Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitzuschläge im Personalbemessungssystem
Leitsatz (redaktionell)
1. Die gewerkschaftliche Forderung nach Zeitzuschlägen innerhalb eines Personalbemessungssystems ist eine Forderung zur Regelung von Arbeitsbedingungen im Sinne von Art 9 Abs 3 GG.
2. § 53 Postverfassungsgesetz enthält keine Einschränkung der Tarifautonomie für den Bereich der Deutschen Bundespost.
3. Die tarifvertragliche Regelung von Zeitzuschlägen innerhalb eines Personalbemessungssystems verstößt nicht gegen die durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Unternehmensautonomie.
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 20.10.1988; Aktenzeichen 12 Sa 1187/87) |
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.12.1986; Aktenzeichen 3 Ca 349/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Tarifforderung der Beklagten. Die Deutsche Bundespost will der Deutschen Postgewerkschaft untersagen lassen, Maßnahmen eines Arbeitskampfes zu beschließen und/oder durchzuführen oder den bei ihr organisierten Arbeitnehmern zu empfehlen, durch die die Klägerin zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über die Vereinbarung von Zeitzuschlägen auf die "Grundzeit" und die "Grundarbeitszeit" bei der Personalbemessung für den Bereich ihrer Linien- und Zeichenstellen gezwungen werden soll.
Bei den Fernmeldeämtern der Klägerin bestehen sogenannte Linien- und Zeichenstellen (Lz). In ihnen erstellen Arbeitnehmer Planunterlagen über unterirdische Kabelverlegungen und halten diese Unterlagen auf dem neuesten Stand. Zur bundeseinheitlichen Ermittlung des Personalbedarfs für diese Lz-Bereiche in den Fernmeldeämtern hatte die Klägerin 1978 ein sogenanntes Personalbemessungssystem eingerichtet (Anhang 433 Lz zur Dienstanweisung für die Personalbemessung bei den Ämtern der Deutschen Bundespost). Dieses Personalbemessungssystem war nach Ansicht der Klägerin relativ grob und "nach heutigen Erkenntnissen" auch großzügig erstellt worden. Schon aus diesem Grunde wollte die Klägerin dieses Personalbemessungssystem durch ein neues mit sehr viel detaillierteren Zeitermittlungen ersetzen, um so "zeitliche Freiräume" zu beseitigen und den Personalbedarf zu verringern. Ein weiterer Grund für die Änderung des Personalbemessungssystems durch Verfügung vom 6. Dezember 1985 war die Veränderung und Verbesserung der Arbeitsstrukturen (Verlagerung des Schwerpunkts der Zeichenarbeiten von großen auf kleine Bauvorhaben und der Einsatz neuer Arbeitsmittel wie Lichtpaustransferstraßen, Faltautomaten, Ricoh-Kopierer, Einsatz von elektronischen Kameras und Entwicklungsautomaten sowie vereinfachte Arbeitsabläufe wie die Veränderung der Linienbautechnik, die Umstellung von Mehr- auf Einstrichdarstellungen in Kabelplänen, Lichtpausen mit Repetiereinrichtung, Ersatz des "Nach"-Zeichnens von Plänen durch Kopieren auf Ricoh-Kopierern). Zugleich richtete die Klägerin ein Dispositionsverfahren ein, mit dessen Hilfe die Lz-Arbeitsaufträge je Zeichnergruppe disponiert werden. Dieses Verfahren soll u.a. dazu führen, daß die Zeichnergruppen gleichmäßig ausgelastet sind, die zulässigen Vergabemengen eingehalten werden, der Vergleich zwischen veranschlagten und tatsächlichen Arbeitsmengen je Zeichnergruppe möglich wird und schließlich aussagefähige Nachweise über die Arbeitserledigung gewonnen werden. Die für dieses Verfahren maßgeblichen Dispositionswerte werden aus den Bezugseinheiten und Bemessungswerten des Anhangs 433 Lz zur Dienstanweisung für die Personalbemessung bei den Ämtern der Deutschen Bundespost gebildet. Die Personalbemessung erfolgte auf Grund bundeseinheitlich geltender Arbeitsorganisationsrichtlinien und Arbeitsanweisungen, insbesondere der Richtlinien für die Aufgabenbegrenzung und Aufgabenverteilung in der Linien- und Zeichenstelle. Hierbei wurden die zu untersuchenden Arbeitsaufgaben festgelegt und dabei alle Tätigkeiten und Vorkommnisse herausgefiltert, die nichts mit der unmittelbaren Arbeitsleistung zu tun haben. Dann wurde in bestimmten Dienststellen mittels Stoppuhr, Beobachtung und Schätzung die Arbeit aufgenommen und hierbei festgestellt, welcher Zeitaufwand ausschließlich für die Arbeitsverrichtung in der Dienststelle benötigt wird. Die in der Arbeitsaufnahme ermittelte Zeit wird im Bemessungssystem der Klägerin als Grundzeit definiert. Die Beklagte setzt hier an und verlangt auf diese Grundzeit einen zusätzlichen, bislang nicht vorhandenen Zuschlag von 12 %. Die Folge wäre, daß vor Errechnung weiterer Zeitzuschläge die Grundzeit erhöht würde. Dies würde zu dem Ergebnis führen, daß für die in der Arbeitsorganisationsrichtlinie und den Arbeitsanweisungen beschriebenen Arbeitsaufgaben eine größere Zeitvorgabe festgelegt wird, als dies nach der einseitig von der Klägerin vorgenommenen Arbeitsbemessung der Fall ist. Die weitere Forderung der Beklagten nach tarifvertraglicher Festlegung eines Zeitzuschlages von 20 % auf die Grundarbeitszeit würde sich wie folgt auswirken: Grundarbeitszeit ist die Grundzeit einschließlich der Zuschläge für unumgängliche Arbeitsunterbrechungen (beispielsweise Dienstgespräch mit Vorgesetztem, Gang zur Toilette u.ä.). Der Zeitzuschlag auf die Grundarbeitszeit ergibt also eine Erhöhung bzw. Streckung der Grundarbeitszeit. Beide Zeitzuschläge zusammengenommen führen zu dem Ergebnis, daß die Bemessungsvorgaben für die Linien- und Zeichenstellen so verändert werden, daß sich bei ihrer Umsetzung in den einzelnen Dienststellen ein entsprechend größerer Personalbedarf ergibt, also die Arbeitsintensität verringert wird.
Bereits mit Schreiben vom 7. September 1982 hatte die Beklagte über den Entwurf eines Tarifvertrags zur Aufgabenerledigung für Arbeiter und Angestellte versucht, wesentliche Elemente der Dienstanweisung für die Personalbemessung bei den Ämtern der Deutschen Bundespost mit der Klägerin tarifvertraglich zu normieren. Das lehnte die Klägerin, zuletzt mit Ministerschreiben vom 20. Juli 1983, ab.
Inzwischen hat sich die neue Personalbemessung der Klägerin für die Linien- und Zeichenstellen ausgewirkt. Dort waren im Dezember 1985 noch ca. 3.500 Arbeitnehmer beschäftigt. Bis Ende 1987 ist diese Zahl um 700 bis 750 Arbeiter und Angestellte gesunken. Mit Schreiben vom 20. Januar 1986 teilte die Beklagte der Klägerin unter Hinweis auf die am 6. Dezember 1985 verfügten Maßnahmen (Entscheidung über neue Personalbemessung, zur Aufbau- und Ablauforganisation und des DV-unterstützten Zeichnens in den Lz-Stellen) die hier streitige Tarifforderung nach Zeitzuschlägen von 12 % auf die Grundzeit und 20 % auf die Grundarbeitszeit "zum Ausgleich der sich aus der Anwendung des Anhangs 433 Lz ergebenden Belastungen" mit. Die Klägerin lehnte es ab, über diese Forderung zu verhandeln. Daraufhin streikten nach Aufruf der Beklagten ca. 1.300 Arbeitnehmer aus den Linien- und Zeichenstellen in der Zeit vom 9. April bis 14. April 1986 bis zur Dauer einer Dienstschicht. Den Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die Arbeitsniederlegung zur Durchsetzung dieser Tarifforderung lehnte das Arbeitsgericht ab. Danach fand sich die Klägerin am 28. April 1986 zu Gesprächen über die Gewährung von Zeitzuschlägen für die Mitarbeiter in Lz-Stellen bereit. Diese endeten ergebnislos.
Mit der im Juli 1986 eingereichten Klage hat sich die Bundespost auf den Standpunkt gestellt, die Forderung der Beklagten nach Zeitzuschlägen auf die nach Maßgabe des Anhangs 433 Lz 1985 zur Dienstanweisung für die Personalbemessung bei den Ämtern der Deutschen Bundespost ermittelten Grund- bzw. Grundarbeitszeiten sei nicht tariffähig. Die Ermittlung des Personalbedarfs und die dafür genutzten Methoden seien dem Unternehmer freigestellt. Ermittelt würden keine tatsächlichen und vergütungsrelevanten Arbeitszeiten, sondern nur Durchschnittswerte für bestimmte Tätigkeiten, die wiederum die Grundlage für die Personalbemessung abgäben. Letztlich wolle die Beklagte die "Vorgaben" der Personalbemessung tariflich regeln. Dabei handele es sich aber nicht um Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG. In Wirklichkeit handele es sich um interne Vorgänge ohne Außenwirkung. Sie, die Klägerin, ermittele nur, was ein durchschnittlicher Arbeitnehmer zu leisten in der Lage sei. Die Beklagte könne nicht die "Abschaffung" der Personalbemessung als ein unternehmerisches Planungsinstrument verlangen. Letztendlich wolle sie, die Klägerin, mit den verfeinerten Bemessungsgrundsätzen die im Ablauf für die Mitarbeiter entstandenen "Freiräume" erfassen und dementsprechend den Personalbedarf zurückführen. Konträr zu dieser Zielsetzung verlange die Beklagte sogar Zeitzuschläge für Nichtstun. Im übrigen verstoße die Beklagte mit dieser Forderung gegen den Inhalt des Rationalisierungs-Tarifvertrages Nr. 307 vom 4. Mai 1972.
Die Klägerin hat beantragt,
der Beklagten zu untersagen, gegen die Klägerin Maßnahmen eines Arbeitskampfes zu beschließen und/oder durchzuführen oder den bei ihr organisierten Arbeitnehmern zu empfehlen, durch welche die Klägerin zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über die Vereinbarung von Zeitzuschlägen auf die "Grundzeit" und "Grundarbeitszeit" bei der Personalbemessung der Klägerin für den Bereich ihrer Linien- und Zeichenstellen gezwungen werden soll.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr gehe es um eine verringerte Intensität der Arbeit. Die ungeregelte Umsetzung des neuen Personalbemessungssystems führe im Lz-Bereich zu einer erheblich verringerten Zahl der Arbeitsplätze einerseits und zu einer "Verdichtung" der Arbeit für die dort verbleibenden Mitarbeiter. Letzteres ergebe sich aus dem Dispositionsverfahren. Der Disponent gebe nämlich der Zeichnergruppe die Arbeitsaufgabe und zugleich eine Zeitvorgabe, die nach Maßgabe des neuen Anhangs 433 Lz ermittelt sei. Über die Verknüpfung von Dispositionsverfahren und Personalbemessungsvorgaben bestehe eine Einflußnahme auf die Arbeitsleistung der Gruppe, weil die Einhaltung der Vorgabezeit vom Disponenten kontrolliert werde. Bereits hieraus ergebe sich, daß die Forderung unter die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG falle. Es sei nicht einzusehen, weshalb es dem Arbeitgeber allein vorbehalten bleiben solle, nach seinem Gutdünken die Intensität der Arbeit zu bestimmen. Dementsprechend sei die Frage der Arbeitsintensität bzw. der Arbeitsverdichtung auch in einer ganzen Reihe von Lohnrahmentarifverträgen geregelt, u.a. in dem Lohnrahmentarifvertrag II für die Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden vom 20. Oktober 1973. Dieser Tarifvertrag enthalte eine Vielzahl von Regelungen über die Arbeitsorganisation und Arbeitsinhalte, insbesondere Mindesterholungs- und Bedürfniszeiten , die sich auf die Arbeitsintensität auswirken. Insbesondere enthalte dieser Tarifvertrag aber Bezugsgrößen für die Soll-Belastung der Gruppen, sowie zur Regelung von Über- oder Unterbesetzung. Der Firmentarifvertrag zwischen der IG Metall und der Baumaschinenfirma Vögele vom 1. Januar 1983 gebe den Arbeitnehmern, die im Zeitlohn arbeiteten, einen Anspruch auf Erholungspausen von mindestens fünf Minuten pro Stunde für arbeitsbedingte Ermüdung. Die persönliche Bedürfniszeit müsse mindestens drei Minuten pro Stunde betragen.
Richtig sei, daß es einen Rationalisierungs-Tarifvertrag Nr. 307 gebe. Mit der Forderung auf Zeitzuschläge werde aber gegen die relative Friedenspflicht aus diesem Tarifvertrag nicht verstoßen, weil mit der Tarifforderung nicht versucht werde, Folgen einer Rationalisierungsmaßnahme sozial abzumildern, sondern die Auswirkungen von vornherein zu verhindern.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren ursprünglich gestellten Antrag weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
A. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, der Antrag des Arbeitgebers sei zulässig. Der Senat hat zwar im Urteil vom 19. Juni 1984 (- 1 AZR 361/82 - BAGE 46, 129 = AP Nr. 3 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht) unter Hinweis auf andere entsprechende Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts entschieden, eine dem Abschluß eines Tarifvertrages vorausgehende Inhaltskontrolle sei abzulehnen. Den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts liegt der Gedanke zugrunde, daß die Gerichte nicht im Vorfeld von Tarifverhandlungen über die rechtliche Zulässigkeit der mit den Tarifverhandlungen verfolgten Tarifziele entscheiden sollen. Bedenken bestehen, weil der Inhalt eines Tarifvertrages noch nicht feststeht. Beurteilt werden können nur Entwürfe. Diese sind für eine rechtliche Beurteilung aber noch keine ausreichende tatsächliche Grundlage. Überdies könne sich die Beurteilung immer nur auf eine bestimmte Formulierung des Entwurfs beziehen. Über die rechtliche Beurteilung tarifpolitischer Ziele wäre in vielen Fällen keine Klarheit geschaffen. Tarifpolitische Ziele könnten in verschieden ausgestalteten rechtlichen Regelungen ihren Niederschlag finden. Die Tarifvertragsparteien könnten dann die Gerichte aus taktischen Gründen einschalten. Das würde der Tarifautonomie eher schaden als nützen. Eine von einer Gewerkschaft erhobene positive Feststellungsklage über die rechtliche Zulässigkeit einzelner beabsichtigter tariflicher Regelungen könnte die Arbeitgeber unter Druck setzen. Wäre die Tarifforderung erst mit dem Etikett "rechtlich zulässig" versehen, könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, das Gericht halte diese Forderung auch für wünschenswert. Würde aber das Gericht die Zulässigkeit einer bestimmten geforderten Regelung verwerfen, wären weitere Initiativen der Gewerkschaft von vornherein erschwert, obwohl das tarifpolitische Ziel unter Umständen durch eine andere Regelung erreicht werden könnte. Die Möglichkeit, die Gerichte vorab mit der Prüfung der geforderten tariflichen Regelung zu befassen, könnte die Arbeitgeberseite dazu verführen, unerwünschte tarifliche Forderungen mit rechtlichen Mitteln abzuwehren; die mit der Einschaltung der Gerichte verbundene zeitliche Verzögerung könnte ein taktischer Vorteil sein. Dementsprechend hat der Senat in der angeführten Entscheidung vom 19. Juni 1984 entschieden, die Arbeitgeber könnten im Vorfeld von Tarifverhandlungen keine Anträge stellen, mit denen die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einzelner Tarifforderungen begehrt werden soll. Hierbei handele es sich letzten Endes um ein Rechtsgutachten, zu dem die Gerichte nicht befugt seien.
In derselben Entscheidung hat der Senat aber ausgeführt, die Arbeitgeberseite könne dann berechtigt sein, die Gerichte einzuschalten, wenn ein Arbeitskampf drohe. Das war auch schon nach bisheriger Rechtsprechung möglich (BAGE 30, 189 = AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte der Arbeitgeber Schadenersatz verlangt mit der Begründung, der von der Gewerkschaft ausgerufene Streik sei geführt worden, um ein tariflich nicht regelbares Ziel zu verfolgen, nämlich eine Differenzierungs- und Spannenklausel beim Urlaubsgeld durchzusetzen. In der Entscheidung vom 19. Juni 1984 hat der Senat noch einmal entschieden, gegen einen drohenden rechtswidrigen Streik könnten sich Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände mit einer Klage auf Unterlassung zur Wehr setzen. Sie brauchten den Eintritt des Schadens nicht abzuwarten, sondern könnten ihn zu verhindern suchen mit den Mitteln, die jedem Gläubiger eines nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechts unter den üblichen Voraussetzungen zur Verfügung stehen. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des BGH wie des BAG ist das Recht am ausgeübten Gewerbebetrieb ein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.
Die Beklagte hatte bereits zum Streik für die hier streitige Tarifforderung aufgerufen, und die Arbeitnehmer waren diesem Aufruf zum Teil gefolgt. Da die Beklagte nach wie vor versucht, die umstrittene tarifliche Regelung durchzusetzen, muß die Klägerin damit rechnen, daß sie auch in Zukunft wegen dieser tariflichen Forderung bestreikt wird. Ist die erstrebte tarifliche Regelung unzulässig, dann verstößt dieser Streik gegen § 823 Abs. 1 BGB und ist rechtswidrig. Dementsprechend kann die Klägerin mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage den zu befürchtenden Arbeitskampfmaßnahmen entgegentreten.
B. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin kann nicht die Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen verlangen. Die Forderung der Beklagten betrifft die Regelung einer Arbeits- und Wirtschaftsbedingung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG. Die Forderung ist tariflich regelbar und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
I. Die von der beklagten Gewerkschaft geforderten Zeitzuschläge zur Grundzeit und Grundarbeitszeit für die Personalbemessung im Bereich der Linien- und Zeichenstellen sind eine tarifvertraglich regelbare Arbeitsbedingung i.S. von Art. 9 Abs. 3 GG.
1. Wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 1. März 1979 - 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 - BVerfGE 50, 290, 366 f. = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG) unter Hinweis auf eine Vielzahl anderer Entscheidungen ausgeführt hat, gehört Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu den klassischen Grundrechten. Da die Koalitionsfreiheit erst unter den Bedingungen der Industriearbeit im 19. Jahrhundert entstanden ist, kann bei der Auslegung dieses Grundrechts nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur bedingt auf einen traditionell feststehenden Inhalt zurückgegriffen werden. Anhaltspunkt für eine Konkretisierung ist insbesondere die bisherige geschichtliche Entwicklung, die auf den nahezu wortgleichen Art. 159 WRV zurückgeht (BVerfGE 4, 96, 101, 106 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; 18, 18, 27 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG; 38, 386, 394 = AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; 44, 322, 347 ff. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG). Ist bei der Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG insbesondere die historische Entwicklung zu berücksichtigen, bedeutet dies aber auch, daß sich die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG nicht auf eine historische oder systematische Auslegung beschränken darf. Eine Rückbesinnung auf das historisch-traditionelle Moment des Arbeitnehmerschutzes darf nicht dazu führen, die Bewältigung neuer sozialer Probleme mit Hilfe des Tarifvertragsrechts zu versperren (Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einleitung Rz 160). Der Schwerpunkt tarifvertraglicher Regelungen lag ursprünglich bei den Lohn- und Gehaltsbedingungen. Im Laufe der Zeit wurden auch viele Sozialleistungen, also die Leistungen des Arbeitgebers, denen keine abgrenzbare Arbeitnehmerleistung gegenübersteht, tarifvertraglich geregelt. Zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gehört insbesondere auch die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, die in den letzten Jahrzehnten eine hervorragende Rolle in der Tarifpolitik gespielt hat. Zu den Arbeitsbedingungen werden ebenso der Schutz vor Rationalisierungen und vor Folgen neuer Technologien gerechnet. Dementsprechend haben die Tarifvertragsparteien - u. a. auch die Parteien dieses Rechtsstreits - tarifvertragliche Regelungen vereinbart, durch die der Inhalt und der Bestand der Arbeitsverhältnisse bei der Einführung neuer Technologien geschützt wird. In diesen Zusammenhang gehören auch tarifliche Regelungen der Frage, in welchem Maße der Arbeitnehmer durch die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren belastet werden darf. Auch hierbei handelt es sich um Arbeitsbedingungen i.S. von Art. 9 Abs. 3 GG. So ist in Lohnrahmentarifverträgen, insbesondere im Lohnrahmentarifvertrag II für die Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden vom 20. Oktober 1973 u. a. geregelt worden, welche Arbeitsintensität dem Arbeitnehmer zugemutet werden darf. In diesem Tarifvertrag haben die Tarifvertragsparteien u.a. in den §§ 3.14.2 und 3.14.5 Mindesterholungs- und Bedürfniszeiten vereinbart.
2. Die Tarifforderung der Beklagten nach Zeitzuschlägen in einem Personalbemessungssystem ist mit der Forderung nach Erholungs- und Bedürfniszeiten vergleichbar und damit eine "Arbeits- und Wirtschaftsbedingung" im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG, die in einem Tarifvertrag regelbar ist. Von der verlangten Intensität der Arbeit bzw. der Arbeitsgeschwindigkeit pro Arbeitszeiteinheit hängt die physische und psychische Belastung des Arbeitnehmers ab. Deshalb handelt es sich hier um Arbeitsbedingungen, die tariflicher Regelung zugänglich sind (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 1 Rz 174 ff.; Däubler/Hege, Tarifvertragsrecht, 2. Aufl., Rz 387). Dementsprechend enthalten eine Vielzahl von Tarifverträgen Regelungen über Akkordvorgabezeiten. In dem Firmentarifvertrag zwischen der IG Metall und der Baumaschinenfirma Vögele vom 1. Januar 1983 haben die Tarifvertragsparteien auch Arbeitnehmern, die im Zeitlohn arbeiten, zum Ausgleich arbeitsbedingter Ermüdung bezahlte Erholungspausen von mindestens fünf Minuten pro Stunde eingeräumt. Außerdem legt dieser Tarifvertrag eine persönliche Bedürfniszeit von mindestens drei Minuten pro Stunde fest.
3. Allen diesen tarifvertraglichen Bestimmungen ist allerdings gemeinsam, daß es sich im Gegensatz zu der von der Beklagten angestrebten Regelung um Inhaltsnormen handelt, die den Arbeitgeber unmittelbar verpflichten und dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Einhaltung dieser Pausen geben.
4. Das ändert aber nichts daran, daß es sich bei der Forderung der Beklagten um eine Arbeitsbedingung i.S. von Art. 9 Abs. 3 GG handelt. Hängt die physische und psychische Belastung des Arbeitnehmers von dem Grad der Arbeitsintensität ab, so wird eine Arbeitsbedingung geregelt, wenn durch Zeitzuschläge im Personalbemessungssystem die Arbeitsintensität der Arbeitnehmer in den Linien- und Zeichenstellen vermindert wird.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Beschäftigtenzahl in den Linien- und Zeichenstellen der Klägerin von Dezember 1985 bis Ende 1987 um 700 bis 750 Mitarbeiter gesunken. Am 6. Dezember 1985 verfügte die Klägerin die Einführung eines Dispositionsverfahrens für die Dienststellen der Linien- und Zeichenstellen, dem als Bemessungswerte das Ergebnis der Personalbemessung nach der neuen Dienstanweisung über das Personalbemessungssystem bei den Ämtern der Deutschen Bundespost - Anhang 433 Lz - zugrunde gelegt wurde. Mit Hilfe dieses Dispositionsverfahrens wurde die Menge der Arbeitsaufträge bei den Linien- und Zeichenstellen pro Zeichnergruppe, die gleichmäßige Auslastung aller Zeichnergruppen und die Einhaltung der zulässigen Vergabemengen festgelegt. Außerdem werden mit Hilfe des Dispositionsverfahrens die tatsächliche Erledigung je Zeichnergruppe mit der im Personalbemessungssystem veranschlagten Arbeitsmenge verglichen und eine Verbesserung der Aussagefähigkeit des Nachweises der Arbeitserledigung im Bereich der Linien- und Zeichenstellen erreicht. Es handelt sich also bei dem Personalbemessungssystem nicht - wie die Klägerin meint - um eine rein interne Angelegenheit, die keine Auswirkungen auf die Arbeitsintensität hat. Vielmehr führt das neue Personalbemessungssystem in Verbindung mit dem Dispositionsverfahren zu einem geringeren Personalbedarf, wie die Klägerin in der Bundespersonalvertretungssache PvB 27/86 vor dem Verwaltungsgericht Köln mit Schriftsatz vom 10. Dezember 1986 dargelegt hat. Gerade das Dispositionsverfahren zeigt, daß sich die Ausgestaltung des Personalbemessungssystems auf die Arbeitsintensität auswirkt, also kein interner Vorgang ohne Auswirkung auf die Arbeitnehmer ist, sondern den Umfang der Arbeitsleistung bestimmt und damit eine Arbeitsbedingung regelt.
5. Gegen die tarifvertragliche Regelbarkeit der Forderung der Beklagten spricht nicht, daß das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, Art. 9 Abs. 3 GG schütze die Koalitionsfreiheit nur in ihrem Kernbereich (BVerfGE 19, 303, 321 f. = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG m.w.N.; 28, 295, 304 = AP Nr. 16 zu Art. 9 GG; 38, 281, 305 = AP Nr. 23 zu Art. 9 GG; 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG). Damit sagt das Bundesverfassungsgericht nur, daß das Grundrecht den geschützten Personenvereinigungen mit Verfassungsrang nicht einen inhaltlich unbegrenzten und unbegrenzbaren Handlungsspielraum einräumt. Es soll vielmehr Sache des Gesetzgebers sein, außerhalb des Kernbereichs die Befugnisse der Koalitionen im einzelnen näher zu regeln und zu gestalten. Diese Kernbereichstheorie hat die Klägerin mißverstanden, wenn sie die Auffassung vertritt, die Gerichte könnten nur in dem unverzichtbaren Kernbereich dieses Koalitionsrechts Arbeitskämpfe zulassen. Solange der Gesetzgeber nicht die tarifliche Regelung der außerhalb des Kernbereichs liegenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen untersagt, können die Tarifvertragsparteien in Tarifverträgen alle Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG regeln mit der Folge, daß entsprechende Tarifverträge auch durch Arbeitskampfmaßnahmen erzwungen werden können.
6. Das Tarifvertragsgesetz enthält keine Bestimmung, die es der beklagten Gewerkschaft verbieten würde, Forderungen nach tariflicher Regelung von Zeitzuschlägen für das Personalbemessungssystem zu stellen. Vielmehr läßt sich § 1 TVG entnehmen, daß die Einflußnahme auf die Arbeitsintensität durch Zeitzuschläge auch tariflich regelbar ist.
Nach § 1 TVG kann der Tarifvertrag auch Normen über betriebliche Fragen enthalten. Anknüpfungspunkt der betrieblichen Normen ist die Organisation des Unternehmens, also die Realisierung der betrieblichen Planung (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 1 Rz 243). Regelungsgegenstand der betriebsorganisatorischen Normen ist daher die Organisationsgewalt des Arbeitgebers. Der Tarifvertrag hat die Aufgabe, die unternehmerische Gestaltungsfreiheit im Interesse der Arbeitnehmer einzuschränken oder zu kanalisieren (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 1 Rz 243; ähnlich Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 3 Rz 12).
Vorliegend will der Arbeitgeber mit dem neuen Personalbemessungssystem die Kriterien verändern, nach denen festgelegt wird, welche Arbeitsmenge einem Arbeitnehmer bei durchschnittlicher Leistung zugemutet werden kann. Damit will er zugleich den Personalbestand und die Personalkosten verringern. Dies kann zugleich eine Arbeitsverdichtung für die weiterbeschäftigten Arbeitnehmer bewirken. Es ist nicht einzusehen, weshalb dies der alleinigen Entscheidung des Arbeitgebers vorbehalten sein soll. Die entgegengesetzte Auffassung würde dazu führen, daß die Gewerkschaft auch dann nicht auf Entscheidungen des Arbeitgebers einwirken können soll, wenn dieser offenkundig die Arbeitnehmer stärker belasten will, indem er beschließt, bei sonst gleichbleibenden Arbeitsbedingungen die gleiche Arbeitsmenge auf die Hälfte der bisher beschäftigten Arbeitnehmer zu verteilen. Gerade die in Anspruch genommene Einflußnahme der Beklagten auf die Belastung der Arbeitnehmer durch bestimmte Zeitvorgaben in einem Personalbemessungssystem kann durch betriebliche Normen geregelt werden. Diese gelten nach § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden sind. Damit wird die Wirkung der betrieblichen Normen auf die nichtorganisierten Arbeitnehmer ausgedehnt. Nach § 4 Abs. 1 TVG gelten Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend nur zwischen den Tarifgebundenen. Diese Vorschrift gilt jedoch nur entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche Fragen. Dem ist zu entnehmen, daß Inhalt betrieblicher Normen eben nicht solche Regelungen sind, die Inhalt des Einzelarbeitsverhältnisses werden können oder sollen. Gerade die Personalstruktur des Unternehmens, die Arbeitsplatzbewertung und ähnliche Fragen können nur so geregelt werden, daß der einzelne Arbeitnehmer keinen Erfüllungsanspruch erhält (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 1 Rz 246; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, S. 234; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, aaO, § 3 Rz 12).
Auch § 53 PostVerfG (früher § 26 PostVwG) enthält keine Begrenzung der Tarifautonomie für das Postwesen. Wenn § 53 PostVerfG bestimmt, die Vergütungen, Löhne und Arbeitsbedingungen würden durch Tarifverträge geregelt, so wird damit nur zum Ausdruck gebracht, daß Arbeitgeber und Gewerkschaft die Arbeitsbedingungen in Firmentarifverträgen gestalten sollen und dies nicht - wie es auch möglich wäre - den Einzelvertragsparteien oder Arbeitgeber und Betriebsrat überlassen bleiben soll. § 53 PostVerfG stellt damit nur klar, daß die im TVG konkretisierte Tarifautonomie anderen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitslebens vorgeht.
II. Die Tarifforderung der Beklagten greift auch nicht unzulässigerweise in den unternehmerischen Autonomiebereich ein.
1. Das Grundgesetz gewährleistet den Kernbereich der Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 und die Unternehmensautonomie als Teil der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG. Deshalb darf weder die Unternehmensautonomie noch die Tarifautonomie so ausgeübt werden, daß die andere leerläuft. Vielmehr sind diese Grundrechtsgewährleistungen so auszudeuten, daß beide jeweils bestmöglich wirksam werden (Beuthien, ZfA 1984, 1, 12). Die Unternehmensautonomie wäre nur unzureichend beachtet, wenn ihr die Tarifautonomie keinerlei tariffreien Betätigungsbereich lassen würde. Deshalb kann der Tarifautonomie nicht entnommen werden, daß sämtliche unternehmerische Entscheidungen tarifvertraglich geregelt werden können. Als kollektives Arbeitnehmerschutzrecht gegenüber der Unternehmensautonomie kann eine tarifliche Regelung nur dort eingreifen, wo eine unternehmerische Entscheidung diejenigen rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Belange der Arbeitnehmer berührt, die sich gerade aus deren Eigenschaft als abhängig Beschäftigte ergeben. Dementsprechend entscheidet die Geschäftsleitung unternehmensautonom beispielsweise über Investitionen, Produktion und Vertrieb. Sie trifft grundsätzlich die Entscheidung darüber, welche Geld- und Sachmittel zu welchem Zweck eingesetzt werden und ob, was und wo hergestellt wird (Wiedemann, Unternehmensautonomie und Tarifvertrag, Festschrift für Riesenfeld, 1983, S. 301, 316; Beuthien, aaO, S. 12 f.).
2. Diese tarifvertragsfreie Unternehmensautonomie geht aber nicht so weit, daß die Gewerkschaften darauf beschränkt sind, nur soziale Folgewirkungen unternehmerischer Entscheidungen zu regeln (Wiedemann, aaO, S. 306 und Beuthien, aaO, S. 14 f.; a.A.: Biedenkopf, Sinn und Grenzen der Vereinbarungsbefugnis der Tarifvertragsparteien, Verhandlungen des 46. DJT, Band I 1, S. 97, 161 ff.). Gerade bei der Einführung neuer Technologien werden Arbeitsbedingungen verändert. Aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer ist es dann gleichgültig, ob die soziale Frage bereits Teil oder erst Folge der Unternehmensentscheidung ist. Zudem wird dies oft ein produktionstechnischer Zufall sein. Vor allem aber gibt es unternehmerische Maßnahmen - worauf Beuthien (S. 14) hinweist -, die sich für die Arbeitnehmer derart belastend auswirken können, daß sich die sozialen Folgen nicht oder nicht hinreichend ausgleichen oder mildern lassen (Vollmer, Einflußnahme auf unternehmerische Sachentscheidungen durch Mitbestimmung und/oder Tarifvertrag? JA 1978, 53, 54). Deshalb bezieht sich der Regelungsauftrag des Art. 9 Abs. 3 GG immer dann, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Seite einer unternehmerischen Maßnahme nicht trennen lassen, zwangsläufig mit auf die Steuerung der unternehmerischen Sachentscheidung (Wiedemann, aaO, S. 307; ähnlich Beuthien, aaO, S. 14 f., nach dem die Tarifautonomie sich nicht notwendig auf die soziale Folge einer unternehmerischen Maßnahme beschränkt, sondern sich bereits auf deren soziale Kehrseite als Teilinhalt der unternehmerischen Entscheidung selbst erstrecken kann).
Gerade um eine solche unternehmerische Maßnahme handelt es sich im vorliegenden Falle. Die Klägerin führt ein neues Personalbemessungssystem ein, das Auswirkungen auf die Arbeitsgeschwindigkeit der in den Linien- und Zeichenstellen beschäftigten Arbeitnehmer hat. In diesem Falle kann die Gewerkschaft auf die Arbeitsgeschwindigkeit unmittelbar nur einwirken, wenn sie das Personalbemessungssystem durch Zeitzuschläge verändert. Auf diese Weise kann sie erreichen, daß es zu unerwünschten Auswirkungen für die betroffenen Arbeitnehmer nicht kommt. Natürlich könnte sie sich auch damit begnügen, für die betroffenen Arbeitnehmer die sozialen Folgen des neuen Personalbemessungssystems, also die "Arbeitsverdichtung" indirekt zu mildern, etwa indem sie besondere Arbeitszeitverkürzungen fordert. Darauf kann sie aber nicht verwiesen werden.
III. Die Forderung der Beklagten verstößt auch nicht gegen ihre relative Friedenspflicht aus dem Tarifvertrag Nr. 307 vom 4. Mai 1972.
1. Dieser Tarifvertrag soll bei Rationalisierungsmaßnahmen die Angestellten schützen, indem ihnen für eine bestimmte Zeit die bisherige Vergütung und Erschwerniszuschläge weitergezahlt werden sollen. Außerdem sieht § 4 eine Arbeitsplatzsicherung durch Umsetzung an einen zumutbaren Arbeitsplatz vor.
Nach § 1 des Tarifvertrages sind Rationalisierungsmaßnahmen Änderungen der Aufbauorganisation, Änderungen der Ablauforganisation, Maßnahmen zur Nutzung des technischen Fortschritts und andere personalwirtschaftliche Maßnahmen, die von der Deutschen Bundespost getroffen werden und die jeweils allein oder in Verbindung mit anderen der genannten Maßnahmen dazu führen, daß der Arbeitsplatz des Angestellten verlegt wird oder wegfällt oder sich die Tätigkeit des Angestellten ihrem Umfange nach oder in ihrem Aufgabengebiet ändert. Zu diesen anderen personalwirtschaftlichen Maßnahmen gehört auch das neue Personalbemessungssystem, weil es dazu führt, daß sich die Tätigkeit der Angestellten ihrem Umfange nach ändert.
2. Dennoch verstößt die Forderung der Beklagten nicht gegen die relative Friedenspflicht, denn die Beklagte will nicht andere oder zusätzliche Leistungen für Arbeitnehmer erzwingen, die von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen werden, etwa Abfindungen für Arbeitnehmer, für die ein anderer Arbeitsplatz nicht nachgewiesen werden kann. Vielmehr setzt die Beklagte ihre Forderungen früher an. Sie will mit ihren Zeitzuschlägen zur Grundzeit und zur Grundarbeitszeit erreichen, daß die personalwirtschaftliche Maßnahme des neuen Personalbemessungssystems die Tätigkeit der Angestellten ihrem Umfange nach gar nicht ändert, es also zu Auswirkungen auf die Arbeitnehmer in den Linien- und Zeichenstellen überhaupt nicht kommt. Bei Durchsetzung ihrer Forderung entfallen gerade die sozialen Folgen, für die der Tarifvertrag Nr. 307 Bestimmungen enthält. Ein Verstoß gegen die Friedenspflicht scheidet damit aus.
C. Dementsprechend war die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
K. H. Janzen Dr. Schmidt
Fundstellen
BAGE 64, 284-297 (LT1-3) |
BAGE, 284 |
BB 1990, 778 |
DB 1991, 181-183 (LT1-3) |
NZA 1990, 886-889 (LT1-3) |
ZTR 1990, 428-429 (LT1-3) |
AP, (LT1-3) |
ArbuR 1991, 93-96 (LT1-3) |
EzA, (LT1-3) |
GdS-Zeitung 1990, Nr 6-7, 24 (KT) |
PersR 1990, 239-243 (ST1-4) |
PersV 1992, 128 (L) |