Leitsatz (amtlich)
1. Unter "ständiger Wohnstätte" i.S. des Art.4 Abs.2 Buchst.a DBA-Spanien ist eine Wohnung zu verstehen, die dem Steuerpflichtigen nach Größe und Ausstattung ein seinen Lebensverhältnissen entsprechendes Heim bietet und die er nicht nur gelegentlich und zu vorübergehenden Zwecken verwendet.
2. Zieht ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber an ein spanisches Schwesterunternehmen abgeordnet worden ist, mit seiner Familie für ein Jahr in eine Wohnung in Spanien und behält er seine inländische Wohnung bei, kann er sowohl in Spanien als auch in der Bundesrepublik über eine ständige Wohnstätte verfügen.
3. Bei Vorhandensein einer ständigen Wohnstätte in beiden Ländern kommt es für die Frage, in welchem Land der Steuerpflichtige letztlich als ansässig gilt, darauf an, welcher der beiden Orte unter Abwägung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen als der bedeutungsvollere anzusehen ist.
Orientierungssatz
NV: Tritt aufgrund eines Organisationsakts i.S. des § 17 FVG während des Revisionsverfahrens eine Änderung in der Zuständigkeit des beklagten FA ein (Änderung der Bezirksgrenzen), liegt ein gesetzlicher Parteiwechsel vor. § 122 Abs. 1 FGO greift in diesem Fall nicht ein (vgl. BFH-Urteil vom 10.11.1977 V R 67/75; Literatur).
Normenkette
DBA ESP Art. 4 Abs. 2 Buchst. a, Art. 23 Abs. 1; EStG 1975 § 32b; FGO § 122 Abs. 1; FVG § 17
Verfahrensgang
FG Köln (Entscheidung vom 11.08.1982; Aktenzeichen VIII 391/79 E) |
Tatbestand
Streitig ist, ob in Spanien erzielte steuerfreie Arbeitseinkünfte bei der Berechnung der Einkommensteuer für die steuerpflichtigen inländischen Einkünfte miteinbezogen werden dürfen (Anwendung des Progressionsvorbehalts).
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Ehemann (Kläger) ist Angestellter eines inländischen Unternehmens. Er war vom 26.Juni 1975 bis zum 6.Juli 1976 unter Fortgeltung seines Anstellungsvertrags bei einem Unternehmen in Spanien beschäftigt. Nach seiner Rückkehr sollte er in seiner bisherigen oder in einer gleichwertigen Position bei dem inländischen Unternehmen weiterarbeiten. Die Ehefrau (Klägerin) und die beiden noch nicht schulpflichtigen Kinder zogen für die genannte Zeit mit nach Spanien. Der Kläger wohnte mit seiner Familie in Spanien in einer etwa 90 qm großen Wohnung, die ihnen vom Arbeitgeber möbliert zur Verfügung gestellt worden war. Die Kläger brauchten keine Miete zu zahlen. In der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) waren der Kläger und seine Familie während der Zeit des Spanienaufenthalts polizeilich abgemeldet. Ihr Einfamilienhaus in der Bundesrepublik blieb voll möbliert und wurde von den Klägern für die Zeit ihrer Abwesenheit nicht vermietet. Das Gehalt des Klägers wurde in Deutscher Mark auf das bisherige Konto des Klägers überwiesen.
Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1976 ließ das Finanzamt (FA) die in Spanien erzielten Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit steuerfrei, wandte jedoch auf die inländischen steuerpflichtigen Einkünfte den sich aus dem Progressionsvorbehalt ergebenden höheren Steuersatz an (§ 32b des Einkommensteuergesetzes --EStG-- i.V.m. Art.23 Abs.1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 5.Dezember 1966 --DBA-Spanien--, BGBl II 1968, 10). Nach Auffassung des FA war der Kläger mit seiner Familie während der in Rede stehenden Zeit sowohl in Spanien als auch in der Bundesrepublik ansässig. In ihrem Einspruch trugen die Kläger vor, sie hätten den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach Spanien verlegt. Das FA wies den Einspruch zurück. Lediglich die Wohnung in dem im Inland gelegenen Einfamilienhaus könne als ständige Wohnstätte der Kläger i.S. des Abkommens angesehen werden. In ihrer Klage trugen die Kläger weiterhin vor, sie seien in der Zeit vom 26.Juni 1975 bis zum 6.Juli 1976 allein in Spanien ansässig gewesen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 108 veröffentlicht. Das FG führte aus, der Kläger sei mit seiner Familie in der Zeit vom 1.Januar bis 6.Juli 1976 allein in der Bundesrepublik i.S. des Art.23 Abs.1 i.V.m. Art.4 Abs.2 a DBA-Spanien ansässig gewesen, da er nur hier über eine ständige Wohnstätte i.S. des Art.4 Abs.2 a DBA-Spanien verfügt habe. Die Unterbringung in einer Wohnung in Spanien sei nur für die begrenzte Dauer von etwa einem Jahr vorgesehen gewesen. Die Hauptwohnung habe sich in der Bundesrepublik befunden.
Gegen die Entscheidung des FG wenden sich die Kläger mit der Revision, die das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Die Kläger rügen Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
++/ Durch die Änderung der Bezirksgrenzen der FÄ im Raum Köln ist das FA X in die Rolle des Beklagten und Revisionsbeklagten eingetreten. Die Änderung der Bezirksgrenzen beruht auf einem Organisationsakt i.S. des § 17 des Finanzverwaltungsgesetzes --FVG-- (Verordnung vom 9. September 1985, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen --GV NW-- 1985, 583). Es liegt damit ein gesetzlicher Parteiwechsel vor. § 122 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) greift in diesem Fall nicht ein (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. November 1977 V R 67/75, BFHE 124, 299, BStBl II 1978, 310; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 122 FGO Rdnr. 6). /++
FA und FG haben bei der Berechnung der Einkommensteuer der Kläger für den Veranlagungszeitraum 1976 im Ergebnis zu Recht von dem Progressionsvorbehalt des Art.23 Abs.1 a DBA-Spanien i.V.m. § 32b EStG Gebrauch gemacht.
Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist nicht streitig, daß die Besteuerung der spanischen Arbeitseinkünfte des Klägers nach Art.15 Abs.1 DBA-Spanien dem spanischen Staat zugewiesen ist, da der Kläger sich im Streitjahr 1976 mehr als 183 Tage in Spanien aufgehalten hat (vgl. Art.15 Abs.2 DBA-Spanien). Die in Spanien bezogenen Arbeitseinkünfte sind nach Art.23 Abs.1 a Satz 1 DBA-Spanien bei einer Besteuerung im Inland (Bundesrepublik) nicht zu erfassen und damit steuerfrei (vgl. auch § 9 des Steueranpassungsgesetzes --StAnpG--). Nach Art.23 Abs.1 a Satz 2 DBA-Spanien behält aber die Bundesrepublik das Recht, die auf diese Weise von der inländischen Besteuerung ausgenommenen ausländischen Einkünfte bei der Berechnung des Steuersatzes zu berücksichtigen (Progressionsvorbehalt).
Voraussetzung für die Anwendung des Progressionsvorbehalts ist nach dem Einleitungssatz des Art.23 Abs.1 DBA-Spanien, daß der Steuerpflichtige eine in der Bundesrepublik "ansässige Person" ist. Dieser Begriff ist in Art.4 Abs.1 DBA-Spanien definiert. Eine "in einem Vertragsstaat ansässige Person" ist, wenn es sich um eine natürliche Person handelt, eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts oder eines anderen Merkmals steuerpflichtig ist. Damit werden bei natürlichen Personen verschiedene Formen der persönlichen Beziehungen zu einem Staat erfaßt, die nach dem innerstaatlichen Steuerrecht die Grundlage einer umfassenden Besteuerung (unbeschränkte Steuerpflicht) bilden (Korn/Dietz/Debatin, Doppelbesteuerung, Bd.1, Anhang A, OECD-Musterabkommen, Art.4 Anm.8). Eine natürliche Person ist in der Bundesrepublik ansässig, wenn sie dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (§§ 13, 14 StAnpG). Eine natürliche Person ist in Spanien ansässig, wenn sie dort entweder einen gesetzlichen Wohnsitz hat oder während eines Kalenderjahres mehr als sechs Monate lang ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Korn/Dietz/Debatin, a.a.O., Bd.4, Art.2 DBA-Spanien, Grundzüge 2).
Das FG geht mit den Verfahrensbeteiligten davon aus, daß die Kläger in der Zeit vom 1.Januar bis 6.Juli 1976 sowohl in Spanien als auch in der Bundesrepublik i.S. des Art.4 Abs.1 DBA-Spanien ansässig waren. Das ist nicht zu beanstanden. Es kann zugunsten der Kläger davon ausgegangen werden, daß sie nach spanischem Recht in Spanien einen Wohnsitz hatten. Die Kläger hatten aber auch in der Bundesrepublik einen Wohnsitz. Ihnen stand hier das für ihre Bedürfnisse eingerichtete eigene Einfamilienhaus jederzeit zur Verfügung, da es während ihrer Anwesenheit in Spanien nicht vermietet worden war. Diese Umstände lassen darauf schließen, daß die Kläger diese Wohnung behalten und benutzen werden (BFH-Urteil vom 4.Juni 1964 IV 29/64 U, BFHE 80, 169, BStBl III 1964, 535). Ohne Belang ist es, daß sich die Kläger bei ihrem Wegzug nach Spanien in der Bundesrepublik polizeilich abgemeldet haben.
Für den Fall der doppelten Ansässigkeit --eine natürliche Person erfüllt die tatsächlichen Voraussetzungen einer Ansässigkeit nach dem jeweiligen Steuerrecht in beiden Vertragsstaaten-- gilt die Sonderregelung des Art.4 Abs.2 DBA-Spanien. Der damit zusammenhängende Konflikt der unbeschränkten Steuerpflicht in beiden Vertragsstaaten wird zunächst auf die Weise zu lösen versucht, daß die Ansässigkeit in dem Vertragsstaat fingiert wird, in dem die natürliche Person über eine "ständige Wohnstätte" (vivienda permanente) verfügt. Im Abkommen selbst sind die Begriffe "Wohnstätte" und "ständige Wohnstätte" nicht definiert. Aus der Verwendung des Begriffs "Wohnsitz" in Abs.1 und des Begriffs "ständige Wohnstätte" in Abs.2 läßt sich nur entnehmen, daß nach dem Abkommen beide Begriffe nicht identisch sind. Im inländischen Steuerrecht ist der Begriff der "ständigen Wohnstätte" ebenfalls nicht näher bestimmt, so daß auf eine inländische gesetzliche Begriffsbestimmung --über Art.3 Abs.2 DBA-Spanien-- nicht zurückgegriffen werden kann. Das FG ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückgegangen und hat diesen Begriff unter Zugrundelegung näherer Umschreibungen in Wörterbüchern der deutschen Sprache zu klären versucht: Wohnstätte bedeute ein "Zuhause", "Heimat", einen "Ort, an dem man für immer sein kann"; das Adjektiv "ständige" bringe zusätzlich eine Verstärkung zum Ausdruck. Aufgrund dieser Untersuchung kommt das FG zu dem Ergebnis, daß es sich bei einer "ständigen Wohnstätte" i.S. des DBA-Spanien um einen besonders qualifizierten Wohnsitz im Sinne eines Zuhauses oder einer Hauptwohnung handeln müsse.
Der erkennende Senat ist ebenfalls der Auffassung, daß es sich bei einer "ständigen Wohnstätte" um einen qualifizierten Wohnsitz handelt. Wenn auch "Wohnstätte" und "Wohnsitz" begrifflich nicht identisch sind, so entsprechen sie sich doch in vielen Merkmalen. Die Wohnstätte wird in der Regel einer Wohnung als der tatsächlichen Grundlage eines Wohnsitzes dann gleichstehen, wenn die benutzte Wohnung dem Steuerpflichtigen nach Größe und Ausstattung ein seinen Lebensverhältnissen entsprechendes Heim bietet (Flick/Wassermeyer/Wingert, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art.4 Rdnr.30). Unter "ständiger" Wohnstätte ist demnach ein Wohnsitz zu verstehen, den der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich und dann auch nicht nur zu vorübergehenden Zwecken verwendet.
Das zeitliche Moment spielt demnach ebenfalls eine erhebliche Rolle. Das FG hat es abgelehnt, eine Dauer von mehr als sechs Monaten, wie es die Vorschriften der § 14 StAnpG und § 9 der Abgabenordnung (AO 1977) für den gewöhnlichen Aufenthalt verlangen, als ein erhebliches Merkmal für das Vorliegen einer ständigen Wohnstätte anzusehen, da der Aufenthalt des Klägers in Spanien von vornherein auf 12 Monate begrenzt und damit nur ein vorübergehender gewesen sei. Dem vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Eine nähere Bestimmung des zeitlichen Moments ist unerläßlich, da die unbeschränkte Steuerpflicht an den Wohnsitz oder Aufenthalt anknüpft. So kann z.B. das Innehaben einer Ferienwohnung für die Zeit von nur fünf bis sechs Wochen im Jahr dort keinen Wohnsitz begründen (BFH-Urteil vom 6.März 1968 I 38/65, BFHE 92, 5, BStBl II 1968, 439). Demgegenüber lassen die Vorschriften der § 14 StAnpG und § 9 AO 1977 erkennen, daß bei Überschreitung eines Zeitraums von sechs Monaten ein bisher vorübergehender Zustand zu einem gewöhnlichen und damit ständigen wird (Flick/Wassermeyer/Wingert, a.a.O., Rdnr.33). Der erkennende Senat kommt nach alledem --anders als das FG-- zu dem Ergebnis, daß die Kläger in Spanien über eine ständige Wohnstätte verfügt haben.
Der Senat ist aber mit dem FG --entgegen der Auffassung der Kläger in ihrer Revisionsbegründung-- der Ansicht, daß diese auch in ihrem in der Bundesrepublik gelegenen Einfamilienhaus über eine ständige Wohnstätte verfügten. Eine Person kann nach dem DBA-Spanien über mehrere ständige Wohnstätten --jeweils in einem der Vertragsstaaten-- verfügen, wie sich unmittelbar aus Art.4 Abs.2 a des Abkommens ergibt. Die Wohnung in ihrem Einfamilienhaus konnten die Kläger jederzeit für ihre eigenen Wohnzwecke verwenden, da diese nicht an Dritte vermietet war. Der Senat folgt der von Flick/Wassermeyer/Wingert (a.a.O., Rdnr.34) vertretenen Auffassung, daß es bei der Verwendung als Wohnung weniger auf den tatsächlichen Aufenthalt, als vielmehr auf die Bestimmung oder Widmung der Wohnung zu nicht nur vorübergehenden Wohnzwecken durch den Steuerpflichtigen ankommt.
Verfügt eine Person, wie im Streitfall, in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie nach Art.4 Abs.2 a Satz 2 DBA-Spanien als in dem Vertragsstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Nach der Entscheidung des BFH vom 23.Juli 1971 III R 60/70 (BFHE 103, 82, BStBl II 1971, 758) kommt es darauf an, welcher der beiden Orte der bedeutungsvollere ist. Unter Abwägung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen der Kläger zu den beiden Vertragsstaaten --Spanien und Bundesrepublik-- gelangt der Senat zu der Auffassung, daß der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen auch während ihres Aufenthalts in Spanien in der Bundesrepublik lag. Das Arbeitsverhältnis zu dem inländischen Unternehmen war --wie das FG festgestellt hat-- während des Spanienaufenthalts des Klägers nicht gelöst. Der Grundbesitz und die Gehaltskonten der Kläger befanden sich in der Bundesrepublik. Es stand von vornherein fest, daß der Kläger nach Beendigung seiner Aufgabe in Spanien sofort wieder an seinen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik zurückkehren werde. Unter diesen Umständen sind die Beziehungen zu Spanien nicht die gewichtigeren, auch wenn dem Kläger während seiner einjährigen Tätigkeit in diesem Land dort eine Wohnung zur Verfügung gestellt worden war, in der er seine Familie angemessen unterbringen konnte.
Sind daher die Kläger als in der Bundesrepublik ansässig anzusehen, ist die Entscheidung des FG zu bestätigen, daß im Streitfall die Anwendung des Progressionsvorbehalts Platz greift.
Fundstellen
Haufe-Index 60704 |
BStBl II 1986, 133 |
BFHE 145, 48 |
BFHE 1986, 48 |
DB 1986, 572-572 (ST) |
HFR 1986, 120-122 (ST) |