Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageverzicht – Kündigungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Auf die Einhaltung der Kündigungsfrist des allgemeinverbindlichen § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau kann der Arbeitnehmer wegen § 4 Abs. 4 TVG im allgemeinen nicht wirksam einseitig verzichten.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 4; BRTV-Bau § 12 Nr. 1.2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 26. Januar 1999 – 13 Sa 1572/98 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 21. Juli 1992 als Akustik-Monteur bei dem Beklagten, der Innenausbau betreibt, beschäftigt. Am 3. November 1997 kam es zu einem Gespräch zwischen den Parteien, bei dem dem Kläger das Kündigungsschreiben vom 3. zum 18. November 1997 ausgehändigt wurde. Im Anschluß hieran unterschrieb der Kläger folgende Erklärung:
„Hiermit erkläre ich, gegen die Richtigkeit der Kündigung vom 3. November 1997 keine Einwendungen zu erheben. Ich verzichte ausdrücklich auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage.”
Kündigungsschreiben und Erklärung waren bereits vor dem Gespräch von der Ehefrau des Beklagten, der Zeugin H., erstellt worden.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe sich mit der Kündigung nicht einverstanden erklärt, Gründe für die Kündigung hätten auch nicht bestanden. Er sei zwar am 27. Oktober 1997 nicht zur Arbeit erschienen, an diesem Tag jedoch krank gewesen. Der Beklagte habe ihm Kündigung und Erklärung überreicht und dazu erklärt, daß er eine Unterschrift für den Empfang des Kündigungsschreibens zu leisten habe. Abgelenkt durch den Wortschwall des Beklagten und weil er aufgeregt gewesen sei, habe er den Inhalt der Erklärung nicht wahrgenommen; insoweit habe ein Erklärungsirrtum vorgelegen. Zumindest sei die Erklärung vom 3. November 1997 insoweit rechtsunwirksam, als er auf die Kündigungsfristen nach § 12 Nr. 1.2 BRTV-Bau verzichtet habe.
Der Kläger hat – soweit für die Revisionsinstanz noch von Belang – beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 3. November 1997 nicht zum 18. November 1997 beendet worden ist, sondern bis zum 31. Januar 1998 fortbestanden hat.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, das Arbeitsverhältnis sei einvernehmlich aufgelöst worden. Dem Kläger sei nämlich vorgehalten worden, daß er wegen Unzuverlässigkeit nicht weiterbeschäftigt werden könne. Darauf habe der Kläger gefragt, wieviel Urlaub er noch beanspruchen könne. Unter Berücksichtigung der Resturlaubsansprüche sei dann der Beendigungstermin 18. November 1997 festgelegt worden. Die Erklärung vom 3. November 1997 habe der Kläger zunächst durchgelesen und dann ohne jeden Druck unterschrieben.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugin H. die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht nach seinem – oben wiedergegebenen – Hilfsantrag erkannt, die weitergehende Berufung jedoch zurückgewiesen. Mit der nur für den Beklagten zugelassenen Revision erstrebt dieser nach wie vor die vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Kündigung des Beklagten vom 3. November 1997 erst mit dem 31. Januar 1998 sein Ende gefunden hat.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung – kurz zusammengefaßt – wie folgt begründet: Der grundsätzlich zwischen den Parteien wirksam zustande gekommene Klageverzichtsvertrag sei dahin auszulegen, daß der Kläger nur auf Klage gegen eine ordentliche Kündigung, nicht dagegen auf die Einhaltung einer Kündigungsfrist verzichtet habe. Ein Einverständnis mit dem Endtermin 18. November 1997 sei der Vereinbarung nicht zu entnehmen. Selbst wenn aber der Klageverzichtsvertrag auch im Sinne eines Verzichts auf Einhaltung der Kündigungsfrist auszulegen sei, sei er teilnichtig gemäß § 4 Abs. 4 TVG.
II. Dieser Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat. Die Revision rügt zu Unrecht eine Verletzung des § 4 Abs. 4 TVG.
Soweit die Revisionsangriffe sich gegen die Auslegung des Landesarbeitsgerichts wenden, es liege schon kein Verzicht auf die Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist vor, braucht dem – die Rechtsprechung (vgl. u.a. Senatsurteil vom 3. Mai 1979 – 2 AZR 679/77 – BAGE 32, 6 = AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969) verlangt für einen derartigen Klageverzichtsvertrag eine eindeutige, zweifelsfreie Regelung – nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts hält jedenfalls einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.
1. Der vom Landesarbeitsgericht angenommene Klageverzichtsvertrag verstößt insofern, als der Kläger auf die Einhaltung der nach § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau verbindlichen Kündigungsfrist verzichtet hat, gegen § 4 Abs. 4 TVG. Der Bundesrahmentarifvertrag Baugewerbe gilt kraft Allgemeinverbindlichkeit für das Arbeitsverhältnis der Parteien, wovon auch die Revision ausgeht. Für ältere Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit enthält § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau in der Fassung vom 9. Juni 1997 verlängerte Kündigungsfristen; diese sind für gewerbliche Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit durch den Änderungstarifvertrag vom 30. November 1995 neu gefaßt worden. Die für den Kläger einschlägige Kündigungsfrist beträgt nach mehr als fünfjähriger Betriebszugehörigkeit in seinem Alter zwei Monate zum Monatsende. Auch hierüber herrscht unter den Parteien an sich kein Streit.
Soweit die Revision meint, auch angesichts des § 4 Abs. 4 TVG sei ein Klageverzicht möglich und wirksam vereinbart, ist dem nicht zu folgen. Nach § 4 Abs. 4 TVG ist ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Selbst wenn man davon ausgeht, mit der Formulierung, auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu verzichten, habe der Kläger auch auf die Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist – und nicht nur auf den Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz – verzichtet, ist dieser Verzicht angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung wirkungslos. Auf die Schutzwirkung der verlängerten tariflichen Kündigungsfrist kann der Arbeitnehmer – soweit im Falle der Allgemeinverbindlichkeit überhaupt ein Verzicht möglich ist – nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 TVG (Billigung durch die Tarifvertragsparteien) wirksam verzichten, denn auch bei der tariflichen Kündigungsfrist handelt es sich um ein tarifliches Recht. Die Abmachung der Parteien zielt nämlich entsprechend der Vorgabe des Beklagten (siehe noch unten Ziff. 2) darauf, das Entstehen des Anspruchs auf Vergütung während des Laufs der Kündigungsfrist zu unterbinden (ebenso Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 1304, 1308; siehe ferner: Etzel, NZA-Beilage 1/1987, S. 25; Kempen/ Zachert, TVG, 3. Aufl., § 4 Rz 243, 244; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rz 261, 262; Wiedemann/Wank, TVG, 6. Aufl., § 4 Rz 655 f.). Das belegt auch eine Kontrollüberlegung: § 12 Ziff. 1.2 BRTV enthält inhaltlich – wenn auch in modifizierter Form – eine ähnliche Regelung wie § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Auch nach dieser Vorschrift käme für den Kläger eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende in Betracht. Die Abmachung der Parteien würde also im Ergebnis eine gesetzliche Mindestarbeitsbedingung abdingen, was unzulässig ist (§ 622 Abs. 5 BGB).
2. Umstritten könnte insofern allenfalls sein, ob § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG auch einen sog. Tatsachenvergleich – wenn in der Abmachung der Parteien überhaupt ein Vergleich zu sehen wäre – verbietet, was von der höchstrichterlichen Rechtsprechung verneint wird (vgl. etwa BAG Urteile vom 30. November 1994 – 5 AZR 702/93 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG und vom 5. November 1997 – 4 AZR 622/95 – AP Nr. 17, aaO). Von einem Tatsachenvergleich kann hier jedoch nicht die Rede sein. Die Parteien sind vielmehr im Anschluß an die Vorgabe des Beklagten rechtsirrtümlich davon ausgegangen, die Kündigungsfrist betrage zwölf Werktage; diese Frist ist vom Beklagten nach den für den Senat gemäß § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts aufgrund der Vernehmung der Zeugin H. sowohl im Kündigungsschreiben wie auch in der Erklärung vom 3. November 1997 zugrundegelegt worden. Das Landesarbeitsgericht hat daraus den Schluß gezogen, der Beklagte habe nicht etwa eine außerordentliche, sondern eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Frist nach § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau aussprechen wollen. Das zieht auch die Revision nicht in Zweifel. Im übrigen ist diese Frist von zwölf Werktagen vom Beklagten auch in der für das Arbeitsamt bestimmten Arbeitsbescheinigung angeführt worden. Die aus § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau zu entnehmende Grundfrist ist hier jedoch nicht anwendbar, sondern die verlängerte Kündigungsfrist nach § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau. Auf ihre Einhaltung konnte der Kläger nach alledem nicht wirksam verzichten.
Ob dasselbe im Falle eines Aufhebungsvertrages, der eine Abkürzung der tariflichen Kündigungsfrist – eventuell auf eigenen Wunsch des Arbeitnehmers – vorsieht, zu gelten hat, braucht hier nicht erörtert zu werden. Denn die Festlegung des Beendigungszeitpunkts (18. November 1997) entsprach nicht dem Wunsch des Klägers, sondern der Vorgabe des Beklagten in der von ihm ausgesprochenen Kündigung, ohne daß es im übrigen zu einem Aufhebungsvertrag unter den Parteien gekommen ist.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Walter, Dr. Roeckl
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.11.1999 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436339 |
BB 2000, 728 |
DB 2000, 832 |
FA 2000, 202 |
NZA 2000, 605 |
SAE 2000, 216 |
ZTR 2000, 274 |
AP, 0 |
AUR 2000, 159 |
KHuR 2001, 59 |
ApoR 2000, 82 |
ZAuR 2000, 84 |