Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuwendung - Verminderung bei Krankheitszeiten
Leitsatz (redaktionell)
Eine tarifliche Regelung, nach der für eine Zuwendung Zeiten des Grundwehr- oder Zivildienstes, des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs anspruchserhaltend, Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlungsverpflichtung anspruchsmindernd berücksichtigt werden, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
Normenkette
TVG § 1; BGB § 611; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 06.01.1993; Aktenzeichen 2 Sa 1357/92) |
ArbG Wilhelmshaven (Entscheidung vom 22.07.1992; Aktenzeichen 1 Ca 441/92) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Zuwendung für das Jahr 1990.
Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt als Raumpflegerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Manteltarifvertrag für die Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung.
Die Klägerin war in der Zeit vom 7. Juli 1989 bis 12. September 1989 arbeitsunfähig krank. Vom 13. September 1989 bis 25. Oktober 1989 unterzog sie sich einer Kur. Im Anschluß daran war sie erneut bis 17. Dezember 1989 und vom 8. Januar 1990 für das gesamte Jahr 1990 arbeitsunfähig krank. Der Arbeitsunfähigkeit lag jeweils dieselbe Krankheit zugrunde.
Die Beklagte gewährte der Klägerin bis zum 17. August 1989 Krankenlohn und bis zum 9. März 1990 einen Krankengeldzuschuß.
Für das Jahr 1990 zahlte die Beklagte der Klägerin eine anteilige Zuwendung gem. § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Arbeiter (Zuwendungs-TV), weil sie nur für die Kalendermonate Januar bis März 1990 Bezüge erhalten hatte.
Diese tarifliche Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
(2) Hat der Arbeiter nicht während des ganzen
Kalenderjahres Bezüge von demselben Arbeit-
geber aus einem Rechtsverhältnis der in § 1
Abs. 1 Nr. 2 genannten Art erhalten, ver-
mindert sich die Zuwendung um ein Zwölftel
für jeden Kalendermonat, für den er keine
Bezüge erhalten hat. Die Verminderung un-
terbleibt für die Kalendermonate, für die
der Arbeiter keine Bezüge erhalten hat
wegen
a) der Ableistung von Grundwehrdienst oder
Zivildienst, wenn er vor dem 1. Dezember
entlassen worden ist und nach der Ent-
lassung die Arbeit unverzüglich wieder
aufgenommen hat,
b) der Beschäftigungsverbote nach § 3
Abs. 2 und § 6 Abs. 1 des Mutterschutz-
gesetzes,
c) der Inanspruchnahme des Erziehungsur-
laubs nach dem Bundeserziehungsgeldge-
setz bis zur Vollendung des zwölften Le-
bensmonats des Kindes.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr stehe ein Anspruch auf die volle Zuwendung für das Jahr 1990 zu. Die Minderung der Zuwendung für Zeiten, in denen ein Arbeiter wegen unverschuldeter Krankheit keinen Anspruch auf Bezüge habe, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Es fehle ein sachlicher Grund, die in § 2 Abs. 2 Buchst. a) bis c) Zuwendungs-TV genannten Arbeiter, die ebenfalls keinen Anspruch auf Bezüge hätten, besser zu behandeln.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.218,82 DM
brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus erge-
benden Nettobetrag ab dem 1. Juni 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, der Klägerin stehe kein Anspruch auf eine volle Zuwendung für das Jahr 1990 zu. Die tarifliche Bestimmung des § 2 Abs. 2 Zuwendungs-TV verstoße nicht gegen höherrangiges Recht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht erkannt, daß der Klägerin kein Anspruch auf die volle Zuwendung für das Jahr 1990 zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin erfülle nicht die tariflichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf die volle Zuwendung für das Jahr 1990. Da ihr für die Monate April bis Dezember 1990 kein Anspruch auf Bezüge zugestanden habe, sei die Zuwendung gem. § 2 Abs. 2 Zuwendungs-TV auf drei Zwölftel zu mindern gewesen.
Die tarifliche Bestimmung verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, soweit in § 2 Abs. 2 Buchst. a) bis c) Zuwendungs-TV eine Minderung der Zuwendung für Zeiten des Grundwehr- und Zivildienstes, des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs ausgeschlossen sei.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Der Klägerin steht ein über drei Zwölftel der vollen Zuwendung hinausgehender Anspruch nicht zu.
1. Die Klägerin erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die Zuwendung für das Jahr 1990. Ihr Anspruch ist jedoch nach § 2 Abs. 2 Zuwendungs-TV auf drei Zwölftel der Zuwendung vermindert, da sie für die Monate April bis Dezember 1990 keine Bezüge erhalten hat und ihr wegen der Beendigung der tariflichen Verpflichtung zur Zahlung eines Krankengeldzuschusses im März 1990 auch kein weitergehender Anspruch auf Bezüge zustand.
2. Die tarifliche Bestimmung des § 2 Abs. 2 Zuwendungs-TV verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
a) Die Verminderung des Anspruchs auf eine Zuwendung im Hinblick auf krankheitsbedingte Fehlzeiten, für die ein Entgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber nicht mehr besteht, ist rechtlich zulässig.
Nach der tariflichen Bestimmung des § 2 Abs. 2 Zuwendungs-TV vermindert sich die Zuwendung um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, für den der Arbeiter keine Bezüge erhalten hat. Diese tarifliche Bestimmung ist dahingehend auszulegen, daß es nicht auf die tatsächliche Zahlung von Bezügen ankommt, sondern darauf, ob ein Anspruch auf Bezüge besteht. Damit kann die Zuwendung auch für Zeiten gemindert werden, in denen bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach Erfüllung der gesetzlichen oder tariflichen Entgeltfortzahlungsverpflichtung durch den Arbeitgeber ein Anspruch auf Arbeitsentgelt, sei es in Form der Lohnfortzahlung oder eines Arbeitgeberzuschusses zum Krankengeld nicht mehr besteht.
Eine solche tarifliche Regelung ist rechtlich zulässig, da sie den Schutzzweck der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsbestimmung für den Krankheitsfall nicht berührt. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, im Krankheitsfalle zur wirtschaftlichen Sicherung des Arbeitnehmers beizutragen, ist zeitlich begrenzt. Braucht der Arbeitgeber daher bei längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten kein Entgelt mehr zu zahlen, so besteht auch kein rechtliches Hindernis, diese Zeiten beim Anspruch auf eine Zuwendung anspruchsmindernd zu berücksichtigen (vgl. BAG Urteil vom 23. Mai 1984 - 5 AZR 500/81 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie; vom 15. Februar 1990, BAGE 64, 179 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB
Anwesenheitsprämie; vom 5. August 1992 - 10 AZR 171/91 - AP Nr. 144 zu § 611 BGB Gratifikation; vom 27. Juli 1994 - 10 AZR 314/93 - nicht zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Die tarifliche Bestimmung des § 2 Abs. 2 Zuwendungs-TV verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, soweit Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Krankheitsfalle ohne Entgeltfortzahlungsverpflichtung anspruchsmindernd, Zeiten des Wehr- und Zivildienstes, des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs aber anspruchserhaltend berücksichtigt werden.
Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 50, 137, 141 = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG; BAGE 67, 265, 272 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT) und des Senats (Urteile vom 6. Oktober 1993 - 10 AZR 477/92 -, vom 24. November 1993 - 10 AZR 704/92 - und vom 16. Februar 1994 - 10 AZR 516/93 - alle zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird durch eine Tarifnorm dann verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Aufgabe der Gerichte ist es allerdings nicht zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung
getroffen haben. Sie haben lediglich zu kontrollieren, ob die bestehende Regelung die Grenzen des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien und damit die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet (BAG Urteil vom 16. Februar 1994 - 10 AZR 516/93 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Nach diesen Grundsätzen verstößt die anspruchsmindernde Berücksichtigung krankheitsbedingter Fehlzeiten ohne Entgeltfortzahlungsverpflichtung gegenüber der anspruchserhaltenden Berücksichtigung von Zeiten des Grundwehr- und Zivildienstes, des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs gem. § 2 Abs. 2 Buchst. a) bis c) Zuwendungs-TV nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
aa) Mit der Berücksichtigung von Zeiten des Grundwehrdienstes oder Zivildienstes für den Fall, daß der Arbeiter vor dem 1. Dezember aus dem Wehr- oder Zivildienst entlassen wird und unverzüglich seine Arbeit wieder aufnimmt, begründen die Tarifvertragsparteien einen Anreiz für die Grundwehrdienst- oder Zivildienstleistenden zur unverzüglichen Wiederaufnahme der Arbeit. Sie honorieren damit eine besondere Betriebstreue und tragen im übrigen, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, dem Umstand Rechnung, daß die Ableistung von Grundwehr- oder Zivildienst der Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten dient. Damit besteht ein gewichtiger Unterschied zu krankheitsbedingten Fehlzeiten, die außerhalb der Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers liegen.
bb) Die Berücksichtigung der Mutterschutzfristen ist nach der ständigen Rechtsprechung schon rechtlich geboten (vgl. BAG Urteil vom 12. Mai 1993 - 1O AZR 528/91 - AP Nr. 156 zu § 611 BGB Gratifikation). Dies rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung gegenüber längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten, die vom Schutzzweck der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsverpflichtung nicht mehr erfaßt werden.
cc) Auch mit der ansprucherhaltenden Berücksichtigung von Zeiten des Erziehungsurlaubs bis zum zwölften Lebensmonat des Kindes haben die Tarifvertragsparteien ihren Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Die Tarifvertragsparteien unterstützen damit die gesetzgeberische Zielsetzung des Bundeserziehungsgeldgesetzes, die es der Mutter ermöglichen soll, sich von den Nachwirkungen der Schwangerschaft und der Entbindung über die Schutzfristen des § 6 MuSchG hinaus zu erholen (vgl. BAG Urteil vom 24. November 1993 - 10 AZR 704/92 - NZA 1994, 423) und sich der Betreuung des Kleinkindes zu widmen. Die Förderung dieses sozialpolitischen Anliegens rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung gegenüber krankheitsbedingten Fehlzeiten über die Zeiträume hinaus, für die der Arbeitgeber seine gesetzliche und darüber hinausgehende tarifliche Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung bereits erfüllt hat.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Matthes Dr. Freitag Hauck
Thiel Rosendahl
Fundstellen
Haufe-Index 436597 |
BB 1995, 100 |
BB 1995, 100-101 (LT1) |
ARST 1995, 56-57 (LT1) |
EEK, I/1150 (ST1-2) |
NZA 1995, 429 |
NZA 1995, 429-430 (LT1) |
USK, 9462 (LT1) |
ZTR 1995, 129-130 (LT1-2) |
AP § 611 BGB Gratifikation (LT1), Nr 166 |
AR-Blattei, ES 820 Nr 124 (LT1) |
EzA § 611 BGB, Gratifikation, Prämie Nr 116 (LT1) |
EzBAT, TV Zuwendung Nr 28 (LT1) |