der Kündigungsfrist nicht gewährten Urlaubs in Nr. 86 Satz 2 MTN 89 nicht aufgenommen worden ist. Das Wort "dies" in Satz 2 spricht im übrigen für eine Anknüpfung an die Erfüllung und die damit vorausgesetzte Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs in Nr. 86 Satz 1 MTN 89. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Urlaubsabgeltung ohne Rücksicht auf die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs ermöglichen wollen, hätten sie angesichts der ihnen bekannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Bestimmung getroffen, der eine entsprechende Regelung entnommen werden könnte (vgl. zur Arbeitsunfähigkeit BAGE 45, 203, 207 = AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Der Wille der Tarifvertragsparteien, anstelle einer Urlaubsabgeltung nach gesetzlichem Vorbild (§ 7 Abs. 4 BUrlG) eine Abfindung der noch offenen Urlaubsansprüche zu gestatten, muß dann in der Norm seinen erkennbaren Niederschlag gefunden haben. Daran fehlt es hier. Die Ergänzung der früheren Fassung des MTN vom 3. Januar 1985, in dem es in Satz 2 nur hieß "lassen die betrieblichen Verhältnisse dies nicht zu, so erfolgt eine Abgeltung des Urlaubs", um die Wendung "...oder persönliche, vom Arbeitnehmer nicht zu vertretende Gründe" diente nur der Anpassung an die gesetzliche Urlaubsabgeltungsregelung in § 7 Abs. 4 BUrlG. Die vorhergehende tarifliche Normierung hätte nämlich als Ausschlußklausel verstanden werden können, die den Abgeltungsanspruch nur eröffnete, wenn der Urlaubsgewährung durch Freistellung von der Arbeitspflicht allein betriebliche Gründe entgegengestanden hätten. Zu einer derartigen Regelung sind die Tarifvertragsparteien jedoch nach § 13 Abs. 1 BUrlG nicht befugt, weil sich dadurch der gesetzliche Urlaubsanspruch mindern würde (BAGE 54, 184, 189 = AP Nr. 12 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit).
c) Die Revision beanstandet zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe die Verfahrensvorschriften der §§ 139, 286 ZPO dadurch verletzt, daß es das Beweisangebot des Klägers zum abweichenden Willen der Tarifvertragsparteien nicht beachtet habe.
Diese Verfahrensrüge ist unbegründet. Bei der Tarifauslegung ist von dem Gericht über den reinen Tarifwortlaut hinaus zwar der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, wie er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Erst wenn nach entsprechender Auswertung von Tarifwortlaut und tariflichem Gesamtzusammenhang noch Zweifel bestehen, kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Merkmale wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen werden (BAGE 46, 308, 313 f. = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, ständige Rechtsprechung). Wenn das Landesarbeitsgericht aber nach Prüfung von Wortlaut und tariflichem Gesamtzusammenhang zu einem Ergebnis bei der Tarifauslegung gelangt ist, kann es von weiteren Ermittlungen Abstand nehmen. Die Verfahrensrügen haben dann keinen materiell-rechtlichen Ansatzpunkt. Ob ein übereinstimmender, über den tariflichen Wortlaut und Gesamtzusammenhang hinausgehender Wille der Tarifvertragsparteien durch die Einvernahme des an den Tarifverhandlungen beteiligten Zeugen einer Seite überhaupt unter Beweis gestellt werden kann, war deshalb nicht zu entscheiden (vgl. dazu auch BAGE 39, 321, 328 = AP Nr. 55 zu § 616 BGB).
d) Die Revision wendet sich weiterhin erfolglos gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, derzufolge der gesetzliche Urlaubsanspruch grundsätzlich zeitlich auf das Kalenderjahr befristet ist, in dem er entstanden ist. Der Kläger sieht dadurch Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung vom Jahr 1970, BGBl. II 1975, 745, 749) für verletzt an (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 28. November 1990 - 8 AZR 570/89 - NZA 1991, 423 f., zur Veröffentlichung für die Amtliche Sammlung bestimmt). In Art. 9 des Übereinkommens heißt es:
"Der in Art. 8 Abs. 2 dieses Übereinkommens er-
wähnte ununterbrochene Teil des bezahlten Jahres-
urlaubs "(mindestens zwei ununterbrochene Ar-
beitswochen von mindestens drei Arbeitswochen,
Art. 3 Abs. 3 des Übereinkommens Nr. 132)" ist
spätestens ein Jahr und der übrige Teil des be-
zahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach
Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch
erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen."
Die Revision übersieht, daß es hier nicht auf den zeitlich weitergehenden Übertragungsrahmen des Übereinkommens Nr. 132 ankommen kann, sondern Fragen zur Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs zur Entscheidung anstehen (vgl. dazu BAGE 48, 186, 193 f. = AP Nr. 21 zu § 7 BUrlG Abgeltung).
2. Das Landesarbeitsgericht hat ebenfalls zutreffend einen Anspruch auf das 50 %ige zusätzliche Urlaubsgeld verneint. Eine Begründung hat es hierzu allerdings nicht gegeben. Wegen der tariflich vorgesehenen Verknüpfung von Urlaubsentgelt und zusätzlichem Urlaubsgeld (50 %ige Aufstockung) war dies jedoch nicht erforderlich. Wie sich nach Nr. 92, 93 und 95 MTN 89 aus der tariflichen Systematik ergibt, ist das zusätzliche Urlaubsgeld eine Ergänzung des Urlaubsentgelts. Das zusätzliche Urlaubsgeld ist also an den (möglichen) Urlaubsantritt gebunden. Kann die Urlaubsfreistellung bzw. die Urlaubsabgeltung mangels Erfüllbarkeit nicht gewährt werden, muß auch der Anspruch auf Zahlung des zusätzlichen Urlaubsgelds entfallen. Von der Möglichkeit, das Urlaubsgeld als eigenständige Gratifikation auszugestalten, haben die Tarifvertragsparteien nicht Gebrauch gemacht.
Die Revision hat die unvollständige Entscheidungsbegründung des Landesarbeitsgerichts nicht ordnungsgemäß nach § 551 Nr. 7 ZPO gerügt (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO). Da das Landesarbeitsgericht erkennbar auch über den Urlaubsgeldanspruch mitentschieden hat, kann dies ohne Verletzung von § 321 ZPO vom Senat nachvollzogen werden.
3. Als unterlegene Partei hat der Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Dr. Leinemann Dörner Dr. Lipke
Dr. Wolter Beckerle
Fundstellen
Haufe-Index 441760 |
BB 1992, 2003 |
BB 1992, 2003-2004 (LT1-2) |
DB 1992, 2349-2350 (LT1-2) |
NZA 1993, 29 |
NZA 1993, 29-31 (LT1-2) |
RdA 1992, 402 |
ZTR 1992, 519 (LT1-2) |
AP § 7 BUrlG Abgeltung (LT1-2), Nr 58 |
AR-Blattei, ES 1640 Nr 350 (LT1-2) |
EzA § 7 BUrlG, Nr 83 (LT1-2) |