Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluß: Sorgfalt der Prozeßführung und GG Art 103 Abs 1 - höchstrichterliche Rspr schafft keinen Vertrauenstatbestand - wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und Einfluß des Lohngleichheitsgebots auf betriebliche Altersversorgung für Teilzeitbeschäftigte
Orientierungssatz
1. Unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs muß das Revisionsgericht nicht an das Instanzgericht zurückverweisen, um einer Prozeßpartei Gelegenheit zu geben, ihr Vorbringen zu ergänzen, wenn für diese nach dem bisherigen Verfahrensverlauf zu einem umfassenden Vortrag Anlaß bestanden hätte.
2. Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung (vgl BVerfG, 1991-06-26, 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 ≪227≫). Sie ändern die Rechtslage nicht, sondern stellen sie lediglich aufgrund eines - prinzipiell irrtumsanfälligen - Erkenntnisprozesses für den konkreten Fall fest.
3. Vorliegend verletzt die angegriffene Entscheidung des BAG, mit der die Wartezeitregelung einer betrieblichen Versorgungsordnung, soweit darin für eine Leistungsberechtigung eine mindestens 15-jährige Vollzeitbeschäftigung verlangt wurde, wegen ihrer objektiv diskriminierenden Wirkung des ganz überwiegenden Ausschlusses von Teilzeitbeschäftigten und Verstoßes gegen EWGVtr Art 119 als nichtig angesehen wurde, weder GG Art 2 Abs 1 noch das Rechtsstaatsprinzip aus GG Art 20 Abs 3:
a) Die Rechtslage, auch nach der höchstrichterlichen Rspr, war schon bei Festlegung der maßgeblichen Versorgungsordnung im Jahr 1973 nicht so eindeutig, daß das betroffene Unternehmen darauf hätte vertrauen dürfen, daß die Benachteiligung von - überwiegend weiblichen - Teilzeitbeschäftigten rechtlich abgesichert war. Den für die Rechtsfigur "mittelbare Diskriminierung" maßgebenden Gedanken hatte das BVerfG bereits 1958 allgemein zum Ausdruck gebracht (vgl BVerfG, 1958-06-24, 2 BvF 1/57, BVerfGE 8, 51 ≪64≫ "Erstes Parteienfinanzierungsurteil").
b) Auch im Blick auf ein früheres, die Versorgungsordnung billigendes Urteil des BAG durfte das Unternehmen nicht darauf vertrauen, daß das Gericht die Regelung auch dann gutheißen würde, wenn in den Tatsacheninstanzen der Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung erbracht war.
c) Da die Versorgungsordnung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht mit Rückwirkung zu Lasten des Unternehmens verändert, sondern lediglich mit dem geltenden Recht in Einklang gebracht wurde, liegt auch keine Beeinträchtigung der durch GG Art 2 Abs 1 geschützten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit vor.
Normenkette
EWGVtr Art. 119; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
I.
1. Die Beschwerdeführerin, ein Kaufhausunternehmen, gewährt ihren Arbeitnehmern seit 1959 eine betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe einer mehrfach umgestalteten Versorgungsordnung, die auf Betriebsvereinbarungen beruht. Bis zum Jahre 1973 erhielten nur Vollzeitbeschäftigte eine betriebliche Altersversorgung. Seitdem sind nach einer Betriebsvereinbarung auch Teilzeitbeschäftigte leistungsberechtigt, wenn sie bei einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von wenigstens 20 Jahren insgesamt mindestens 15 Jahre als Vollzeitbeschäftigte tätig waren.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war vom 15. April 1961 bis zum September 1972 bei der Beschwerdeführerin ganztags als Verkäuferin beschäftigt. Danach arbeitete sie auf eigenen Wunsch bis zu ihrem Ausscheiden am 14. April 1976 als Teilzeitkraft weiter. Die Beschwerdeführerin versagte ihr eine unverfallbare Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung, weil sie nur 11 Jahre lang vollzeitbeschäftigt gewesen sei.
2. Das Arbeitsgericht stellte auf Antrag der Klägerin fest, daß eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung bestehe. Das der Berufung stattgebende Urteil des Landesarbeitsgerichts wurde vom Bundesarbeitsgericht aufgehoben. Die Sache wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Im Revisionsurteil wird unter anderem ausgeführt, eine Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten bei der Gewährung betrieblicher Ruhegelder sei nur zulässig, wenn dafür sachliche Gründe bestünden, die sich aus der besonderen Interessenlage ergäben. Nach dem Vorbringen der Klägerin treffe der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten nahezu ausschließlich Frauen. Wenn das zuträfe, müßte die Beschwerdeführerin die geschlechtsneutralen Gründe darlegen und beweisen, die sie zu der differenzierenden Regelung geführt hätte. Eine Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten, die nicht mit betrieblichen Notwendigkeiten, sondern mit der schlechteren Arbeitsmarktsituation der Frauen zusammenhänge, verstoße gegen Art. 3 Abs. 2 GG und könne deshalb keinen Bestand haben. In seinem zweiten Berufungsurteil sah das Landesarbeitsgericht die maßgebliche Betriebsvereinbarung als gültig an, weil sie durch betriebswirtschaftliche und verkaufsstrategische Gründe gerechtfertigt sei. Auch fehle es an einem auffallenden Mißverhältnis zwischen teilzeitarbeitenden Männern und Frauen. Es wies die Berufung dennoch zurück, weil die Betriebsvereinbarung in gleichheitswidriger Weise diejenigen Teilzeitbeschäftigten begünstige, die bereits am 30. September 1966 in einem Teilzeitarbeitsverhältnis standen.
In einem zweiten Revisionsverfahren wies das Bundesarbeitsgericht nach Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften die Revision der Beschwerdeführerin zurück. Die Wartezeitregelung der Versorgungsordnung sei wegen Verstoßes gegen Art. 119 EWG- Vertrag nichtig, soweit sie eine 15jährige Vollzeitbeschäftigung verlange und damit Teilzeitbeschäftigte ganz überwiegend ausschließe. Von der Regelung seien zehnmal mehr Frauen betroffen als Männer. Der damit gegebene objektive Tatbestand einer diskriminierenden Wirkung führe zur Unwirksamkeit der Regelung, wenn kein "wirkliches Bedürfnis" des Unternehmens dafür spreche. Ein solches Bedürfnis habe die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen. Die Nichtigkeit der Wartezeitregelung erfasse die Versorgungsordnung im übrigen nicht. Dem Lohngleichheitsgebot könne für zurückliegende Tatbestände nur noch dadurch genügt werden, daß Teilzeitbeschäftigte bis zu einer künftigen Änderung der Versorgungsordnung in den Kreis der Berechtigten einbezogen würden. Auf das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot könne die Beschwerdeführerin sich nicht berufen. Art. 119 EWG-Vertrag gelte seit 1958; das Lohngleichheitsgebot habe das Bundesarbeitsgericht schon im Jahre 1955 aus Art. 3 Abs. 2 GG abgeleitet. Viele Einzelfragen seien umstritten gewesen. Deswegen habe ein Vertrauenstatbestand im Hinblick auf eine bestimmte Rechtsprechung nicht entstehen können. Das Interesse der Beschwerdeführerin an der Einhaltung des ursprünglichen Dotierungsrahmens trete hinter dasjenige der Beschwerdeführerin an der Befolgung des Diskriminierungsverbots zurück.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Entscheidungen widersprächen dem Gebot des Vertrauensschutzes. Die mit der Festlegung des Dotierungsrahmens getroffene unternehmerische Entscheidung genieße den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG. Das Vertrauen sei durch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1978 begründet worden, in der es die jetzt beanstandete Versorgungsregelung als nicht unbillig und auch im übrigen bedenkenfrei bewertet habe. Darauf habe sie sich hinsichtlich ihrer Rücklagen eingerichtet und sei wegen dieses Urteils auch nicht bereits 1978 mit dem Gesamtbetriebsrat in Verbindung getreten, um eine Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten zu erreichen. Je länger eine Versorgungsordnung bestehe, um so größer werde der Besitzstand der Arbeitnehmer und damit die finanzielle Belastung des Arbeitgebers.
Mit der Zuerkennung einer unverfallbaren Teilanwartschaft auf betriebliche Altersversorgung zugunsten der Klägerin des Ausgangsverfahrens werde der Kreis der Anspruchsberechtigten nachträglich neu festgelegt. Dies führe zu zusätzlichen Rückstellungen für die Klägerin in Höhe von 7.473 DM und für das Gesamtunternehmen von 37 Millionen DM zuzüglich weiterer Folgekosten. Der Konzern werde dadurch in seiner wirtschaftlichen Existenz berührt. Das Bundesarbeitsgericht habe ihre Interessen nicht gerecht abgewogen. Dabei hätte auch berücksichtigt werden müssen, daß der Arbeitnehmer nach § 611 a BGB nur das negative Interesse verlangen könne. In die gleiche Richtung weise die EG-Richtlinie 86/378.
Das angegriffene Urteil verletze ihr Recht auf rechtliches Gehör, weil die Anforderungen an eine berechtigte Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigung im Laufe des Verfahrens entscheidend verschärft worden seien. In der letzten Tatsacheninstanz sei die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften geschaffene und vom Bundesarbeitsgericht übernommene Definition des "sachlichen Grundes" noch nicht bekannt gewesen. Das Bundesarbeitsgericht hätte die Sache deshalb erneut an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen müssen, um Gelegenheit zu ergänzenden Tatsachenfeststellungen zu geben. In diesem Fall hätte sie, die Beschwerdeführerin, ein "wirkliches Bedürfnis" für die differenzierende Regelung vortragen und unter Beweis stellen können.
4. Zu dem Verfahren haben sich im Sinne der Verfassungsbeschwerde der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels und die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung geäußert. Entgegengetreten sind der Verfassungsbeschwerde der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, der Deutsche Juristinnenbund und der Deutsche Frauenrat.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts wendet. Insofern genügt sie nicht den Begründungsanforderungen der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG. Sie setzt sich mit den Gründen dieser Entscheidungen nicht auseinander und läßt nicht erkennen, inwiefern die Beschwerdeführerin durch sie in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt sein könnte.
2. Soweit sie sich gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wendet, hat die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil das angegriffene Urteil offensichtlich nicht gegen Grundrechte der Beschwerdeführerin verstößt.
a) Das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist gewahrt. Das Bundesarbeitsgericht brauchte den Rechtsstreit nicht erneut an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, um der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu geben, ihr Vorbringen zum "wirklichen Bedürfnis" für die diskriminierende Regelung ihrer Versorgungsordnung zu ergänzen. Es ist nicht ohne weiteres einsichtig, kann aber dahingestellt bleiben, ob, wie die Beschwerdeführerin meint, das Bundesarbeitsgericht im angegriffenen Urteil weitergehende Anforderungen an das Gewicht der Rechtfertigungsgründe gestellt hat als in der ersten Revisionsentscheidung. Denn die Beschwerdeführerin hätte schon aufgrund der Entscheidungsgründe des ersten Revisionsurteils Anlaß gehabt, ihre Interessen an der Zurücksetzung der Teilzeitbeschäftigten vollständig darzulegen. Schon deshalb ist ihr ein entscheidungserheblicher Sachvortrag nicht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG abgeschnitten worden.
Bereits im ersten Revisionsurteil hatte das Bundesarbeitsgericht ausgesprochen, daß eine Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten sachlich begründet sein müsse, um dem Willkürverbot standzuhalten. Die sachlichen Gründe müßten sich aus der besonderen Interessenlage ergeben. Dieser - das Landesarbeitsgericht für das weitere Verfahren bindende - Ausspruch mußte der Beschwerdeführerin bei sorgfältiger Prozeßführung Anlaß geben, ihre betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen an der Benachteiligung von Teilzeitkräften umfassend vorzutragen und unter Beweis zu stellen. Daß nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts ein Engpaß auf dem Arbeitsmarkt für vollzeitbeschäftigte Verkäuferinnen verbunden mit betrieblichen Schwierigkeiten beim Einsatz von Teilzeitkräften in den Stoßzeiten unter Umständen ein rechtfertigender Grund sein könnte, war bei hinreichender Sorgfalt kein Grund, sich im weiteren Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht auf diesen Gesichtspunkt zu beschränken. Das gilt um so mehr, als das Bundesarbeitsgericht einen Verstoß gegen das Gleichberechtigungsgebot nur für den Fall ausgeschlossen hatte, daß die differenzierende Regelung durch sachliche, geschlechtsneutrale Gründe geboten war. Dieser Ausspruch läßt zweifelsfrei erkennen, daß jedenfalls in diesem Zusammenhang das Vorliegen irgendeines sachlichen Grundes nicht genügte, sondern das Gewicht aller für die Versorgungsregelung maßgeblichen Gründe zu berücksichtigen war. Demgemäß hatte das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich gefordert, die Beschwerdeführerin müsse die Gründe darlegen und beweisen, die sie zu der unterschiedlichen Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten veranlaßt hätten.
b) Die Beschwerdeführerin wird durch das angegriffene Urteil auch nicht in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit verletzt, die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist. Das Vertrauen in die Rechtsgültigkeit ihrer Versorgungsordnung war nicht so verläßlich begründet, daß das Bundesarbeitsgericht es aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) möglicherweise hätte schützen müssen. Dabei kann offenbleiben, wie weit durch Gerichtsentscheidungen überhaupt ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden kann, der bei einer Änderung der Rechtsprechung von Verfassungs wegen berücksichtigt werden muß. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu dieser Frage bisher nicht geäußert. Zwar sind belastende Gesetze, die sich echte Rückwirkung beilegen, regelmäßig mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar (BVerfGE 23, 12 ≪32≫; 24, 220 ≪229≫; 30, 367 ≪385 f.≫; 32, 111 ≪123≫; vgl. auch BVerfGE 50, 177 ≪193≫; 71, 1 ≪11 ff.≫). Daraus folgt aber nicht ohne weiteres eine gleichartige Bindung der Gerichte. Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung (BVerfGE 38, 386 ≪396≫; 84, 212 ≪227≫). Sie ändern die Rechtslage nicht, sondern stellen sie lediglich aufgrund eines - prinzipiell irrtumsanfälligen - Erkenntnisprozesses für den konkreten Fall fest.
aa) Schon als die hier maßgeblichen Regelungen der Versorgungsordnung von der Beschwerdeführerin festgelegt wurden, war die Rechtslage auch unter Würdigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung keineswegs eindeutig. Es entspricht zwar seit langem ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Ansicht, daß Betriebsrenten sowohl Entgelt- als auch Versorgungscharakter haben (vgl. Blomeyer/Otto, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 1984, Einl. Rdnrn. 114 ff. mit zahlreichen Nachweisen), aber was daraus im einzelnen folgt, war vielfach umstritten. Daß Teilzeitbeschäftigte von solchen Sonderleistungen rechtswirksam ausgeschlossen werden konnten, wurde in der Fachliteratur bezweifelt (vgl. Becker, Arbeitsrechtliche Probleme der Teilzeitbeschäftigung, 1970, S. 100 ff. ≪106 f.≫). Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1958 (AP Nr. 28 zu Art. 3 GG) dürfen Richtlinien einer betrieblichen Altersversorgung nicht gegen die Differenzierungsverbote des Grundgesetzes und des § 51 BetrVG 1952 (§ 75 BetrVG 1972) verstoßen. Seit 1974 ist höchstrichterlich geklärt, daß Frauen auch bei freiwilligen Lohnzulagen nicht benachteiligt werden dürfen (BAG, AP Nr. 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Vor diesem Hintergrund konnte das beschwerdeführende Unternehmen keineswegs darauf vertrauen, daß die in ihrer Versorgungsordnung festgelegte Benachteiligung von - überwiegend weiblichen - Teilzeitbeschäftigten eindeutig rechtlich abgesichert war.
Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Begriff "mittelbare Diskriminierung" erst gegen Ende der 70er Jahre in die arbeitsrechtliche Diskussion Eingang fand, nachdem dieser Tatbestand in der EG-Richtlinie 76/207 vom 9. Februar 1976 (Amtsbl. Nr. L 39/40) erstmalig ausdrücklich formuliert wurde (so aber Lipke, Individualrechtliche Grundprobleme der Teilzeitarbeit, ArbuR 1991, S. 76 ≪83≫ und, ihm folgend, Hanau, Beschränkung der Rückwirkung neuer Rechtsprechung zur Gleichberechtigung im Recht der betrieblichen Altersversorgung, DB 1991, S. 1276 ≪1280≫). Den für diese Rechtsfigur maßgebenden Gedanken hatte bereits das Bundesverfassungsgericht 1958 im ersten Parteienfinanzierungsurteil allgemein zum Ausdruck gebracht. Danach widerspricht auch ein Gesetz, das in seinem Wortlaut eine ungleiche Behandlung vermeidet und seinen Geltungsbereich abstrakt-allgemein umschreibt, dann dem Gleichheitssatz, wenn sich aus seiner praktischen Anwendung eine offenbare Ungleichheit ergibt und diese ungleiche Auswirkung gerade auf die rechtliche Gestaltung zurückzuführen ist (BVerfGE 8, 51 ≪64≫ unter Hinweis auf Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz und das Bonner Grundgesetz, DVBl. 1951, S. 193 ≪195 f.≫, und ders., Die Gleichheit vor dem Gesetz, AöR N.F. 12 (1927), S. 1 f. ≪15, 16≫). Zutreffend weisen Hanau/Preis darauf hin, daß sich eine Übertragung dieser Erkenntnisse auf den Fall der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung förmlich aufdränge (Zur mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts, ZfA 1988, S. 177 ≪185≫).
bb) Aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1978, in der die hier maßgebliche Versorgungsordnung als rechtlich unbedenklich eingestuft wurde, kann die Beschwerdeführerin einen Vertrauenstatbestand, der vom Bundesarbeitsgericht aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit hätte berücksichtigt werden müssen, nicht ableiten.
Das Bundesarbeitsgericht legt im angegriffenen Urteil in überzeugender Weise dar, daß die dem Revisionsurteil aus dem Jahre 1978 zugrundeliegenden Tatsachenfeststellungen keinen Anlaß gaben, die Möglichkeit einer mittelbaren Diskriminierung in den Blick zu nehmen, und daß auch die rechtlichen Erörterungen im Revisionsverfahren diesen Fragenkreis nicht berührten. Unter diesen Umständen, die der Beschwerdeführerin als damaliger Prozeßpartei in allen Einzelheiten bekannt waren, konnte sie nicht in einer verfassungsrechtlich schutzbedürftigen Weise darauf vertrauen, daß das Bundesarbeitsgericht ihre Versorgungsordnung auch dann gutheißen würde, wenn in den Tatsacheninstanzen der Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung der weiblichen Arbeitskräfte bei der betrieblichen Altersversorgung erbracht war.
cc) Die Beschwerdeführerin wird durch das angegriffene Urteil auch nicht, wie sie vorträgt, in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit auf unverhältnismäßige Weise beeinträchtigt. Ihre Versorgungsordnung ist nicht mit Rückwirkung zu ihren Lasten verändert, sondern nur mit dem geltenden Recht in Einklang gebracht worden, ohne daß dabei in einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand eingegriffen wurde. Selbst wenn man mit der Beschwerdeführerin darin eine unechte Rückwirkung erblicken wollte, weil die Arbeitsgerichte Versorgungsordnungen bei mittelbarer Diskriminierung von Arbeitnehmerinnen zuvor nicht beanstandet hatten (vgl. BVerfGE 59, 128 ≪165 ff.≫), so verstieße das angegriffene Urteil nicht gegen den im Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung anhand dieses Grundsatzes überprüft. Die in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen halten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung offensichtlich stand. Mit Recht stellt es dabei auf eine Abwägung der Belange der Klägerin des Ausgangsverfahrens mit denen der Beschwerdeführerin ab. Dabei fällt auf der einen Seite ins Gewicht, daß den zu Unrecht benachteiligten Arbeitnehmerinnen nur durch eine ergänzende Auslegung der Versorgungsordnung Schutz vor einer unzulässigen Diskriminierung gewährt werden konnte. Dem stehen zwar einerseits die nicht unbeträchtlichen Aufwendungen der Beschwerdeführerin gegenüber, die sie entgegen ihren ursprünglichen Absichten zusätzlich erbringen muß. Daß diese jedoch vom Unternehmen nicht erwirtschaftet werden können oder gar seine Existenz ernstlich in Frage stellen, macht die Beschwerdeführerin selbst nicht geltend. In der Verfassungsbeschwerde wird auch nicht vorgetragen, daß sich die Beschwerdeführerin seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. April 1982 (AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung) um eine Änderung ihrer Versorgungsordnung mit dem Ziel einer kostenneutralen Gleichstellung von Vollzeit- und Teilzeitarbeitskräften bemüht hätte. Schließlich verdient auch der vom Bundesarbeitsgericht angeführte Gesichtspunkt Beachtung, daß die Beschwerdeführerin entscheidenden Einfluß auf die Ausgestaltung ihrer Versorgungsordnung hatte und die bestehende Unsicherheit der Rechtslage weitaus besser als ihre Arbeitnehmerinnen beurteilen konnte. Auch diese Gesichtspunkte lassen es als gerechtfertigt erscheinen, ihr die rechtlichen Risiken ihrer Versorgungsordnung aufzubürden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 543601 |
DB 1992, 2511-2512 (Gründe) |
DWiR 1993, 239-241 (red. Leitsatz und Gründe) |
EWiR 1992, 1195 (red. Leitsatz) |
NZA 1993, 213 |
NZA 1993, 213-215 (red. Leitsatz und Gründe) |
WM IV 1992, 2068-2071 (red. Leitsatz und Gründe) |
ZIP 1993, 140 |
ZIP 1993, 140-142 |
ZTR 1993, 79-80 (red. Leitsatz 1 und Gründe) |
AP BeschFG 1985 § 2, Nr. 24 (red. Leitsatz) |
AP BetrAVG § 1, Nr. 7 Teilzeit (Leitsatz) |
AP EWG-Vertrag Art. 119, Nr. 32 (red. Leitsatz und Gründe) |
AP GG Art. 103, Nr. 41 (red. Leitsatz) |
AP GG Art. 12, Nr. 73 (red. Leitsatz) |
AP GG Art. 20, Nr. 15 (red. Leitsatz und Gründe) |
AR-Blattei, ES 460 Nr. 282 (Gründe) |
ArbuR 1993, 120 (Leitsatz) |
Streit 1992, 177 |
Streit 1992, 177-179 (red. Leitsatz und Gründe) |