Rz. 191
Seit einer Entscheidung des 6. Senats des BAG vom 18.6.1980 hatte das BAG in ständiger Rechtsprechung entscheidend darauf abgestellt, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch Ersatz für den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht ist.
Dieses Verständnis des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Surrogat des Urlaubsanspruchs hatte zwei wesentliche Konsequenzen:
- Der Abgeltungsanspruch musste wie der Urlaubsanspruch innerhalb des Fristenregimes des § 7 BUrlG geltend gemacht werden.
- War ein Arbeitnehmer beim Ausscheiden arbeitsunfähig, war der Abgeltungsanspruch erst mit Ende der Arbeitsunfähigkeit erfüllbar, da auch der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis den Urlaub nicht nehmen konnte. Dauerte die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums fort, ging der Abgeltungsanspruch unter.
Rz. 192
Als Folge der Entscheidung des EuGH hat das BAG die Surrogatstheorie aufgegeben. In einer ersten Entscheidung hat es seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass der Arbeitgeber den offenen gesetzlichen Urlaubsanspruch bei Ende des Arbeitsverhältnisses auch dann mit dem Beendigungszeitpunkt abzugelten hat, wenn der Arbeitnehmer über den Beendigungszeitpunkt hinaus arbeitsunfähig erkrankt ist.
Rz. 193
Da es in diesem Fall keine sachliche Begründung mehr dafür gab, bei der rechtlichen Bewertung des Abgeltungsanspruchs danach zu unterscheiden, ob ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig war oder nicht, hat das BAG mit Entscheidung vom 19.6.2012 konsequenterweise die Surrogatstheorie für den gesetzlichen Urlaubsanspruch insgesamt aufgeben.
Rz. 194
Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist mithin als ein Geldanspruch anzusehen, der nicht mehr an die urlaubsrechtlichen Vorgaben gebunden ist. Die Fälligkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs tritt sofort mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein. Damit kommt es für den Urlaubsabgeltungsanspruch weder auf die Erfüllbarkeit noch auf das Fristenregime des Urlaubsanspruchs an. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung muss der Arbeitnehmer den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht mehr entsprechend dem Urlaubsanspruch innerhalb des Urlaubsjahres oder bei Übertragungsgründen innerhalb des Übertragungszeitraums geltend machen. Ohne Geltendmachung des Arbeitnehmers ist der Arbeitgeber mit der Erfüllung des Abgeltungsanspruchs jedoch nicht in Verzug. Verzugszinsen stehen dem Arbeitnehmer erst am Folgetag nach Geltendmachung zu.
Rz. 195
Die Trennung zwischen Urlaubsanspruch und Abgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch führt in Einzelfällen zu Verwerfungen.
Beispiel
Ein Arbeitnehmer scheidet im Übertragungszeitraum am 15.3. aus. Es bestehen restliche Urlaubsansprüche aus dem Vorjahr von 20 Arbeitstagen. Diese sind abzugelten, obgleich im bestehenden Arbeitsverhältnis bis zum Untergang am 31.3. nicht mehr alle Urlaubsansprüche aus dem Vorjahr hätten genommen werden können. Der Verfall tritt nicht bereits zuvor tageweise ein.
Scheidet ein Arbeitnehmer während der Elternzeit aus, entsteht mit dem Beendigungszeitpunkt der Abgeltungsanspruch des offenen Urlaubs als Geldanspruch. Eine nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärte Kürzung des Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ist nicht mehr möglich.
Rz. 196
Auswirkungen hat das Verständnis des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Geldanspruch auch bei der Frage der Vererblichkeit eines Urlaubsabgeltungsanspruchs und der Frage, ob Ausschlussfristen einen Urlaubsabgeltungsanspruch erfassen können (s. hierzu Rz. 202).
Rz. 197
Der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub beschränkt. Bestehen für den darüber hinausgehenden einzelvertraglichen oder tarifvertraglichen Urlaubsanspruch keine besonderen Vereinbarungen, besteht ein Urlaubsabgeltungsanspruch für den gesamten Urlaub bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG (näher zu den Voraussetzungen einer eigenständigen Abgeltungsregelung s. Rz. 203 ff.).