Einer der zentralen Normen des AGG ist § 22 AGG. Sie erleichtert es Diskriminierten, die Entschädigungsansprüche aus § 15 AGG geltend zu machen. Um zu verstehen, wie die Beweislasterleichterung funktioniert, muss man sich die Dogmatik des Entschädigungsanspruchs vergegenwärtigen. Erste Voraussetzung ist, dass ein Arbeitsverhältnis oder eine Bewerbung vorliegt.[1] Die zweite Voraussetzung ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 AGG. Hierfür sind § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG bzw. Abs. 2 AGG maßgeblich, welche zwischen einer unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung differenzieren. Der Kläger muss zunächst den gesamten Lebenssachverhalt schlüssig darlegen, aus dem sich sein Entschädigungsanspruch ergeben soll. Schlüssig heißt im rechtlichen Sinne, dass das Gericht Punkt für Punkt ohne Lücken nachvollziehen können muss, wie sich aus dem Sachverhalt der Anspruch zusammensetzt. Indes ist ein Augenmerk darauf zu legen, dass das Gesetz nur noch von "Ungleichbehandlung" spricht, wenn der Arbeitgeber die unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen kann.[2] Im Umkehrschluss heißt das, dass mit "Benachteiligungen" ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen gemeint sind.

Hat der Kläger eine Benachteiligung dargelegt, muss er sodann Indizien beweisen, die dafür sprechen, dass der Arbeitgeber ihn wegen eines verpönten Merkmals benachteiligt hat. Ein Indiz liegt vor, wenn es die Benachteiligung überwiegend wahrscheinlich macht. Das heißt, dass sich die Beweislast grundsätzlich in der Indizlast erschöpft. Sowohl für die unmittelbare als auch die mittelbare Benachteiligung genügen hypothetische Vergleiche.[3]

Insofern ist es irreführend, den Kläger für eine objektive Benachteiligung beweispflichtig zu erklären.[4] Der Kläger schuldet nur den Beweis des Indizes, aus dem sich die Benachteiligung ergeben soll, wie der Wortlaut des § 22 AGG nahelegt. Ob eine Benachteiligung vorliegt, ist regelmäßig eine Wertungsfrage. Denn ein hypothetischer Vergleich lässt sich nicht beweisen. Für einen Beweis wäre ein konkreter Bezug zu etwas real Vorhandenem nötig. Real vorhanden heißt, dass ein gedanklicher Vergleich mit etwas Vorgestelltem nicht ausreicht, sondern beispielsweise 2 Mitarbeiter vorhanden sein müssen, weil deren Beschäftigungsbedingungen der Sinneswahrnehmung zugänglich sind.

Reichweite des § 22 AGG

Nur für eine Benachteiligung sprechende Indizien sind von § 22 AGG erfasst.

Der Gegenbeweis muss mittels eines Vollbeweises erbracht werden. Das heißt, dass Gegenindizien nicht reichen, wenn sie die Benachteiligung lediglich unwahrscheinlich machen. Denn § 22 AGG gilt für sie nicht. Ist ein Indiz voll bewiesen, kann nur ein voller Gegenbeweis die Vermutung widerlegen. Vollbeweis heißt, dass vernünftige Zweifel daran ausgeschlossen sein müssen, dass keine Benachteiligung vorliegt.[5]

Die Norm des § 22 AGG schweigt allerdings zur Frage, ob Gegenindizien zugelassen sind. Lässt sich dem Wortlaut nichts Genaues entnehmen, kommt es auf den Zweck der Vorschrift an. Sie dient dazu, Entschädigungskläger aus der Beweisnot zu bringen, die mit dem Nachweis einer Diskriminierung einhergeht. Dieser Zweck würde gefährdet, wenn Gegenindizien für eine Benachteiligung sprechende Indizien widerlegen könnten. Dagegen lässt sich wiederum anführen, dass die Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO frei ist, und daher alle Indizien Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein können. Wären Gegenindizien schlechthin nicht berücksichtigungsfähig, würde dies dazu führen, dass sich die Arbeitsgerichte sehenden Auges bestimmter Anhaltspunkte verschließen müssten. Es handelt sich aber bei § 22 AGG um eine formale Beweisregel, die die freie Beweiswürdigung eben einschränkt.

Ferner spricht gegen die Berücksichtigung von Gegenindizien jedenfalls in Bezug auf die Glaubwürdigkeit des dafürsprechenden Indizes, dass Arbeitgeber Indizien ansammeln könnten, die sie entschuldigen. Kläger hätten es dann schwer. Während Arbeitgeber häufig mehrere Bewerbungsprozesse durchführen und daher auf einen hohen Erfahrungsschatz für potenzielle Gegenindizien zurückgreifen können, bewerben sich potenzielle Arbeitnehmer selten häufiger als einmal. Führen also Arbeitgeber beispielsweise an, erst letzte Woche hätten sie jemanden eingestellt, der über 50 Jahre alt ist, oder, dass in ihrem Betrieb viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten würden, ist das für den Gegenbeweis nicht ausreichend. Das leuchtet auch unter dem Aspekt ein, dass sich Arbeitgeber nicht selten dann diskriminierend verhalten, wenn sie befürchten, dass zu viele Personen einer Minderheit in dem Betrieb arbeiten können. Das heißt, nur weil jemand bei 5 Bewerbern nicht diskriminiert hat, heißt das nicht, dass das auch beim sechsten Mal so ist.

Gelingen des Gegenbeweises

Lehnt man mit dem BAG ab, dass Gegenindizien die Kausalitätsvermutung beeinträchtigen können, stellt sich die Frage, wie der Beklagte dann den Gegenbeweis erbringen kann. Das heißt, das Gericht muss zur vollen Überzeugu...

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