2.2.1 Die Miteinbeziehung der Bundesagentur für Arbeit gem. § 164 SGB IX und das AGG

Das LAG Niedersachsen entschied im Juli 2022 einen Fall zu Rechtsfolgen des AGG, wenn der Arbeitgeber Pflichten des Behindertenschutzes aus dem SGB IX nicht erfüllt.[1] Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX sind Arbeitgeber, wenn sie eine Stelle ausschreiben, dazu verpflichtet, bei der Besetzung von offenen Stellen sich mit der Bundesagentur für Arbeit in Verbindung zu setzen. Das soll im Rahmen einer Prüfung der Anstellbarkeit von schwerbehinderten Menschen gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die Anstellung von schwerbehinderten Menschen begünstigen. Dazu urteilte das LAG Niedersachsen, dass der erfolglos gebliebene Bewerber unterstellen könne, dass bei der Besetzung der freien Stelle eine Einbeziehung der Bundesagentur für Arbeit unterblieben ist. Hat der Arbeitgeber die Bundesagentur für Arbeit nicht einbezogen, begründet dies nach § 22 AGG die Vermutung, dass der ausschreibende Arbeitgeber Behinderte benachteiligt hat.

 
Wichtig

Beweislast des Arbeitgebers

Diese Beweislastregel ergibt sich aus der typischen Beweisnot für Arbeitnehmer in Diskriminierungsfällen. Kann der abgewiesene Bewerber unterstellen, dass der Arbeitgeber die Bundesagentur für Arbeit nicht nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX einbezogen hat, trifft den Arbeitgeber die sog. sekundäre Darlegungslast. Sekundäre Darlegungslast bedeutet, dass der Beklagte Auskunft geben muss, wozu der Kläger keinen Beweis führen kann, da ihm insofern die tatsächlichen Umstände unbekannt sind.

Antwortet der Arbeitgeber auf die Prozessbehauptung nur unzureichend, ist er seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Das führt dazu, dass gemäß § 138 Abs. 3 ZPO die Behauptung des Klägers als zugestanden, also unbestritten gilt.[2] Das Gericht trifft seine Entscheidung dann auf Basis des Klägervortrags.

In diesem Kontext urteilte das BAG, dass die Verletzung von Vorschriften, die sich auf den Bewerbungsprozess beziehen und behinderte Menschen schützen sollen, die Vermutung gemäß § 22 AGG begründet, dass der Arbeitgeber einen behinderten Bewerber benachteiligt hat.[3]

[1] LAG Niedersachsen, Urteil v. 12.7.2022, 11 Sa 569/21, juris.
[2] Musielak/Voit/Stadler, 20. Aufl. 2023, § 138 ZPO, Rz. 10a.

2.2.2 Unterrichtung von Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat

Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 4 müssen Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 SGB IX genannten Vertretungen unmittelbar nach Eingang einer Bewerbung bzw. eines Vermittlungsvorschlags unterrichten.

 
Achtung

Unterrichtung des Betriebsrats über Bewerbungseingang

Arbeitgeber müssen demnach nicht nur die Schwerbehindertenvertretung, sondern auch den Betriebsrat über den Eingang einer Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen unmittelbar unterrichten.

Unterbleibt die Unterrichtung, liegt hierin ein Indiz[1] für eine Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG. Den Arbeitgeber trifft dann die Last, zu beweisen, dass er den schwerbehinderten Bewerber nicht benachteiligt hat. Dieser Beweis kann ihm gelingen, wenn er nachweist, dass die Ablehnung auf formalen Gründen beruht. Erfüllt der Bewerber beispielsweise eine formale, unerlässliche Voraussetzung für die Tätigkeit nicht (z. B. einschlägiger Universitätsabschluss), ist das ein Grund, mit dem der Arbeitgeber den Gegenbeweis führen kann, dass keine Benachteiligung vorliegt.[2]

In Übereinstimmung mit seiner ständigen Rechtsprechung hat das BAG auch geurteilt, dass es für ein Indiz i. S. v. § 22 AGG genügt, wenn der Arbeitgeber Pflichten, die dem Schutz von Schwerbehinderten dienen, im Rahmen des Bewerbungsverfahrens missachtet. Weitere Anhaltspunkte muss der Kläger nicht nachweisen. Das liegt daran, dass der Kläger keinen Einblick in die Interna des Unternehmens hat, bei dem er sich bewirbt.

Eine Grenze zieht das BAG für diese Erleichterung der Darlegungslast dort, wo der Vortrag "ins Blaue hinein" eine Benachteiligung unterstellt und dabei jeglichen Anhaltspunkt vermissen lässt.

2.2.3 Kein Schwerbehindertenrecht im schwebenden Gleichstellungsverfahren

Arbeitgeber treffen keine Pflichten, die für die Rücksichtnahme auf schwerbehinderte Personen gelten, wenn der Bewerber sich im Gleichstellungsverfahren mit schwerbehinderten Menschen befindet und rückwirkend gleichgestellt wird. Der Arbeitgeber muss den Ausgang des Gleichstellungsverfahrens nicht abwarten. Das gilt auch dann, wenn der Bewerber im Vorstellungsgespräch den Arbeitgeber darüber unterrichtet, einen Antrag auf Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person bei der Agentur für Arbeit gestellt zu haben.

Bewirbt sich eine schwerbehinderte Person auf eine Stelle, löst dies Pflichten für den Arbeitgeber aus. Dazu zählt beispielsweise die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung nach §§ 164 Abs. 1 Satz 4, 178 Abs. 1 SGB IX. Wird eine dieser Pflichten verletzt, begründet dies ein Indiz einer Diskriminierung nach § 22 AGG. Damit diese Pflichten Anwendung finden, muss das Gleichstellungsverfahren allerdings abgeschlossen sein.

 
Hinweis

Praktikanten nach § 26 BBiG ebenfalls durch AGG geschützt

Abgesehen davon gelten Bewerber für eine Praktikumsstelle ebenfalls a...

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