Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortzahlung des Lohnes für die Zeit der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an Zeitstudien des Arbeitgebers
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 2, § 87 Abs. 1 Nrn. 10-11
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 11.09.1992; Aktenzeichen 15 Sa 725/92) |
ArbG Wuppertal (Urteil vom 31.03.1992; Aktenzeichen 7 Ca 4775/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 11. September 1992 – 15 Sa 725/92 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist nicht freigestellter Vorsitzender des im Betrieb der Beklagten bestehenden Betriebsrats. Sein Stundenlohn beträgt 18,23 DM brutto.
Die Beklagte teilte dem Betriebsrat am 23. Oktober 1991 mit, ein externer Refafachmann werde an näher bezeichneten Arbeitsplätzen mit geänderter Arbeitsweise Zeit- und Kalkulationsgrundlagen erarbeiten. Aufgrund von Betriebsratsbeschlüssen vom 28. Oktober und 4. November 1991 nahm der Kläger vom 4. bis zum 7. November 1991 während seiner Arbeitszeit insgesamt 13,47 Stunden lang an diesen Zeitaufnahmen teil. Die Beklagte hatte ihn zuvor darauf hingewiesen, daß seine Teilnahme zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben nicht erforderlich und sie daher zur Fortzahlung des Lohnes nicht verpflichtet sei.
Der Kläger hat seinen Lohnfortzahlungsanspruch auf § 37 Abs. 2 BetrVG gestützt. Er meint, seine Teilnahme an den Zeitaufnahmen sei zur ordnungsgemäßen Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich gewesen, zumindest habe er sie unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte nach gewissenhafter Prüfung für erforderlich halten dürfen. Soweit die Zeitaufnahmen Akkordlohnarbeitsplätze betroffen hätten, hätten sie nicht nur der internen Kalkulation der Beklagten und der Preisfestsetzung gedient, sondern auch als Grundlage für die Festsetzung der Leistungsentgelte dienen können. Auch soweit die Zeitaufnahmen Zeitlohnarbeitsplätze betroffen hätten, entfalle eine Mitbestimmung des Betriebsrats nicht grundsätzlich. Es sei zu bedenken, daß ein Zeitlohnarbeiter, der weniger als die der Normalleistung im Akkord entsprechende durchschnittliche Leistung erbringe, aus diesen Gründen eine Kündigung erhalten könne.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 245,56 DM brutto zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß die Zeitaufnahmen Akkordlohnarbeitsplätze betroffen hätten. Aber selbst dann habe es an einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gefehlt, da die Zeitaufnahmen nur der Findung von Grundlagen für die Angebots- und Preiskalkulation gedient hätten. Im übrigen bestimme der hier einschlägige Lohntarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie Nordrhein, daß ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats erst bestehe, wenn sich nach Anlaufen eines Akkordes Meinungsverschiedenheiten über seine Richtigkeit ergäben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Anspruch des Klägers auf Fortzahlung seines Lohnes gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG voraussetzt, daß seine Anwesenheit bei den Zeitaufnahmen zu den Aufgaben des Betriebsrats gehörte und überdies zur Wahrnehmung dieser Aufgaben erforderlich war. Das Vorliegen beider Voraussetzungen hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei verneint; insbesondere hat auch die Revision keinen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts aufzuzeigen vermocht.
1. Dem Landesarbeitsgericht ist zunächst in seiner Würdigung zu folgen, daß Zeitstudien des Arbeitgebers, die dessen Willensbildung über die Festsetzung von Entlohnungsgrundsätzen, Entlohnungsmethoden oder Akkord- und Prämiensätzen erst vorbereiten sollen, unabhängig davon, ob es sich um Zeit- oder Akkordlohnarbeitsplätze handelt, weder nach Nr. 10 noch nach Nr. 11 des § 87 Abs. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Diese Würdigung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. Beschlüsse vom 10. Juli 1979 – 1 ABR 97/77 – AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung und vom 24. November 1981, BAGE 37, 112 = AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes). Hieran hält der Senat fest.
Daß es sich im Entscheidungsfalle um solche die Willensbildung des Arbeitgebers erst vorbereitende Untersuchungen handelte, hat das Landesarbeitsgericht unangegriffen festgestellt. Hieran ist der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrüge gebunden. Aus dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG kann der Kläger daher unabhängig von den zwischen den Parteien umstrittenen Fragen, welche Art von Arbeitsplätzen von den Zeitstudien betroffen waren und welchen Zwecken diese Zeitstudien dienten, nichts für seine Ansicht herleiten, eine Kontrolle dieser Zeitstudien gehöre zu den Aufgaben des Betriebsrats.
Es kommt deshalb auch nicht mehr darauf an, ob hier auch die Regelung des § 6 Nr. 7 des Lohntarifvertrags gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG entgegenstehen würde. Dazu, daß die Kontrolle der Zeitstudien der Wahrnehmung bestimmter anderer Betriebsratsaufgaben (insbesondere nach § 80 Abs. 1 BetrVG) habe dienen sollen, hat der Kläger nichts vorgetragen.
2. Unabhängig hiervon wird das Berufungsurteil auch bereits für sich allein durch die zusätzliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts getragen, daß selbst dann, wenn die Kontrolle der Zeitstudien zu den Aufgaben des Betriebsrats gehört haben sollte, im Entscheidungsfalle eine Teilnahme des Betriebsrats an ihnen nicht erforderlich war.
Die Würdigung des Berufungsgerichts, ob die Versäumung von Arbeitszeit für die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben erforderlich war, kann in der Revisionsinstanz nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur eingeschränkt nachgeprüft werden. Bei dem Begriff der Erforderlichkeit in § 37 Abs. 2 BetrVG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Berufungsgericht ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Anwendung des Rechtsbegriffs durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz grundsätzlich nur darauf überprüfbar, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt wurde und ob die Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalles vollständig, ohne inneren Widerspruch und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgenommen worden ist (ständige Rspr., vgl. z.B. BAG Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 – AP Nr. 63 zu § 37 BetrVG 1972, m.w.N.).
Derartige Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts sind weder von der Revision aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Beurteilung der Erforderlichkeit zutreffend die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde gelegt. Danach hat der Betriebsrat die Frage der Erforderlichkeit nicht nur nach seinem subjektiven Ermessen zu beantworten; vielmehr muß er sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und die des Betriebsrats und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats; unerheblich ist, ob aus späterer Sicht rückblickend betrachtet die Arbeitsversäumnis im streng objektiven Sinn erforderlich war. Die gerichtliche Kontrolle muß sich darauf beschränken, ob ein vernünftiger Dritter unter den im Zeitpunkt der Beschlußfassung gegebenen Umständen ebenfalls eine derartige Entscheidung getroffen hätte (ständige Rspr., vgl. z.B. BAG Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 –, a.a.O.).
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht die Erforderlichkeit mit einer nachvollziehbaren Würdigung des Einzelfalles verneint. Insoweit versucht die Revision lediglich, ihre Würdigung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts zu setzen. Einen Rechtsfehler hat sie damit nicht aufgezeigt.
3. Auch die Darlegung der Revision, der Kläger habe sich jedenfalls in einem entschuldbaren Irrtum befunden, vermag der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Hinsichtlich der irrtümlichen Meinung des Klägers, die Kontrolle der Zeitstudien gehöre zu den Aufgaben des Betriebsrats, hat das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt, daß die irrtümliche Annahme des Vorliegens einer Anspruchsgrundlage das Entstehen des Anspruchs selbst dann nicht begründen kann, wenn der Irrtum entschuldbar war. Ob eine Betätigung des Betriebsrats zu seinen gesetzlichen Aufgaben gehört, ist eine Rechtsfrage, die allein nach objektiven Maßstäben zu beantworten ist. Soweit die Revision überdies auf einen Irrtum des Klägers über die Erforderlichkeit seiner Teilnahme an den Zeitstudien hinweist, hat das Landesarbeitsgericht durchaus den insoweit dem Betriebsrat zustehenden Entscheidungsspielraum berücksichtigt, indem es – wie oben zu 2 ausgeführt – von dem zutreffenden Maßstab zur Beurteilung der Erforderlichkeit durch den Betriebsrat ausgegangen ist.
Unterschriften
Dr. Steckhan, Richter Schliemann ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert., Kremhelmer, Dr. Steckhan, Metzinger, Niehues
Fundstellen