2.1 "Flexibel und belastbar": Kein Indiz für eine Diskriminierung
Im Februar 2009 entschied das LAG Nürnberg folgenden Fall: Ein überqualifizierter Kfz-Meister bewarb sich auf eine Stelle als Kfz-Mechaniker. Der Arbeitgeber sagte ihm ab. Der Bewerber klagte und verwies auf die Formulierung der Stellenausschreibung. Hiernach suchte der Arbeitgeber nach einem "flexiblen und belastbaren" Mitarbeiter. Weder das erstinstanzliche Arbeitsgericht noch das letztentscheidende Landesarbeitsgericht sahen hierin eine Diskriminierung. In der Formulierung erkannten sie lediglich "Floskeln" ohne besonderen Aussagewert. Es gehe nur darum, ein übliches Mindestmaß an Belastbarkeit zu verlangen, nicht aber um überdurchschnittliche Belastbarkeit. Daher erführen Menschen mit Behinderung durch diese Formulierung keine Benachteiligung gemäß §§ 3, 7 Abs. 1 AGG.
Kein Hinweis auf fairen Umgang in Stellenausschreibung
Arbeitgeber sind also nicht verpflichtet, gesondert auf den fairen Umgang mit Bewerbungen von Menschen mit Behinderungen hinzuweisen, wie dies öffentliche Arbeitgeber regelmäßig praktizieren. Arbeitgeber sollten erwägen, entsprechende Formulierungen in der Stellenausschreibung auszulassen, um etwaige Fehlerquellen zu vermeiden.
In dem Fall klagte eine zweigeschlechtliche Person vor dem Hintergrund einer Stellenausschreibung, wonach der Arbeitgeber auch "schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber" suchte, ohne ein sog. Gendersternchen zu verwenden. Die Klage hatte keinen Erfolg, da dem Gericht das einmalige Ausbleiben der Gendersternchen nicht reichte, um eine Diskriminierung gemäß § 22 AGG zu vermuten. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass aus dem Gendern nicht der Umkehrschluss zu ziehen ist, dass nicht alle Geschlechter gemeint sind, wenn eine Phrase ohne Gendersternchen auskommt. Berücksichtigt man, dass das Gendern das Bekenntnis zu einer inklusiven, offenen Haltung bedeuten kann, leuchtet das ein. Unterlässt es der Arbeitgeber einmal, das Sternchen anzufügen, hat das keine Aussagekraft.
2.2 Pflichten des Arbeitgebers bei Eingang einer Bewerbung
2.2.1 Die Miteinbeziehung der Bundesagentur für Arbeit gem. § 164 SGB IX und das AGG
Das LAG Niedersachsen entschied im Juli 2022 einen Fall zu Rechtsfolgen des AGG, wenn der Arbeitgeber Pflichten des Behindertenschutzes aus dem SGB IX nicht erfüllt. Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX sind Arbeitgeber, wenn sie eine Stelle ausschreiben, dazu verpflichtet, bei der Besetzung von offenen Stellen sich mit der Bundesagentur für Arbeit in Verbindung zu setzen. Das soll im Rahmen einer Prüfung der Anstellbarkeit von schwerbehinderten Menschen gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die Anstellung von schwerbehinderten Menschen begünstigen. Dazu urteilte das LAG Niedersachsen, dass der erfolglos gebliebene Bewerber unterstellen könne, dass bei der Besetzung der freien Stelle eine Einbeziehung der Bundesagentur für Arbeit unterblieben ist. Hat der Arbeitgeber die Bundesagentur für Arbeit nicht einbezogen, begründet dies nach § 22 AGG die Vermutung, dass der ausschreibende Arbeitgeber Behinderte benachteiligt hat.
Beweislast des Arbeitgebers
Diese Beweislastregel ergibt sich aus der typischen Beweisnot für Arbeitnehmer in Diskriminierungsfällen. Kann der abgewiesene Bewerber unterstellen, dass der Arbeitgeber die Bundesagentur für Arbeit nicht nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX einbezogen hat, trifft den Arbeitgeber die sog. sekundäre Darlegungslast. Sekundäre Darlegungslast bedeutet, dass der Beklagte Auskunft geben muss, wozu der Kläger keinen Beweis führen kann, da ihm insofern die tatsächlichen Umstände unbekannt sind.
Antwortet der Arbeitgeber auf die Prozessbehauptung nur unzureichend, ist er seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Das führt dazu, dass gemäß § 138 Abs. 3 ZPO die Behauptung des Klägers als zugestanden, also unbestritten gilt. Das Gericht trifft seine Entscheidung dann auf Basis des Klägervortrags.
In diesem Kontext urteilte das BAG, dass die Verletzung von Vorschriften, die sich auf den Bewerbungsprozess beziehen und behinderte Menschen schützen sollen, die Vermutung gemäß § 22 AGG begründet, dass der Arbeitgeber einen behinderten Bewerber benachteiligt hat.
2.2.2 Kenntnis der Schwerbehinderung bei dezentralem Bewerbungsmanagement
Am 25.4.2024 entschied das BAG im Fall einer Klägerin, die eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG forderte, weil sie sich aufgrund ihrer Schwerbehinderung benachteiligt fühlte. Die Klägerin war im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beschäftigt und hatte einen Grad der Behinderung (GdB) von 40. Sie war bzw. ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt nach § 2 Abs. 3 SGB IX.
Die Klägerin bewarb sich auf 2 interne Stellenausschreibungen für Sekretariatsstellen an der Universität, wies jedoch in ihren Bewerbungsunterlagen nicht auf ihre Gleichstellung hin. Die Ausschreibungen enthielten keinen Hinweis darauf, dass die Personalakte im Bewerbungsverfahren beigezogen wird. Die...