Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßregelungsklausel. Streik. Sonderzahlung. Jahresleistung. Urlaubsgeld. Auslegung von Tarifverträgen
Leitsatz (amtlich)
Eine Maßregelungsklausel, nach der das Arbeitsverhältnis “durch die Arbeitskampfmaßnahme als nicht ruhend” gilt, steht der Minderung einer tariflichen Jahresleistung entgegen, deren Höhe “für Zeiten unbezahlter Arbeitsbefreiung” gekürzt wird.
Orientierungssatz
- Die Beteiligung des Arbeitnehmers an einem gewerkschaftlich geführten rechtmäßigen Streik befreit von der Leistungspflicht und führt damit zum Wegfall des Entgeltanspruchs. Sie kann sich auch anspruchsmindernd auf Sonderzahlungen auswirken, soweit diese anteilige Zahlung für Zeiten ausschließen, in denen das Arbeitsverhältnis ruht.
- Ob der Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung von tatsächlicher Arbeitsleistung abhängt oder Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, ausnimmt, richtet sich nach den von den Tarifvertragsparteien normierten Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlusstatbeständen.
- Die Tarifvertragsparteien können in einer Maßregelungsklausel vereinbaren, dass eine Streikbeteiligung nicht zur Anspruchsminderung führt.
- Der Senat hat offengelassen, ob Zeiten der Teilnahme an einem Streik “Zeiten unbezahlter Arbeitsbefreiung” sind, die nach § 4 Abs. 3 MTV eine entsprechende Kürzung der tariflichen Jahresleistung bewirken. Eine Maßregelungsklausel, nach der das Arbeitsverhältnis “durch die Arbeitskampfmaßnahme als nicht ruhend” gilt, soll auch für die tarifliche Jahresleistung gelten. Es ist danach zu unterstellen, tatsächlich habe das Arbeitsverhältnis nicht geruht.
- Die Höhe des in § 10 MTV geregelten tariflichen Urlaubsgeldes ist weder von tatsächlicher Arbeitsleistung abhängig noch sind Zeiten anspruchsmindernd zu berücksichtigen, in denen das Arbeitsverhältnis geruht hat. Es setzt lediglich den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses voraus und die tatsächliche Urlaubsgewährung.
Normenkette
Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV) vom 25. Februar 2004 §§ 4, 10; Protokollnotiz zum Tarifabschluss vom 25. Februar 2004 Nr. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. März 2006 – 12 Sa 1331/05 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Zinsbeginn der 20. Mai 2005 ist.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe eines tariflichen Urlaubsgeldes und einer tariflichen Jahresleistung.
Der Kläger zu 2) war bei der Beklagten als Redakteur beschäftigt. Die Parteien sind tarifgebunden. Im Dezember 2003, Januar und Februar 2004 beteiligte sich der Kläger zu 2) an einem gewerkschaftlich geführten Streik zur Durchsetzung des Manteltarifvertrags für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV). Der Tarifabschluss kam am 25. Februar 2004, rückwirkend zum 1. Januar 2003, zustande. Zugleich vereinbarten die Tarifvertragsparteien in einer Protokollnotiz (PN) zum Tarifabschluss unter Nr. 5 eine Maßregelungsklausel, in der es ua. heißt:
a) Jede Maßregelung von Redakteurinnen/Redakteuren bzw. Volontärinnen/Volontären und freien Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen aus Anlass der Tarifverhandlungen für einen neuen MTV und GTV für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen und einen neuen Tarifvertrag für die freien arbeitnehmerähnlichen Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen unterbleibt oder wird rückgängig gemacht, falls sie erfolgt ist. Streikbedingte Leistungen an Redakteurinnen/Redakteure und Volontärinnen/Volontäre bzw. freie Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen unterfallen nicht diesem Maßregelungsverbot.
…
c) Soweit Ansprüche oder Anwartschaften von der ununterbrochenen Beschäftigung oder Betriebszugehörigkeit abhängen oder davon, dass das Arbeitsverhältnis nicht geruht hat, gelten die Beschäftigungsdauer oder Betriebszugehörigkeit durch die Arbeitskampfmaßnahmen als nicht unterbrochen, das Arbeitsverhältnis als nicht ruhend.”
In § 4 MTV ist bestimmt:
Ҥ 4
Jahresleistung
Die Redakteure/Redakteurinnen haben Anspruch auf eine spätestens am 31. Dezember eines jeden Jahres fällige tarifliche Jahresleistung unter folgenden Voraussetzungen:
1. Die Redakteure/Redakteurinnen erhalten eine tarifliche Jahresleistung in Höhe von 95 % des jeweiligen zum Fälligkeitszeitpunkt gültigen tariflichen Monatsgehaltes. …
2. Anspruch auf die volle Jahresleistung hat derjenige/diejenige Redakteur/Redakteurin, dessen/deren Anstellungsverhältnis das ganze laufende Fälligkeitsjahr bestand. Im Falle des Eintritts und/oder Ausscheidens im Laufe des Fälligkeitsjahres erhält der Redakteur/die Redakteurin für jeden vollen Kalendermonat des Bestehens des Anstellungsverhältnisses ein Zwölftel der Jahresleistung. Angefangene Monate werden als volle Monate gewertet, wenn die Betriebszugehörigkeit 15 Kalendertage übersteigt. Absatz 2 Satz 3 gilt nicht bei Kündigung durch den Verlag aus wichtigem Grund. In den Fällen des Ausscheidens wird die Auszahlung der Jahresleistung fällig mit dem Tage der Beendigung des Anstellungsverhältnisses.
3. Für Zeiten unbezahlter Arbeitsbefreiung wird die Jahresleistung entsprechend gekürzt.
4. Die tarifliche Jahresleistung bleibt bei der Berechnung aller tariflichen und gesetzlichen Durchschnittsentgelte und in sonstigen Fällen, in denen Ansprüche irgendwelcher Art von der Höhe des Arbeitsentgelts abhängig sind, außer Ansatz.
5. Teilzeitbeschäftigte erhalten eine anteilige Jahresleistung nach dem Verhältnis der mit ihnen vereinbarten Arbeitszeit zur tariflichen Arbeitszeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1).
6. Während des Fälligkeitsjahres aufgrund vom Arbeitgeber festgelegter oder vereinbarter Regelung bereits gezahlte oder noch zu zahlende Sondervergütungen, wie z. B. Jahresabschlussvergütungen, Gratifikationen, Jahresprämien, Ergebnisbeteiligungen, Weihnachtsgeld und ähnliches, können auf diese tarifliche Jahresleistung angerechnet werden. Das bedeutet, dass jedoch mindestens der aufgrund dieser tariflichen Vereinbarung für das jeweilige Jahr vorgesehene Betrag gezahlt werden muss. Durch diese tarifvertragliche Regelung über Jahresleistungen entstehen bis zu deren Höhe keine Doppelansprüche. Andererseits werden von dieser tariflichen Regelung Jahresleistungen aufgrund betrieblicher oder einzelvertraglicher Vereinbarung nicht berührt, soweit sie in ihrer Höhe die tarifliche Jahresleistung übersteigen.”
§ 10 MTV lautet:
Ҥ 10
Urlaubsgeld
1. a) Redakteure/Redakteurinnen erhalten ein Urlaubsgeld. Es beträgt für das volle Urlaubsjahr 80 Prozent eines Monatsgehalts (§ 3), unabhängig von der Dauer des Jahresurlaubs.
b) Wer im Laufe des Kalenderjahres eintritt oder ausscheidet, erhält für jeden Monat Verlagszugehörigkeit im Kalenderjahr ein Zwölftel des Urlaubsgeldes.
2. Das Urlaubsgeld wird berechnet:
a) bei Redakteuren/Redakteurinnen vom Bruttogehalt einschließlich übertariflicher Zulagen und Leistungszulagen (Effektivgehalt),
b) bei …
c) Maßgebend ist das Gehalt im letzten Monat vor Urlaubsantritt.
3. Gratifikationen und sonstige über das Effektivgehalt hinausgehende Zahlungen (Spesenpauschalen usw.) bleiben bei der Berechnung des Urlaubsgeldes außer Ansatz.
4. Das Urlaubsgeld ist vor Urlaubsantritt fällig; es wird in einer Summe ausgezahlt. Bei Urlaubsteilung ist der Zeitpunkt der Auszahlung zwischen Verlag und Redakteur/Redakteurin zu vereinbaren.”
Die Beklagte stellte in die Verdienstabrechnung des Klägers zu 2) für Februar 2004 einen Minusbetrag von 762,73 Euro ein. Der Betrag entspricht der für 24 Streiktage anteiligen Minderung der Jahresleistung 2004 (414,05 Euro) und des Urlaubsgeldes 2004 (348,68 Euro). Jahresleistung und Urlaubsgeld wurden später in voller Höhe ausgezahlt.
Mit der am 17. Mai 2005 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangt der Kläger zu 2) die Zahlung der einbehaltenen Beträge, abzüglich 100,00 Euro, bezogen auf das Urlaubsgeld. In dieser Höhe hat er seine Forderung an den Kläger zu 1) abgetreten, dessen Zahlungsklage vom Landesarbeitsgericht rechtskräftig abgewiesen worden ist. Der Kläger zu 2) hat im Wesentlichen geltend gemacht, beide Sonderzahlungen stünden ihm ungekürzt zu; jedenfalls verstoße die Beklagte mit der Einbehaltung gegen die tarifliche Maßregelungsklausel.
Der Kläger zu 2) hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 662,73 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, an den Kläger zu 2) 662,73 Euro zu zahlen.
I. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, Streitgegenstand seien die Ansprüche des Klägers zu 2) auf die tariflichen Sonderzahlungen für das Jahr 2004. Das trifft so nicht zu. Denn die Beklagte hat beide Zahlungen in voller Höhe geleistet. Sie hat stattdessen im Vorgriff auf die erst später fällig werdenden Leistungen das Entgelt für Februar 2004 um den vermeintlichen Kürzungsbetrag gemindert, möglicherweise einen Teilbetrag in die Verdienstabrechnung für den Monat März 2004 übertragen. Gegenstand der Klageforderung sind damit (unstreitige) Entgeltansprüche des Klägers zu 2) für Februar 2004, ggf. auch für März 2004, denen gegenüber die Beklagte aufrechnet. Feststellungen hierzu fehlen. Nachdem der Kläger zu 2) in der Revision seine Klage teilweise zurückgenommen hat und Zinsen nicht mehr ab 1. März 2004, sondern erst ab Rechtshängigkeit verlangt, bedarf dies keiner weiteren Sachaufklärung. Der Beklagten stehen keine aufrechenbare Gegenansprüche zu.
II. Die Beklagte hat dem Kläger zu 2) zu Recht die ungekürzte Jahresleistung gezahlt.
1. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, die Beklagte habe die Jahresleistung deshalb in voller Höhe geschuldet, weil streikbedingte Ausfalltage keine “Zeiten unbezahlter Arbeitsbefreiung” iSv. § 4 Abs. 3 MTV seien. Deshalb komme es nicht darauf an, ob mit dem Arbeitsgericht anzunehmen sei, die in der PN Nr. 5 Buchst. c vereinbarte Maßregelungsklausel stehe einer Anspruchsminderung entgegen.
2. Dem stimmt der Senat nur im Ergebnis zu. Der Anspruch ergibt sich aus § 4 MTV iVm. der Protokollnotiz Nr. 5 Buchst. c.
a) Der Kläger zu 2) wird nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts von dem persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags (§ 1 MTV) erfasst. Beide Parteien sind tarifgebunden. Der MTV ist damit unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden (§ 4 Abs. 1 TVG).
b) Nach dem Eingangssatz von § 4 MTV hat jeder Redakteur Anspruch auf eine spätestens am 31. Dezember eines Jahres fällige tarifliche Jahresleistung. Nach § 4 Abs. 2 MTV erhält derjenige die volle Jahresleistung, dessen Arbeitsverhältnis während des gesamten laufenden Fälligkeitsjahres bestanden hat. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger zu 2). Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand während des gesamten Jahres 2004. Die Teilnahme an einem Streik beendet weder das Arbeitsverhältnis noch wird es rechtlich unterbrochen. Es kommt vielmehr zum Ruhen (st. Rspr. vgl. BAG 17. Juni 1997 – 1 AZR 674/96 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 150 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 128; 3. August 1999 – 1 AZR 735/98 – BAGE 92, 154). Hiervon geht auch die Beklagte aus.
c) Eine durch § 4 Abs. 3 MTV bewirkte Kürzung der Jahresleistung “für Zeiten unbezahlter Arbeitsbefreiung” scheidet nicht schon deshalb aus, weil die unbezahlten Ausfallzeiten des Klägers zu 2) auf seiner Teilnahme an dem gewerkschaftlich organisierten Streik beruhen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können die Tarifvertragsparteien festlegen, in welchem Umfang eine tarifliche Sonderzahlung durch Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung ausgeschlossen oder gemindert werden soll (vgl. BAG 3. August 1999 – 1 AZR 735/98 – BAGE 92, 154). Arbeitskampfbedingte Ausfalltage ohne Entgeltanspruch des Arbeitnehmers können dementsprechend anspruchsmindernd wirken. Darin liegt dann keine iSv. § 612a BGB verbotene Maßregelung, wenn die Regelung generell für Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung und nicht nur für den Arbeitskampf gilt. Die Arbeitsvertragsparteien vollziehen in diesem Fall lediglich eine bereits vorgegebene Ordnung nach (st. Rspr. vgl. schon BAG 15. Mai 1964 – 1 AZR 432/63 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 35; 3. August 1999 – 1 AZR 735/98 – aaO; 20. Dezember 1995 – 10 AZR 742/94 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 141 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 135).
d) Ob die Teilnahme an einem Streik als “unbezahlte Arbeitsbefreiung” iSd. Tarifvorschrift zu beurteilen ist und deshalb zu einem insoweit verkürzten Anspruch führt, bedarf keiner abschließenden Entscheidung (zum Begriff Arbeitsbefreiung MünchArbR/Blomeyer § 47). Einer Berücksichtigung der Ausfalltage steht die von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Protokollnotiz zum Tarifabschluss vom 25. Februar 2004 Nr. 5 Buchst. c entgegen. Sie wirkt normativ auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitsvertragsparteien, soweit – wie hier – diese beiderseits tarifgebunden sind (Däubler/Reim TVG 2. Aufl. § 1 Rn. 1195). Die einschlägige Maßregelungsklausel ist deshalb wie ein Tarifvertrag objektiv auszulegen. Die Auslegung führt hier zu dem Ergebnis, dass die streikbedingt ausgefallene Arbeitszeit den Anspruch auf die Jahresleistung nicht schmälert.
aa) Die Beklagte macht zunächst zutreffend geltend, dass eine allgemein gehaltene Klausel, die lediglich die “Maßregelung” wegen der Teilnahme am Streik untersagt, die Minderung von Sonderzahlungen dann nicht verhindert, wenn die Sonderzahlung allgemein von der Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder davon abhängt, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht zeitweise unbezahlt von der Arbeitspflicht befreit ist (vgl. BAG 17. Juni 1997 – 1 AZR 674/96 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 150 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 128; 3. August 1999 – 1 AZR 735/98 – BAGE 92, 154). Eine solche Regelung enthält die Protokollnotiz Nr. 5 Buchst. a. Sie verbietet arbeitsrechtliche Maßnahmen des Arbeitgebers wegen des Streiks und gebietet deren Rückgängigmachung.
bb) Die Regelung in der Protokollnotiz Nr. 5 Buchst. c schließt entgegen der Auffassung der Beklagten die Berücksichtigung der streikbedingten Fehlzeiten als Zeiten “unbezahlter Arbeitsbefreiung” aus.
(1) Das zeigt schon ihr vorrangig zu berücksichtigender Wortlaut. Danach gilt das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitskampf “als nicht ruhend”, soweit Ansprüche davon abhängen, “dass das Arbeitsverhältnis nicht geruht hat”. Diese Formulierung lässt nur den Schluss zu, dass das Arbeitsverhältnis nach dem Willen der Tarifvertragsparteien fiktiv durchgehend als aktives Arbeitsverhältnis behandelt werden soll. Damit haben sie nicht die eher ungewöhnliche Regelung vereinbart, der Arbeitgeber müsse das Entgelt für die arbeitskampfbedingt ausgefallene Arbeitszeit entrichten. Diesen Inhalt hat die Maßregelungsklausel nicht. Die unterbliebene Arbeitsleistung wird nicht fingiert. Die Fiktion beschränkt sich auf die Nichtberücksichtigung des streikbedingten Ruhens des Arbeitsverhältnisses. Nur insoweit gilt das Arbeitsverhältnis als nicht ruhend.
(2) Der mit der Maßregelungsklausel verfolgte Zweck bestätigt dieses Verständnis. Maßregelungsklauseln dienen der Wiederherstellung des Arbeitsfriedens nach beendetem Arbeitskampf. Die Trennung der Belegschaft in streikende und nicht streikende Arbeitnehmer soll nicht über das Ende des Arbeitskampfes andauern. Künftig fällig werdende Ansprüche sollen nicht deshalb entfallen, weil sich Arbeitnehmer an dem Arbeitskampf beteiligt haben (st. Rspr. vgl. BAG 13. Juli 1993 – 1 AZR 676/92 – BAGE 73, 320).
(3) Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Maßregelungsklauseln, die ausschließlich Ansprüche einbeziehen, die “von der ununterbrochenen Beschäftigung oder Betriebszugehörigkeit abhängen”. Eine solche Klausel hat das Bundesarbeitsgericht – über den Wortlaut hinaus – auf eine tarifliche Jahresleistung in der Druckindustrie angewendet, die bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Kalenderjahr sich anteilig verkürzte (BAG 4. August 1987 – 1 AZR 488/86 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 89 mit zust. Anm. Rüthers/Henssler = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 71; Löwisch/Rumler Anm. AR-Blattei D… Arbeitskampf II E 30; vgl. auch 17. Juni 1997 – 1 AZR 674/96 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 150 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 128).
III. Der Anspruch auf das tarifliche Urlaubsgeld bestand gleichfalls in voller Höhe. Das ergibt sich auch ohne Anwendung des Maßregelungsverbots schon aus § 10 MTV.
1. Die Rüge der Beklagten, das Urteil des Landesarbeitsgerichts leide an einem absoluten Revisionsmangel, weil es entgegen § 547 Nr. 6 ZPO nicht begründet habe, weshalb die Beklagte das ungekürzte Urlaubsgeld schulde, greift nicht durch. Das Landesarbeitsgericht hat zulässigerweise bestätigend iSv. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO auf die Entscheidung der Vorinstanz Bezug genommen und sich die Argumente aus der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 24. November 2005 (– 4 Sa 294/05 –) zu eigen gemacht. Da letztere auch bereits Gegenstand der Erörterung vor dem Berufungsgericht war, ist dieses Verfahren nicht zu beanstanden.
2. Die Tarifvertragsparteien waren befugt, ohne Rücksicht auf Arbeitspflichten oder Urlaubsansprüche die hier als Urlaubsgeld bezeichnete Sonderzahlung zu vereinbaren. Arbeitskampfbedingte Ausfalltage können sich bei einer derartigen Sonderzahlung anspruchsmindernd auswirken. Das Entstehen oder Erlöschen des Anspruchs bestimmt sich jedoch nicht nach einem vermeintlichen Gratifikations- oder Entgeltcharakter der tariflichen Leistung, sondern nach dem Inhalt der tariflichen Regelung (st. Rspr. vgl. Senat 3. April 2001 – 9 AZR 166/00 – AP BUrlG § 11 Urlaubsgeld Nr. 19 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 45). Maßgebend sind die normierten Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlusstatbestände (vgl. BAG 18. März 1997 – 9 AZR 84/96 – BAGE 85, 306, 309; 6. September 1994 – 9 AZR 92/93 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 50 = EzA BUrlG § 11 Nr. 34). Der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Oktober 1990 (– 6 AZR 156/89 – BAGE 66, 169) ist nichts anderes zu entnehmen. Sie betrifft die Auslegung einer einzelvertraglichen Vereinbarung über die Zahlung eines sog. 13. Gehalts.
3. Weder der Wortlaut des § 10 MTV noch dessen Zusammenhang mit anderen Vorschriften bieten Anhaltspunkte für die Auslegung der Beklagten, die Tarifvertragsparteien hätten den Anspruch auf das tarifliche Urlaubsgeld von der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abhängig gemacht.
a) Nach § 10 Abs. 1 Buchst. a MTV erhalten die Redakteurinnen und Redakteure ein Urlaubsgeld, das für das volle Urlaubsjahr unabhängig von der Dauer des Jahresurlaubs 80 vH eines Monatsgehalts beträgt. Urlaubsjahr ist nach § 9 Abs. 4 MTV das Kalenderjahr. Darauf wird mit der Formulierung auf das “volle” Urlaubsjahr verwiesen. Das Arbeitsverhältnis muss während des gesamten Kalenderjahres bestanden haben. Der Anspruch verkürzt sich nach § 10 Abs. 1 Buchst. b MTV nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis im Laufe des Kalenderjahres beginnt oder endet. Dieser Sachverhalt liegt nicht vor. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand während des gesamten Jahres 2004. Hiervon geht auch die Beklagte aus.
b) Aus § 10 Abs. 4 MTV lässt sich nichts entnehmen, was für das Auslegungsergebnis der Beklagten spricht.
aa) In dieser Vorschrift ist bestimmt, dass das Urlaubsgeld “vor Urlaubsantritt” fällig und in einer Summe zu zahlen ist. Urlaub im Rechtssinn ist die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht. Besteht für den Arbeitnehmer etwa wegen Elternzeit oder wegen andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitspflicht, kann ihm dementsprechend kein Urlaub erteilt werden. Die Tarifvertragsparteien haben damit den Bestand des Anspruchs auf Urlaubsgeld von der Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs abhängig gemacht. Kann der Urlaub mangels Arbeitspflicht bis zum Übertragungszeitraum, das ist nach § 9 Abs. 5 Satz 1 MTV der 31. März des Folgejahres, nicht gewährt und genommen werden und erlischt er deshalb, so erlischt zugleich der Anspruch auf das Urlaubsgeld (vgl. Senat 3. April 2001 – 9 AZR 166/00 – AP BUrlG § 11 Urlaubsgeld Nr. 19 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 45).
bb) Weitergehende Schlüsse lassen sich aus dieser Bindung des Urlaubsgeldes an den Urlaub nicht ziehen. Insbesondere ergibt sich daraus kein zeitanteiliges Erlöschen des Anspruchs, wenn das Arbeitsverhältnis während des Urlaubsjahres zeitweise geruht hat, dem Arbeitnehmer jedoch anschließend spätestens bis zum 31. März des Folgejahres Urlaub gewährt wird. Das tarifliche Urlaubsgeld soll nach dem Willen der Tarifvertragsparteien ersichtlich urlaubsbedingte Mehraufwendungen des Arbeitnehmers abfedern. Dieser Zweck wird auch dann erreicht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach einem Arbeitskampf urlaubsbedingt von seiner Arbeitspflicht befreit.
c) Andere Umstände, die zu einer Minderung des Urlaubsgeldanspruchs geführt hätten, hat die Beklagte nicht vorgetragen, sie sind auch nicht ersichtlich.
IV. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Krasshöfer, Reinecke, Jungermann, H. Kranzusch
Fundstellen
Haufe-Index 1724626 |
BAGE 2008, 191 |
DB 2007, 1255 |
NJW 2007, 2878 |
EBE/BAG 2007 |
FA 2007, 120 |
JR 2008, 132 |
NZA 2007, 573 |
RdA 2008, 372 |
ZTR 2007, 458 |
AP, 0 |
EzA-SD 2007, 14 |
EzA-SD 2007, 15 |
EzA |
AUR 2007, 227 |
AUR 2007, 93 |
ArbRB 2007, 171 |
RdW 2007, 603 |
PuR 2007, 23 |
SPA 2007, 5 |