Prof. Dr. jur. Tobias Huep
Krankheit im EFZG ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand. Eine gesetzliche Definition des Begriffs fehlt. Es handelt sich aufgrund der kontinuierlich fortschreitenden medizinischen Erkenntnisse um einen dynamisch zu bestimmenden Rechtsbegriff. Regelwidrig ist ein körperlicher oder geistiger Zustand dann, wenn er objektiv nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten ist. Keine Krankheit ist dementsprechend das altersbedingte Nachlassen der körperlichen und geistigen Kräfte.
Eine Krankheit liegt auch bei rein psychischen Veränderungen vor (z. B. Depressionen, Schockzustände, Neurosen oder Psychosen). Dies gilt insbesondere auch für Alkohol- und Drogensucht. Entscheidend und ausreichend ist die physische und psychische Abhängigkeit auch ohne deutlich erkennbare äußere Symptome. Für die entsprechende Anerkennung als Krankheit ist eine klinisch-funktionelle Diagnose erforderlich, die zeigt, dass die Erkrankung zu gesundheitlichen Funktionsstörungen oder Beschwerden geführt hat.
Die Ursache der Erkrankung ist für den Krankheitsbegriff unbeachtlich. Sie kann jedoch im Entgeltfortzahlungsrecht anspruchausschließend wirken, sofern es sich dabei um ein "Verschulden" i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt.
Die fehlende Heilungs- oder Behandlungsmöglichkeit lässt die Krankheit nicht entfallen, beides ist für den Krankheitsbegriff unerheblich. So ist auch ein unheilbar kranker Arbeitnehmer krank im Sinne des EFZG und hat – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Ursache und Verschulden
Die Ursache der Krankheit ist zu trennen vom Verschulden des Arbeitnehmers an der Entstehung der Krankheit. Ein solches Verschulden führt zum Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Die Ursache der Krankheit ist dagegen für den Krankheitsbegriff ohne Bedeutung.
Unbeachtlich ist weiterhin, ob die Krankheit oder deren Entstehung mit dem Arbeitsverhältnis (z. B. als Berufskrankheit) in Zusammenhang steht. Bei ansteckender Krankheit besteht ausnahmsweise auch dann Arbeitsunfähigkeit, wenn der Arbeitnehmer an sich seine Arbeitsleistung erbringen könnte.
Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei symptomlosem Verlauf eine Krankheit dar.
Keine Krankheit ist die Durchführung einer Schönheitsoperation, da die als unbefriedigend empfundene ästhetische Erscheinung nicht als regelwidrig und heilungsbedürftig qualifiziert werden kann. Komplikationen im Zusammenhang mit einer Schönheitsoperation (Entzündungen o. ä.) begründen dagegen wiederum eine Krankheit –allerdings kann auch hier ein anspruchausschließendes Verschulden vorliegen.
Nicht als Krankheit i. S. d. § 3 EFZG gelten auch normal verlaufende Schwangerschaften. Tritt zur Schwangerschaft innerhalb der Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes eine Krankheit hinzu, gilt dies nicht als Arbeitsunfähigkeit im Sinne des EFZG. Tritt im Zuge einer lege artis durchgeführten In-vitro-Fertilisation eine nicht erwartbare Erkrankung auf, begründet dies die Arbeitsunfähigkeit – ein Verschulden i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG scheidet dann aus.