Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Schriftformklausel für übertragenen Urlaub
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist in einen Tarifvertrag (hier: § 6 Abs 9 und 14 des Bundesrahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau vom 22. August 1989) die schriftliche Geltendmachung des aus dem Vorjahr übertragenen Urlaubs bis zum 31. März des Folgejahres vorgeschrieben, erlischt der Urlaubsanspruch bei nicht rechtzeitiger oder formgerechter Geltendmachung ersatzlos.
2. Der Einwand des Rechtsmißbrauchs wird nicht dadurch begründet, daß der Arbeitgeber es unterlassen hat, den Arbeitnehmer über die einzuhaltende tarifliche Schriftform zu belehren.
Normenkette
BGB §§ 242, 126 Abs. 1, § 125 S. 1; BUrlG § 7 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.03.1993; Aktenzeichen 2 Sa 1509/92) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 24.09.1992; Aktenzeichen 2 Ca 2211/92) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt 23 Tage Resturlaub aus dem Jahr 1991.
Der Kläger wird seit Oktober 1973 als Arbeiter, zuletzt als Vorarbeiter, in dem Garten- und Landschaftsbaubetrieb der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesrahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau vom 22. August 1989 (kurz: BRTV) Anwendung. Die maßgeblichen Bestimmungen des BRTV zur Urlaubsgewährung lauten:
"§ 6
Urlaub
Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Jahr Anspruch auf
bezahlten Urlaub nach Maßgabe der folgenden Be-
stimmungen:
...
9. Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren
und zu nehmen, wenn nicht wichtige betriebli-
che oder persönliche Gründe entgegenstehen.
Zwei Wochen sind in jedem Falle zusammenhän-
gend zu gewähren und zu nehmen. Der Urlaub
kann auf das nächste Urlaubsjahr nur übertra-
gen werden, wenn außergewöhnliche betriebli-
che oder persönliche Gründe dies erfordern
und soweit ein nach Abs. 8 dem Arbeitnehmer
zustehender geringfügiger Anteilurlaub im Zu-
sammenhang mit dem Urlaub des zweiten Ur-
laubsjahres gewährt werden soll.
...
14. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach
Ablauf des Urlaubsjahres, sofern er bis dahin
nicht schriftlich geltend gemacht worden ist.
..."
Im April 1991 hatte die Beklagte für die Zeit "ab dem Jahr 1992" folgende Regelung bekanntgegeben:
"Die Urlaubswünsche für das Jahr 1992 müssen alle
in der Zeit vom 1.1.1992 bis 31.1.1992 schrift-
lich bei Herrn M abgeben. Sollte ein Mitar-
beiter bis 31.1.1992 den Urlaubswunsch nicht
schriftlich abgegeben haben, so muß der Betref-
fende warten, bis die Firmenleitung die Urlaubs-
einteilung gemacht hat und sein Urlaub eingescho-
ben werden kann. ..."
Die Beklagte gewährte dem Kläger im Jahr 1991 sechs Tage Urlaub. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß noch ein Resturlaub von 23 Tagen verblieb, der wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der Zeit vom 14. September 1991 bis 31. März 1992 nicht genommen werden konnte.
Mit der am 29. Mai 1992 erhobenen Klage hat der Kläger erstmals schriftlich seinen Resturlaubsanspruch geltend gemacht. Er hat behauptet, er habe bereits längere Zeit vor dem 31. März 1992 den Meister M aufgesucht, um auf seine bevorstehende Genesung und die noch offenen Resturlaubsansprüche aus dem Jahr 1991 hinzuweisen. Darauf sei ihm erwidert worden, er solle erst einmal dafür Sorge tragen, daß er gesund werde. Entsprechend einer langjährigen betrieblichen Praxis sei er nach seiner Vorsprache davon ausgegangen, daß ihm der Urlaub auch noch nach dem 31. März 1992 gewährt werde.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm 23 Arbeitstage
Urlaub für das Urlaubsjahr 1991 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 563 ZPO); denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger noch 23 Tage Urlaub aus dem Jahr 1991 nachzugewähren.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts ist zweifelhaft. Es kann dahinstehen, ob der Ansicht des Landesarbeitsgerichts gefolgt werden könnte, daß auch bei ordnungsgemäßer Geltendmachung des Resturlaubs vor dem 31. März 1992 der Anspruch erloschen wäre, weil zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Kläger noch arbeitsunfähig gewesen ist.
Der auf das Urlaubsjahr 1992 übertragene Resturlaubsanspruch aus dem Urlaubsjahr 1991 ist jedenfalls mit Ablauf des 31. März 1992 nach § 6 Abs. 14 BRTV erloschen, weil der Kläger das tarifliche Schriftformerfordernis nicht gewahrt hat.
a) Bei der in § 6 Abs. 14 BRTV vorgesehenen schriftlichen Geltendmachung handelt es sich um eine gesetzliche Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB.
Die Rechtsnormen eines Tarifvertrages, zu denen auch Ausschlußfristen gehören, sind als Gesetze im Sinne von Art. 2 EGBGB anzusehen (BAG Urteil vom 9. Februar 1972 - 4 AZR 149/71 - AP Nr. 1 zu § 4 BAT). Eine Geltendmachung, die die gesetzliche Schriftform nicht einhält, ist nach § 125 Satz 1 BGB nichtig (BAG Urteil vom 6. September 1972 - 4 AZR 422/71 - AP Nr. 2 zu § 4 BAT).
Mag auch eine tarifliche Schriftformklausel vorwiegend zu Beweiszwecken dienen (vgl. BAG Urteil vom 10. Januar 1974 - 5 AZR 573/72 - AP Nr. 54 zu § 4 TVG Ausschlußfristen), so ist doch die von den Tarifvertragsparteien vorgesehene Rechtsfolge des Erlöschens eines Anspruches mitzuberücksichtigen. Die Rechtsfolge des Erlöschens verfolgt das Ziel, für eine schnelle Klärung der Rechtslage und Wiederherstellung des Rechtsfriedens zu sorgen. Mit dieser Zwecksetzung ist es unvereinbar, wenn zunächst über die rechtzeitige mündliche Geltendmachung von Ansprüchen in gerichtlichen Verfahren Beweise erhoben werden müßten. Aus diesem Grund kann die im BRTV vorgesehene schriftliche Geltendmachung nur als konstitutive Schriftform anzusehen sein.
b) Zwar kann eine tarifliche Schriftformklausel für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer trotz der zwingenden Wirkung der Rechtsnormen des Tarifvertrages (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) aufgehoben werden. Der Kläger hat jedoch seiner Darlegungslast, daß abweichende Abmachungen zu seinen Gunsten (§ 4 Abs. 3 TVG) getroffen worden seien, nicht genügt.
Der Kläger hat vorgetragen, es sei bis zu der schriftlichen Bekanntmachung der Beklagten für das Urlaubsjahr 1992 üblich gewesen, die Urlaubswünsche mündlich mitzuteilen. Insoweit verkennt der Kläger den Unterschied zwischen der Anmeldung von Urlaubswünschen für das laufende Urlaubsjahr, für das die Tarifvertragsparteien keine Schriftform vereinbart haben, und der Geltendmachung des übertragenen Urlaubs für die Zeit zwischen dem 1. April und dem 31. Dezember des Folgejahres. Nur für den letzteren Zeitraum ist die Schriftformklausel des § 6 Abs. 14 BRTV maßgeblich.
Auch soweit der Kläger sich das Ergebnis der Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts zu eigen gemacht hat, fehlt es an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer abweichenden Vereinbarung durch eine betriebliche Übung. Es liegen nämlich nur Bekundungen vor, nach denen in einigen Einzelfällen jeweils aufgrund einer vor dem 31. März des Folgejahres getroffenen mündlichen Vereinbarung der übertragene Urlaub auch nach dem 1. April genommen werden durfte.
c) Die Berufung der Beklagten auf die Nichteinhaltung der Schriftform ist auch nicht rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB).
Der Einwand des Rechtsmißbrauches könnte durchgreifen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der formgerechten schriftlichen Geltendmachung abgehalten hätte, indem er z.B. die Zusicherung gegeben hätte, auch ohne Einhaltung der tariflichen Schriftform den Anspruch zu erfüllen (vgl. BAG Urteil vom 30. März 1962 - 2 AZR 101/61 - AP Nr. 28 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu III der Gründe). Der Umstand, daß der zuständige Meister den Kläger nicht über die Schriftformklausel des Tarifvertrages belehrt hat, begründet noch nicht den Einwand des Rechtsmißbrauchs (vgl. BAG Urteil vom 30. März 1962, aaO). Grundsätzlich gilt, daß es im Eigeninteresse des tarifgebundenen Arbeitnehmers liegt, sich selbst über den Inhalt der tariflichen Bestimmungen zu informieren (BAGE 2, 315, 317 = AP Nr. 2 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Arbeitgeber die Informationsgewinnung übermäßig erschwert hätte (vgl. Däubler, TVG, 3. Aufl., Rz 1366). Dafür hat der Kläger jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen.
2. Die Sache ist zur Endentscheidung reif. Es bedarf keiner weiteren Sachaufklärung.
Die von der Revision erhobene Rüge der "nicht genügenden Aufklärung" genügt nicht den formellen Anforderungen des § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO, die gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG auch für das Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht anzuwenden sind. Eine zulässige Verfahrensrüge setzt die konkrete Angabe voraus, welche Fragen vom Berufungsgericht hätten gestellt werden müssen, und was die Revision darauf erwidert hätte (BAGE 13, 340, 344 = AP Nr. 37 zu § 233 ZPO; BAG Urteil vom 7. Oktober 1987 - 5 AZR 116/86 - AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu V der Gründe; Senatsurteil vom 8. März 1994 - 9 AZR 91/93 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Daran fehlt es hier.
II. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Dr. Leinemann Dörner Düwell
Dr. Michels Trümner
Fundstellen
BAGE 77, 81-86 (LT1-2) |
BAGE, 81 |
BB 1994, 1290 |
BB 1995, 154 |
BB 1995, 154-155 (LT1-2) |
DB 1995, 832 (LT1-2) |
DStR 1995, 463 (K) |
AiB 1995, 199 (LT1-2) |
DRsp, VI(604) 203a-b (LT1-2) |
WiB 1995, 210 (LT) |
ARST 1995, 63-65 (LT1-2) |
NZA 1995, 229 |
NZA 1995, 229-230 (LT1-2) |
ZAP, EN-Nr 256/95 (L) |
ZAP, EN-Nr 568/94 (K) |
AP § 7 BUrlG Übertragung (LT1-2), Nr 21 |
AP, 0 |
AR-Blattei, ES 1640.12 Nr 1 (LT1-2) |
AuA 1996, 106-107 (LT1-2) |
EzA § 125 BGB, Nr 11 (LT1-2) |
MDR 1995, 831 (LT1-2) |
PersF 1994, 968 (K) |
PersF 1995, 337 (S1) |