Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftliche Notlage Arbeitgeber. Bürgschaft Arbeitnehmer für Bankkredit Arbeitgeber. Sittenwidrigkeit bei finanzieller Überforderung
Leitsatz (amtlich)
Eine von einem Arbeitnehmer mit mäßigem Einkommen aus Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes für einen Bankkredit des Arbeitgebers übernommene Bürgschaft ist sittenwidrig, wenn sie den Arbeitnehmer finanziell krass überfordert und sich der Arbeitgeber in einer wirtschaftlichen Notlage befindet.
Normenkette
BGB §§ 138, 765
Verfahrensgang
OLG Rostock (Urteil vom 21.03.2002) |
LG Rostock (Urteil vom 20.07.2000) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Rostock v. 21.3.2002 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Rostock v. 20.7.2000 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Bürgschaft. Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Beklagte war seit dem 1.1.1991 bei der neu gegründeten H. Baugesellschaft mbH i.G. (nachfolgend: H. GmbH) in M. als Bauleiter angestellt. Sein monatliches Nettoeinkommen, von dem er 356 DM Unterhalt für seine Tochter zu leisten hatte, betrug ab 1.5.1991 2.222,70 DM. Nachdem die Gesellschaft Ende 1991 in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, verhandelte ihr Geschäftsführer mit der klagenden Sparkasse über die Gewährung eines kurzfristigen Kontokorrentkredits von 200.000 DM. Die Klägerin erklärte sich dazu nur unter der Voraussetzung bereit, dass die Gesellschaft hinreichende Sicherheiten stellt. Nach einem Gespräch mit der Klägerin über die Stellung von Arbeitnehmerbürgschaften am 17.12.1991 übernahmen der Beklagte und zwei andere Arbeitnehmer am 6.1.1992 je eine selbstschuldnerische Bürgschaft mit weiter Sicherungszweckerklärung bis zum Höchstbetrag von 200.000 DM. Die formularmäßige Bürgschaft umfasst nach ihrer Nr. 2 die auf die Bürgschaftssumme entfallenden Zinsen, Provisionen und Kosten auch dann, wenn dadurch der Höchstbetrag überschritten wird. Die Einrede der Aufrechenbarkeit und § 776 BGB sind ausgeschlossen.
Kurze Zeit später gab die H. GmbH das von ihr betriebene Baugeschäft auf und stellte im April 1992 einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens, der mangels Masse abgelehnt wurde. Am 5.5.1992 kündigte die Klägerin das Darlehen, für das sie 17 % Zinsen berechnete, fristlos. Nach ihrer Darstellung betrugen die Verbindlichkeiten der Hauptschuldnerin zu diesem Zeitpunkt 121.831,92 DM.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus dem Bürgschaftsvertrag auf Zahlung eines Teilbetrages von 70.000 DM zzgl. Zinsen in Anspruch. Der Beklagte, der nach eigenen Angaben über kein Vermögen verfügt, erachtet die Bürgschaft wegen krasser finanzieller Überforderung und anderer Umstände für sittenwidrig. Die Bürgschaft habe er allein aus Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes bei der Hauptschuldnerin übernommen. Außerdem sei er durch schönende Angaben der Klägerin, die die Bürgschaft als bloße Formsache verharmlost habe, über die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Ertragsaussichten der sanierungsbedürftigen Hauptschuldnerin getäuscht worden.
Das LG hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Der Bürgschaftsvertrag über 200.000 DM sei nicht sittenwidrig. Zwar werde der Beklagte durch die Bürgschaft finanziell krass überfordert. Von seinem Monatseinkommen sei nur ein Betrag von 564 DM pfändbar. Dieser reiche zur Zahlung der darlehensvertraglichen Zinsen nicht aus. Die finanzielle Überforderung des Beklagten könne eine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft grundsätzlich aber nur dann begründen, wenn zusätzlich erschwerende, dem Gläubiger zurechenbare Umstände hinzukämen. Der Grundsatz, dass eine krasse finanzielle Überforderung des dem Hauptschuldner persönlich nahe stehenden Bürgen ein gewichtiges Indiz dafür sei, dass er sich entgegen seinen eigenen Interessen nur aus einer - durch die emotionale Verbundenheit mit dem Hauptschuldner bedingten - unterlegenen Position heraus auf das Geschäft eingelassen und der Gläubiger dies in verwerflicher Weise ausgenutzt habe, komme hier nicht zum Tragen. Die vom Beklagten gegenüber der Klägerin bei den Vertragsverhandlungen nicht einmal offen gelegte Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes stelle keinen erschwerenden Umstand dar, der die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft begründe.
Aus der Entscheidung des KG v. 25.4.1997 (KG v. 25.4.1997 - 7 U 7496/96, KGReport Berlin 1997, 264 = MDR 1998, 234) zur Sittenwidrigkeit einer Arbeitnehmerbürgschaft ergebe sich nichts Anderes. Sie betreffe einen besonders gelagerten Ausnahmefall, in dem die verbürgte Verbindlichkeit so hoch sei, dass bereits bei Vertragsschluss feststehe, der Bürge werde, wenn sich das Risiko verwirkliche, auch bei günstigster Prognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Forderung des Gläubigers nicht einmal zu großen Teilen tilgen können. Davon sei hier aber nicht auszugehen. Vielmehr habe der Beklagte sich nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin auf Grund seines Einsatzes eine baldige wirtschaftliche Gesundung der Hauptschuldnerin und höhere Bezüge versprochen. Außerdem habe bei den Vertragsverhandlungen eine Gesellschaftsbeteiligung des Beklagten und eine damit verbundene Einflussnahme auf die Unternehmensführung zur Diskussion gestanden. Für die Klägerin sei deshalb nicht auszuschließen gewesen, dass der Beklagte in Zukunft ein deutlich höheres Einkommen erziele und die laufenden Zinsen des verbürgten Kredits tragen könne.
Besondere Umstände, die die Bürgschaft als sittenwidrig erscheinen lassen könnten, lägen nicht vor. Für die Behauptung, durch verharmlosende Erklärungen der Klägerin und/oder eine ihr anzulastende Überrumpelung zum Vertragsschluss veranlasst worden zu sein, sei der Beklagte beweisfällig geblieben.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.
Der Bürgschaftsvertrag über 200.000 DM ist, wie die Revision zutreffend rügt, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
1. Zutreffend ist allerdings die auch von der Klägerin nicht ernsthaft in Zweifel gezogene Ansicht des Berufungsgerichts, die Höchstbetragsbürgschaft über 200.000 DM überfordere den Beklagten finanziell in krasser Weise.
Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung des IX. und des XI. Zivilsenats des BGH liegt eine solche Überforderung des Bürgen oder Mitverpflichteten bei nicht ganz geringen Bankschulden grundsätzlich vor, wenn er voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls dauerhaft tragen kann (siehe etwa BGH, Urt. v. 28.5.2002 -XI ZR 205/01, MDR 2002, 1202 = BGHReport 2002, 990 = WM 2002, 1649 [1651] und v. 11.2.2003 - XI ZR 214/01, BGHReport 2003, 542 = ZIP 2003, 796 [797], jew. m. w. N.). Ob die von der Klägerin angesprochene Möglichkeit der Restschuldbefreiung, wie sie die seit dem 1.1.1999 geltenden §§ 286 ff. InsO vorsehen, Anlass geben kann, die Grenze für eine finanzielle Überforderung anders festzulegen, kann offen bleiben. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen (siehe etwa BGH v. 24.2.1994 - IX ZR 93/93, BGHZ 125, 206 [209] = MDR 1994, 573; v. 24.2.1999 - IX ZB 2/98, BGHZ 140, 395 [399] = MDR 1999, 757). Der Darlehensvertrag wurde indes bereits im Januar 1992, also vor In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung, geschlossen. Schon deshalb ist es nicht möglich, das in ihr normierte Verfahren zur Restschuldbefreiung zu berücksichtigen (siehe bereits BGH, Urt. v. 4.12.2001 - XI ZR 56/01, MDR 2002, 347 = BGHReport 2002, 203 = WM 2002, 223 [225]).
Bei Übernahme der Bürgschaft im Januar 1992 verdiente der Beklagte als Bauleiter bei der H. GmbH 2.222,70 DM netto im Monat. Der unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht pfändbare Teil von 564 DM reichte bei weitem nicht aus, die von der Klägerin berechneten laufenden Zinsen des verbürgten Geschäftskredits von 17 % bis zum Vertragsende allein zu tragen. Hinzu kommt, dass sein Gehalt von dem finanziellen Leistungsvermögen der Hauptschuldnerin abhängig und davon auszugehen war, dass sie bei Eintritt des Sicherungsfalles entweder zahlungsunfähig oder überschuldet sein würde. Dies wird bei der vom Berufungsgericht in anderem Zusammenhang ohne ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte erwogenen Möglichkeit, der Beklagte werde bei der Hauptschuldnerin künftig deutlich mehr verdienen und könne in der Lage sein, die laufenden Zinsen des verbürgten Kredits zu tragen, außer Acht gelassen. Dass der Beklagte auf Grund seiner Ausbildung als Bauleiter oder in ähnlicher Stellung bei einem anderen Bauunternehmen in absehbarer Zeit wesentlich mehr verdienen könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Zutreffend ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, dem Beklagten komme ohne Hinzutreten weiterer belastender Umstände nicht die in der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 18.9.1997 - IX ZR 283/96, BGHZ 136, 347 [351] = MDR 1997, 1103; v. 14.11.2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37 [42] = MDR 2001, 403 = GmbHR 2001, 247 = BGHReport 2001, 132; BGHZ 151, 34 [37]; Urt. v. 8.10.1998 - IX ZR 257/97, MDR 1999, 106 = WM 1998, 2327 [2328]; v. 28.5.2002 - XI ZR 205/01, MDR 2002, 1202 = BGHReport 2002, 990 = WM 2002, 1649 [1651]; v. 11.2.2003 - XI ZR 214/01, BGHReport 2003, 542 = ZIP 2003, 796 [797] und v. 27.7.2003 - IX ZR 283/99, BGHReport 2003, 1145 = ZIP 2003, 1596 [1598]) anerkannte widerlegliche Vermutung zugute, dass ein krass finanziell überforderter, dem Hauptschuldner persönlich nahe stehender Bürge die Bürgschaft nur aus einer durch die emotionale Verbundenheit mit dem Hauptschuldner bedingten unterlegenen Position heraus übernommen und der Gläubiger dies in verwerflicher Weise ausgenutzt habe. Die Vermutung beruht auf der Lebenserfahrung, dass sich ein Bürge bei Übernahme einer ruinösen Bürgschaft für einen Ehe- oder Lebenspartner, einen engen Verwandten oder Freund vor allem von Emotionen hat leiten lassen und der Kreditgeber diese ausgenutzt hat.
Zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer besteht in aller Regel kein von Emotionen geprägtes, einer Ehe, einer eheähnlichen Partnerschaft oder einer engen Verwandtschaft oder Freundschaft vergleichbares persönliches Näheverhältnis. Das gilt besonders, wenn der Arbeitnehmer - wie hier der Beklagte - einer von etwa 20 und bei Übernahme der Bürgschaft für den Arbeitgeber erst seit etwa einem Jahr tätig war. Bei einem Arbeitsverhältnis stehen nicht Emotionen, die die Fähigkeit zu rationalem Handeln erheblich beeinträchtigen, sondern die beiderseitigen, häufig gegensätzlichen Interessen der Arbeitsvertragsparteien im Vordergrund. Besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Dem Berufungsgericht kann aber nicht gefolgt werden, soweit es meint, die Bürgschaft sei wirksam, weil die Klägerin nicht in unzulässiger Weise auf die Entschließung des Beklagten durch die Tragweite der Haftung verharmlosende bzw. verschleiernde Erklärungen oder durch schönende Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse und Aussichten der Hauptschuldnerin eingewirkt habe. Dabei kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen sich auch im Bereich der Arbeitnehmerbürgschaften eine tatsächliche widerlegliche Vermutung für ein weitgehend fremdbestimmtes Handeln des Betroffenen ergibt. Jedenfalls liegen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hinreichende Umstände vor, die den Beklagten auch ohne derartige verbotene Handlungen der Klägerin an einer freien und eigenverantwortlichen Entscheidung hinderten und von ihr in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt wurden.
a) Bei der zu beurteilenden ruinösen Bürgschaft des Beklagten handelt es sich um eine Arbeitnehmerbürgschaft für Bankverbindlichkeiten der Arbeitgeberin, einer finanzschwachen GmbH. Diese hatte erst Anfang 1991 mit Hilfe erheblicher Kredite ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen und befand sich bei Aufnahme des verbürgten Kredits von 200.000 DM Ende 1991/Anfang 1992 in ernsten Liquiditätsschwierigkeiten. Diese waren so akut, dass die Arbeitgeberin den Geschäftsbetrieb trotz des gewährten Kredits bereits drei Monate später einstellen und Antrag auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung stellen musste, der mangels Masse abgelehnt wurde. Der Beklagte stand damit bei Übernahme der Bürgschaft vor der Alt., entweder dem über die Arbeitgeberin an ihn herangetragenen Sicherungsbegehren der Klägerin zusammen mit zwei anderen Arbeitskollegen nachzugeben oder den sofortigen Verlust seines Arbeitsplatzes in Kauf zu nehmen.
Ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse an der Gewährung des verbürgten Kredits hatte der Beklagte für die Klägerin erkennbar nicht. An der GmbH war er nicht beteiligt, von Gewinnen und Wertsteigerungen der GmbH profitierte er deshalb nicht. Der Vorschlag der Klägerin im Rahmen der Verhandlungen über den Bürgschaftsvertrag, er solle möglichst in naher Zukunft Gesellschafter werden, wurde vom alleinigen Gesellschafter der GmbH nicht aufgegriffen, die Übernahme der risikoreichen Bürgschaft von einer wesentlichen und werthaltigen Beteiligung an der Hauptschuldnerin nicht abhängig gemacht. Eine etwaige Vorstellung des Beklagten, von einer Sanierung der Hauptschuldnerin mit Hilfe des verbürgten Kredits künftig durch ein höheres Gehalt zu profitieren, war ersichtlich nichts weiter als eine vage Hoffnung.
Durch die Übernahme der Bürgschaft über 200.000 DM wurde der Beklagte, der mit 2.222,70 DM monatlich nur über ein mäßiges Nettoeinkommen verfügte, ohne Gewinnbeteiligung und ohne irgendeine Gegenleistung in einem Umfang mit dem wirtschaftlichen Risiko der Arbeitgeberin und dem Kreditrisiko belastet, der geeignet war, ihn für den Rest seines Lebens wirtschaftlich zu ruinieren. Wenn der Beklagte die ihn krass überfordernde Bürgschaft dennoch übernahm, so geschah dies allein aus Angst um seinen Arbeitsplatz bei der Hauptschuldnerin und den Verlust seines Einkommens, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestritt. Dafür besteht in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, wie sie seit längerer Zeit vor allem auch in den neuen Bundesländern herrscht, eine tatsächliche, widerlegliche Vermutung (vgl. KG v. 25.4.1997 - 7 U 7496/96, KGReport Berlin 1997, 264 = MDR 1998, 234 [235]). Diese Angst, die sich der mit den dortigen Arbeitsmarktverhältnissen vertrauten Klägerin als Grund für die ersichtlich unüberlegte Übernahme der für ihn ruinösen Bürgschaft durch den Beklagten aufdrängte, hat den Beklagten daran gehindert, das Risiko der ruinösen, ohne jeden Ausgleich übernommenen Bürgschaft realistisch abzuschätzen, sich zu vergegenwärtigen, dass die Verpflichtung aus der Bürgschaft nicht mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Hauptschuldnerin endet, und eine vernünftige Entscheidung zu treffen.
Das hat die dem Beklagten strukturell weit überlegene Klägerin ausgenutzt, um das mit der Ausreichung des Geschäftskredits über 200.000 DM verbundene Risiko (auch) dem Beklagten sowie zwei anderen Arbeitnehmern der nahezu illiquiden Hauptschuldnerin aufzubürden, obwohl sich die Fragwürdigkeit der Arbeitnehmerbürgschaften für sie aufdrängen musste. Sie hat damit versucht, von der aufgezeigten Zwangslage des Beklagten und seiner Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes zu profitieren. Dies gibt, wie das BAG (BAG v. 10.10.1990 - 5 AZR 404/89, NJW 1991, 860 [861]) für eine Vereinbarung über die Belastung eines am Gewinn nicht beteiligten Arbeitnehmers mit dem Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers entschieden hat, dem Bürgschaftsvertrag nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu beurteilenden Gesamtcharakter das Gepräge der Sittenwidrigkeit.
b) Hier kommt noch erschwerend hinzu, dass der formularmäßige Bürgschaftsvertrag mehrere den Bürgen unangemessen belastende Klauseln enthält. Die weite Sicherungszweckerklärung, die die Bürgschaft auf alle bestehenden und künftigen Forderungen der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung erweitert, verstößt nach gefestigter Rechtsprechung des BGH gegen §§ 3 und 9 AGBG (BGH v. 1.6.1994 - XI ZR 133/93, BGHZ 126, 174 [177] = MDR 1994, 906; v. 18.5.1995 - IX ZR 108/94, BGHZ 130, 19 [24 ff.] = MDR 1996, 133; v. 13.11.1997 - IX ZR 289/96, BGHZ 137, 153 [155 f.] = MDR 1998, 296; v. 15.7.1999 - IX ZR 243/98, BGHZ 142, 213 [215 f.] = GmbHR 1999, 975 = MDR 1999, 1337; v. 28.10.1999 - IX ZR 364/97, BGHZ 143, 95 [96 f.] = MDR 2000, 342; v. 18.7.2002 - IX ZR 294/00, BGHZ 151, 374 [377] = BGHReport 2002, 882; Urt. v. 15.1.2002 - XI ZR 98/01, MDR 2002, 468 = GmbHR 2002, 262 = BGHReport 2002, 333 = WM 2002, 436 [438] und v. 16.1.2003 - IX ZR 171/00, MDR 2003, 585 = BGHReport 2003, 548 = WM 2003, 669 [670], für BGHZ vorgesehen). Die vorgesehene Erstreckung der Höchstbetragsbürgschaft auf Nebenforderungen über den Höchstbetrag hinaus ist mit § 9 AGBG unvereinbar (BGH v. 18.7.2002 - IX ZR 294/00, BGHZ 151, 374 [381 ff.] = BGHReport 2002, 882). Der formularmäßige Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit benachteiligt den Beklagten ebenfalls unangemessen (§ 9 AGBG), wenn er - wie hier - auch für den Fall gilt, dass die Gegenforderung des Hauptschuldners unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist (BGH, Urt. v. 16.1.2003 - IX ZR 171/00, MDR 2003, 585 = BGHReport 2003, 548 = WM 2003, 669 [671], für BGHZ vorgesehen). Der Ausschluss des § 776 BGB verstößt ebenfalls gegen § 9 AGBG (BGH v. 2.3.2000 - IX ZR 328/98, BGHZ 144, 52 [55 ff.] = MDR 2000, 841; Urt. v. 6.4.2000 - IX ZR 2/98, MDR 2000, 894 = WM 2000, 1141 [1144]). Dass diese unangemessenen Klauseln, die bei der nach § 138 Abs. 1 BGB erforderlichen Gesamtbetrachtung einen Verstoß des Bürgschaftsvertrages gegen die guten Sitten allein nicht zu begründen vermöchten, unwirksam sind, kommt der Klägerin nach dem Schutzzweck des AGB-Gesetzes bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht zugute (BGH v. 12.3.1981 - III ZR 92/79, BGHZ 80, 153 [172] = MDR 1981, 564; v. 10.7.1986 - III ZR 133/85, BGHZ 98, 174 [177] = MDR 1986, 915; v. 18.9.1997 - IX ZR 283/96, BGHZ 136, 347 [355 f.] = MDR 1997, 1103).
III.
Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben und das landgerichtliche Urteil wieder herzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 1064826 |
BGHZ 2004, 302 |
BB 2003, 2648 |
DB 2004, 183 |
DStR 2004, 146 |
DStZ 2004, 57 |
NJW 2004, 161 |
Inf 2004, 11 |
NWB 2003, 3824 |
BGHR 2004, 30 |
EBE/BGH 2003, 382 |
FamRZ 2004, 21 |
EWiR 2004, 19 |
FA 2004, 45 |
IBR 2004, 134 |
JR 2004, 373 |
JurBüro 2004, 340 |
WM 2003, 2379 |
WuB 2004, 153 |
ZAP 2003, 1247 |
ZIP 2003, 2193 |
DNotZ 2004, 305 |
EzA-SD 2003, 3 |
JuS 2004, 159 |
MDR 2004, 162 |
NJ 2004, 125 |
VersR 2004, 1183 |
BKR 2003, 850 |
BKR 2003, 976 |
GuT 2003, 242 |
RÜ 2004, 13 |
RdW 2003, 740 |
ZBB 2003, 452 |
ZGS 2003, 404 |
JT 2005, 181 |
LL 2004, 78 |
LMK 2004, 20 |