Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung unterschiedlich langer Verdienstsicherungen
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 4 des Tarifvertrages über die Lohn- und Gehaltssicherung für Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 25. Januar 1979 (TV-LGS) hat der Arbeitgeber eine zwölfmonatige Verdienstsicherung zu gewähren, wenn technische oder organisatorische Maßnahmen zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn durch das Abbrennen einer Abteilung die tatsächlichen Grundlagen der dortigen Beschäftigungen zerstört werden und dadurch die Arbeitsplätze wegfallen. Das Absehen von der Wiedererrichtung nicht mehr vorhandener Arbeitsplätze kann der gezielten Beseitigung von Arbeitsplätzen nicht gleichgestellt werden. Nach der Auffangvorschrift des § 2 TV-LGS steht den betroffenen Arbeitnehmern eine siebenmonatige Verdienstsicherung zu.
2. Eine Vereinbarung, daß der Arbeitnehmer seine Klage auf tarifvertragliche Leistungen zurückzunehmen habe und keine neue Klage erheben dürfe, kommt im Ergebnis einem Verzicht gleich, und ist wie dieser nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig.
Normenkette
TVG § 1 Auslegung, § 4 Abs. 4 S. 1; BetrVG §§ 99-100; BGB § 133; ZPO § 87 Abs. 1; ArbGG § 11 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. März 1995 – 9 Sa 4/95 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Dauer der dem Kläger zustehenden tarifvertraglichen Verdienstsicherung.
Der Kläger war seit 1. April 1991 bei der Beklagten als Galvaniseur in der Abteilung Galvanik im Akkord tätig und wurde nach VergGr. IV entlohnt. Anfang Oktober 1993 brannte die Abteilung Galvanik ab. Der Kläger befand sich zu dieser Zeit im Urlaub und wurde nach seiner Rückkehr für Säuberungsarbeiten in diesem Bereich eingesetzt. Seit dem 5. Oktober 1993 wird er mit Zustimmung des Betriebsrats in der Rahmenfertigung beschäftigt. Seither sind die Aufgaben und der Arbeitsort unverändert geblieben. Der Kläger wird zwar nach der höheren VergGr. V, aber nur noch im Zeitlohn vergütet. Dadurch verringerte sich sein Arbeitsentgelt.
Die Beklagte ging zunächst von einem Wiederaufbau der Abteilung Galvanik aus. Spätestens im Dezember 1993 beschloß die Beklagte, dieses Vorhaben aufzugeben und Fremdunternehmen mit den Arbeiten zu betrauen.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag über die Lohn- und Gehaltssicherung für Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 25. Januar 1979 (TV-LGS) anzuwenden. Er enthält folgende Regelungen:
„…
§ 2
Wird einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Gründen ein geringer bezahlter Arbeitsplatz zugewiesen, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Weiterzahlung seines bisherigen Lohnes oder Gehaltes für die Dauer von sieben Monaten. …
Dieser Anspruch besteht innerhalb eines Kalenderjahres nur einmal.
§ 3
Ändern sich die Anforderungen an einem Arbeitsplatz durch technische und/oder organisatorische Änderungen auf Dauer und verringert sich dadurch der Lohn oder das Gehalt, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Weiterzahlung seines bisherigen Lohns oder Gehalts für die Dauer von zwölf Monaten.
§ 4
Entfällt der Arbeitsplatz durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen auf Dauer und erfolgt ein Einsatz an einem geringer bezahlten Arbeitsplatz, so hat der Arbeitnehmer, sofern er dem Unternehmen mindestens sechs Monate angehört, Anspruch auf Weiterzahlung seines bisherigen Lohnes oder Gehaltes für die Dauer von 12 Monaten.
…”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe bis einschließlich Dezember 1994 oder zumindest bis einschließlich Oktober 1994 Verdienstsicherung zu. Als ihm die Beklagte nach dem Brand in der Galvanikabteilung vorübergehend einen Arbeitsplatz in der Rahmenfertigung zugewiesen habe, sei sie nach § 2 TV-LGS zu einer siebenmonatigen Verdienstsicherung verpflichtet gewesen. Mit der im Dezember 1993 getroffenen Entscheidung, die Abteilung Galvanik nicht wieder aufzubauen, sei nach § 4 TV-LGS ein Anspruch auf Verdienstsicherung für weitere 12 Monate entstanden. Allenfalls könne die Lohnsicherung nach § 2 TV-LGS angerechnet werden, so daß der Lohnsicherungszeitraum frühestens mit Ablauf des Oktober 1994 geendet habe.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.463,84 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat gemeint, der Kläger habe lediglich einen Anspruch auf siebenmonatige Verdienstsicherung nach § 2 TV-LGS.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den bisherigen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf weitergehende Verdienstsicherung zu.
A. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Revision nach wie vor zulässig.
1. Die Klägervertreter haben wirksam Revision eingelegt und können das Revisionsverfahren auch weiterbetreiben. Die Beklagte hat bestritten, daß die Klägervertreter noch zur Durchführung des Revisionsverfahrens bevollmächtigt sind. Der Aufhebungsvertrag vom 15. Mai 1996 zeige, daß der Kläger das Verfahren nicht mehr fortsetzen wolle. Die Klägervertreter sind entgegen der Ansicht der Beklagten nach wie vor bevollmächtigt. Sie haben mit der Revisionsschrift eine Prozeßvollmacht vorgelegt. Auf die Beendigung des der Prozeßvollmacht zugrundeliegenden Vertrages kommt es nicht an. Da das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht nach § 11 Abs. 2 ArbGG ein Anwaltsprozeß ist, erlischt die Prozeßvollmacht nach § 87 Abs. 1 ZPO erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Rechtsanwalts.
2. Der Fortsetzung des Revisionsverfahrens steht auch nicht der Aufhebungsvertrag vom 15. Mai 1996 entgegen. Er enthält folgende Abgeltungsklausel:
„Mit Abschluß des Aufhebungsvertrages und der Erfüllung der vereinbarten Leistungen sind alle beiderseitigen Rechte und Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung restlos ausgeglichen; keine der Parteien wird weitere Forderungen erheben.”
Mit dieser Vereinbarung hat sich der Kläger nicht zur Rücknahme der bereits eingelegten Revision verpflichtet. Dies hätten die Parteien deutlicher zum Ausdruck bringen müssen. Nr. 5 des Aufhebungsvertrages vom 15. Mai 1996 läßt sich allenfalls als Erlaßvertrag, der sich auch auf die geltend gemachten tariflichen Ansprüche auf Verdienstsicherung erstreckt, oder als Klagerücknahmeversprechen auslegen. Derartige Vereinbarungen spielen für die Zulässigkeit der Revision keine Rolle. Sie können sich nur auf die Zulässigkeit oder Begründetheit der Klage und damit auf die Begründetheit der Revision auswirken.
B. Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Kläger kann nicht über den Mai 1994 hinaus Verdienstsicherung verlangen.
I. Entgegen der Auffassung der Beklagten führt der Aufhebungsvertrag vom 15. Mai 1996 nicht dazu, daß die Klage wegen Verstoßes gegen ein Klagerücknahmeversprechen unzulässig ist. Ob sich dem vorliegenden Aufhebungsvertrag überhaupt ein Klagerücknahmeversprechen mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen läßt, kann offenbleiben. Der Kläger konnte nach § 4 Abs. 4 TVG auf seinen tariflichen Verdienstsicherungsanspruch nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich wirksam verzichten. Eine freiwillige Klagerücknahme ist zwar ebenso möglich wie das Absehen von der Geltendmachung eines tariflichen Anspruchs innerhalb der Ausschlußfrist. Das Verzichtsverbot kann aber nicht durch eine vertragliche Verpflichtung zu einem derartigen Verhalten unterlaufen werden. § 4 Abs. 4 TVG will sicherstellen, daß der Arbeitnehmer seine tariflichen Rechte ungehindert geltend machen kann und sie nicht durch entgegenstehende Rechtsgeschäfte verliert. Ein Versprechen, die Klage auf tarifliche Leistungen zurückzunehmen und keine neue Klage zu erheben, kommt im Ergebnis einem Verzicht gleich und ist wie dieser unwirksam (vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl., § 4 Rz 203; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rz 262; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 328).
II. Dem Kläger steht jedoch kein Anspruch auf Verdienstsicherung für die Monate Juni bis einschließlich Dezember 1994 zu.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Beklagte lediglich eine siebenmonatige Verdienstsicherung nach § 2 TV-LGS gewähren mußte. § 4 TV-LGS ist nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitnehmer eine zwölfmonatige Verdienstsicherung verlangen, wenn der Arbeitsplatz durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen auf Dauer entfällt und ein Einsatz an einem geringer bezahlten Arbeitsplatz erfolgt. Im vorliegenden Fall beruht jedoch der Wegfall des Arbeitsplatzes weder auf technischen noch auf organisatorischen Maßnahmen des Arbeitgebers.
a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, daß der Tarifwortlaut gegen die vom Kläger vertretene Auslegung spricht. Nach § 4 TV-LGS genügt es nicht, daß der Arbeitsplatz aus irgendwelchen Gründen auf Dauer entfällt. Die Worte „durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen” enthalten Tatbestandsmerkmale, die den Anspruch auf längere Verdienstsicherung einschränken. Danach muß der Wegfall des Arbeitsplatzes auf den im Tarifvertrag genannten Gründen beruhen.
b) Dem Landesarbeitsgericht ist auch insoweit zu folgen, als es darauf hingewiesen hat, daß technische und organisatorische Maßnahmen unternehmerische Entscheidungen voraussetzen. Nach allgemeinem Sprachgebrauch gehört zum Begriff einer Maßnahme ein willensgesteuertes Verhalten. Danach stellt allenfalls der Entschluß, die Galvanikabteilung nicht wiederaufzubauen, eine organisatorische Maßnahme dar. Ob der Begriff der technischen und organisatorischen Maßnahmen lediglich ein aktives Verhalten oder auch ein Unterlassen umfaßt, kann offenbleiben. Die Arbeitgeberentscheidung muß zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen. Jedenfalls diese Anspruchsvoraussetzung liegt nicht vor.
aa) Die nach § 4 TV-LGS erforderliche Ursächlichkeit fehlt, wenn der Arbeitsplatz schon vor der Entscheidung des Arbeitgebers nicht mehr vorhanden war. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß der Arbeitsplatz des Klägers bereits durch den Brand in der Galvanikabteilung vernichtet war. Jeder Arbeitsplatz hat räumliche, technische und organisatorische Grundlagen. Wenn die tatsächlichen Grundlagen der Beschäftigung zerstört werden, fällt der Arbeitsplatz weg. Die organisatorische Entscheidung der Beklagten bestand lediglich darin, die bereits weggefallenen Arbeitsplätze nicht wiederzuerrichten.
bb) Der Kläger meint, die Arbeitsplätze in der abgebrannten Galvanikabteilung seien erst mit dem Entschluß der Beklagten, diese Abteilung nicht wiederaufzubauen, auf Dauer entfallen. Er möchte das Absehen von der Wiedererrichtung nicht mehr vorhandener Arbeitsplätze ebenso behandeln wie die Beseitigung der Arbeitsplätze. Dies entspricht nicht dem Tarifwortlaut und würde dazu führen, daß bei jedem dauerhaften Wegfall eines Arbeitsplatzes § 4 TV-LGS anzuwenden wäre. Die Worte „durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen” wären damit bedeutungslos. Den Tarifvertragsparteien kann jedoch nicht unterstellt werden, daß sie überflüssige Tatbestandsmerkmale schaffen wollten.
c) Die Tarifsystematik und der Zweck der Verdienstsicherung ermöglichen es nicht, die einschränkenden Tatbestandsmerkmale wegzuinterpretieren.
aa) Dem TV-LGS ist nicht zu entnehmen, daß § 2 lediglich die zeitweiligen Änderungen betrifft, §§ 3 und 4 dagegen die dauerhaften Veränderungen erfassen.
(1) § 2 TV-LGS stellt nicht darauf ab, ob dem Arbeitnehmer der geringer bezahlte Arbeitsplatz für eine vorübergehende Zeit oder auf Dauer zugewiesen wird. Das Tatbestandsmerkmal „vorübergehend”, das § 13 Abs. 1 des Lohnrahmenabkommens vom 26. September 1967 in der Fassung vom 19. Februar 1975 enthielt, haben die Tarifvertragsparteien in § 2 TV-LGS nicht übernommen.
(2) Ebensowenig verlangt § 2 TV-LGS, daß der Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer bisher beschäftigt wurde, fortbesteht, nur zeitweilig wegfällt oder sich lediglich zeitweilig verändert (a.A. wohl Ziepke, Handkommentar zum TV-LGS, § 2 Anm. 2 und § 4 Anm. 1). Eine derartige Voraussetzung des § 2 TV-LGS ließe sich der Tarifsystematik nur dann entnehmen, wenn die §§ 3 und 4 TV-LGS sämtliche Fälle eines dauerhaften Wegfalls des Arbeitsplatzes oder einer dauerhaften Änderung der Anforderungen am Arbeitsplatz erfassen würden. §§ 3 und 4 TV-LGS haben aber keinen derart umfassenden Anwendungsbereich, sondern verlangen einen ursächlichen Zusammenhang mit „technischen und/oder organisatorische Maßnahmen” des Arbeitgebers. In – wenngleich seltenen – Fällen können sich auch ohne derartige Maßnahmen die Anforderungen am Arbeitsplatz ändern oder Arbeitsplätze entfallen. Dann kommt § 2 TV-LGS zum Zuge. Diese Vorschrift hat damit Auffangfunktion.
bb) Entgegen der Ansicht des Klägers ist es unerheblich, daß § 2 TV-LGS den Begriff „zuweisen” und § 4 TV-LGS den Begriff „Einsatz” verwendet.
(1) Die unterschiedliche Formulierung erklärt sich nicht nur aus sprachlichen Gründen, sondern auch daraus, daß § 2 TV-LGS sowohl bei unverändertem Fortbestand des Arbeitsplatzes als auch bei Veränderungen oder einem Wegfall des Arbeitsplatzes in Betracht kommt. Die Auffangfunktion erstreckt sich auf § 3 und § 4 TV-LGS.
(2) Dem Ausdruck „zuweisen” läßt sich keine zeitliche Beschränkung entnehmen. Diesen Ausdruck verwendet u.a. § 95 Abs. 3 BetrVG. Nach dieser Vorschrift ist eine Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes „die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist”. Die Formulierung „zuweisen” eines anderen Arbeitsbereichs bzw. Arbeitsplatzes erfaßt nach der im Arbeitsrecht üblichen Terminologie auch einen dauerhaften Arbeitsplatzwechsel. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch gilt nichts anderes.
cc) Die zwölfmonatige Verdienstsicherung nach §§ 3 und 4 TV-LGS hängt von zwei Umständen ab. Der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers muß sich dauerhaft verändern oder dauerhaft wegfallen. Dies muß auf einer technischen oder organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers beruhen. Soweit außerbetriebliche Umstände unmittelbar zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen oder seine Anforderungen verändern, muß sich der Arbeitnehmer mit der kürzeren Verdienstsicherung begnügen. Im Anwendungsbereich des § 4 TV-LGS beseitigt der Arbeitgeber aus unternehmerischen Erwägungen Arbeitsplätze. In der Regel verfolgt er damit das Ziel, die Kosten für die Beibehaltung dieser Arbeitsplätze einzusparen. Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, handelt es sich um eine andere Fallgestaltung, wenn der Arbeitgeber lediglich von der Wiedererrichtung eines nicht mehr bestehenden Arbeitsplatzes absieht und entsprechende Investitionen unterläßt. Die von § 4 TV-LGS vorausgesetzte, gezielte Arbeitsplatzeinsparung fehlt im vorliegender. Fall.
d) Nennenswerte Umgehungsmöglichkeiten eröffnet die vom Landesarbeitsgericht vertretene Auslegung des § 4 TV-LGS nicht. Der Wegfall von Arbeitsplätzen ohne unternehmerische Entscheidung ist selten und läßt sich – wie im vorliegenden Fall das Abbrennen der Galvanikabteilung – unschwer feststellen. Der Kläger hat gemeint, Manipulationsmöglichkeiten ergäben sich daraus, daß der Arbeitgeber es in der Hand habe, die Entscheidung über die dauerhafte anderweitige Vergabe der Arbeiten hinauszuschieben. Dabei übersieht der Kläger, daß es für die Abgrenzung der §§ 2 und 4 TV-LGS keine Rolle spielt, ob sich der Arbeitgeber sofort oder erst später entschließt, die vernichteten Arbeitsplätze nicht wiederzuerrichten. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch darauf hingewiesen, daß es wertungsmäßig unerheblich ist, warm der Arbeitgeber diesen Entschluß faßte.
2. Die siebenmonatige Verdienstsicherung beginnt mit der wirksamen Zuweisung des geringer entlohnten Arbeitsplatzes. § 9 TV-LGS betont ausdrücklich, daß die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht berührt werden. Versetzungen ohne die nach § 99 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats und ohne Einhaltung des Verfahrens nach § 100 BetrVG sind zwar unwirksam (vgl. BAGE 57, 242, 255 f. = AP Nr. 50 zu § 99 BetrVG 1972, zu II 4 der Gründe; BAG Beschluß vom 10. August 1993 – 1 ABR 22/93 – NZA 1994, 187, 189, zu B II 2 b der Gründe; ebenso Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 99 Rz 66; Kittner in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., § 99 Rz 218; a.A. u.a. Kraft in GK-BetrVG, 5. Aufl., § 99 Rz 124, m.w.N.). Im vorliegenden Fall scheitert die Zuweisung des neuen Arbeitsplatzes aber nicht an einem derartigen Mangel.
a) Die Beklagte hatte zunächst den Wiederaufbau der Galvanikabteilung beabsichtigt und mit Schreiben vom 6. Oktober 1993 den Betriebsrat davon unterrichtet, daß sie dem Kläger längstens für einen Monat wegen des Brandes in der Galvanik einen anderen Arbeitsplatz in der Rahmenfertigung zuweise. Als sich herausstellte, daß der Kläger länger als einen Monat am neuen Arbeitsplatz beschäftigt werde, bat die Beklagte am 3. November 1993 den Betriebsrat um seine Zustimmung zur Versetzung des Klägers. Der Betriebsrat teilte der Beklagten mit Schreiben vom 10. November 1993 mit, daß er die Versetzung des Klägers zur Kenntnis nehme. Damit galt nach § 99 Abs. 3 BetrVG die Zustimmung als erteilt.
b) Auch die erste, auf längstens einen Monat ausgerichtete Zuweisung des neuen Arbeitsplatzes war nicht unwirksam. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger am neuen Arbeitsplatz „seit dem 5. Oktober 1993 … mit Zustimmung des Betriebsrats” tätig. Danach lag von Anfang an die Zustimmung des Betriebsrats vor. An diese tatsächliche Feststellung ist der Senat nach § 561 Abs. 2 ZPO gebunden.
C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Michels, H. Frehse
Fundstellen
JR 1998, 395 |
NZA 1997, 1117 |