Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes
Leitsatz (amtlich)
Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG (Betriebsbegriff im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes) müssen im Inland erfüllt werden; etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Rechtsgrundsätzen der Europäischen Union.
Normenkette
KSchG §§ 1, 23 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 28. Januar 1997 – 13 Sa 1546/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 20. September 1993 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Sekretärin/Assistentin des Geschäftsführers zu einem monatlichen Gehalt in Höhe von 5.960,-- DM brutto in deren Büro in D… beschäftigt.
Die Beklagte ist eine Vertriebsgesellschaft für den deutschen Markt. Ihre Gesellschaftsanteile werden von der P… Inc. in den USA gehalten. Diese verfügt über eine weitere Tochtergesellschaft mit Sitz in Großbritannien, die P… U.K. Ltd. Sowohl die P… Inc. USA als auch die P… U.K. Ltd. beschäftigen in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer. Die Beklagte beschäftigte lediglich eine Arbeitnehmerin, die Klägerin. In der Zeit von September/Oktober 1994 bis zum 23. Februar 1996 war Geschäftsführer der Beklagten Herr C… B…, zugleich der Exportleiter der P… U.K. Ltd., der von Großbritannien aus agierte. Prokurist der Beklagten war ein Mitarbeiter der P… Inc. USA, Herr L… M…, der zugleich als Europamanager nach Großbritannien abgeordnet war. Entscheidungen über geschäftliche Maßnahmen der Beklagten, sei es den Arbeitsvertrag der Klägerin, die Vertragsgestaltung mit Handelsvertretern, deren Gebietszuteilung oder -änderung, die Entscheidung über Werbemaßnahmen wie z.B. Zeitungsanzeigen und Sponsoring-Verträge waren mit dem jeweiligen Europamanager in Großbritannien abzustimmen, der seinerseits die Zustimmung der P… Inc. USA einholen mußte. Die Abwicklung des gesamten Zahlungsverkehrs der Beklagten erfolgte über die P… U.K. Ltd. Die Klägerin versandte die Rechnungen nach England, nachdem sie diese auf ihre Richtigkeit hin überprüft hatte, und erhielt von dort die unterschriebenen Schecks, u.a. auch ihre Gehaltsschecks und die Schecks für ihre Sozialversicherung. Insgesamt beschränkten sich die Handlungen der Klägerin auf den Vollzug von Anordnungen der P… U.K. Ltd. und der P… Inc. USA.
Mit Schreiben vom 10. Mai 1995 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 30. Juni 1995, und zwar mit der Begründung, es sei die Auflösung der Gesellschaft beabsichtigt, da die Geschäfte in Deutschland künftig zentral durch die Petrolon U.K. Ltd. betreut würden.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sozialwidrig. Das Kündigungsschutzgesetz finde auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, da die Beklagte mit der P… Inc. USA und der P… U.K. Ltd. einen gemeinsamen Betrieb bilde mit der Folge, daß die Anzahl der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu berücksichtigen sei. Es bestehe eine einheitliche Leitungsstruktur. Die Beklagte sei mangels eigener Entscheidungsbefugnis eher einem Boten vergleichbar. Die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf den vorliegenden Sachverhalt sei auch vor dem Hintergrund der europäischen Verflechtung der Unternehmen interessengerecht, da europaweit tätige Unternehmen ansonsten durch Aufspaltung in auf verschiedene Länder verteilte Betriebe die Regelungen des Kündigungsschutzes umgehen könnten. Dies widerspreche den Grundsätzen des gemeinsamen europäischen Marktes. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe die beabsichtigte Betriebsstillegung noch keine greifbaren Formen angenommen, außerdem sei es möglich gewesen, sie in Großbritannien weiterzubeschäftigen.
Die Klägerin hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10. Mai 1995 nicht aufgelöst worden ist,
- hilfsweise, für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1), das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Kündigungsschutzgesetz finde auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien keine Anwendung. Die in den Betriebsstätten der P… U.K. Ltd. und der P… Inc. USA beschäftigten Arbeitnehmer könnten im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht mitgezählt werden. Das Büro in D… bilde mit den vorgenannten Betriebsstätten keinen gemeinsamen Betrieb. Selbst wenn dies jedoch der Fall wäre, seien die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer nicht zu berücksichtigen, da diese nicht unter die Zuständigkeit der deutschen Gesetzgebung fielen. Im übrigen sei die Kündigung auch betriebsbedingt. Es sei ein Gesellschafterbeschluß gefaßt worden, den Geschäftsbetrieb der Beklagten ab Juli 1995 einzustellen. Von Dortmund aus würden daher keine Arbeiten mehr erledigt.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung; die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Das haben die Vorinstanzen zutreffend entschieden.
I. Das Landesarbeitsgericht ist der Begründung des Arbeitsgerichts gefolgt, wonach es eines besonderen Kündigungsgrundes nicht bedurft habe, da das Kündigungsschutzgesetz mangels der erforderlichen Arbeitnehmerzahl keine Anwendung finde. Die Beklagte habe in ihrem Büro in D… nur eine Arbeitnehmerin, nämlich die Klägerin beschäftigt. Zwar könnten mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden. Selbst wenn jedoch vorliegend ein gemeinsamer Betrieb bestehend aus der Betriebsstätte der Beklagten und den Betriebsstätten der P… Inc. USA und/oder der P… U.K. Ltd. bestanden habe, könnten die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer bei der Feststellung der Beschäftigtenzahl i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht mitgezählt werden.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in Teilen der Begründung.
1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG in der bei Ausspruch der Kündigung geltenden Fassung finden die Vorschriften des ersten Abschnitts über den allgemeinen Kündigungsschutz nicht auf Betriebe und Verwaltungen Anwendung, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten tätig sind. Unstreitig waren in der Betriebsstätte der Beklagten in D… im Kündigungszeitpunkt regelmäßig nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt.
2. Das Kündigungsschutzgesetz kann somit vorliegend nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Mitarbeiter der P… U.K. Ltd. und/oder die Mitarbeiter der P… Inc. USA bei der Ermittlung der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen sind. Dies ist jedoch nicht gerechtfertigt.
Zwar können nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden mit der Folge, daß die in den beiden Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung der nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG maßgebenden Arbeitnehmerzahl zusammenzurechnen sind (vgl. z.B. BAG Urteil vom 4. Juli 1957 – 2 AZR 86/55 – BAGE 4, 203, 205 = AP Nr. 1 zu § 21 KSchG, zu 2 der Gründe; BAG Urteil vom 23. März 1984 – 7 AZR 515/82 – BAGE 45, 259, 265 = AP Nr. 4 zu § 23 KSchG 1969, zu I 2a der Gründe; BAG Urteil vom 18. Januar 1990 – 2 AZR 355/89 – AP Nr. 9 zu § 23 KSchG 1969, zu III 1 der Gründe und zuletzt BAG Urteil vom 7. November 1996 – 2 AZR 648/95 – n.v.). Es bestehen bereits erhebliche Bedenken gegen die Annahme, das Büro der Beklagten in D… bilde mit den Betriebsstätten der P… U.K. Ltd. in Großbritannien und/oder der P… Inc. in den Vereinigten Staaten einen gemeinsamen Betrieb im Sinne der oben erwähnten Rechtsprechung. Jedenfalls ist aber eine Zusammenrechnung der Arbeitnehmerzahlen dieser Betriebe im Hinblick auf § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht möglich. Den Vorinstanzen ist mit der wohl einhelligen Auffassung in Literatur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte (vgl. KR-Weigand, 4. Aufl., § 23 KSchG Rz 26; Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 23 Rz 16b; Kittner/Trittin, KSchR, 2. Aufl., § 23 KSchG Rz 16; MünchArbR/Birk, § 19 Rz 193; Küttner/Kreitner, Personalbuch 1997, Betrieb, Rz 13; LAG Hamm Urteil vom 5. April 1989 – 2 (13) Sa 1280/88 – LAGE § 23 KSchG Nr. 4; LAG Köln Urteil vom 27. Mai 1994 – 4 Sa 1212/93 – LAGE § 23 KSchG Nr. 10; LAG Düsseldorf Urteil vom 21. Mai 1996 – 8 Sa 366/96 – BB 1996, 2411; LAG Köln Urteil vom 22. November 1996 – 11 Sa 560/96 – LAGE § 23 KSchG Nr. 12) darin zu folgen, daß die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG regelmäßig – vorbehaltlich von Sonderregelungen des Gemeinschaftsrechts (vgl. dazu nachfolgend zu b) – im Inland erfüllt werden müssen.
a) Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG muß die geforderte Mindestzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer in einem Betrieb erreicht werden, der generell vom räumlichen Geltungsbereich des KSchG umfaßt wird. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes nicht für Betriebe, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt werden. Der räumliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist aber auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Die räumliche Geltung eines Gesetzes erstreckt sich maximal auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich des rechtsetzenden Organs (vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl., § 27 Rz 13; Badura/Ehlers/Erichsen/Ossenbühl/Rudolf/Rüfner/Salzwedel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., § 8 Rz 8). Die Rechtssetzungsbefugnis der deutschen Gesetzgebungsorgane beschränkt sich im Grundsatz (vgl. dazu Senatsurteil vom 21. November 1996 – 2 AZR 832/95 – AP Nr. 10 zu § 79 BPersVG, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 1 der Gründe, m.w.N.) auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes und damit auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das Kündigungsschutzgesetz gilt somit grundsätzlich nur für Betriebe auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (vgl. KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 155; Hueck/v. Hoyningen-Huene, aaO, § 23 Rz 3 und Einleitung Rz 77; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., Vorbemerkungen zu § 1 Rz 36; Bader/Bram/Dörner/Wenzel, KSchG, Stand: Juli 1997, § 1 Rz 103). “In denen” bedeutet, daß die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer in den Betrieben auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sein müssen.
b) Etwas anderes ergibt sich entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht auch nicht aus den Rechtsgrundsätzen der Europäischen Union. Insoweit ist bereits nicht nachvollziehbar, wie die Klägerin durch die Anwendung Europäischen Gemeinschaftsrechts eine Einbeziehung der bei der P… Inc. USA beschäftigten Arbeitnehmer erreichen will. Das Recht der Europäischen Union gebietet aber auch keine Berücksichtigung der Arbeitnehmer der P… U.K. Ltd. im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Das Gemeinschaftsrecht enthält bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Art. 4 der Richtlinie 77/187 EWG) keine Regelungen über den Kündigungsschutz von Arbeitnehmern. Es gelten vielmehr die jeweiligen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten beschränkt auf deren jeweiliges Hoheitsgebiet. Dies spiegelt sich auch in Art. 48 Abs. 3 EG-Vertrag wieder, der bestimmt, daß den Arbeitnehmern der Mitgliedstaaten das Recht zusteht, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben. Erst durch das Abkommen über die Sozialpolitik ist der Europäischen Union überhaupt die Kompetenz zugewachsen, Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu treffen. Dieses Abkommen hat Großbritannien jedoch nicht unterzeichnet. Dies spricht ebenfalls gegen die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Arbeitnehmer der P… U.K. Ltd. im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Im übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 30. November 1993 – Rs C-189/91 – EuGHE I 1993, 6185 = AP Nr. 13 zu § 23 KSchG 1969) davon aus, daß es sich bei § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG um eine nationale Sonderbestimmung handelt, deren Geltungsbereich auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist.
3. Es braucht daher nicht mehr weiter auf die Zweitbegründung der Vorinstanzen eingegangen zu werden, die Betriebsstätten der P… Inc. USA und/oder der P… U.K. Ltd. bildeten mit der der Beklagten keinen gemeinsamen Betrieb.
Da andere außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes liegende Unwirksamkeitsgründe bezüglich der Kündigung vom 10. Mai 1995 nicht angeführt sind, ist daher die Klage zu Recht abgewiesen worden.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Dr. Roeckl, Kuemmel-Pleißner
Fundstellen
Haufe-Index 884854 |
BAGE, 374 |
BB 1998, 222 |
DB 1998, 83 |
NJW 1998, 1661 |
FA 1998, 65 |
NZA 1998, 141 |
RdA 1998, 127 |
ZAP 1998, 256 |
ZIP 1998, 169 |
EuZW 1998, 608 |
MDR 1998, 290 |
IPRspr. 1997, 57 |