Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassungsschutz bei Aufhebungsverträgen
Leitsatz (amtlich)
Die mit einem Aufhebungsvertrag bezweckte Entlassung ist – bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Massenentlassung – gemäß §§ 17, 18 KSchG so lange unwirksam, als nicht eine formgerechte Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 3 KSchG) beim Arbeitsamt eingereicht und dessen Zustimmung eingeholt wird.
Normenkette
KSchG §§ 17-18
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 09.10.1997; Aktenzeichen 14 (11) Sa 574/97) |
ArbG Solingen (Urteil vom 23.01.1997; Aktenzeichen 1 Ca 2114/96) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Oktober 1997 – 14 (11) Sa 574/97 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Kläger war seit Juni 1972 als Arbeiter bei der Beklagten gegen ein Bruttoentgelt von zuletzt 3.200,00 DM beschäftigt; der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Außer dem Kläger waren bei der Beklagten, die sich mit der Textillohnveredelung befaßte, noch weitere 25 Arbeitnehmer und eine Aushilfe beschäftigt. Bei der Beklagten existierte ein Betriebsrat.
Nachdem die 1996 fertiggestellte Bilanz für das Geschäftsjahr 1995 mit einem negativen Ergebnis von ca. 400.000,00 DM abgeschlossen und die betriebswirtschaftliche Auswertung bei der Beklagten im August 1996 ergeben hatte, daß sich das vorläufige Ergebnis bei rund 100.000,00 DM Verlust befand und auch das kumulierte Ergebnis von Januar bis August im negativen Bereich war, beschloß die Beklagte nach einer Besprechung mit ihren Wirtschaftsprüfern am 16. August 1996, den Betrieb einzustellen und still zu liquidieren. Sie stellte mit Schreiben vom 16. August 1996 einen Antrag an das Arbeitsamt S – Leistungsabteilung – auf Befreiung von der Erstattungspflicht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AFG, in dem es u.a. heißt, aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Firma müßten alle 26 Arbeitnehmer zum Ende August entlassen werden, da die Firma ganz liquidiert werde. Mit Schreiben vom 19. August 1996 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, daß sie aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation gezwungen sei, die mit allen Arbeitnehmern bestehenden Arbeitsverhältnisse zum 31. August bzw. 30. September 1996 zu lösen. Sie wies dabei darauf hin, es bleibe noch abzuwarten, ob dies durch Kündigungen oder Aufhebungsverträge geschehen werde.
Bei einer am 20. August 1996 durchgeführten Betriebsversammlung wurde den Arbeitnehmern bekannt gegeben, daß die rückständigen Löhne für Juli und August 1996 bezahlt würden, wenn alle Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag zum 31. August 1996 abschlössen. Für diesen Fall habe sich die D Bank für die ausstehenden Löhne stark gesagt. Sofern nicht alle Mitarbeiter einen solchen Aufhebungsvertrag unterzeichneten, käme es zum Konkurs; durch den Zeitablauf bis zur Konkurseröffnung könnten die Arbeitnehmer ggf. dadurch Nachteile erleiden, daß der Konkurs erst später als drei Monate nach dem 1. Juli 1996 eröffnet würde, so daß zumindest ein Teil der Entgelte für Juli nicht mehr mit Konkursausfallgeld abgedeckt wäre. Bei einer weiteren abschließenden Betriebsversammlung am 21. August 1996 unterschrieben alle anwesenden Arbeitnehmer die von der Beklagten vorbereitete Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August 1996, die im Falle des Klägers folgenden Inhalt hat:
- Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, daß das Anstellungsverhältnis wegen Fortfalls des Arbeitsplatzes und Fehlen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeit für Herrn J mit dem 31. August sein Ende finden wird.
- Herr J erhält ein qualifiziertes und wohlwollend formuliertes Zeugnis, das ihn in seinem beruflichen Fortkommen nicht hindert.
- Laut Schreiben vom 21. August 1996 hat die D Bank sich verpflichtet, die Liquidität für die ausstehenden Löhne für die Monate Juli und August 1996 am 1. September 1996 zur Verfügung zu stellen.
- Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Anstellungsverhältnis und seiner Beendigung gleich aus welchem Rechtsgrund und ob bekannt oder unbekannt, erledigt. Insbesondere besteht Einigkeit darüber, daß Auseinandersetzungen, die die Wirksamkeit dieser Aufhebungsvereinbarung betreffen könnten, mit dieser Vereinbarung ebenfalls geregelt sind.”
Der Kläger hat diese Vereinbarung mit Schreiben vom 22. August 1996 wegen arglistiger Täuschung, widerrechtlicher Drohung und Irrtums angefochten.
Der Kläger hat geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis sei durch den Aufhebungsvertrag nicht wirksam beendet worden, denn er verstehe schlecht deutsch und sei deshalb auf einen Dolmetscher angewiesen; demzufolge habe er von den Vorgängen auf der Belegschaftsversammlung nur soviel mitbekommen, daß er ein Papier unterschreiben müsse, damit die Bank Geld bezahle. Die ihm vorgelegte Aufhebungsvereinbarung habe er nicht verstanden; er sei der Meinung gewesen, er bekäme noch eine Kündigung, die nach seinem Verständnis bis Ende August 1996 erfolgen sollte. Die Aufhebungsvereinbarung sei auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte nicht die gemäß § 17 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige beim Arbeitsamt erstattet habe. Im übrigen sei er in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt worden, nämlich daß die Erfüllung der Lohnansprüche für Juli und August im Falle eines Konkursantrages gefährdet sei und dieses Risiko nur im Falle der Unterzeichnung von Aufhebungsverträgen durch alle Arbeitnehmer vermieden werden könne. Außerdem habe die Beklagte über den zeitlichen Ablauf des Konkursverfahrens bewußt falsch informiert; über einen etwaigen Konkursantrag hätte nämlich innerhalb einer Frist von äußerstens zwei Wochen entschieden werden können. Weiter habe die Beklagte verschwiegen, daß die Lohnansprüche der letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens Masseansprüche seien, wobei die Konkursmasse zur Befriedigung dieser Ansprüche ausgereicht hätte. Schließlich sei der Aufhebungsvertrag auch sittenwidrig, da die Beklagte ihn durch Nichtzahlung der Löhne in eine Notlage gebracht und diese dann ausgenutzt habe, um sich durch die Unterzeichnung der Aufhebungsverträge wirtschaftliche Vorteile mit dem Verzicht auf die Lohnansprüche für die Kündigungsfrist zu verschaffen. Infolge der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages schulde die Beklagte die Vergütung für die Monate September, Oktober und November 1996 abzüglich des für diesen Zeitraum gezahlten Arbeitslosengeldes.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom 21. August 1996 nicht zum 31. August 1996 beendet wird,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 9.600,00 DM brutto abzüglich 4.360,20 DM netto zuzüglich 4 % Zinsen auf den verbleibenden Nettobetrag seit dem 18. Dezember 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, für die Zeit ab September 1996 seien keine weiteren Aufträge in Sicht gewesen; spätestens ab diesem Zeitpunkt habe sie nicht mehr produzieren können, was allen Beteiligten bekannt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund einer desolaten Auftragssituation habe sie ihre Wirtschaftsprüfer um eine Statusfeststellung gebeten, die zu dem Ergebnis geführt habe, daß sie spätestens Mitte August zahlungsunfähig gewesen sei. Insoweit sei ermittelt worden, daß ihr Geschäftsführer am 22. August 1996 hätte Konkursantrag stellen müssen.
Da die Arbeitnehmer über die geschilderte Sachlage in den Betriebsversammlungen umfassend unterrichtet worden seien, seien gegen die Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich. Das gelte auch im Hinblick auf § 17 KSchG. Auch werde bestritten, daß sich der Kläger bei dem Aufhebungsvertrag über dessen Inhalt nicht im klaren gewesen sei; er verstehe nämlich gut deutsch und habe sich in der Betriebsversammlung vom 20. August 1996 selbst zu Wort gemeldet und nach den Konsequenzen im Hinblick auf noch ausstehende Urlaubsansprüche gefragt, wobei er mit der gegebenen Antwort überhaupt nicht einverstanden gewesen sei, was beweise, daß er selbstverständlich den Inhalt der Antwort verstanden habe. Auch sonstige Anfechtungsgründe bestünden nicht, da die Arbeitnehmer umfangreich und wahrheitsgemäß über den dem Abschluß der Aufhebungsverträge zugrundeliegenden Sachverhalt informiert worden seien.
Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Bundesarbeitsgericht durch Beschluß vom 6. Mai 1998 – 5 AZN 234/98 – zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte nach wie vor die Klageabweisung, wobei die Parteien in der Revisionsinstanz übereinstimmend klargestellt haben, daß das Arbeitsverhältnis jedenfalls aufgrund einer Kündigung vom 17. April 1997 mit dem 30. November 1997 sein Ende gefunden hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 21. August 1996 nicht mit dem 31. August 1996 sein Ende gefunden hat; das Arbeitsverhältnis hat vielmehr erst aufgrund Kündigung mit dem 30. November 1997 geendet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der geschlossene Aufhebungsvertrag sei gemäß §§ 17, 18 KSchG rechtsunwirksam, da die Beklagte nicht die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Entlassungsanzeige gegenüber dem Arbeitsamt erstattet habe. In dem Leistungsantrag an das Arbeitsamt sei eine solche Entlassungsanzeige nicht zu sehen. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG führe jedenfalls dann zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages, wenn der Arbeitnehmer sich – wie hier – auf die Unwirksamkeit berufe. Dem stehe auch nicht Ziff. 4 der Aufhebungsvereinbarung entgegen, weil ein eventueller Verzicht des Arbeitnehmers erst nach Abschluß einer Aufhebungsvereinbarung erklärt werden könne. Um das Anliegen des Gesetzes zu wahren, die Anzeigepflicht auch bei Entlassungen in Form von arbeitgeberseitig veranlaßten Aufhebungsverträgen aus arbeitsmarktpolitischen Gründen durchzusetzen, sei es geboten, die Aufnahme eines Verzichts auf die Überprüfung der Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung in dieser selbst als unzulässig anzusehen. Infolge der unwirksamen Aufhebungsvereinbarung schulde die Beklagte die geltend gemachten Entgeltansprüche gemäß § 615 BGB.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch teilweise in der Begründung. Die Revision rügt zu Unrecht eine Verletzung der §§ 17, 18 KSchG.
1. Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage ist nach § 256 ZPO zulässig (vgl. Senatsurteil vom 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – BAGE 74, 281, 284 = AP Nr. 37 zu § 123 BGB, zu II der Gründe) und in dem in der Revisionsinstanz eingeschränkten Umfang (Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis 30. November 1997) auch begründet.
2. Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, daß die Beklagte gehalten war, für ihren Betrieb mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG) bei der von ihr beabsichtigten Personalmaßnahme des Ausscheidens aller 26 beschäftigten Arbeitnehmer durch Aufhebungsverträge zum 31. August 1996 eine Massenentlassungsanzeige an das Arbeitsamt zu erstatten. Das wird von der Revision insoweit nicht in Zweifel gezogen.
Bei dem mit dem Abschluß der Aufhebungsverträge beabsichtigten Ausscheiden der Arbeitnehmer zum 31. August 1996 handelte es sich auch um Entlassungen im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG, wie sich aus § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG ergibt, wonach den Entlassungen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleichstehen, die vom Arbeitgeber veranlaßt werden. Durch diese aufgrund des Gesetzes zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht vom 20. Juli 1995 (vgl. auch die Richtlinie 92/56/EWG vom 24. Juni 1992 zur Änderung der Richtlinie 75/129/EWG – Massenentlassungsrichtlinie –) eingefügte Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, daß das Ausscheiden aufgrund eines zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung geschlossenen Aufhebungsvertrages eine Entlassung im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG ist (so BAG Urteil vom 13. November 1996 – 10 AZR 340/96 – AP Nr. 4 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag, zu II 1 b der Gründe). An ihrer, der früheren Fassung des § 17 Abs. 1 KSchG entnommenen, entgegengesetzten Auffassung hält die Beklagte mit ihrer Revision ersichtlich nicht mehr fest.
3. Mit dem Berufungsgericht ist ferner davon auszugehen, was ebenfalls mit der Revision nicht angegriffen wird, daß die Beklagte eine wirksame Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht erstattet hat. Die diesbezügliche Auslegung des individuellen Schreibens der Beklagten vom 16. August 1996 an das Arbeitsamt S – Leistungsabteilung –, die ohnehin nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. BAG Urteile vom 17. April 1970 – 1 AZR 302/69 – AP Nr. 32 zu § 133 BGB; vom 27. August 1970 – 2 AZR 519/69 – BAGE 22, 424 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB und vom 14. September 1972 – 5 AZR 212/72 – AP Nr. 34 zu § 133 BGB), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Abgesehen davon, daß die Antragstellung ausdrücklich eine Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AFG betrifft, fehlt es – worauf das Landesarbeitsgericht zutreffend abgestellt hat – schon insofern an einer wirksamen Massenentlassungsanzeige im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG, als das formalisierte Verfahren nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, u.a. unter Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats, nicht eingehalten ist. Das Berufungsgericht hat zutreffend der Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG für den Fall, daß der Arbeitgeber bei Nichtvorliegen einer Stellungnahme des Betriebsrates glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat und den Stand der Beratungen darlegt, im Wege des Gegenschlusses entnommen, daß bei Fehlen einer Stellungnahme des Betriebsrats (bzw. der Glaubhaftmachung) die Anzeige grundsätzlich unwirksam ist. Da die Beklagte eine solche Stellungnahme des Betriebsrats zur Massenentlassungsanzeige nicht eingeholt hat, liegt selbst dann, wenn man in dem Schreiben vom 16. August 1996 oder in der Beteiligung eines Arbeitsamtsvertreters an den Betriebsversammlungen vom 20. und 21. August 1996 eine konkludente Antragstellung sehen wollte, keine wirksame Anzeige im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG vor.
4. Die Revision wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei unzulässig mit Hilfe von Aufhebungsverträgen auf die Anzeigepflicht zu verzichten, ein Verzicht auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Aufhebungsvereinbarung sei erst nach deren Abschluß möglich.
a) Richtig ist, daß durch einen Aufhebungsvertrag auf die Geltendmachung sowohl des allgemeinen als auch des besonderen Kündigungsschutzes, z.B. des Schwerbehindertenschutzes, verzichtet werden kann (so u.a. BAG Urteil vom 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – AP Nr. 37 zu § 123 BGB, zu II 8 der Gründe, m.w.N.). Unzutreffend erscheint aber die Auffassung der Revision, das gelte auch für den Verzicht auf den Kündigungsschutz nach §§ 17, 18 KSchG, weil im Kündigungsschutzgesetz im Unterschied zu § 4 Abs. 4 TVG, § 13 Abs. 2 Satz 3 BUrlG oder § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG keine Regelung getroffen ist, die dem Arbeitnehmer den Verzicht auf den Kündigungsschutz untersagt. Daß die Fälle eines unwirksamen Verzichts von Arbeitnehmerrechten enumerativ und abschließend im Gesetz aufgezählt seien, ist der Gesetzessystematik nicht zu entnehmen. Die Beendigungsfreiheit ist vielmehr als negative Vertragsfreiheit Bestandteil der Privatautonomie im Arbeitsvertragsrecht; die Privatautonomie als das Prinzip der Rechtsgestaltung durch die einzelnen Rechtssubjekte ist nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung Grundprinzip der Privatrechtsordnung und wird durch Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert; die Privatautonomie ist im Privatrecht durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit konkretisiert, §§ 241, 305 BGB (vgl. Senatsurteil vom 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – AP, aaO, zu II 8 b der Gründe).
b) Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt jedoch nicht einschränkungslos, insbesondere wird er durch öffentliche Interessen eingeschränkt. Die Vorschriften der §§ 17 f. KSchG verfolgen, wie das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. u.a. Urteile vom 6. Dezember 1973 – 2 AZR 10/73 -BAGE 25, 430 = AP Nr. 1 zu § 17 KSchG 1969 und vom 24. Oktober 1996 – 2 AZR 895/95 – BAGE 84, 267, 275 = AP Nr. 8, aaO, zu B II 2 a der Gründe; ebenso BSG Urteil vom 14. August 1980 – 7 RAr 68/79 – AP Nr. 2, aaO), primär einen arbeitsmarktpolitischen Zweck; die Dienststellen der Arbeitsverwaltung sollen die Möglichkeit erhalten, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung, wenigstens aber zur Verzögerung umfangreicher Arbeitslosigkeit einzuleiten und für die anderweitige Unterbringung der entlassenen Arbeitnehmer zu sorgen. Der Individualschutz des Arbeitnehmers gemäß §§ 1 f. KSchG bleibt nach dieser Rechtsprechung von den §§ 17 f. KSchG unberührt, und die Zustimmung des Landesarbeitsamts zu einer Massenentlassung nimmt dem einzelnen nicht den Schutz des § 1 KSchG.
Insofern läßt sich im übrigen nicht generell sagen (so aber noch BAG Urteil vom 6. Dezember 1973, AP, aaO, zu II 2 a der Gründe), die Bedeutung der §§ 17 f. KSchG liege nicht auch in einer Erweiterung des Individualschutzes. Das gilt zumindest insoweit nicht, als in § 20 Abs. 4 KSchG geregelt ist, der Entscheidungsträger hinsichtlich der Zustimmungserklärung nach § 18 Abs. 1 KSchG habe sowohl das Interesse des Arbeitgebers als auch das der zu entlassenden Arbeitnehmer, das öffentliche Interesse und die Lage des gesamten Arbeitsmarktes zu berücksichtigen. Es macht nämlich für den Kläger des vorliegenden Verfahrens durchaus einen Unterschied, ob die Massenentlassung schon zum 31. August 1996 oder bei Eingreifen einer Entlassungssperre und unter Zuhilfenahme von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (§§ 18, 19 KSchG) erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam wird.
c) Der Senat stimmt daher der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zu, daß – unabhängig von dem Wortlaut der Aufhebungsvereinbarung vom 21. August 1996, insbesondere dort Ziff. 4 – der Kläger jedenfalls in dieser Aufhebungsvereinbarung selbst nicht wirksam auf den vor allem im öffentlichen Interesse begründeten Kündigungsschutz nach § 17 KSchG verzichten konnte (ebenso für Aufhebungsverträge generell: Ernst, Aufhebungsverträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, S. 179, 180; Weber/Ehrich/Hoß, Handbuch der arbeitsrechlichen Aufhebungsverträge, 2. Aufl., Teil 2 Rz 12, 13; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 4. Aufl., Kapitel 17 Rz 16, S. 784; unklar: KR-Weigand, 5. Aufl., § 17 KSchG Rz 43; a.A.: Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 5. Aufl., Rz 888 für den Fall eines freiwilligen Vertragsschlussses), sondern daß ein derartiger Verzicht – wenn er denn vom Kläger wirklich gewollt war – allenfalls nach Abschluß der Aufhebungsvereinbarung wirksam hätte erklärt werden können. Denn der Verzicht in der Aufhebungserklärung selbst lief im Ergebnis darauf hinaus, die Beklagte von vornherein von ihrer gesetzlichen Anzeigepflicht nach § 17 KSchG zu befreien, indem mit Ziff. 4 der Aufhebungsvereinbarung bestimmt wurde, auch Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung seien, wenn der Inhalt dieser Formulierung insoweit hier zunächst einmal als eindeutig unterstellt wird, mit der Vereinbarung selbst geregelt. Der u.a. aus arbeitsmarktpolitischen Gründen verankerte Massenentlassungskündigungsschutz würde damit unterlaufen. Er steht nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien.
Außerdem weist das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, daß das dem Arbeitnehmer eingeräumte Wahlrecht (vgl. dazu Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 18 Rz 32, 33; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 962), sich auf die Unwirksamkeit einer Kündigung bzw. Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu berufen, ins Leere ginge, würde man es zulassen, schon von vornherein die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG und den damit bezweckten Kündigungsschutz abzubedingen. Dies käme einem antizipierten Verzicht auf Kündigungsschutz gleich. Es erscheint daher geboten, um das Anliegen des Gesetzes, die Anzeigepflicht auch bei Entlassungen in Form von arbeitgeberseitig veranlaßten Aufhebungsverträgen aus arbeitsmarktpolitischen Gründen durchzusetzen, die Aufnahme eines Verzichts auf die Überprüfung der Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung in dieser selbst als unzulässig anzusehen. Der Verzicht auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Aufhebungsvereinbarung nach den §§ 17, 18 KSchG kann folglich erst nach Abschluß der Aufhebungsvereinbarung – wie im Falle der Kündigung erst nach Ausspruch derselben –, nicht hingegen in der Aufhebungsvereinbarung selbst wirksam vereinbart werden. Das hat das Berufungsgericht richtig entschieden.
d) Die unterlassene Massenentlassungsanzeige führt gemäß § 18 Abs. 1 Halbsatz 1 KSchG jedenfalls zur Unwirksamkeit der Entlassung als rein faktischer Maßnahme, weil auch nicht nachträglich bis zu dem unter den Parteien unstreitigen Beendigungstermin (30. November 1997) ein formgemäßer Antrag nachgeholt und eine Zustimmung des Arbeitsamtes eingeholt worden ist. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob der Aufhebungsvertrag insgesamt infolge der unwirksamen Entlassung – etwa in Anwendung des Rechtsgedankens des § 139 BGB – wegen der Verflechtung des hier vorgesehenen Entlassungstermins vom 31. August 1996 mit den einzelnen Regelungen des Aufhebungsvertrages vom 21. August 1996 seinerseits unwirksam ist (vgl. zur Differenzierung Senatsurteil vom 24. Oktober 1996 – 2 aZR 895/95 – BAGE 84, 267, 275 = AP aaO, zu B II 2 a, b der Gründe; siehe ferner Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 18 Rz 31, m.w.N.; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 17 Rz 57; KR-Weigand, aaO, § 18 KSchG Rz 31 f., 51). Denn die Klage ist auch dann begründet, wenn man nur von der Unwirksamkeit der Entlassung bis zum 30. November 1997 ausgeht. Daß der Kläger insofern nicht an der Verfolgung seines Feststellungsbegehrens durch Ziff. 4 Satz 2 des Aufhebungsvertrages gehindert wird, ist oben zu II 4 c bereits begründet worden.
e) Der Kläger hat sich auch, wie das Berufungsgericht weiter zutreffend ausgeführt hat, unverzüglich auf die Unwirksamkeit der Entlassung bzw. des Aufhebungsvertrages berufen: Der Kläger hat mit Schreiben vom 22. August 1996 die Vereinbarung angefochten und damit zum Ausdruck gebracht, daß er an dem Arbeitsverhältnis festhalten wolle; er hat außerdem unverzüglich eine entsprechende Klage eingereicht.
Dem Kläger ist es auch nicht – etwa wegen widersprüchlichen Verhaltens, § 242 BGB – verwehrt (vgl. dazu u.a. Senatsurteil vom 4. Dezember 1997 – 2 AZR 799/96 – AP Nr. 141 zu § 626 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen), sich auf die Unwirksamkeit der Entlassung zu berufen. Der Kläger hat nämlich, wie dem festgestellten Sachverhalt (§ 561 ZPO) zu entnehmen ist, nicht aus eigenem Interesse, sondern auf Initiative der Beklagten, und zwar nur unter erheblichem Druck – nach seiner Sachdarstellung soll sogar ein nötigendes Verhalten der Beklagten vorgelegen haben – den Aufhebungsvertrag unterzeichnet. Die Beklagte hat das auch nicht geltend gemacht.
5. Aus der Unwirksamkeit der Entlassung zum 31. August 1996 folgt, wie das Landesarbeitsgericht rügelos entschieden hat, die Pflicht zur Zahlung der Vergütung für die Monate September bis November 1996 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§§ 293 f., 615 BGB). An der Geltendmachung dieses Zahlungsanspruchs wird der Kläger auch nicht durch Ziff. 4 Satz 1 des Aufhebungsvertrages vom 21. August 1996 gehindert. Diese Klausel ist dahin auszulegen, daß nur die Ansprüche bei einer wirksamen Entlassung erledigt sein sollten. Die ihr zugrundeliegende Bedingung einer zum 31. August 1996 wirksamen Entlassung ist nicht eingetreten.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Röder, Mauer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 11.03.1999 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436250 |
BAGE, 107 |
BB 1999, 1272 |
DB 1999, 1274 |
NJW 1999, 3655 |
NWB 1999, 2165 |
ARST 1999, 176 |
EWiR 1999, 853 |
FA 1999, 205 |
FA 1999, 224 |
NZA 1999, 761 |
SAE 2000, 80 |
ZIP 1999, 1568 |
AP, 0 |
AuA 1999, 566 |
DZWir 1999, 326 |
MDR 1999, 1072 |
ZInsO 1999, 420 |