Verfahrensgang
SG Hildesheim (Urteil vom 06.12.1982) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 6. Dezember 1982 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit ruhte, für die er eine Urlaubsabgeltung bezogen hat.
Der Kläger war bis zum 30. April 1982 in einem abhängigen Arbeitsverhältnis beschäftigt. Da ihm noch ein restlicher Erholungsurlaub von neun Arbeitstagen zustand, zahlte sein Arbeitgeber ihm beim Ausscheiden eine entsprechende Urlaubsabgeltung. Der Kläger wurde am 4. Mai 1982 arbeitsunfähig krank; die Erkrankung hat bis zum 13. Mai 1982 angedauert.
Die Beklagte hat den Kläger gemäß § 311 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung -RVO- (in der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Art 4 § 1 Nr. 2 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes -AFKG- vom 22. Dezember 1981 – BGBl I S 1497 –) für die Zeit der nach dem 30. April 1982 folgenden neun Arbeitstage – bis 13. Mai 1982 – als versicherungspflichtiges Mitglied behandelt.
Mit dem Bescheid vom 4. Juni 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1982 hat die Beklagte die Zahlung des Krankengeldes für die Zeit vom 5. bis 13. Mai 1982 mit der Begründung abgelehnt, insoweit ruhe der Anspruch gemäß § 189 RVO.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 6. Dezember 1982 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung des streitigen Krankengeldes verurteilt: Nach der Zielsetzung des § 311 Satz 3 RVO habe der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, den Urlaub tatsächlich zu erleben. Da Krankheitszeiten nicht auf den Urlaub angerechnet würden, dürfe auch die auf die Zeit der Erkrankung entfallende Urlaubsabgeltungsleistung nicht auf das Krankengeld angerechnet werden.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Sprungrevision vor, das SG habe die Lohnersatzfunktion des Urlaubsabgeltungsanspruches verkannt. Ebenso wie gemäß § 117 Abs. 1a des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG- (in der Fassung durch Art 1 § 1 Nr 43 AFKG) durch die Zahlung einer Urlaubsabgeltung die Gewährung des Arbeitslosengeldes ausgeschlossen sei, verdränge die Urlaubsabgeltung auch die Zahlung des Krankengeldes. Anderenfalls würde der Versicherte, der neben der Urlaubsabgeltung auch noch das Krankengeld erhalte, zwei Lohnersatzleistungen nebeneinander beziehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 6. Dezember 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die kraft Zulassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und daher zulässige Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet. Entgegen ihrer Auffassung hat der Anspruch des Klägers auf Krankengeld in der Zeit vom 5. bis 13. Mai 1982 nicht geruht.
Nach § 189 Satz 1 RVO in der hier anzuwendenden Fassung durch Art I Nr 9 des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes (2. KVÄndG) vom 21. Dezember 1970 (BGBl I S 1770) -aF-, die bis zum 31. Dezember 1982 gegolten hat, ruht der Anspruch auf Krankengeld, wenn und soweit der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt erhält.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ruhensregelung des § 189 RVO aF nach ihrer Zielsetzung nur auf bestehende Arbeitsverhältnisse anzuwenden ist. Denn auch wenn die Vorschrift für beendete Arbeitsverhältnisse gilt, hat der Krankengeldanspruch des Klägers in der streitigen Zeit nicht geruht.
Was Arbeitsentgelt iS des § 189 RVO aF ist, bestimmt sich seit dem 1. Januar 1977 für alle Versicherungszweige einheitlich nach § 14 Abs 1 des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB 4). Danach gehören zum Arbeitsentgelt alle laufenden und einmaligen Einnahmen, die unmittelbar aus einer Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Die Frage, ob Urlaubsabgeltungen zu den laufenden oder einmaligen Einnahmen gehören, ist in Schrifttum und Rechtsprechung – allerdings noch für die am 31. Dezember 1976 außer Kraft getretene Vorschrift des § 160 RVO aF – unterschiedlich danach beurteilt worden, ob sie – unbeschadet ihrer arbeitsrechtlichen Zulässigkeit – während eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses gewährt oder ob sie nach dessen Beendigung gezahlt worden sind (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl, Teil II, Stand 64. Nachtrag, Anm 13b zu § 189 RVO, Stichwort Urlaubsabgeltung). Die nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Urlaubsabgeltung ist allgemein nicht als Entgelt iS des § 160 RVO aF angesehen worden, weil man davon ausging, daß die Beitragspflicht nur bestehen könne, wenn das Versicherungsverhältnis im Zeitpunkt der Zahlung fortdauert (vgl die Nachweise bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, Stand 58. Nachtrag, S 312 f). Der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat hingegen Urlaubsabgeltungen, die in den Jahren 1955 bis 1958 beim Ausscheiden oder erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden sind, als beitragspflichtiges Entgelt iS des § 160 Abs. 1 RVO angesehen, weil der Anspruch auf die Urlaubsabgeltung bereits mit und nicht erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sei (Urteile vom 26. Januar 1967 – 3 RK 44/64 –, BSGE 26, 68 = SozR Nr 21 zu § 160 RVO und 3 RK 25/64, SozR Nr 22 zu § 160 RVO). Weitergehend hat der 12. Senat des BSG (Urteil vom 30. November 1977 – 12 RAr 99/76 –, SozR 4100 § 141b Nr 5) im Zusammenhang mit einem Anspruch auf Konkursausfallgeld (§ 141b AFG) den Urlaubsabgeltungsanspruch dem Lohnanspruch gleichgestellt und entschieden, daß es nicht darauf ankomme, wann der Urlaubsabgeltungsanspruch gemäß § 7 Abs 4 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) vom 8. Januar 1963 (BGBl I 946) erworben wurde; er sei ein Surrogat des Anspruches auf bezahlten Urlaub und entstehe deshalb schon mit dem Urlaubsanspruch, jedoch aufschiebend bedingt für den Fall der Nichtgewährung des Urlaubs. Allerdings hat der 12. Senat des BSG (aaO) den Urlaubsabgeltungsanspruch wegen seines Ersatzcharakters für einen Urlaubszeitraum nicht auf den sich an die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zeitlich unmittelbar anschließenden Zeitraum erstreckt und auf die der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgenden Arbeitstage verteilt, sondern auf die letzten, der abzugeltenden Urlaubsdauer entsprechenden Tage des Arbeitsverhältnisses. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Rechtsprechung zu § 141b AFG zu folgen ist. Zuzustimmen ist dieser Entscheidung jedenfalls insoweit, als es sich um die auch krankenversicherungsrechtlich relevanten Auswirkungen der Urlaubsabgeltung handelt, die in gleicher Weise auch für die Abgrenzung des § 189 Satz 1 RVO aF von Bedeutung sind: Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist versicherungsrechtlich keine Einmalzahlung, sondern eine Leistung für einen bestimmten Zeitraum. Dem hat der Gesetzgeber nunmehr auch mitgliedschafts- und beitragsrechtlich Rechnung getragen. Nach § 311 Satz 3 RVO (idF durch Art 4 § 1 Nr 2 AFKG) bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger auch für den Zeitraum erhalten, für den wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht; nach § 381 Abs 6 RVO (angefügt durch Art 4 § 1 Nr 3 AFKG) sind für die Zeiträume, für die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht, von der Urlaubsabgeltung Beiträge nach den für die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer geltenden Vorschriften zu entrichten. Noch weitergehend und den Besonderheiten dieser Versicherungsbereiche entsprechend ist die für das Renten- und Arbeitslosenversicherungsrecht getroffene Regelung in § 1227 Abs 2 RVO (idF durch Art 4 § 1 Nr 19 AFKG) = § 2 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- (idF durch Art 6 § 1 Nr 1 AFKG) und des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG (idF durch Art 1 § 1 Nr 64 AFKG): Hiernach gilt das bisherige Beschäftigungsverhältnis für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs als fortbestehend. Damit ist mitgliedschafts- und beitragsrechtlich nunmehr festgelegt, daß der Urlaubsabgeltungszeitraum sich unmittelbar an das Ende des Arbeitsverhältnisses anschließt. Dies ist auch leistungsrechtlich von Bedeutung. Für die dem Kläger während der streitigen Zeit gezahlte Urlaubsabgeltung würde grundsätzlich die in § 189 RVO aF geforderte zeitliche Deckungsgleichheit (… während der Krankheit …) des Zeitraumes der Urlaubsabgeltung und des Krankengeldanspruches gegeben sein, wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch von dem Eintritt der Erkrankung unberührt bliebe. Denn er würde dann zeitgleich neben dem Krankengeldanspruch bestehen und das Krankengeld deshalb wegen seines grundsätzlichen Nachranges nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitsentgelt-Surrogat gemäß § 189 Satz 1 RVO aF ruhen.
Nach ihrer Zielsetzung ist die Urlaubsabgeltung jedoch kein mit der Krankengeldzahlung zeitlich konkurrierendes Arbeitsentgelt-Surrogat. Sie ist, wie zuvor bereits dargelegt wurde, das Surrogat für den Anspruch auf bezahlte Freizeit (Dersch/Neumann aaO RdNr 98 zu § 7 BUrlG; BSG SozR 4100 § 141b Nr 5). Zwar verlängert sich das Arbeitsverhältnis nicht um den Zeitraum, für den die Urlaubsabgeltung gezahlt wurde (Dersch/Neumann aaO RdNr 112); der Arbeitnehmer ist arbeitsrechtlich auch nicht verpflichtet, während des Urlaubsabgeltungszeitraumes tatsächlich Urlaub zu machen; er kann insbesondere auch sofort nach dem Ende des früheren Arbeitsverhältnisses ein neues beginnen. Gleichwohl verbietet es der Charakter der Urlaubsabgeltungszahlung als Surrogat bezahlter Freizeit, den Abgeltungszeitraum – jedenfalls bei Anwendung des § 189 RVO – anders als den Urlaubszeitraum selbst zu behandeln. Im Krankheitsfalle wird der Urlaub unterbrochen (§ 9 BUrlG), der Urlaubsanspruch bleibt erhalten. Zugleich setzt bei einem bestehenden Arbeitsverhältnis die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers ein, die gemäß § 189 RVO aF das Ruhen des Krankengeldanspruches zur Folge hat. Da aber die Lohnfortzahlung nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht kommt (vgl §§ 1, 6 des Lohnfortzahlungsgesetzes -LFzG-), besteht im Falle der Erkrankung nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, jedoch noch während der Laufzeit der Urlaubsabgeltung weder ein Lohnanspruch noch ein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Da für diese Zeit aber auch das vom Gesetzgeber mit dem Urlaubsabgeltungsanspruch verfolgte Ziel, die Gewährung der sich an das Ende des Arbeitsverhältnisses anschließenden bezahlten Freizeit, nicht erreicht werden kann, ist es auch nicht möglich, während der Krankheit bezahlte Freizeit durch eine entsprechende Zahlung abzugelten. Bei Berücksichtigung dieser Zielsetzung in §§ 7 Abs 4, 9 BUrlG tritt daher ebenso wie im Falle der Erkrankung während des Urlaubs bei einem bestehenden Arbeitsverhältnis eine Unterbrechung des Abgeltungszeitraumes ein mit der Folge, daß es nicht zu einer Leistungshäufung von Urlaubsabgeltung und Krankengeld für ein und denselben Zeitraum kommt. Demgemäß bezieht derjenige, der während der Bezugsdauer einer Urlaubsabgeltung arbeitsunfähig erkrankt, für die Dauer der Krankheit während des Urlaubsabgeltungszeitraumes auch kein gemäß § 189 Abs 1 RVO anrechnungspflichtiges Arbeitsentgelt-Surrogat.
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung ist eine andere Abgrenzung auch nicht im Hinblick auf die ab 1. Januar 1982 für den Bereich des Arbeitslosengeldes geltende Vorschrift des § 117 Abs 1a AFG (idF durch Art 1 § 1 Nr 43 AFKG) geboten. Es kann dahingestellt bleiben, ob – wie die Beklagte meint – der dieser Vorschrift innewohnende Gedanke als allgemeingültig angesehen und ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung auf das Leistungsrecht der Krankenversicherung übertragen werden kann. Der Gesetzgeber hat die Einfügung des § 117 Abs 1a AFG zur Ergänzung des geltenden Rechts für erforderlich gehalten. Dabei hat er einerseits zwischen Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung unterschieden, zum anderen jedoch die Urlaubsabgeltung als eine “Form des Arbeitsentgelts” angesehen (Begründung zu Art I § 1 Nr 35 des Entwurfs des AFKG, BR-Drucks 369/81, S 43). Es ist daher fraglich, ob es dieser ergänzenden Regelung im Hinblick auf die zuvor getroffene Inhaltsbestimmung des Begriffes Arbeitsentgelt durch den erkennenden Senat überhaupt bedurfte. Der Gesetzgeber hat jedoch mit der Schaffung des § 117 Abs. 1a AFG ebensowenig wie in § 117 Abs 1 AFG und in § 189 RVO die hier allein entscheidungserhebliche und vom Senat verneinte Frage geregelt, ob der Urlaubsabgeltungsanspruch während einer im Abgeltungszeitraum auftretenden und Arbeitsunfähigkeit bewirkenden Erkrankung überhaupt besteht und das Ruhen der nachrangigen sozialversicherungsrechtlichen Lohnersatzleistung (Krankengeld, Arbeitslosengeld) bewirken kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen