Entscheidungsstichwort (Thema)
rechtswidrige ordentliche Änderungskündigung gegenüber einem Ersatzmitglied des Betriebsrats. Standortverlagerung. Stilllegung einer Betriebsabteilung. nachwirkender Sonderkündigungsschutz
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG kommt die Kündigung eines Mitarbeiters, der Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG genießt, bei Stilllegung des Betriebs oder einer Betriebsabteilung nur dann in Betracht, wenn die Übernahme in eine andere Betriebsabteilung aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist.
2. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG erstreckt sich auch auf Ersatzmitglieder, die wegen einer zeitweiligen Verhinderung eines regulären Betriebsratsmitglieds gem. § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG tätig waren. Das Zustimmungserfordernis i.S.v. § 103 BetrVG besteht indes nur, wenn das Ersatzmitglied entweder endgültig für ein ausgeschiedenes Mitglied in den Betriebsrat eingerückt ist (§ 25 Abs. 1 S. 1 BetrVG) oder wenn und solange es ein zeitweilig verhindertes Mitglied vertritt (§ 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Ersatzmitglieder, die nach Beendigung der Vertretungszeit wieder aus dem Betriebsrat ausgeschieden sind, haben nur noch den nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 1 S. 2, Abs. 4-5; BetrVG § 25 Abs. 1, § 103
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Urteil vom 10.02.2011; Aktenzeichen 1 Ca 1707/10) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 2 AZN 1974/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.02.2011 – 1 Ca 1707/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der S2-Card-Industrie. Sie entwickelt, produziert und vertreibt Chipkarten in den Bereichen Telekommunikation, Gesundheit, Identifikation und Banking. Sie ist ein Teil der französischen S7-Gruppe und unterhält in Deutschland zwei Betriebe in F1 bei K1 und in P1. Für beide Standorte ist ein Betriebsrat gewählt.
Am Standort in F1 sind ca. 350 Mitarbeiter tätig, die hauptsächlich in der Produktion eingesetzt sind. Im Betrieb in P1, in dem ca. 190 Mitarbeiter tätig sind, liegt der Schwerpunkt in der Produktentwicklung, im Bereich „Research und Development”, in dem die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Beklagten zusammengefasst wurden. Daneben befindet sich in P1 ein Bereich „Sales und Administration”, dessen Zweck darin besteht, die von der Beklagten entwickelten Produkte zu vertreiben (Sales) und zentrale, das Unternehmen verwaltende Funktionen, insbesondere das Controlling, das Facility-Management, eine Rechtsabteilung und den Bereich Corporate Communication zu betreiben. An ihrem Betriebssitz in P1 hatte die Beklagte eine vollständige Büroetage im 5. Obergeschoss des Firmengebäudes sowie Teile des 4. Obergeschosses angemietet. Auf den Raumplan des 5. Obergeschosses, in dem unter anderem im Wesentlichen die Mitarbeiter des Bereichs Sales und Administration ihrer Tätigkeit nachgingen (Bl. 188 d.A.), wird Bezug genommen.
Der am 10.07.1957 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur der Nachrichtentechnik. Er ist geschieden und hat drei Kinder im Alter zwischen 12 und 20 Jahren. Seit dem 01.04.1994 steht er in den Diensten der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin im Betrieb in P1 und war dort in verschiedenen Bereichen, unter anderem als Produktmanager für Chipkartensysteme in den Bereichen Telco, Banking als auch ID, tätig. Von 2002 bis 2007 übte er die Funktion eines Produktmanagers Telco-Smartcards Tools und 2G Sim-Produkte aus. In den Jahre 2008 und 2009 fungierte er als Sales Coordinator Telco, bis er nach einem Kündigungsschutzverfahren ab 2009 in seiner jetzigen Funktion als Tender Manager Banking Central Europe seine Arbeitsleistung erbrachte. Diese Tätigkeit fasste die Beklagte in dem Bereich „Sales BHID” zusammen. Tender sind Ausschreibungen, mit denen potenzielle Kunden der Beklagten bestimmte Daten derselben aus allen Bereichen des Unternehmensgeschehens abfragen.
Der Verdienst des Klägers lag zuletzt bei 6.250,00 EUR brutto. Seine Arbeitsleistung erbrachte er im Rahmen einer 39-Stunden-Woche. Direkter Vorgesetzter des Klägers ist der Direktor Sales G1 (vgl. Organigramm Bl. 189 f. d.A.).
Am 23.04.2010 nahm der Kläger als Ersatzmitglied für das wegen einer Geschäftsreise verhinderte ordentliche Betriebsratsmitglied S8 an einer Betriebsratssitzung teil (Bl. 18, 19 d.A.).
Zu Beginn des Jahres 2010 beschloss die Beklagte, Teile ihres Unternehmens von P1 nach F1 zu verlagern. Hiervon waren folgende Bereiche betroffen:
- Marketing and Competitive Intelligence
- Controlling
- Facility Management
- Legal Department
- Corporate Communication
- Assistenzbereich für PL Telco/Sales ohne Executive Assistance
- Business Operations
- Sales Telco
- Sales Administration Telco
- Technical Consultants
- Sales BHID
- Sales Administration BHID
- Security.
Ob es sich bei diesen Bereichen um eine ode...