Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung nach § 1a KSchG
Orientierungssatz
Enthält ein Kündigungsschreiben einen vollständigen Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG, spricht dies regelmäßig für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1a Abs. 2 KSchG. Ein etwaiger Wille des Arbeitgebers, ein von der gesetzlichen Vorgabe abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, muss sich aus dem Kündigungsschreiben selbst eindeutig und unmissverständlich ergeben.
Normenkette
KSchG § 1a; BetrVG § 75 Abs. 1, § 112 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Juli 2015 – 8 Sa 531/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG.
Der Kläger war bei der Beklagten seit März 1974 beschäftigt.
Die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen am 15. Januar 2014 eine als „Interessenausgleich” bezeichnete Vereinbarung ab. Nach deren § 4 steht den von einer Kündigung betroffenen Mitarbeitern eine nach § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnende Abfindung zu.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 10. Februar 2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien aus betriebsbedingten Gründen zum 30. September 2014. In dem Schreiben heißt es ua.:
„Hinweise
Sie haben die Möglichkeit, sich gegen diese betriebsbedingte Kündigung zu wehren. Das müssen Sie nach dem Kündigungsschutzgesetz innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung tun. Lassen Sie diese Frist verstreichen, ohne eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht zu erheben, haben Sie nach § 1a KSchG Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes für jedes volle Beschäftigungsjahr.”
Der Kläger erhob keine Kündigungsschutzklage. Die Beklagte zahlte ihm eine Abfindung nach dem „Interessenausgleich” iHv. 86.300,00 Euro brutto. Mit der vorliegenden Klage beansprucht der Kläger die Zahlung einer Abfindung nach § 1a KSchG.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 86.300,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2014 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Der Kläger könne die Abfindung nur einmal beanspruchen. Der Hinweis auf § 1a KSchG im Kündigungsschreiben sei lediglich als Berechnungsgrundlage für die nach dem „Interessenausgleich” zu zahlende Abfindung zu verstehen. Dem Kläger sei nach Erhalt der Kündigung in einem Gespräch die Höhe der Abfindung erläutert worden. Jedenfalls bestehe zwischen dem Anspruch aus dem „Interessenausgleich” und einer Abfindung nach § 1a KSchG eine „Anspruchskonkurrenz”. Die Ansprüche könnten daher nicht nebeneinander geltend gemacht werden.
Beide Vorinstanzen haben der Klage entsprochen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen die klagestattgebende Entscheidung des Arbeitsgerichts mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung einer Abfindung gemäß § 1a Abs. 1 KSchG, deren nach § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnende Höhe zwischen den Parteien unstreitig ist.
I. Nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kündigt und der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG keine Klage auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG setzt der Anspruch den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann. Diese beträgt einen halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses; für die Bestimmung des Monatsverdienstes gilt die Regelung in § 10 Abs. 3 KSchG entsprechend.
II. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen aus § 1a Abs. 1 KSchG bejaht.
1. Die Beklagte hat dem Kläger eine auf betriebsbedingte Gründe gestützte ordentliche Kündigung erklärt und ihn im Kündigungsschreiben vom 10. Februar 2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung „nach § 1a KSchG” beanspruchen könne. Der Kläger hat keine Kündigungsschutzklage erhoben. Der Anspruch auf Zahlung der gesetzlich vorgesehenen Abfindung mit Ablauf der Kündigungsfrist am 30. September 2014 ist damit dem Grunde nach entstanden.
2. Die Beklagte hat im Kündigungsschreiben vom 10. Februar 2014 nicht lediglich auf die Abfindungsregelung im „Interessenausgleich” hingewiesen.
a) Zwar schließt es die Vorschrift des § 1a KSchG nicht aus, dass der Arbeitgeber eine Abfindung auf anderer Grundlage verspricht oder sich darauf beschränkt, im Kündigungsschreiben rein deklaratorisch auf kollektivrechtliche Bestimmungen zu verweisen, aus denen ein Abfindungsanspruch bei Verlust des Arbeitsplatzes folgt. Der Wille des Arbeitgebers, ein von der gesetzlichen Vorgabe abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, muss sich aber aus dem Kündigungsschreiben eindeutig und unmissverständlich ergeben (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 340/06 – Rn. 18, BAGE 123, 121). Enthält dieses einen vollständigen Hinweis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG, spricht dies für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1a Abs. 2 KSchG (vgl. BAG 13. Dezember 2007 – 2 AZR 663/06 – Rn. 21, BAGE 125, 191).
b) Daran gemessen können die Erklärungen im Kündigungsschreiben nicht als rein deklaratorische Bezugnahme auf die Sozialplanregelung in § 4 des „Interessenausgleichs” vom 15. Januar 2014 verstanden werden. Zu einem kollektivrechtlich begründeten Abfindungsanspruch hat die Beklagte im Rahmen ihrer „Hinweise” keinen Zusammenhang hergestellt. Stattdessen hat sie Formulierungen gewählt, die auf § 1a Abs. 1 KSchG als Anspruchsgrundlage verweisen. Insbesondere hat sie als Voraussetzung für die Abfindung den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage genannt. Daran knüpft die Regelung im „Interessenausgleich” nicht an. Ebenso fehlt es an einem Hinweis im Kündigungsschreiben auf eine mögliche Anrechnung der jeweiligen Abfindungen aus dem „Interessenausgleich” und nach § 1a KSchG. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob ein mit einem Hinweis nach § 1a KSchG verbundener Anrechnungsvorbehalt als unzulässige Bedingung oder als ein abweichendes Angebot auf eine Abfindungszahlung anzusehen wäre.
c) Dieser Sichtweise steht nicht entgegen, dass der Kläger nach dem „Interessenausgleich” und dem im Kündigungsschreiben vom 10. Februar 2014 enthaltenen Hinweis zwei Abfindungszahlungen in gleicher Höhe beanspruchen kann. Eine solche Doppelung ist – darin ist der Beklagten noch zu folgen – sicherlich ungewöhnlich. Allerdings brauchte der Kläger über die Motive für das Handeln der Beklagten nicht zu rätseln, zumal diese mit einer sorgfältigen Abfassung des Kündigungsschreibens den Umfang ihrer beabsichtigten Leistungsgewährung ohne Weiteres hätte klarstellen können. Der Kläger durfte es zumindest für möglich halten, die Beklagte habe für die durch das Verstreichenlassen der Klagefrist erlangte Rechtssicherheit einen weiteren Abfindungsbetrag gewähren wollen. Aus diesem Grund ist es unerheblich, ob der Kläger durch den sich aus beiden Abfindungen ergebenden Gesamtbetrag wirtschaftlich besser gestellt wird, als wenn er bis zu einer Altersgrenze bei der Beklagten weiter gearbeitet hätte.
d) Auf den Inhalt des nach Zugang des Kündigungsschreibens vom 10. Februar 2014 zwischen den Parteien geführten Gesprächs über die Höhe der dem Kläger zustehenden Abfindung kommt es nicht an. Für die Auslegung einer möglichen Erklärung nach § 1a KSchG ist aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung der Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens maßgeblich. Aus diesem muss der Arbeitnehmer eindeutig und unmissverständlich erkennen können, ob und ggf. welche Abfindung der Arbeitgeber anbietet. Das Gesetz räumt dem Arbeitnehmer nach dem Erhalt der Kündigungserklärung eine dreiwöchige Überlegungsfrist ein, innerhalb derer er über die Annahme des dort enthaltenen Angebots entscheiden kann. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn der Arbeitgeber die – nach seinem Hinweis – nur noch vom Willen des Arbeitnehmers abhängige Entstehung des Anspruchs nach § 1a KSchG durch weitere Erklärungen wieder in Zweifel ziehen könnte.
e) Dem Anspruch steht auch eine von der Beklagten behauptete Unwirksamkeit ihrer Kündigung vom 10. Februar 2014 wegen einer unzureichenden Beteiligung des Betriebsrats (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) nicht entgegen. Der Anspruch nach § 1a KSchG setzt keine wirksame Kündigung des Arbeitgebers voraus. Ein Streit über deren Wirksamkeit soll durch das Angebot des Arbeitgebers nach § 1a KSchG gerade vermieden werden. Daneben wird die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Kündigung durch § 7 KSchG fingiert.
III. Die Beklagte hat den sich aus § 1a Abs. 1 KSchG ergebenden Anspruch des Klägers nicht durch die Zahlung der sich aus dem „Interessenausgleich” ergebenden Abfindung erfüllt. Eine (vollständige) Anrechnung der dort normativ geregelten Abfindung auf den durch den Hinweis nach § 1a Abs. 1 KSchG begründeten Abfindungsanspruch scheidet wegen der unterschiedlichen Leistungszwecke aus Rechtsgründen aus.
1. Mit der Regelung in § 1a KSchG wollte der Gesetzgeber eine „einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess” schaffen. Die formalisierten Voraussetzungen für den Abfindungsanspruch und die gesetzlich festgelegte Höhe der Abfindung sollen es den Arbeitsvertragsparteien erleichtern, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung außergerichtlich kostengünstig zu klären. Mit der Einfügung des am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen § 1a in das Kündigungsschutzgesetz durch Art. 1 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) war die Erwartung verbunden, dass Arbeitgeber bereit sein würden, die gesetzlich vorgegebene Abfindungssumme zu zahlen, wenn sie Risiken und Kosten eines Kündigungsschutzprozesses in Betracht zögen, und Arbeitnehmer, die an ihrem Arbeitsverhältnis nicht zwingend festhalten wollen, die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses akzeptieren würden, wenn sie den im Gesetz vorgesehenen Abfindungsbetrag erhielten (BT-Drs. 15/1204 S. 12).
2. Ein solcher Normzweck liegt Sozialplanleistungen iSv. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, nicht zugrunde. Diese dürfen nicht von einem Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 4 Satz 1 KSchG) abhängig gemacht werden. Das folgt aus dem in § 75 Abs. 1 BetrVG normierten betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Macht ein Sozialplan den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zur Voraussetzung für den Anspruch auf die Sozialplanabfindung, erfolgt eine Gruppenbildung, welche die Anwendung des Gleichheitssatzes ermöglicht und gebietet. Die Arbeitnehmer, die eine Kündigungsschutzklage erheben, werden hinsichtlich der Sozialplanabfindung schlechter behandelt als diejenigen, die von der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung absehen. Diese Ungleichbehandlung ist nach Sinn und Zweck des Sozialplans sachlich nicht gerechtfertigt (BAG 31. Mai 2005 – 1 AZR 254/04 – zu II 1 der Gründe, BAGE 115, 68). Nur wenn die Betriebsparteien ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nachgekommen sind, können sie freiwillig eine kollektivrechtliche Regelung treffen, die im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit finanzielle Leistungen für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht oder freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis im Wege einer Aufhebungsvereinbarung ausscheidet. Das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, darf dadurch aber nicht umgangen werden (BAG 9. Dezember 2014 – 1 AZR 146/13 – Rn. 39). Ebenso können die Betriebsparteien die Anrechnung von Leistungen des Arbeitgebers nach § 1a KSchG auf eigene Abfindungsansprüche zum Ausgleich der Nachteile des Arbeitsplatzverlustes vorsehen, ohne damit gegen den Zweck dieser Leistungen zu verstoßen (BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 340/06 – Rn. 37, BAGE 123, 121).
3. Nach diesen Grundsätzen scheidet vorliegend die von der Beklagten geltend gemachte (vollständige) Anrechnung des Anspruchs aus dem „Interessenausgleich” auf den durch das Kündigungsschreiben vom 10. Februar 2014 begründeten Abfindungsanspruch aus. Die mit den jeweiligen Zahlungen verfolgten Zwecke sind nicht deckungsgleich. Bei der normativ geregelten Abfindung handelt es sich um eine Leistung nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Diese dient – anders als die Abfindung nach § 1a KSchG – ausschließlich dem Ausgleich der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile. Weitere Leistungszwecke verfolgen die Betriebsparteien mit der im „Interessenausgleich” enthaltenen Zahlung nicht. Die Beklagte und der Betriebsrat haben dort keine gesonderte Regelung für den Fall vorgesehen, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht. Ebenso haben sie die Anrechnung einer nach § 1a Abs. 1 KSchG gewährten Abfindung nicht – auch nicht nachträglich – vereinbart.
IV. Die gerichtliche Durchsetzung des sich aus dem Hinweis der Beklagten im Kündigungsschreiben vom 10. Februar 2014 ergebenden Abfindungsanspruchs stellt kein nach § 242 BGB unzulässiges rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers dar. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Koch, Rachor, Richterin am BAG Berger ist wegen Dienstunfähigkeit gehindert, ihre Unterschrift beizufügen Koch, A. Claes, Söller
Fundstellen
Haufe-Index 10077738 |
BB 2017, 830 |
DB 2017, 196 |