Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Zustellung im Überprüfungsverfahren
Orientierungssatz
Im Verfahren der nachträglichen Überprüfung der Prozesskostenhilfe sind Zustellungen an den Prozessbevollmächtigten einer Partei und nicht an diese selber jedenfalls dann vorzunehmen, wenn sich der Bevollmächtigte auch im Verfahren der Bewilligung der Prozesskostenhilfe bestellt hat.
Normenkette
ZPO §§ 81, 120 Abs. 4, § 172 Abs. 1
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Beschluss vom 03.03.2006; Aktenzeichen 8 Ta 130/05) |
ArbG Suhl (Beschluss vom 25.08.2005; Aktenzeichen 3 (5) Ca 2549/02) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 3. März 2006 – 8 Ta 130/05 – aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I. Die Rechtsbeschwerdeführerin wendet sich gegen die Aufhebung der ihr bewilligten Prozesskostenhilfe.
Die Rechtsbeschwerdeführerin hat gegen die frühere Beklagte zunächst persönlich vor der Rechtsantragsstelle eine Zahlungsklage erhoben. Im Laufe des Verfahrens beantragte für sie ihr jetziger Prozessbevollmächtigter die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung. Dem entsprach das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 26. Mai 2003. Eine Ratenzahlungsanordnung wurde nicht getroffen.
Nachdem der Rechtsstreit nach Rechtskraft eines zweiten Versäumnisurteils am 27. Juni 2003 erledigt worden war, forderte die Rechtspflegerin die Rechtsbeschwerdeführerin im Rahmen von § 120 Abs. 4 ZPO mehrfach ergebnislos auf, sich über die Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zu erklären. Mit Beschluss vom 25. August 2003 wurde deshalb die bewilligte Prozesskostenhilfe gem. § 120 Abs. 4, § 124 Ziff. 2 ZPO aufgehoben. Dieser Beschluss wurde der Beschwerdeführerin mit Zustellungsurkunde am 27. August 2005 zugestellt. Ihrem Prozessbevollmächtigten wurde die Ausfertigung formlos übersandt. Dort ging sie am 29. August 2005 ein.
Mit Schriftsatz vom 29. September 2005, der am selben Tag beim Beschwerdegericht einging, legte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin für diese sofortige Beschwerde ein. Den Hinweis des Beschwerdegerichts, der Lauf der einmonatigen Frist zur Erhebung der sofortigen Beschwerde sei mit der Zustellung an die Beschwerdeführerin und nicht mit dem Eingang der Beschlussausfertigung bei ihrem Prozessbevollmächtigten in Gang gesetzt worden, verwies die Rechtsbeschwerdeführerin darauf, ihr Prozessbevollmächtigter trete ständig für sie und ihren Ehemann auf. Sie habe sich darauf verlassen, dass er Rechtsmittel gegen den Beschluss einlegen werde und sie persönlich keine Tätigkeit entfalten müsse.
Das Landesarbeitsgericht verwarf die sofortige Beschwerde als unzulässig, da die Beschwerdefrist nicht eingehalten sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Rechtsbeschwerdeführerin gegen den Verwerfungsbeschluss.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Beschwerde wurde innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt, so dass das Landesarbeitsgericht sie nicht als unzulässig verwerfen durfte. Die Sache ist deshalb an das Beschwerdegericht zur Entscheidung über die materielle Berechtigung der Beschwerde – zu der tatsächliche Feststellungen nicht vorliegen – zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Nach § 127 Abs. 2 Satz 3 iVm. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die sofortige Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren binnen eines Monats einzulegen. Diese Frist hat die Rechtsbeschwerdeführerin mit ihrer am 29. September 2005 beim Beschwerdegericht eingehenden Beschwerdeschrift eingehalten. Die Frist begann nämlich erst mit dem Zugang des angefochtenen Beschlusses in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten am 29. August 2005. Das ergibt sich aus Folgendem:
Nach § 172 Abs. 1 ZPO hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, um wirksam zu sein. Diese Regelung findet sich in Titel 2 des 1. Buches der ZPO “Allgemeine Vorschriften” und gilt damit für alle Zustellungen nach der ZPO und somit auch im Prozesskostenhilfeverfahren, das seinerseits in §§ 114 ff. ZPO geregelt ist.
Offen bleiben kann, ob mit dem Beschwerdegericht für die Frage, wer Prozessbevollmächtigter ist, nicht auf das Hauptverfahren, sondern auf das Prozesskostenhilfeverfahren abzustellen ist (dazu LAG Rheinland-Pfalz 28. Dezember 2004 – 11 Ta 270/04 – mwN). Dagegen könnte sprechen, dass das Prozesskostenhilfeverfahren weder in § 81 ZPO noch in § 82 ZPO, die den Umfang der Prozessvollmacht regeln, ausdrücklich aufgeführt ist.
Jedenfalls ist an den Bevollmächtigten im Prozesskostenhilfeverfahren zuzustellen, wenn für dieses Verfahren ein Prozessbevollmächtigter bestellt ist (zur Unterscheidungsmöglichkeit der Bestellung im Prozesskostenhilfeverfahren einer- und im Hauptverfahren andererseits: BGH 17. Januar 2002 – IX ZR 100/99 – BB 2002, 482). Das war vorliegend der Fall, da die Rechtsbeschwerdeführerin ihren Prozesskostenhilfeantrag nicht selber gestellt hat, sondern dieser durch ihren Prozessbevollmächtigten gestellt wurde. Der Prozessbevollmächtigte hat sich daher auch für das Prozesskostenhilfeverfahren bestellt.
Der Umfang der Prozessvollmacht richtet sich dabei nach § 81 ZPO, der als Vorschrift im Allgemeinen Teil der ZPO auch für das Prozesskostenhilfeverfahren gilt. Die Vollmacht erfasst danach auch “eine Wiederaufnahme des Verfahrens”. Im Prozesskostenhilfeverfahren erstreckt sie sich deshalb auch auf die nachträgliche Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe nach § 120 Abs. 4 ZPO. Diese Regelung dient der Überprüfung der Prozesskostenhilfe und steht deshalb einer Wiederaufnahme des Prozesskostenhilfeverfahrens gleich.
Die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten im Prozesskostenhilfeverfahren durfte auch nicht deshalb unterbleiben, weil es sich bei der nachträglichen Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe nicht mehr um ein “anhängiges Verfahren” handelte. Diese Einschränkung betrifft lediglich § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nach Satz 2 der Regelung ist aber ua. auch bei einer “Wiederaufnahme des Verfahrens” und damit auch bei der dieser gleichstehenden nachträglichen Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe nach § 120 Abs. 4 ZPO die Vollmacht des Prozessbevollmächtigten zu beachten.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Unterschriften
Reinecke, Breinlinger, Zwanziger
Fundstellen
NZA 2006, 1128 |
AA 2007, 11 |
RVGreport 2007, 354 |
www.judicialis.de 2006 |