Entscheidungsstichwort (Thema)
unwirksame ordentliche betriebsbedingte Kündigung. Sozialauswahl. Betriebsbezogenheit. Beschränkung der Sozialauswahl auf Betriebsteil oder Betriebsabteilung. Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl. kündigungsschutzrechtlicher bzw. betriebsverfassungsrechtlicher Betriebsbegriff. einheitlicher Leitungsapparat
Leitsatz (redaktionell)
Nach der Konzeption des § 1 Abs. 3 KSchG ist die Sozialauswahl betriebsbezogen durchzuführen. Aus der Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl folgt, dass sie nicht auf Betriebsteile oder einzelne Bereiche beschränkt werden kann, insbesondere steht der Notwendigkeit einer betriebsbezogenen Sozialauswahl nicht schon die räumliche Entfernung einzelner Filialen eines Bezirks entgegen. Auch ein Hauptbetrieb und eine räumlich weit entfernte Betriebsstätte i.S.v. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG können deshalb einen Betrieb im Sinn des Kündigungsschutzgesetzes bilden. Die betriebsverfassungsrechtliche Eigenständigkeit einzelner Betriebsteile steht danach einer betriebsteilübergreifenden und betriebsbezogenen Sozialauswahl nicht entgegen. Für die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ist insoweit der Betriebsbegriff des § 23 KSchG, nicht der des § 4 BetrVG maßgebend.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3, § 23; BetrVG §§ 1, 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Urteil vom 13.01.2011; Aktenzeichen 6 Ca 3686/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 13.01.2011 – 6 Ca 3686/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten, der ehemaligen Beklagten zu 1., vom 29.07.2010. In erster Instanz hatte der Kläger zusätzlich den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die ehemalige Beklagte zu 2. geltend gemacht.
Der am 15.06.1958 geborene Kläger ist verheiratet und hat ein Kind. Er ist staatlich geprüfter Techniker.
Seit dem 01.01.1991 ist er bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, die mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, zuletzt als Servicetechniker im Kundendienstleistungszentrum (OES Support Engineer 2nd Level) zu einem monatlichen durchschnittlichen Bruttoverdienst von zuletzt 6.964,25 EUR in Vollzeit tätig. Seit Dezember 2000 übte der Kläger seine Tätigkeit vereinbarungsgemäß aufgrund einer mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen Zusatzvereinbarung (Bl. 327 d. A. 10 Sa 1086/11 Landesarbeitsgericht Hamm) in seinem Home-Office in D1 aus. Er nahm u.a. Störungsmeldungen von Kunden telefonisch entgegen und behob diese „remote” von seinem Rechner aus. Soweit die Fehlerbehebung „remote” nicht möglich war, gab der Kläger die Meldung an den Bereich IS Data Center/IS High-End weiter, der die Bearbeitung durch die Entsendung eines Technikers zum Kunden fortsetzte.
Das Kundendienstleistungszentrum, in dem der Kläger seine Tätigkeit neben anderen Mitarbeitern verrichtete, war dem ESC zugeordnet. Das ESC war seinerseits eine Unterabteilung von MMS, in der eine Vielzahl von Dienstleistungen im IT-Servicegeschäft gegenüber zahlreichen verschiedenen Kunden erbracht wurde. Der Bereich MMS war regional in mehreren Regionen aufgeteilt – Nord (Hamburg), Mitte (Frankfurt am Main), West (Düsseldorf) und Süd-Ost (München-Unterföhring).
Neben dem Bereich MSS bestanden bei der Beklagten zuletzt folgende Bereiche – BU: ASIC, HRE, SEB und Outsourcing. Die Bereiche ASIC, HRE und SEB waren das Ergebnis von Outsourcing-Projekten, nachdem die entsprechenden Unternehmen beschlossen hatten, keine eigenen IT-Abteilungen mehr zu unterhalten, sondern diese Tätigkeiten auszulagern. Die Beklagte hatte es übernommen, die Tätigkeiten von früher eigenen IT-Abteilungen der Kunden voll umfänglich zu übernehmen und dauerhaft zu erbringen. Der von der Beklagten betriebene Bereich Outsourcing ist seinerseits für die Phase von der Marktsondierung bis hin zum Vertragsabschluss mit einem Kunden zuständig.
Ob die genannten Bereiche – ASIC, HRE, SEB, Outsourcing und MMS – bzw. der Unterbereich MMS-West, dem der Kläger zugeordnet war, einen eigenständigen Betrieb mit eigener personeller Leitung war oder ob alle wesentlichen organisatorischen, personellen und sozialen Fragen vom Hauptsitz der Beklagten in F1 aus entschieden wurden, ist zwischen den Parteien streitig.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers war mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Fa. A2 begründet worden. Im Anstellungsvertrag vom 08.11.1990 (Bl. 62 ff. d. A.), der eine Versetzungsklausel enthielt, heißt es unter anderem:
„Im übrigen gelten ergänzend alle Bedingungen und Regelungen des Personalhandbuches, die Bestandteil dieses Vertrages sind.”
Die Firma A2 schloss mit ihrem Betriebsrat am 01.06.1992 eine Betriebsvereinbarung über die allgemeinen Arbeitsbedingungen (Bl. 288 f. d. A.). In dieser Betriebsvereinbarung heißt es unter anderem:
„Abschnitt H. 1. Kündigungsfristen
Das Arbeitsverhältnis von Mitarbeit...