Entscheidungsstichwort (Thema)
Karenzentschädigung nach Ortswechsel
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Berechnung der Karenzentschädigung gilt die erhöhte anrechnungsfreie Grenze des § 74c Abs 1 Satz 2 HGB nur, wenn das Wettbewerbsverbot für den Wohnsitzwechsel des Arbeitnehmers ursächlich war.
2. Für die Annahme der Ursächlichkeit eines Wohnsitzwechsels bedarf es keiner Darlegung des Arbeitnehmers, daß er ohne nachvertragliches Wettbewerbsverbot bei den am Ort ansässigen Wettbewerbern eine Anstellung gefunden hätte. Es ist vielmehr ausreichend, wenn der Arbeitnehmer darlegt, daß er mit Rücksicht auf das Wettbewerbsverbot eine seiner früheren Tätigkeit vergleichbare Beschäftigung nur bei einem branchenfremden ortsansässigen Arbeitgeber unter dem Vorbehalt der späteren Versetzung aufnehmen konnte. (Teilurteil)
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Karenzentschädigung, die der Kläger für die Enthaltung vom Wettbewerb in der Zeit vom Oktober 1991 bis Ende Mai 1992 verlangt, und die Höhe der Entschädigung dafür, daß die Beklagte ihm in der Zeit von Anfang März 1991 bis September 1991 keinen Pkw als Dienstwagen mit der Möglichkeit zur Privatnutzung überlassen hat.
Der Kläger trat zum 6. Oktober 1990 in die Dienste der Beklagten und nahm eine Tätigkeit des Leiters des Geschäftsbereichs EDV, Service und Logistik auf. In dem Einstellungsvertrag war u.a. vereinbart
"§ 2
Bezüge
1.) Als Vergütung für seine Tätigkeit erhält der
Mitarbeiter ein festes Jahresgrundgehalt in
Höhe von DM 130.000,-- (in Worten einhundert-
zwanzigtausend Deutsche Mark). ...
...
§ 4
Nebenleistungen
...
2.) Die Gesellschaft stellt dem Mitarbeiter für
die Dauer des Anstellungsvertrages einen an-
gemessenen Dienstwagen zur Verfügung, der
auch zu Privatfahrten benutzt werden kann.
Betriebs- und Unterhaltskosten trägt die Ge-
sellschaft. Die Versteuerung des geldwerten
Vorteils für die private Nutzung übernimmt
der Mitarbeiter.
..."
In einer im Anhang zum Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarung war ein zweijähriges nachvertragliches Wettbewerbsverbot für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland geregelt. Als Entschädigung war vereinbart:
"2.) Die Gesellschaft zahlt dem Mitarbeiter für
die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Ent-
schädigung in Höhe der Hälfte der zuletzt
von ihm bezogenen vertragsgemäßen Vergü-
tung. Die Entschädigung wird jeweils am Mo-
natsende ausgezahlt."
Wegen der bei Vertragsabschluß bestehenden Absicht, den Kläger in die Geschäftsführung zu berufen, waren sich die Parteien einig, daß ein repräsentativer Pkw der Marke BMW Typ 525 zur Verfügung gestellt werden sollte. Tatsächlich kam es dazu jedoch nicht. Im Mai 1991 erklärte die Beklagte den Verzicht auf die Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Nach Nr. 4 der Wettbewerbsvereinbarung war geregelt, daß in diesem Fall der Entschädigungsanspruch mit Ablauf eines Jahres seit der Verzichtserklärung entfällt. Der Kläger kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis unter Wahrung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30. September 1991. Zum 1. Oktober 1991 trat er eine Tätigkeit bei der U , Hamburg, "wieder als Teamleader A " an. Das zugesagte Gehalt betrug 6.600,-- DM brutto pro Monat. Der neue Arbeitgeber behielt sich vor, den Kläger im Verlauf seiner Tätigkeit auch mit anderen Aufgaben zu betrauen und an anderen Orten einzusetzen. Mit Wirkung zum 1. Februar 1992 wurde der Kläger nach Bremerhaven zur "N " GmbH, Unternehmensbereich "F " versetzt und mit der Funktion eines Coproduction Managers betraut. Das monatliche Gehalt stieg dort auf 7.800,-- DM brutto monatlich.
Zwischen den Parteien ist im Verlaufe des Berufungsverfahrens unstreitig geworden, daß die monatlichen Gesamteinkünfte des Klägers, bestehend aus der vertragsgemäßen Entschädigung und allen Bezügen beim neuen Arbeitgeber in den Monaten Oktober 1991 bis Januar 1992 13.834,66 DM brutto und für die Monate Februar bis Mai 1992 jeweils 14.877,16 DM brutto betragen haben.
Der Kläger macht geltend, nach § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB erhöhe sich der anrechnungsfreie Betrag auf 125 % des Gesamtbetrages aus laufender Vergütung und Karenzentschädigung, weil er durch das Wettbewerbsverbot zum Umzug nach Bremerhaven gezwungen worden sei. Durch das Wettbewerbsverbot der Beklagten sei er gehindert gewesen, eine Beschäftigung bei den zahlreichen im Großraum Hamburg vertretenen Unternehmen der Telekommunikation aufzunehmen. Bewerbungen bei anderen Arbeitgebern in Hamburg seien sämtlich erfolglos geblieben. Dies zeige die schriftliche Absage des Unternehmens Otto-Versand Hamburg.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
41.115,96 DM brutto (Karenzentschädigung für
die Monate Oktober 1991 bis März 1992) nebst
9,8 % Zinsen seit dem 3. Februar 1992 auf den
sich aus 27.410,64 DM brutto ergebenden Netto-
betrag sowie seit dem 27. März 1992 auf den
sich aus 13.795,32 DM brutto ergebenden Netto-
betrag zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
32.900,-- DM netto nebst 9,8 % Zinsen seit dem
9. Januar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil die Beklagte verurteilt, an den Kläger 36.495,96 DM brutto nebst Zinsen an Karenzentschädigung sowie weitere 19.740,-- DM netto nebst Zinsen als Schadenersatz für die mangelnde Nutzung des zugesagten Dienst-Pkw zu zahlen.
In der Berufungsinstanz hat die Beklagte beantragt,
1. hinsichtlich des Klagantrags zu 1. das Teilur-
teil des Arbeitsgerichts dahingehend abzuän-
dern, daß die Beklagte lediglich zu einer Ka-
renzentschädigung in Höhe von 31.694,16 DM
brutto nebst 9,8 % Zinsen seit dem 3. Februar
1992 auf den sich aus 22.519,44 DM brutto er-
gebenden Nettobetrag sowie seit dem 27. März
1992 auf den sich aus 9.174,72 DM brutto erge-
benden Nettobetrag verurteilt wird.
Der darüber hinausgehende Klagantrag ist abzu-
weisen.
2. Hinsichtlich des Klagantrages zu 2. das Teil--
Urteil des Arbeitsgerichts aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Der Kläger hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Wege der Anschlußberufung hat der Kläger die zwischenzeitlich fällig gewordene Karenzentschädigung für April und Mai 1991 geltend gemacht und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
12.165,32 DM brutto nebst 9,8 % Zinsen p.a. auf
den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Zu-
stellung der Klagerweiterung (Anschlußberufung)
zu zahlen.
Die Beklagte hat in Höhe von 9.174,72 DM nebst 9,8 % Zinsen seit dem 21. September 1992 die mit der Anschlußberufung verfolgte Klageforderung anerkannt und im übrigen die Zurückweisung der Anschlußberufung beantragt.
Das Landesarbeitsgericht hat sowohl der Berufung der Beklagten als auch der Anschlußberufung des Klägers teilweise stattgegeben.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger das Ziel der Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Teilurteils und des vollständigen Obsiegens der Anschlußberufung. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Entsprechend § 301 Abs. 1 ZPO war im Wege des Teilurteils über den prozessualen Anspruch des Klägers auf Karenzentschädigung zu entscheiden. Die Revision des Klägers ist insoweit zulässig und begründet. Soweit das Landesarbeitsgericht das Teilurteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage auf Karenzentschädigung in Höhe von 4.801,80 DM nebst Zinsen abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen hat, stellt sich das Berufungsurteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
Über den Anspruch auf Schadenersatz wegen der mangelnden Nutzung des zugesagten Dienst-PKW wird der dafür zuständige 8. Senat zu entscheiden haben.
Nach § 74 Abs. 2 HGB stand dem Kläger von Oktober 1991 bis zur Beendigung des Wettbewerbsverbots im Mai 1992 eine von der Beklagten zu zahlende Karenzentschädigung in Höhe von 6.082,66 DM monatlich zu. Abzüglich des vom Landesarbeitsgericht bereits rechtskräftig zugesprochenen Betrags ergibt sich eine Restforderung von insgesamt (48.661,28 DM abzüglich 40.868,88 DM =) 7.792,40 DM.
1. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, daß der Kläger sich nach § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB auf die fällige Karenzentschädigung die Einkünfte anrechnen lassen muß, welche 110 % der zuletzt bei der Beklagten bezogenen vertragsmäßigen Leistungen übersteigen. Die Erhöhung des anrechnungsfreien Gesamtbetrages nach § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB auf 125 % hat das Landesarbeitsgericht mit der Begründung abgelehnt, der Kläger habe nicht dargelegt, durch das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot gezwungen worden zu sein, seinen Wohnsitz von Hamburg nach Bremerhaven zu verlegen. Im Großraum Hamburg seien im Bereich der Telekommunikation zahlreiche Unternehmen vorhanden, bei denen eine Tätigkeit des Klägers grundsätzlich in Betracht gekommen wäre. Der Ortswechsel beruhe auf einem eigenen Entschluß des Klägers; denn er wäre von der U nicht gegen seinen Willen zur N nach Bremerhaven versetzt worden.
2. Dieser rechtlichen Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden. Das Landesarbeitsgericht hat die Anforderungen, die an die Begründung des Zwanges zur Wohnsitzverlegung gestellt werden, nicht zutreffend bestimmt. Ein Zwang zur Wohnsitzverlegung ist bereits dann anzuerkennen, wenn der durch das Wettbewerbsverbot eingeschränkte Arbeitnehmer nur außerhalb seines bisherigen Wohnorts eine Tätigkeit ausüben kann, die nach Art, Vergütung und beruflichen Chancen seiner bisherigen Tätigkeit nahekommt und wenn dies eine Wohnsitzverlegung erfordert (BAGE 25, 444, 449 = AP Nr. 2 zu § 74 c HGB, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 10. September 1985 - 3 AZR 31/84 - AP Nr. 12 zu § 74 c HGB). Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor.
a) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts bedurfte es keiner substantiierten Darlegung des Klägers, daß er bei den Unternehmen der Telekommunikation im Großraum Hamburg, mit denen die Beklagte im Wettbewerb steht, ohne das mit der Beklagten bestehende Wettbewerbsverbot einen Arbeitsplatz gefunden hätte. Da keine entgegenstehenden konkreten Anhaltspunkte festgestellt sind, muß davon ausgegangen werden, daß der Kläger aufgrund seines Wettbewerbsverbots gehindert war, in der Telekommunikationsbranche im Großraum Hamburg unterzukommen. Es würde deshalb für den Anspruch des Klägers keinerlei Auswirkungen haben, wenn - wie das Landesarbeitsgericht fordert - der Kläger zunächst bei den Wettbewerbern der Beklagten in der Telekommunikationsbranche Bewerbergespräche hätte führen sollen, bevor er anderswo tätig wird. Bei Erfolg solcher Bewerbungen wäre es dem Kläger aufgrund des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots verboten gewesen, von einem Einstellungsangebot Gebrauch zu machen. Somit war der Kläger nach Ablehnung seiner Bewerbung in der Computerbranche beim Otto-Versand Hamburg gezwungen zu seinem früheren Arbeitgeber Unilever zurückzukehren, um nicht die anderweite Verwertung seiner Arbeitskraft zu unterlassen.
b) Mit dem Abschluß des Arbeitsvertrages bei der U war bereits die Möglichkeit der örtlichen Veränderung angelegt. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Einstellungsschreiben der U vom 16. August 1991.
Soweit das Landesarbeitsgericht ausführt, die spätere Versetzung nach Bremerhaven sei nicht zwingend gewesen, weil sie gegen den Willen des Klägers nicht hätte durchgesetzt werden können, liegt diesen Ausführungen eine unzutreffende Vorstellung vom Inhalt des § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB zugrunde. Vom Kläger kann nämlich nicht verlangt werden, daß er - nur um einer Versetzung zu entgehen - das neubegründete Arbeitsverhältnis aufgibt. § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB soll nicht die Mobilität des Arbeitnehmers beschränken, sondern sie erleichtern.
c) Unschädlich ist auch, daß der Kläger erst nach der Versetzung im Februar 1992 aus Hamburg verzogen ist. Der später vollzogene Umzug wirkt für die Anrechnungsfreigrenze zurück (BAG Urteil vom 17. Mai 1988 - 3 AZR 428/86 - AP Nr. 14 zu § 74 c HGB).
d) Die höchsten Gesamteinnahmen des Klägers betrugen in den Monaten Februar bis Mai 1992 14.877,16 DM brutto monatlich. Bei Zugrundelegung von 125 % des früheren Monatsgehalts ergibt sich nach den unstreitigen Angaben der Parteien ein Betrag von 15.206,65 DM. Die beim neuen Arbeitgeber durch die anderweite Verwertung der Arbeitskraft erzielten Einkünfte können deshalb nicht angerechnet werden.
3. Die Beklagte hat als Schuldnerin gemäß § 284 Abs. 1 in Verb. mit § 286 Abs. 1 BGB den Zinsschaden zu ersetzen.
Leinemann Dörner Düwell
Fieberg Mache
Fundstellen
DB 1995, 1569-1570 (LT1-2) |
AiB 1995, 538-539 (LT1-2) |
WiB 1995, 634 (LT) |
ARST 1995, 206-207 (LT1-2) |
JR 1995, 352 (L) |
NZA 1995, 631-632 (LT1-2) |
ZAP, EN-Nr 487/95 (L) |
AP § 74c HGB (LT1-2), Nr 17 |
EzA-SD 1995, Nr 9, 4-6 (LT1-2) |
EzA § 74c HGB, Nr 33 (LT1-2) |