Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines Arbeitsvertrags wegen unwahre Beantwortung der Frage nach einer anerkannten Schwerbehinderung oder Gleichstellung. Entschädigungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Die tätigkeitsneutrale Frage nach einer anerkannten Schwerbehinderung oder Gleichstellung ist unzulässig. Sie stellt eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung schwerbehinderter Menschen dar. Eine Anfechtung des Arbeitsvertrages oder Kündigung ist wegen unwahrer Beantwortung dieser Frage unzulässig. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs 2 AGG kommt grundsätzlich in Betracht, kann aber im Einzelfall ausgeschlossen sein, wenn der materielle Schadensausgleich ausreichend ist.
Leitsatz (redaktionell)
Die Falschbeantwortung der tätigkeitsneutralen Frage des Arbeitgebers bei Einstellung nach einer anerkannten Schwerbehinderung oder Gleichstellung berechtigt nicht zu Anfechtung des Arbeitsvertrags, weil die Frage unzulässig ist.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1, § 123 Abs. 1; SGB § 81 Abs. 2 S. 1; AGG §§ 9, 15 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.05.2009; Aktenzeichen 7 Ca 7633/08) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Frankfurt am Main vom 20. Mai 2009 – 7 Ca 7633/08 – wird zurückgewiesen, soweit sich die Beklagte gegen die Feststellung des Arbeitsgerichtes wendet, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Anfechtung der Beklagten vom 08. Oktober 2008 und nicht durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Oktober 2008 aufgelöst worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes in Frankfurt am Main vom 20. Mai 2009 – 7 Ca 7633/08 – wird zurückgewiesen, soweit diese die Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer in das Ermessen des Gerichtes gestellten Entschädigung, die jedoch den Betrag von 96.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, begehrt.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zunächst über den durch eine Anfechtungserklärung des Arbeitgebers bzw. eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitgebers angegriffenen Bestand des Arbeitsverhältnisses infolge der wahrheitswidrig von der Klägerin in einem Personalfragebogen beantworteten Frage nach dem Bestehen einer anerkannten Schwerbehinderung, sowie um einen Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG.
Die am … geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist bei der Beklagten seit 01. März 2007 im Vertrieb aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 31. Januar 2007 (Bl. 22 – 29 und 155 – 162 d. A.) beschäftigt. Die Klägerin ist seit dem 23. Juli 1998 anerkannte Schwerbehinderte mit einem GdB 50. Das Jahreseinkommen der Klägerin (Zielgehalt 2008) belief sich auf EUR 80.000,04 brutto, wovon EUR 50.500,04 brutto Fixgehalt waren. Weiter stand der Klägerin ein Dienstwagen zur privaten Nutzung zur Verfügung. Für die Privatnutzung ist steuerlich ein Betrag von EUR 416,00 monatlich in Ansatz gebracht worden.
Die Beklagte ist ein Softwareunternehmen mit Sitz in xxx. Bei der Beklagten sind bundesweit mehr als 1200 Arbeitnehmer, davon rund 20 anerkannt Schwerbehinderte beschäftigt. Die Beklagte unterhält eine Niederlassung in xxx.
Die Klägerin war bei der Beklagten im Geschäftsbereich Business Unit Information (BUI) schwerpunktmäßig mit IT-Servicemanagement betraut, was entsprechende Reisen bzw. Dienstfahrten mit sich brachte. Sofern die Klägerin nicht im Außendienst tätig war bzw. Kunden besuchte, kam sie ihrer Tätigkeit in der Niederlassung der Beklagten in xxx nach.
In einem sog. Personalfragebogen zum Arbeitsvertrag (vgl. Bl. 116 – 119 d. A.), den die Klägerin handschriftlich ausfüllte, antwortete sie wie folgt auf die Fragen der Beklagten bzw. kreuzte folgende Antworten an:
„…
II. Persönliche Verhältnisse:
Sind Sie anerkannter Schwerbehinderter oder Gleichgestellter?
…
Gibt es gesundheitliche Beeinträchtigungen, die möglicherweise die Arbeitsleistung
einschränken können?
…
Sind Sie auch für eine Außendiensttätigkeit voll belastbar?
Ob und inwieweit die Klägerin ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses anstandslos und zur Zufriedenheit der Beklagten erbracht hat, ist zwischen den Parteien umstritten. Im Jahr 2007 lag der Zielerreichungsgrad der Klägerin bezüglich der variablen Vergütung bei 70,74%. Insoweit und auch hinsichtlich der Beurteilung der Klägerin insgesamt wird auf die Niederschrift eines Mitarbeitergesprächs 2008 vom 07. April 2008 (Bl. 120 – 122 d. A.) verwiesen.
Die Klägerin teilte der Beklagten am 07. Oktober 2008 ihre Anerkennung als Schwerbehinderte mit, nachdem ihr unter Hinweis auf betriebsbedingte Gründe nahe gelegt wurde, gegen Abfindung aus dem Arbe...